IV. Zusätzliche Altersvorsorge auf freiwilliger Basis stärken

Statt neue und damit komplexitätssteigernde staatliche Versorgungsträger zu schaffen, sollte grundsätzlich am Kurs festgehalten werden, die zusätzliche Altersvorsorge auf freiwilliger Grundlage weiter zu stärken.

Die Behauptung, dass der Verbreitungsgrad der zusätzlichen Altersvorsorge „völlig unzureichend“ sei, entspricht nicht den Tatsachen und reicht daher als Begründung dieses Vorschlags nicht aus. So belegen die Zahlen zur Verbreitung der zusätzlichen Altersvorsorge, dass die Weichen grundsätzlich in die richtige Richtung gestellt wurden. Insgesamt verfügten Ende 2013 rund drei Viertel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten neben der gesetzlichen Rente über eine zusätzliche Altersvorsorge in Form einer betrieblichen Altersvorsorge oder eines Riester-Vertrags, und dabei sind noch nicht einmal rund 70 Mio. Lebensversicherungsverträge und viele andere Formen der privaten Altersvorsorge berücksichtigt.

Richtig ist aber, dass die Zunahme der zusätzlichen Altersvorsorge ins Stocken gekommen ist. Hier gilt es bei den anstehenden Reformüberlegungen anzusetzen, um die vorhandenen Strukturen zu stärken und auszubauen.

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Foto von Van Tay Media

Quelle: LOHN+GEHALT Spezial "bAV" aus LOHN+GEHALT April 2016 

I. Keine überzeugenden Vorteile
für Staatsfonds erkennbar


Der Vorschlag für einen Staatsfonds lässt keine Vorteile erkennen, die private Versorgungsträger nicht auch bereits erfüllen bzw. erfüllen könnten. In keinem Fall darf es dazu kommen, dass bestehende private oder betriebliche Einrichtungen gegenüber dem Staatsfonds benachteiligt werden. Auch aus Gründen des Wettbewerbs- und Beihilferechts sind die Möglichkeiten, dem Staatsfonds mit rechtlichen Privilegien Vorteile gegenüber bestehenden Versorgungseinrichtungen zur verschaffen, zu Recht sehr begrenzt.



1. Risikoreichere Anlage mit
Beitragsgarantie kaum zu vereinbaren


Das Konzept der „Deutschland-Rente“ wird beworben mit seinen besonderen Renditechancen, die auch durch die Investition in Aktien erreicht werden soll. Gleichzeitig soll die „Deutschland-Rente“ von der Riester-Förderung profitieren. Die Riester-Förderung setzt aber den Erhalt der eingezahlten Beiträge ggf. abzüglich der Kosten zur Absicherung von biometrischen Risiken zwingend voraus („Beitragsgarantie“). Ob und wie die „Deutschland-Rente“ einerseits hohe Renditen, andererseits aber eine Beitragsgarantie sicherstellen soll, bleibt hingegen offen.

Wenn der Gesetzgeber die Standards für die bisherige Riester-Förderung zur Erhöhung der Renditemöglichkeiten ändern will, darf er diese Erleichterung nicht nur auf ein Staatsprodukt beschränken.

2. Weder einfacher noch unbürokratischer:
    Aufsichtsrechtliche Vorkehrungen müssten genauso gelten


Die „Deutschland-Rente“ wird als einfach und unbürokratisch beworben. Was jedoch einfacher und unbürokratischer als bei bisherigen Formen der Altersvorsorge sein soll, bleibt offen.

Ein erheblicher Teil der Komplexität von Altersvorsorgeeinrichtungen beruht auf aufsichtsrechtlichen Vorgaben. Diese Vorgaben dienen jedoch dem Schutz der Anleger und müssen daher für einen staatlichen Rentenfonds in gleicher Weise gelten wie für die privaten oder betrieblichen Versorgungsträger auch. Die Notwendigkeit einer Aufsicht besteht gerade vor dem Hintergrund, dass bei der „Deutschland-Rente“ der Staat „dafür mit seinem guten Namen“ stehen soll. Ohne die Einhaltung von aufsichtsrechtlichen Vorgaben würde die „Deutschland-Rente“ mehr Sicherheit suggerieren, als sie tatsächlich bietet.

