BAG vom 8.12.2010 – 10 AZR 671/09

A group of friends at a coffee shop
Foto von Brooke Cagle

Die Ausgangslage ist jedem Arbeitgeber und Personaler bestens bekannt: Wenn es dem Unternehmen gut geht, sollen die Arbeitnehmer auch davon profitieren und eine Sonderzuwendung erhalten. Geschieht dies mehrere Jahre hintereinander, entsteht unter Umständen eine sogenannte „betriebliche Übung“. Unternehmen können sich dann in schlechteren Zeiten nicht mehr einseitig von der Verpflichtung lösen, die Sonderzuwendungen weiter gewähren zu müssen. Das kann für den Arbeitgeber teuer werden.

Bisherige Rechtsprechung und betriebliche Praxis

Um die Entstehung einer betrieblichen Übung zu verhindern, haben die Arbeitgeber in der Vergangenheit oftmals auf die doppelte Schriftformklausel im Arbeitsvertrag zurückgegriffen. Damit war vereinbart, dass alle Änderungen des Arbeitsvertrags schriftlich erfolgen müssen (Schriftlichkeitsklausel) und dies auch für die Veränderung der Schriftlichkeitsklausel gilt. Für Formulararbeitsverträge ist dies seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 20. Mai 2008 (9 AZR 382/07) wegen des Vorrangs der Individualvereinbarung kein gangbarer Weg mehr, um eine betriebliche Übung zu verhindern.

Daher greift die Praxis gerne auf die Vereinbarung von Freiwilligkeitsvorbehalten im Arbeitsvertrag zurück. Alternativ dazu kann der Arbeitgeber einen Freiwilligkeitsvorbehalt auch im Zusammenhang mit einer schriftlichen Information schaffen, in der er sich bereit erklärt, eine Zulage zu gewähren. Dafür genügt zum Beispiel ein Aushang im Betrieb für den Unternehmen folgende Klauseln verwenden können:

„Werden dem Arbeitnehmer Sonderzahlungen wie z.B. Gratifikationen, Prämien, Zulagen, Urlaubs- oder Weihnachtsgeld gewährt, auf die kein Anspruch besteht, erfolgen diese freiwillig und es wird hierdurch ein Rechtsanspruch auf Weitergewährung in den folgenden Kalenderjahren nicht begründet. Der Arbeitgeber behält sich vor, jedes Jahr neu zu entscheiden, ob und in welcher Höhe eine solche Sonderzahlung gewährt wird.”

Mit einer solchen Klausel hat der Arbeitgeber grundsätzlich die Möglichkeit, einen Anspruch auf eine betriebliche Übung bei Sonderzahlungen zu verhindern. Der Arbeitnehmer kann erkennen, dass der Arbeitgeber sich nicht dauerhaft binden will.

Entscheidend ist aber, dass der Freiwilligkeitsvorbehalt hinreichend klar und verständlich formuliert ist. Beim Arbeitnehmer darf dabei insbesondere nicht der Eindruck entstehen, er hätte einen Anspruch auf die Sonderzulage erworben. Bei Formulararbeitsverträgen legen die Arbeitsgerichte eine mehrdeutige Klausel zu Lasten des Arbeitgebers aus: Der Freiwilligkeitsvorbehalt ist in der Folge nach § 307 BGB unwirksam. Eine betriebliche Übung kann dann sehr wohl entstehen.

