Handbuch „führt“ zur Gesundheit

peope sitting around table
Foto von Christina @ wocintechchat.com

Um den Informationsbedarf im Unternehmen zu decken, erstellten wir in einem nächs-ten Schritt das Handbuch „Zur Gesundheit FÜHREN“, das wir allen Führungskräften zur Verfügung stellten und top-down in der Linie verteilten. Dieses Handbuch gibt den Vorgesetzten objektive und wissenschaftlich fundierte Informationen zu den Themen Konflikte, Krisen, Burnout sowie chronische Erkrankungen an die Hand, es beschreibt Unterstützungsangebote und gibt Handlungsempfehlungen. Mithilfe des Handbuchs können unsere Führungskräfte Gesundheitsgefährdungen durch psychosoziale Belastungen besser erkennen und adäquat intervenieren. In die mittlerweile erschienene zweite Auflage haben wir die Erfahrungen der vergangenen Jahre eingearbeitet und das Kapitel „Wiedereinstieg nach länger dauernder Erkrankung“ ergänzt. Zu manchen Themen (etwa Mobbing) gibt es eine Betriebsvereinbarung, die Klarheit in die Begrifflichkeiten bringt und Vorgehenswege regelt. Vor allem die begriffliche Unterscheidung, was Mobbing und was ein Konflikt ist, hat dazu geführt, dass Mitarbeiter und Führungskräfte mit diesen Themen behutsamer und professioneller umgehen.

Arbeitsmedizinische und psychologische Beratung

Das Wissen, das unser Handbuch vermittelt, ist der erste Schritt, um kompetent mit psychischen Erkrankungen und betroffenen Mit arbeitern umgehen zu können. Im Gesundheitszentrum bieten wir Mitarbeitern und Führungskräften darüber hinaus eine kostenlose arbeitsmedizinische und psychologische Beratung an. Die Mitarbeiter nehmen dieses Angebot überwiegend anonym während ihrer Arbeitszeit in Anspruch. Wir registrieren mit großer Freude, dass sich die Beschäftigten zunehmend in sehr frühen Stadien, etwa bei ersten psychosomatischen Reaktionen wie Schlafstörungen oder Verspannungen, beraten lassen. Die Mitarbeiter nehmen wahr, dass es sich bei diesem Angebot nicht um eine Psychotherapie oder die Behandlung einer bereits aufgetretenen Erkrankung handelt, sondern um eine sehr frühzeitige und vorbeugende Unterstützung und Begleitung. Auch immer mehr Führungskräfte suchen die Beratung auf. Sie sind sensibilisierter für Veränderungen im Verhalten ihrer Mitarbeiter und schätzen die Unterstützung des Gesundheitszentrums sehr. Zahlreiche Kooperationen mit externen Partnern runden das Angebot ab. Wir unterstützen unsere Mitarbeiter zum Beispiel bei der Auswahl einer zeitnahen und adäquaten Therapie, die zum Beispiel eine Psychotherapie (Kooperation mit Therapeuten), Rehabilitation (Kooperationsprojekt mit der PVA) oder Maßnahmen am Arbeitsplatz wie das Erlernen von Entspannungstechniken zu Arbeitsrandzeiten umfassen kann. Für private Krisensituationen, die zum Beispiel durch Probleme mit der Kinderbetreuung, Pflege von Familienangehörigen, Trennung oder Scheidung entstehen, gibt es für unsere Mitarbeiter die Möglichkeit, sich jederzeit anonym und kostenlos von einem externen Kooperationspartner und dessen multiprofessionellem Team beraten zu lassen.

Was sind psychische Erkrankungen?

Das Gesundheitszentrum der Erste Bank hat 2006 begonnen, sich des Themas „psychische Erkrankungen“ anzunehmen. Der Grund dafür war einerseits, dass psychische Erkrankungen meist sehr lange Krankenstände verursachen, andererseits zeigte die Beobachtung, dass Mitarbeiter nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenstand meist noch an beträchtlichen Leistungseinschränkungen litten. Ein wesentlicher erster Schritt war es, zunächst einmal unternehmensintern ein Verständnis von psychischen Erkrankungen zu entwickeln, das von Mitarbeitern, Führungskräften und Belegschaftsvertretern getragen werden kann. Denn für Unternehmen sind psychische Erkrankungen ihrer Mitarbeiter eine besondere Herausforderung. Immer stellt sich die Frage, ob und in welcher Form das Arbeitsumfeld als Mitauslöser in Frage kommen könnte: Sind es Arbeitsumstände? Zeitdruck? Führungsverhalten? Oder doch Probleme im Privatleben? Wenn Unternehmen zu diesem Thema kein klares gemeinsames Verständnis finden, kann sich die „Schuldfrage“, die naturgemäß von Betriebsrat und Unternehmensleitung unterschiedlich gesehen wird, sehr destruktiv auswirken und das Implementieren sinnvoller Vorgehensweisen unmöglich machen, da die jeweiligen Standpunkte verhärtet sind.

