In einer Präsentation zu Kommunikationsszenarien für die Politik hatte Prof. Dr. Peter Kruse in 2014 die Herausforderungen im Umgang mit Medien, Meinungen und Informationen auseinandergesetzt. Durch die Dynamik der Nachrichten, welche die neuen Kommunikationsmedien dokumentieren, werde es für Menschen selbstverständlicher, sich ohne Plan und Konzept auf ergebnisoffene Prozesse einzulassen. Dazu komme, dass das Netz nahezu die gesamte Welt der Meinungen abbildet. Diese aber unterliegen großen Schwankungen, so wie Aktien ihren Börsenkursen. Dass dem so ist, liegt nicht zuletzt daran, dass die Medien gesellschaftliche Teilhabe insgesamt besser fördern als dies in der analogen Printwelt möglich war. Das Digitale ist das Fenster zur neuen Mitmachgesellschaft.

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Foto von John Schnobrich

Für Prof. Dr. Peter Kruse stellte sich angesichts dieser Entwicklung die Frage, wie Orientierung an Informationen generell funktionieren kann; zumal bislang als verlässlich geltende statistische Verfahren und standardisierte Studien unter dem Druck des Dynamischen an Aussagekraft einbüßen. Für den Forscher war offensichtlich, dass es einen Wechsel der Analyseebene braucht. Möglich würde das durch die Beschäftigung mit sozialen Milieus und mit kulturellen Kraftfeldern.

Nun ist aber der Einzelne im Gegensatz zu Organisationen, Forschung und Unternehmen durchaus nicht in der Lage, für die Bewertung von Informationen jeweilige Detailstudien anzustellen. Information muss für ihn im Alltag praktikabel bleiben.

In einem Onlinechat für junge Menschen hat der Forscher geschildert, welche Strategien er selbst eingesetzt hat, um auch zum Beispiel in Situationen entscheiden zu können, in denen Informationen als höchst fragwürdig erscheinen. Er gab zu bedenken, dass es durch die hohe Verfügbarkeit von Daten nicht mehr wichtig sei, Informationen zu horten, sondern vielmehr bewerten zu können. Dies bedeute, die Konsistenz von Gesagtem oder Berichtetem zu betrachten: Wie schlüssig wirkt eine Argumentation? Wie viel würde der Gesprächspartner für seine Aussagen riskieren? Sind die Infos belastbar?

Gesondert wies Peter Kruse darauf hin, dass es mehr denn je darauf ankomme, sich selbst zu disziplinieren. Dies erklärte er an der Beliebigkeit von Sprach- und Begriffsverwendungen im Internet. Wer sich im Digitalen bewegt, ist mit der Faktizität von Gesagtem konfrontiert; Hintergründe, Motive und Kontexte bleiben oft verborgen. Dadurch entsteht – mal berechtigt, mal unberechtigt – der Eindruck von Beliebigkeit. Schließe sich der Einzelne dem an, so laufe er Gefahr, selbst Struktur und Orientierung einzubüßen. Prof. Dr. Peter Kruse berichtete von sich selbst, dass er eine gewisse Sprachmanie betrieb, um dem zu entgehen. Er habe minutiös alle Begriffe definiert und durchgängig verwendet, auf die er seine Arbeit aufgebaut habe. Dadurch erzeugte er eine Gradlinigkeit und ein Maß, das es anderen Menschen möglich machen sollte, ihn besser zu verstehen. Und das hätte ihm – dem Chaoten – eine große Selbstdisziplin abgefordert. Aus seiner persönlichen Überzeugung heraus formulierte Kruse eine ethische Regel: Selbstdisziplin sei die Bereitschaft, sich im Umgang mit dem Internet soweit zu maßregeln, dass andere Teilnehmer im Web tatsächlichen Nutzen vom Beigetragenen haben. Und man solle nichts versenden, von dem man nicht glaube, dass es für einen anderen wichtig sein könnte. Wer sich anders verhalte, überschwemme das Internet mit Informationsmüll. Das sei Unmoral im Netz. Leider würde diese durch das semantische Web gefördert. Es komme dem User verständnismäßig entgegen. So werde es für ihn leicht, unsauber zu formulieren oder willkürlich zu kommunizieren. Die Technik fördert die Selbstdisziplin kaum noch. Information aber braucht Sorgfalt. Im Analogen wie im Digitalen.

 


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sind nicht tot, weil es neue gibt.“

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