Häufige Fehler in der Praxis

1. Freiwilligkeitsvorbehalt und Widerrufsvereinbarung

Ein beliebter Fehler besteht darin – und dies war Gegenstand der Entscheidung des BAG vom 8. Dezember 2010 – einen Freiwilligkeitsvorbehalt mit einer Widerrufsvereinbarung zu koppeln. Dem Fall des BAG lag folgender Sachverhalt zugrunde: In sechs aufeinanderfolgenden Jahren zahlte der Arbeitgeber ein Weihnachtsgeld, auf das es keinen vertraglichen Anspruch gab. Einen ausdrücklichen Vorbehalt erklärte das Unternehmen bei den jeweiligen Zahlungen nicht. Im siebten Jahr verweigerte der Arbeitgeber unter Hinweis auf eine Klausel im Arbeitsvertrag die Auszahlung eines Weihnachtsgeldes. Die Klausel lautete:

„Soweit der Arbeitgeber gesetzlich oder durch Tarifvertrag nicht vorgeschriebene Leistungen, wie Prämien, Zulagen, Urlaubsgeld, Gratifikationen, Weihnachtsgratifikationen gewährt, erfolgen sie freiwillig und ohne jede rechtliche Verpflichtung. Sie sind daher jederzeit ohne Wahrung einer besonderen Frist widerrufbar.“

Ein Arbeitnehmer klagte im siebten Jahre auf Zahlung des Weihnachtsgeldes und war erfolgreich. Das BAG befand, dass nur ein im Arbeitsvertrag klar und verständlich formulierter „Freiwilligkeitsvorbehalt“ einen zukünftigen Anspruch auf eine Sonderzahlung ausschließen kann. Die vom Arbeitgeber verwendete Klausel genügte dem BAG zufolge diesen Kriterien nicht. Die Klausel, so das BAG, könne ein Mitarbeiter auch so verstehen, dass sich der Arbeitgeber aus freien Stücken zur Erbringung der Leistung verpflichten wollte. Der vom Arbeitgeber vorbehaltene Widerruf setzte gerade voraus, dass überhaupt erst ein Anspruch entstanden sei.

Die Arbeitsgerichte legen also mehrdeutig auslegbare Klauseln zu Lasten des Verwenders, des Arbeitgebers, aus. Im Fall des BAG musste dieser Arbeitgeber auch im siebten Jahr – und in den Folgenjahren natürlich auch – die Weihnachtsgratifikation weiterzahlen.

2. Zusage von Sonderzahlung mit Freiwilligkeitsvorbehalt

Ein weiterer beliebter Fehler der Arbeitgeber: im Arbeitsvertrag erst etwas zusagen und dann den Freiwilligkeitsvorbehalt erklären. Ein Beispiel:

“Der Arbeitnehmer erhält mit dem Junigehalt ein Urlaubsgeld in Höhe eines Bruttomonatsgehalts. Diese Leistung ist eine rein freiwillige Leistung des Arbeitgebers, auf die auch bei wiederholter Gewährung für die Zukunft kein Anspruch entsteht.”

Derartige Klauseln sind ebenfalls intransparent und nach § 307 BGB unwirksam. Dem Arbeitnehmer wird mit der einen Hand etwas versprochen und mit der anderen soll es ihm wieder genommen werden können. Diese Kombination erlauben die Arbeitsgerichte nicht. Folge ist auch hier, dass der Anspruch entstanden ist und der Arbeitgeber bezahlen muss.

Praxistipp:

“Gut gemeint, gnadenlos bestraft” – das ist die für Arbeitgeber höchst unangenehme Folge, wenn sie in guten Zeiten den Arbeitnehmern etwas freiwillig gewähren, aber bei der Umsetzung nicht ordentlich arbeiten. Unternehmen müssen sich daher vor der Gewährung von Sonderzulagen Gedanken darüber machen, ob bereits eine ausreichende Absicherung gegen das Entstehen einer betrieblichen Übung vorliegt.

Es ist in jedem Fall zu empfehlen, in den Standardarbeitsverträgen entsprechende Freiwilligkeitsvorbehalte zu regeln. Sicherheitshalber sollte parallel zur Regelung im Arbeitsvertrag bei jeder Gewährung in schriftlicher Form der Freiwilligkeitsvorbehalt nochmals erklärt werden. Es gilt hier: Doppelt gesichert, hält besser. Andernfalls gibt es ein böses Erwachen. Eine Vielzahl von Arbeitgebern kann hiervon ein Lied singen.