Es galt daher, gemeinsam mit Unternehmensleitung und Belegschaftsorganen festzuhalten, dass wir intern mit psychischen Erkrankungen konfrontiert sind, dass wir ganz grundsätzlich Erkrankungen mit Respekt begegnen und dass jene Professionalität, die unsere Führungskräfte zu Recht für sich beanspruchen, gerade vor diesem Thema nicht Halt machen sollte.

In Schulungen sensibilisierten wir Führungskräfte und Belegschaftsorgane für Entstehung und Verlauf psychischer Erkrankungen und besprachen Interventionsmöglichkeiten: Wie lassen sich psychische Erkrankungen durch geeignete Rahmenbedingungen verhindern? Wie können Führungskräfte entsprechende Probleme frühzeitig erkennen und adäquat darauf reagieren?

Respektvoller und kompetenter Umgang mit den Betroffenen

Eine psychische Erkrankung entsteht durch eine Wechselwirkung von belastenden Ereignissen oder Lebenssituationen und einer individuellen „Verletzlichkeit“. Tatsächlich ist das Zusammenspiel aus individuell empfundenen äußeren Belastungsfaktoren und deren Auswirkungen auf den Einzelnen äußerst komplex. Menschen unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer Toleranz von Belastungen, sondern auch hinsichtlich ihrer Belastungsdefinition. Und selbst bei jedem Einzelnen gibt es Lebensphasen, in denen sich die Belastungswahrnehmung und -toleranz verändern.

Gerade weil die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit oft unscharf ist und Einflüsse sowohl aus dem Arbeitsumfeld als auch aus der Person selbst heraus für den Laien oft schwer interpretierbar sind, war es unser nächster Schritt, alle Führungskräfte zum Thema „Prävention und Entstehung von psychischen Erkrankungen“ flächendeckend zu schulen.

In der Erste Bank spielen seither beim Umgang mit dem Thema psychosoziale Gesundheit vor allem die Führungskräfte eine zentrale Rolle. Sie sollten kompetent reagieren können, wenn ein Mitarbeiter psychische Belastungserscheinungen zeigt. Für den Laien ist das nicht immer einfach. Denn sehr häufig ziehen wir unsere eigenen Erfahrungen und Bewältigungsstrategien als Maß für die Beurteilung heran. So fehlt vielen das Verständnis dafür, dass Kollegen oder Mitarbeiter ein Arbeitsvolumen, das man selbst für absolut überschaubar hält, als nicht zu bewältigende Belastung erleben.

Wie belastend die Arbeit für uns ist, hängt von vielen privaten und beruflichen Faktoren ab. Wir wissen etwa von unseren Vertriebsmitarbeitern, dass Kundenkontakt ein wesentlicher Faktor ist, warum sie sich für diesen Beruf entschieden haben. Gute Kundenbeziehungen steigern die Arbeitszufriedenheit dieser Mitarbeiter. Andererseits wissen wir aus der arbeitsmedizinischen Forschung, dass gerade Kundenkontakte unter bestimmten Bedingungen und auch individuellen Konstellationen ein Risikofaktor für das Entstehen einer Burnout-Symptomatik sein können. Jeder hat schon die Erfahrung gemacht, dass es an Tagen, an denen die emotionale Belastbarkeit herabgesetzt ist, ungleich schwieriger gelingt, gute Beziehungen etwa zu Kollegen einzugehen. So kann es dazu kommen, dass Mitarbeiter jede Form von Kontakt – im Extremfall jede eingehende E-Mail – als störend empfinden. Für Berufe, die interaktiv dialogische Erwerbsarbeit leisten, also menschliche Beziehungen zu Kunden (zum Beispiel Patienten oder Klienten) aufbauen, sind die emotionale Stabilität und das richtige Ausmaß an Empathie- und Distanzierungsfähigkeit entscheidend.

