Unabhängigkeit abgehängt

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Foto von Adeolu Eletu

Eine grössere Autonomie des Arbeitnehmers – ermöglicht auch der Führungsperson grösseren Spielraum und die Möglichkeit, sich zu entwickeln. Die Digitalisierung und Modernisierung setzen hier eindeutig Signale, Mitarbeiter immer stärker miteinzubeziehen, damit sie die Unternehmensziele selbstmotiviert und engagiert mittragen. Dennoch scheint sich dieser Trend ausgerechnet auf dem Gebiet des BGM nicht durchzusetzen, ja sogar rückläufig zu sein. Weitere Untersuchungen werden sich diesem Thema widmen müssen.

Die Ursachen? Wie Abhilfe schaffen?

Eine Ursache könnte in den Ergebnissen der ESSENER-2-Studie zu finden sein. So scheinen die Angst vor Sanktionen oder die Befürchtung, gesetzliche Vorgaben nicht zu erfüllen, stärkere motivationale Faktoren zu sein, Massnahmen und Massgaben für Arbeitsschutz, Sicherheit und Gesundheit zu erfüllen, als echte Überzeugung. Ausserdem argumentieren HR-Vertreter selber, dass ein professionelles BGM auf der Ebene des Managements verankert sein muss, damit es Bestand haben kann.

HR in Poleposition und Schlüsselposition

Allerdings ist – wie in diesem Newsletter aufgeführt - damit nicht automatisch gemeint, dass die Führungsetage für das BGM die Zügel in die Hand nehmen muss – sondern dass sie dahinter stehen – und es befördern sollte. Das Ziel ist ja eher, dass ihnen dann das HR die Arbeit abnimmt und diese Aufgaben – mit entsprechend hoch angesiedelter Handelsbefugnis übernimmt.

Daher sprechen wir auch von BGM-Management, das im HR verortet sein sollte. Die neue Rolle des HR bestände dann auch in der Koordinierung der Arbeitnehmervertreter, oder, wenn es keine Arbeitnehmervertretung im Betrieb gibt, im Einholen (Feedback-Systeme, Mitarbeiterbefragungen) von Mitarbeitermeinungen und der strategischen Planung und dem Monitoring der BGM-Massnahmen – auf Management-Ebene.

Die Herausforderung – direktive Gesundheits- und Schutzmassnahmen

Die Herausforderung für das HRM scheint also derzeit europaweit darin zu liegen, so geht es aus der Studie hervor, dem Trend Einhalt zu gebieten, dass für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit immer häufiger Managementsysteme eingesetzt und als massgebliche Person immer häufiger eine Person aus dem Management bestimmt wird, deren Hauptexpertise und –aufgabe eben nicht auf dem Gebiet des Arbeits- und Gesundheitsschutzes liegt. Gerade dies ist laut ESENER-2-Studie in der Schweiz der Fall.

Warum können Managementsysteme schädlich sein?

Managementsysteme im Arbeits-, Sicherheits- und Gesundheitsschutz führen anscheinend dazu, dass Arbeitnehmer und deren Vertreter das Gefühl bekommen – und das de facto der Fall – dass ihnen Entscheidungs- und Handlungsautonomie genommen wird. Ausserdem fühlen sie sich eher nur noch als Instrumente der „Massgaben von oben“ denn als gleichwertige Partner für den Gesundheitsschutz im Unternehmen.

Weitere Nachteile: Das Mitarbeiterengagement könnte sinken, ebenso die Mitarbeiterzufriedenheit. Führungskräfte könnten einmal mehr Grund haben zu klagen, dass „niemand so richtig die Massnahmen im BGM mitträgt – und dass sie als Zugpferd der Massnahmen alle Energie aufbringen müssen und niemand sie entlastet. Hier liegt letztlich auch die Chance zum Kurswechsel – „zurück“ zu mehr Arbeitnehmermitwirkung, zu effektivem Netzwerken und Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“: für besseren Gesundheitsschutz und mehr Arbeitssicherheit in den Unternehmen. In der Schweiz. In ganz Europa.

