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Foto von Adeolu Eletu
Herr Küstenmacher, das Arbeitsleben wird immer komplexer – sowohl was die Aufgaben als auch was die technischen Möglichkeiten der Kommunikation anbelangt. Sie propagieren mit dem Bestseller "Simplify your life" das genaue Gegenteil. Ist das nicht ein Widerspruch?

„Simplify your life“ gibt Tipps, wie es sich jeder in einem immer komplizierter werdenden Umfeld einfacher machen kann. Meine wichtigste Botschaft lautet: Es ist möglich! Du kannst den Takt deines Lebens selbst bestimmen, du darfst leben und musst dich nicht von anderen leben lassen.

War genau dieses Bedürfnis nach Vereinfachung in einer komplexen Welt das Erfolgsrezept des Buches?

Dass es so ein Millionenerfolg wurde, war auch Glück. Es kamen verschiedene günstige Umstände zusammen. Deswegen lässt sich ein Bestsellererfolg so gut wie niemals wiederholen. Aber eins der Rezepte ist sicher, dass „Simplify your life“ nicht nur vom Vereinfachen handelt, sondern auch selbst einfach geschrieben ist. Kurze Sätze, klare Anweisungen, knappe Mini-Kapitel, und alles mit meinen Illustrationen zusätzlich bebildert. Meinen Zeichnungen verdanke ich übrigens, dass das Buch so ein enormer Seller in Fernost wurde. Ohne Comics hat dort ein Sachbuchautor kaum eine Chance.

Womit sollte ich beginnen, wenn ich meine Arbeitswelt vereinfachen möchte?

Der entscheidende Kniff ist, dass im Leben alles miteinander zusammenhängt. Deswegen sollten Sie dort anfangen, wo es Sie am meisten drängt. Das kann beim ständig überzogenen Konto sein (Rezept: drei krasse Sparmonate einlegen), bei der Zeitplanung (Rezept: ein paar Aktivitäten komplett weglassen), am häufigsten aber sind es die vielen Sachen, die uns nerven. Wenn jemand seinen überfüllten Schreibtisch oder den seit Jahren verstopften Keller (nach ein paar simplen Regeln) endlich aufräumt, dann gewinnt er nicht nur Platz, sondern es ändert sich etwas in seinem Inneren. Er ist gut drauf, weil er an diesem bisschen Schreibtisch erlebt hat: Ich kann etwas tun! Ich kann mein Leben in kleinen Schritten zum Besseren verändern.

Mitarbeiter müssen oftmals viele Aufgaben und Projekte parallel erledigen. Welche Tipps geben Sie, um diese Dinge besser zu koordinieren?

Viele Menschen denken, sie wären besonders effizient, wenn sie mehrere Dinge parallel tun. Aber das Gegenteil ist der Fall. Mein Tipp lautet: Schluss mit dem Multitasking! Konzentrieren Sie sich auf eine Arbeit, schalten Sie alle Störungen aus, wechseln Sie notfalls den Ort, damit Sie ungestört sind. Wenn Sie eine einzige, aber wirklich wichtige Aufgabe pro Tag echt erledigen, sind Sie viel glücklicher, wie wenn Sie zig Jobs halb angefangen haben.

Schwierig wird es jedoch im Team, wenn Beschäftigte das gemeinsame und nicht nur das persönliche Ziel im Blick haben sollten. Funktionieren Ihre Vorschläge auch dann?


Da sprechen Sie einen sehr wichtigen Aspekt an. Meine Erfahrung ist, dass viele Arbeitnehmer zu harmoniebedürftig sind. Wer es nur seinem Chef oder seinen Kollegen recht machen will, kommt nicht weit. Am glücklichsten und effektivsten sind Menschen, die sich für ihre Arbeit begeistern, die Freude haben, den Kunden nicht nur zufriedenzustellen, sondern ihn zu einem Fan zu machen. Wenn diese entscheidende Beziehung glückt, dann passt es auch mit den Mitarbeitern im Team. Wird in einer Abteilung nur über die eigene Firma und die Kunden gelästert, kann ich nur raten: abhauen! Das ist kein Platz, an dem man froh werden kann.

Was würden Sie Führungskräften raten, die ihr Team oder ihre Abteilung besser strukturieren möchten?

Mein aktueller Eindruck: Angestellte brauchen viel mehr Selbstverantwortung. Weniger Kontrolle, weniger Meetings, weniger Papierkram. Eine Führungskraft soll Menschen nicht strukturieren, sondern das Feuer in ihnen entzünden. Dazu muss die Führungskraft natürlich selber brennen vor Elan für das Unternehmen und – noch viel wichtiger – für die Kunden.

Zu Ihrem System "Simplify your life" gehört es auch, sich grundsätzlich Gedanken über den Sinn des Lebens zu machen. Vertreten Sie eine Art Religion, die auch Unternehmen etwas bringen kann?

Ich bin gelernter evangelischer Pfarrer und ein überzeugter Christ. Ich glaube, dass Menschen viel höhere Ziele brauchen als nur Geld oder Anerkennung, um dieses schwierige Kunststück Leben zu meistern. Jeder kann, auch in einem scheinbar noch so unbedeutenden Job, diese wunderbare Menschheit und den Planeten, auf dem sie wohnt, voranbringen. Auch wenn es nur ein winziger Schritt ist. Aber den zu sehen, halte ich für die entscheidende Lebenskunst. Und die ist in jeder Religion und jedem Glauben möglich.

Das hört sich alles so einfach an. Inwiefern ist es das tatsächlich?

Wir konzentrieren uns zu sehr auf die Probleme und Schwierigkeiten. Simplify bedeutet, stattdessen die Möglichkeiten zu sehen und dankbar zu sein für all die enormen Geschenke, die wir bereits empfangen haben – angefangen bei unserem Leben an sich, über die vielfältigen Erfindungen unserer Kultur und Technik, bis hin zu den Menschen, die wir lieben und von denen wir geliebt werden.

Gelingt es Ihnen selbst immer, Ihre eigenen Tipps umzusetzen?

Oh je, längst nicht immer! Aber ich denke, die entscheidende gute Grundstimmung habe ich drauf. Und die versuche ich an andere Menschen weiterzugeben. Das gelingt, soweit ich sehe, verblüffend gut. Simplify heisst auch, sich vom Perfektionismus zu verabschieden. Das totale Glück, die perfekte Beziehung, der ideale Job? Wer sich das zum Ziel setzt, wird immer unglücklich bleiben. Es gilt, bereits mit 60 oder 70 Prozent dankbar und glücklich zu sein.

Interview: Stefanie Hornung


TIPP: Am 13. Oktober 2010 können Personalverantwortliche Tiki Küstenmacher live in einem Keynote-Vortrag auf der Messe Zukunft Personal in Köln erleben.
www.zukunft-personal.de