Wiedereinstieg nach längerer Erkrankung

Eine besondere Herausforderung sehen wir beim Wiedereinstieg nach längerer Krankheit. Mitarbeiter, die nach einer länger andauernden psychischen Erkrankung an den Arbeitsplatz zurückkehren, sind oft nicht so stabil, dass sie ihrer Tätigkeit wie vor der Erkrankung nachgehen können. Einerseits besteht der Wille, jetzt endlich wieder zu „funktionieren“, andererseits ist die Leis-tungsfähigkeit aus verschiedensten Gründen zum Teil noch deutlich eingeschränkt. Führungskräfte sind in solchen Situationen oft verunsichert und zeigen eine deutliche Ambivalenz zwischen Unverständnis, hoher Erwartung und „Schonhaltung“, was die betroffenen Mitarbeiter zusätzlich verunsichert.

Wir haben im Gesundheitszentrum unter Einbeziehung unternehmensinterner Akteure (Vorstand, HR) und externer Kräfte (Arbeitsinspektion, Juristen der Ärztekammer) ein klares Konzept zur Wiedereingliederung von Mitarbeitern nach längerer Erkrankung entwickelt. Es soll helfen, die heikle Schnittstelle zwischen dem Gesundheitssystem, das „arbeitsfähig schreibt“, und dem Unternehmen, das „gesundgeschriebene Mitarbeiter“ mit deutlichen Leistungseinschränkungen eingliedern soll, zu klären. Führungskräfte und Mitarbeiter erhalten verbindliche Unterstützungsangebote, die gewährleisten, dass die Wiedereingliederung schrittweise ohne Überforderung aller Beteiligten erfolgen kann.

Erfolge für Mitarbeiter und Unternehmen

Durch diese Maßnahmen konnte die Erste Bank die Krankenstände aufgrund psychischer Erkrankungen in den vergangenen Jahren mehr als halbieren. Während psychische Erkrankungen bei den Angestellten in Gesamtösterreich 13 Prozent aller Gesamtkrankenstände verursachen, waren es in der Erste Bank Österreich 2011 nur vier Prozent der Gesamtkrankenstände (Quelle: Wiener GKK, Abteilung Prävention und Gesundheitsförderung 2011). Das zeigt deutlich, dass sich berufliche Gesundheitsförderung, wenn sie in Unternehmensentscheidungen und -abläufe integriert ist, auch in finanzieller Hinsicht rechnet. Der größte Wert aus meiner Sicht ist es jedoch, einen Beitrag zur sozialen Teilhabe zu leisten: Eine zufriedenstellende Beziehung zur beruflichen Tätigkeit ist d e r wesentliche soziale Faktor für gute Gesundheit.

Quelle: personal manager Zeitschrift für Human Resources Ausgabe 2 März / April 2013

Arbeit sichert nicht nur den Lebensunterhalt, sondern kann dem Einzelnen unter guten Rahmenbedingungen auch Anerkennung und soziale Kontakte vermitteln sowie Identität und Lebenssinn stiften, also viel zur psychosozialen Gesundheit beitragen. Unter schlechten Rahmenbedingungen kann jedoch auch das Gegenteil der Fall sein. In den UnternehmenDiskussionen der vergangenen Jahre wurden vielfach die Beschleunigung des Arbeitstempos, die erhöhte Komplexität der Arbeitsprozesse, eine stärkere Qualitätssicherung und andere Faktoren für die explosionsartige Zunahme von psychischen Erkrankungen verantwortlich gemacht. Das Thema Burnout, das in letzter Zeit häufig im Zentrum medilaler Berichterstattung stand, ist dafür nur ein Beispiel.

Dass Arbeit und ihre Rahmenbedingungen einen Einfluss auf die Gesundheit haben, ist unbestritten. Dennoch wird das Thema „psychosoziale Erkrankungen“ in Fachkreisen und in den Medien äußerst kontrovers diskutiert. Die Meinungen variieren von „Das trifft nur die Empfindlichen“ oder „Das ist Einbildung“ bis zu „Jeder Zweite ist betroffen“ und „Es trifft vor allem die Leistungsbereiten“.

Ganz gleich, welcher Richtung man sich anschließen mag: Fakt ist, dass die Anzahl der Menschen, die frühzeitig aus Krankheitsgründen einen Pensionsantrag stellen, von Jahr zu Jahr größer wird. Etwa ein Drittel der Neuzugänge bei den Pensionen 2011 erfolgte vorzeitig aufgrund von Krankheit, dabei sind psychische Erkrankungen mit Abstand die häufigste Ursache. Neben dem persönlichen Leid für die Betroffenen hat diese Entwicklung bedeutende Auswirkungen für die Unternehmen und die Gesellschaft: Sie kosten sehr viel Geld.