Quellen:

https://osha.europa.eu/de/about-eu-osha/press-room/new-study-reveals-challenges-effective-worker-representation

https://osha.europa.eu/de/tools-and-publications/publications/worker-participation-management-occupational-safety-health/view

http://derarbeitsmarkt.ch/de/service/link/Arbeitnehmerverbaende-und-Gewerkschaften

http://www.sgb.ch/aktuell/

http://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1975/1975-08-a-469.pdf

Ziel der Folgestudie:

Die neue quantitative Studie von EU-OSHA nahm die Beteiligung und Anhörung von Arbeitnehmern im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz in Unternehmen unter die Lupe. Hierzu wurden Unternehmungsleitungen und Arbeitnehmervertreter aus 143 Betrieben und sieben Mitgliedsstaaten befragt.

Die rechtlichen Vorgaben in der EU sehen einen Anspruch aller Arbeitnehmer auf Vertretung in Fragen des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit bei der Arbeit. Doch haben diese Bestimmungen eher „ermöglichenden“ Charakter und sind zu wenig verbindlich. Die Folge: behördliche Inspektoren dringen kaum darauf, dass Arbeitnehmervertretungen eingerichtet werden.

Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften als Partner mit im Boot

So waren zwar in allen Ländern, besonders in jenen mit starker Gewerkschaftstradition, durchaus Arbeitnehmervertretungen für betrieblichen Gesundheitsschutz und Sicherheit vorhanden: besonders in Schweden, auch in Belgien und den Niederlanden – doch insgesamt wurde festgestellt, dass wirklich wirksame Verfahren, Arbeitnehmer in Massnahmen betrieblichen Sicherheits- und Gesundheitsschutzmanagements einzubeziehen, eher die Ausnahme bildeten.

Was also ist ausschlaggebend für den Erfolg einer starken Arbeitnehmervertretung, wenn es darum geht, Sicherheits- und Gesundheitsmassnahmen in Betrieben europaweit erfolgreich umzusetzen und für eine gute Mitwirkung zu sorgen?

Zwar gibt es ja tatsächlich teilweise sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern, dennoch kann man für alle europäischen Länder folgende Faktoren konstatieren, die massgeblich für eine hohe Arbeitnehmerbeteiligung an Gesundheits-, BGM- und Sicherheitsmassnahmen sorgen:

A) Die entscheidenden Faktoren für die Länder:

  • Betriebsgrösse
  • Wirtschaftszweig
  • Rechtliche Lage, nationale gesetzliche Anforderungen und Umsetzung der EU-Bestimmungen im jeweiligen Mitgliedsland
  • Wirtschaftliche und finanzielle Gegebenheiten des jeweiligen Mitgliedslandes (so investieren Länder wie Griechenland und Spanien weniger in den betrieblichen Sicherheits- Gesundheitsschutz und dessen Einhaltung aufgrund der angespannten konjunkturellen Lage)
  • Tradition einer Arbeitnehmervertretungspraxis wie Gewerkschaften oder Arbeitnehmerorganisationen
  • Nationale Tarifverhandlungsregelungen
  • Allgemeine gesellschaftliche Lage
  • Frequenz und Engagement der Inspektoren, die die Einhaltung der nationalen/EU-Massgaben überprüfen
  • Mass/Güte der Zusammenarbeit der Inspektoren mit den Arbeitnehmervertretern

B) Die entscheidenden und unterscheidenden Faktoren für die Unternehmen:

  • Ein starkes Engagement für die Partizipation von Arbeitnehmern – und partizipative Verfahren im Bereich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit seitens der Arbeitgeber
  • Vertrauensvolle, konstruktive und von hoher Autonomie geprägte Zusammenarbeit von Arbeitnehmervertretern und Arbeitgebern 
  • Starke unterstützende inner- wie ausserbetriebliche Arbeitnehmerorganisationen
  • Gut ausgebildete, umfassend informierte Arbeitnehmervertreter