3. Kostenvorteile werden nur behauptet

Mehrfach herausgestellt werden die vermeintlich niedrigen Kosten der „Deutschland-Rente“. Anders als die angeblich „völlig überteuerten Riester-Produkte“ arbeite die „Deutschland-Rente“ ohne „hohe Verwaltungskosten“ und „ohne eigenes Gewinninteresse auf Selbstkostenbasis“. Einzahlungen durch die Arbeitgeber erfolgten über die Deutsche Rentenversicherung und damit „auf bereits etabliertem Weg“.

All dies erklärt jedoch nicht, warum die „Deutschland-Rente“
kostengünstiger sein sollte als bestehende Altersvorsorgeangebote:


   Die fehlende Gewinnerzielungsabsicht und die „günstige“ Kostenstruktur des Staatsfonds sind jedenfalls keine Alleinstellungsmerkmale gegenüber privaten Versorgungsträgern. Auch heute bieten viele Versorgungsträger Altersversorgungsleistungen ohne Gewinnerzielungsabsicht oder Vertriebskosten an. Hierzu gehören z. B. nahezu alle Firmenpensionskassen und Firmenpensionsfonds sowie viele überbetriebliche Pensionskassen und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, die die Erträge in der Regel zur Erhöhung der Leistungen verwenden. Erst recht gilt dies, wenn eine Zusage auf betriebliche Altersvorsorge direkt vom Arbeitgeber übernommen wird (Direktzusage). Damit gibt es auch heute schon genügend Altersvorsorgeeinrichtungen, die ohne Gewinnerzielungsabsicht arbeiten. Im Übrigen zeigen Statistiken, dass Altersvorsorgeeinrichtungen mit Gewinnerzielungsabsicht keine schlechteren Ergebnisse für die Begünstigten haben müssen als Altersvorsorgeeinrichtungen ohne Gewinnerzielungsabsicht.

   Zudem ist es ein Irrtum, dass die Arbeitgeber die Beiträge zur „Deutschland-Rente“ „ähnlich wie die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung“ an die Deutsche Rentenversicherung abführen könnten. Denn tatsächlich entrichten die Arbeitgeber nach geltendem Recht ihre Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung an die Krankenkassen, die diese dann an die Rentenversicherung weiterleiten. Für diesen Beitragseinzug erhalten die Krankenkassen jedoch jährlich von den Rentenversicherungsträgern einen hohen dreistelligen Millionenbetrag als Kompensation. Insofern müsste natürlich auch die „Deutschland-Rente“ die Krankenkassen für ein Beitrags-Inkasso entsprechend entschädigen.

Ungeachtet dessen sind die Kosten eines Versorgungswerks zwar ein wichtiges, aber keineswegs das einzige Kriterium für die Leistungsfähigkeit eines Altersvorsorge-Trägers.

4. Der Staat ist nicht der bessere Kapitalanleger

Der Vorschlag bleibt die Antwort schuldig, weshalb ein staatlicher zentraler Rentenfonds die anspruchsvollen Herausforderungen des Kapitalmarkts besser bewältigen sollte als bestehende Träger der Altersvorsorge. Allein die behauptete Größe des Staatsfonds und der Verweis auf das Beispiel in Norwegen vermögen diese Behauptung nicht zu begründen. Denn ein besonders hohes Anlagevolumen hat weder hinsichtlich des Anlageerfolgs noch hinsichtlich der möglichen Streuung zwingend relevante Vorteile. Moderne Finanzmarktinstrumente ermöglichen auch bereits bei kleineren Anlagevolumina eine sehr breite Streuung der Anlage über alle Anlageklassen.

