Es sollte grundsätzlicher gefragt werden, nämlich ob nicht eine Rückdelegation an die Linie, eine Art Backsourcing, sinnvoll wäre. Dafür sprechen:

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Foto von Claire Nakkachi

Die Treiber für Motivation und Unternehmensklima sind ganz klar die Führungskräfte. Sinn, Spass und Spielraum kann nur in der täglichen Führungsarbeit vermittelt werden. Führung und Entwicklung der Leistungsträger, Talente und Mitarbeitenden sowie die konsequente Nutzung der Personalsysteme liegen primär in der Hand der Führungskräfte. Vertrauen ist an den direkten Vorgesetzten gebunden. Die Mitarbeitenden bleiben oder gehen wegen ihrer Vorgesetzten. Führung bewirkt oder verhindert Leistung und Qualität. Den Mitarbeitenden ist mit einer professionelleren Personalführung weit besser gedient als mit einer Reparaturstelle HRM.

Wenn immer mehr Rekrutierungsund Entwicklungsaufgaben nicht von den Führungskräften wahrgenommen werden und Assessment-Center ein übergroßes Gewicht erhalten, fühlen sich die Führungskräfte nicht mehr für Personalentscheidungen verantwortlich – und trauen sich irgendwann kein eigenständiges Urteil mehr zu. Wird die Assessment- Kultur abgelöst, sind Führungskräfte gefordert: ihre Eigenverantwortung zu stärken und sich mehr Zeit für die Mitarbeiterselektion und -gespräche zu nehmen.

Nach Dave Ulrich hat das HRM wertschöpfende Aufgaben in Strategie, Wandel und Kultur wahrzunehmen. Gerade diese Aufgaben will die Linie aber zu Recht gar nicht delegieren. Die Formulierung und Umsetzung der Personalstrategie betrachten Linienmanager als ihre ureigene Aufgabe. In Veränderungsprozessen ist es ohnehin entscheidend, dass sich die Führungskräfte und nicht Externe oder das HRM an die Spitze des Change-Prozesses stellen und den Wandel vorleben.

Das HRM ist nicht ganz unschuldig, wenn es in vielen Unternehmen nicht auf Augenhöhe mitreden kann. Bisher vermochten sich die wenigsten HRBereiche bei strategischen Fragen als echte Business Partner zu etablieren. Weil es ihm an Geschäftsverständnis mangelt, werden verständlicherweise oft wichtige Entscheide am HR-Manager vorbei getroffen.

Hier wird nicht übersehen, dass viele Führungskräfte problematische Träger der Personalarbeit sind, denen es zuweilen an der erforderlichen Motivation und Qualifikation für eine zukunftsbezogene HR-Arbeit und vor allem an Zeit mangelt. Dennoch sollte durch eine entsprechende Auswahl und Entwicklung von Führungskräften die Voraussetzungen für ein Backsourcing geschaffen werden.

Führung muss wieder einen höheren Stellenwert erhalten. Da wo einzelne Führungskräfte mit ihren Führungsaufgaben überfordert sind, darf im Interesse der Mitarbeitenden, des Unternehmens und auch der Betroffenen selbst ungenügende Führungsleistung nicht hingenommen werden. Für das Umfeld ist es unzumutbar, wenn über wesentliche Führungsmängel immer wieder hinweggesehen wird. Wenn sie beachtet werden soll, muss Führungsqualität aufgrund klarer Standards gemessen und belohnt werden.

Heute mangelt es den Führungskräften an Anreizen, sich in der Personalarbeit zu engagieren. Die vornehmste Aufgabe des HR-Managements müsste deshalb bei einem Backsourcing darin bestehen, die Führungskräfte zu befähigen, ihre Personalaufgaben professionell wahrzunehmen, sie also für eine hochwertige Personalarbeit zu gewinnen und tatkräftig in ihrer Rolle zu unterstützen.

Rollenbild und Aufgabenteilung zwischen HRM und Linie können nur unternehmensspezifisch festgelegt werden. Notwendig ist eine Balance, die die Möglichkeiten der Rückdelegation konsequent einbezieht. So visionär ein Backsourcing auf den ersten Blick erscheinen mag, den Mitarbeitenden dürfte damit am besten gedient sein.

Quelle: PERSONAL – Heft 06/2010