Im Gegenteil ist zu befürchten, dass der Staat der schlechtere Kapitalanleger für die Berechtigten sein würde. Denn naheliegend ist, dass ein Staatsfonds seine Kapitalanlage nicht nur nach Renditeaspekten, sondern auch nach politischer Opportunität ausrichten würde. Bereits die im Vorschlag knapp gehaltene Ausführung zur Ausgestaltung des staatlichen Rentenfonds zeigt, dass andere staatliche Ziele mit dem eigentlichen Zweck der Kapitalanlage, nämlich die Altersversorgung der Berechtigten zu sichern, vermengt werden sollen. So soll über die „Deutschland-Rente“ mehr „Kapital für den Aktienmarkt und Börsengänge junger Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um Wachstum und Innovation zu finanzieren“. Zwar mag eine Förderung von jungen Unternehmen wirtschaftspolitisch unterstützenswert sein. Allerdings darf dies kein eigenes Ziel der Kapitalanlage des Staatsfonds sein. Für die Kapitalanlage muss die Deckung der Altersversorgungsverbindlichkeiten das alleinige Ziel bleiben. Bereits diese Aussage im Vorschlag belegt die Gefahr, dass bei einem staatlichen Fonds weitere politische Zwecksetzungen der Kapitalanlage, wie z. B. Anlagen nach besonderen ökologischen, sozialen oder ethischen Kriterien, hinzukommen könnten und den Staat dadurch zu einem renditeschwächeren Kapitalanleger machen würden.

Nicht auszuschließen wäre auch die Gefahr, dass bei der Kapitalanlage fiskalische Erwägungen hinzukämen, wie Beispiele der Anlagepolitik von staatlichen Fonds der Bundesländer zur Sicherung von Beamtenpensionen beweisen, die überwiegend in staatliche Schuldtitel investiert sind. So sind z. B. in Hessen die Mittel des Sondervermögens für die Versorgungsrücklage der Beamten ganz überwiegend in Schuldscheindarlehen, Wertpapieren des Bundes, des Landes Hessen oder anderer Bundesländer sowie in öffentlichen Pfandbriefen angelegt.

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II. Staatlicher Zugriff nicht auszuschließen

Bei einem staatlichen oder staatsnahen Fonds lässt sich ein späterer staatlicher Zugriff auf die angesparten Mittel niemals ausschließen. Das gilt auch für die „Deutschland-Rente“. Die bloße Aussage im Konzept, dass die „Deutschland-Rente“ „geschützt vor politischem Zugriff“ sei, hilft da wenig. Der Gesetzgeber hat bei staatlich verwalteten Vermögen immer mehr Möglichkeiten zur Zweckentfremdung. Die bisherigen Erfahrungen belegen dies: So hat es der Gesetzgeber immer wieder, wenn bei Sozialversicherungsträgern hohe Reserven entstanden waren, vermocht, diese Mittel zu versicherungsfremden Zwecken zu verwenden. Zum anderen zeigen Erfahrungen aus dem Ausland (z. B. wurden in Irland die Mittel der Pensionsfonds teilweise zur Sanierung der Banken zweckentfremdet), dass in staatlicher Verantwortung aufgebaute kapitalgedeckte Altersvorsorge in Krisenzeiten nicht sicher ist und oftmals anderen Zwecken zugeführt wird.

III. Staatliche Opt-out-Regelung belastet Unternehmen

Eine gesetzliche Regelung, nach der Arbeitnehmer Teile ihres Netto-Gehalts  in einen Staatsfonds investieren müssten, solange sie nicht widersprechen, wäre eine Wettbewerbsverzerrung zulasten anderer Altersvorsorgeeinrichtungen bzw. Fonds. Denn diese müssen sich aktiv durch Vertriebsaktivitäten um Abschlüsse bemühen, was dem Staatsfonds weitgehend erspart würde. Eine solche Wettbewerbsverzerrung ist nicht nur ordnungspolitisch falsch, sondern auch europarechtlich fragwürdig.

Im Übrigen erscheinen die Erwartungen an einen Verbreitungsgrad von „etwa 90 %“ deutlich überhöht. Erfahrungen in Betrieben, die Opt-out-Regelungen auf freiwilliger Basis eingeführt haben, rechtfertigen diese Erwartung nicht. Auch die Erfahrung mit der zum 1. Januar 2013 eingeführten Opt-out-Regelung für Minijobber in der gesetzlichen Rentenversicherung ist eher ernüchternd: Nach den Meldebestandsdaten der Minijob-Zentrale machen gut 70 % der Minijobber, die ansonsten rentenversicherungspflichtig wären, von der Befreiungsmöglichkeit Gebrauch. Nimmt man diejenigen Minijobber hinzu, die ohnehin versicherungsfrei sind (vor allem Bezieher einer Vollrente wegen Alters und Beamte), sind nur knapp 20 % aller Minijobber voll rentenversicherungspflichtig.

Eine staatlich angeordnete Opt-out-Regelung würde die Unternehmen mit zusätzlichen Aufgaben der Umsetzung, der Mitarbeiterinformation und Dokumentation belasten. Hinzu kämen ggf. neue Kontroll- und Sanktionsregelungen, die zu beachten wären.

Ihnen soll jedoch eine Abwahlmöglichkeit eingeräumt werden (Opt-out-Regelung). Die Abführung der Beiträge für die „Deutschland-Rente“ soll über die Arbeitgeber durch die Rentenversicherung erfolgen.

Begründet wird der Vorschlag mit der vermeintlich unzureichenden Verbreitung der zusätzlichen kapitalgedeckten Altersvorsorge. Angeblich seien viele der heute am Markt befindlichen Altersvorsorgeprodukte zu komplex und mit zu hohen Kosten belastet. Dadurch ließen sich viele vom Aufbau einer ergänzenden Altersvorsorge abschrecken, obwohl dies eigentlich dringend geboten sei. Am 11. Februar 2016 haben die beteiligten hessischen Ministerien (Wirtschaft, Soziales und Finanzen) in Berlin ein Fachgespräch durchgeführt und ihren Vorschlag einer „Deutschland-Rente“ näher erläutert. Darin wurde klargestellt, dass das Modell keine weitere Form der betrieblichen Altersvorsorge (2. Säule) vorschlägt, sondern vielmehr im Bereich der privaten Altersvorsorge (3. Säule) anzusiedeln ist.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hat an dem Fachgespräch teilgenommen und sich wie folgt zur „Deutschland-Rente“ positioniert:

Der Vorschlag, einen staatlichen zentralen Rentenfonds „Deutschland-Rente“ als „Standardprodukt“ der kapitalgedeckten zusätzlichen Altersvorsorge einzuführen, bietet keine Vorteile, die private Versorgungswerke nicht erfüllen bzw. nicht erfüllen könnten. Zwar ist die dem Vorschlag zugrunde liegende Annahme, dass die kapitalgedeckte Altersvorsorge gestärkt werden muss, zu begrüßen. Dies ist aber auch ohne einen Staatsfonds erreichbar.

Der Vorschlag gibt vor allem keine Antwort darauf, weshalb ein staatlich organisierter Fonds die Herausforderungen der Kapitalmärkte, insbesondere im Hinblick auf die anhaltende Niedrigzinsphase und die Schwankungsanfälligkeit der Märkte besser bewältigen sollte als die bestehenden Träger der Altersvorsorge. Anders könnte es nur dann sein, wenn dem Staatsfonds vom Gesetzgeber wettbewerbsverzerrende Vorteile zugestanden würden. Außerdem bleiben wichtige Merkmale der Ausgestaltung des vorgeschlagenen staatlichen Fonds und seiner Einordnung ins deutsche Alterssicherungssystem offen (v. a. dessen aufsichtsrechtliche Behandlung).

Fragwürdig ist das Vorhaben, die „Deutschland-Rente“ gleichzeitig mit einem sog. „Opt-out“ (verpflichtende automatische Abführung von Teilen des Netto-Gehalts mit Abwahlmöglichkeit für Arbeitnehmer) zu verbinden und den staatlichen zentralen Rentenfonds als Zielversorgungsträger für die Gehaltsabführung vorzusehen.

Ungelöst – und auch nicht lösbar – ist zudem das Problem, dass ein staatlicher Fonds niemals vollständig vor einem späteren staatlichen Zugriff geschützt werden kann. Statt auf staatliche Lösungen zu setzen, sollten die vorhandenen Strukturen der betrieblichen und privaten Altersvorsorge gestärkt und ausgebaut werden.