Die Wirtschaftsflaute ist in vielen Personalabteilungen längst angekommen. HR-Verantwortliche reagieren mit Kostensenkungsprogrammen: Nach einer aktuellen Studie der FHWien-Studiengänge der WKW vom April reduzieren 58 Prozent der 160 befragten Personalverantwortlichen ihre Prämien, 43 Prozent sparen an der Weiterbildung, rund ein Drittel hat bereits Kündigungen ausgesprochen. Einschnitte wie diese sind zum Teil unvermeidlich, doch sie haben unerwünschte Nebenwirkungen. Radikale Budgetkürzungen und Entlassungswellen dämpfen die Motivation der Beschäftigten und fördern die Fluktuation. Unternehmen laufen in der Krise Gefahr, ihre besten Leute zu verlieren. Dabei benötigen sie gerade jetzt qualifizierte Mitarbeiter – und die sind nach wie vor rar. „Gute Leute sind seit Beginn der Wirtschaftskrise nicht unbedingt leichter zu finden als vorher“, berichtet etwa Thomas Kellerberger, Führungskraft aus dem Bereich Human Resources bei der Allianz Österreich. Sein Unternehmen will den Vertrieb aufstocken, doch passende Kandidaten sind Mangelware. Auch Arbeitgeber anderer Branchen klagen über Personalengpässe, wie eine internationale Befragung des Personaldienstleisters Robert Half unter mehr als 6.000 HR- und Finanzmanagern in 20 Ländern belegt. 65 Prozent der Befragten haben Probleme beim Recruiting für Fach- und Führungspositionen. Zwei Drittel sagen, dass der Arbeitsmarkt ihren Bedarf an Fachkräften nicht deckt.

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Foto von freestocks

Zwischen Kostendruck und Mitarbeiterbindung

Vor diesem Hintergrund stehen viele Personalverantwortliche vor der Herausforderung, eine Balance zwischen Kostenreduktion, Personalabbau und Mitarbeiterbindung zu finden, wie eine gemeinsame Studie des Beratungsunternehmens Deloitte und der Tageszeitung „Der Standard“ unterstreicht. Die 80 Teilnehmer – überwiegend Führungskräfte mit Personalverantwortung – geben an, dass ihnen Mitarbeiterbindung auch in der Krise wichtig ist. Halten wollen sie vor allem ausgewählte Mitarbeitergruppen, also Fach- und Führungskräfte, die für das Unternehmen strategisch wichtig sind. Was bindet diese Mitarbeiter an die Organisation – und wie sieht Retention in Zeiten von Budgetkürzungen aus?

Die in der Deloitte-Studie befragten österreichischen Unternehmen wollen angesichts der aktuellen Wirtschaftslage in den kommenden zwölf Monaten vor allem auf das Instrument der Flexibilisierung setzen, um ihre Mitarbeiter weiter beschäftigen zu können. Sie versuchen beispielsweise, Arbeitszeitkonten abzubauen oder Beschäftigte in andere Abteilungen zu versetzen, die nach wie vor Aufträge haben. Monetäre Instrumente der Mitarbeiterbindung wie Zusatzleistungen oder Gehaltserhöhungen fallen in vielen Organisationen dagegen dem Rotstift zum Opfer.

Einen dramatischen Anstieg der Fluktuation müssen die Arbeitgeber deshalb jedoch nicht befürchten. Internationale Studien zum Thema „Mitarbeiterbindung“ kommen immer wieder zu dem Ergebnis, dass die Wechselbereitschaft eines Beschäftigten nur selten von der Höhe seines Gehalts abhängt. Die „Global Workforce Study 2007/2008“ der Unternehmensberatung Towers Perrin listet beispielsweise die 10 internationalen Top-Treiber für die Mitarbeiterbindung auf (Abbildung 1). Die „Faire Vergütung im Vergleich zu Kollegen“ erscheint darin erst auf Rang acht – deutlich hinter Faktoren, die das Verhältnis zum direkten Vorgesetzten und den Kollegen, die Karrieremöglichkeiten oder den Ruf des Unternehmens betreffen.

Es sind die weichen Faktoren, die Mitarbeiter im Unternehmen halten. Doch gerade die geraten in wirtschaftlich schwierigen Zeiten unter Druck. „Die Haltbarkeit der Mitarbeiterbindung wird in der Krise auf die Probe gestellt“, sagt Jörg Felfe, Professor für Sozial- und Organisationspsychologie an der Universität Siegen und Experte für das Thema Retention (siehe Interview Seite 17). „Gerade jetzt tragen manche Arbeitgeber einiges dazu bei, Bindungen zu zerstören.“ Wenn die Krisenkommunikation versagt, die Beschäftigten keine Entwicklungsperspektiven mehr sehen oder das Vertrauen in ihre Führungsmannschaft verlieren, kann die Loyalität zum Arbeitgeber spürbar leiden.

Abbildung 1: Was Mitarbeiter im Unternehmen hält

(Quelle: „Global Workforce Study 2007/2008“, Towers Perrin)

Nach dem Personalabbau

Es geht auch anders. Wie Retention-Management in Krisensituationen aussehen kann, zeigt das Beispiel Hofmann Personalleasing. Der Personalvermittler, der zweimal hintereinander als bester Arbeitgeber Österreichs ausgezeichnet wurde, musste zum Jahresbeginn ein Drittel seiner Belegschaft entlassen, nachdem der Umsatz um 30 Prozent eingebrochen war. Dass dieser kräftige Einschnitt in die Personaldecke nicht die Motivation der verbleibenden Mannschaft zum Erliegen brachte, führt Geschäftsführer Jörn Hadenfeldt unter anderem auf die Art des Trennungsmanagements zurück: „Wir sind sehr wertschätzend vorgegangen, haben mit allen Mitarbeitern Gespräche geführt und sie dabei unterstützt, berufliche Alternativen zu entwickeln.“ Hofmann konnte einige Beschäftigte an andere Unternehmen weitervermitteln, andere machten sich selbstständig oder legten ganz bewusst eine Familienpause ein.

Den Zeitplan der Trennung passte das Unternehmen weitgehend an die Pläne der Mitarbeiter an. Wer mehr Zeit brauchte, um eine Anschlussposition zu finden, konnte länger bleiben. Andere, die schneller wechseln wollten, entließ das Unternehmen hingegen frühzeitig aus ihrem Vertrag. Der rücksichtsvolle Umgang mit den gekündigten Kollegen sei ein positives Signal für die verbleibenden Mitarbeiter gewesen, betont Hadenfeldt. Ein weiteres Erfolgskriterium des Trennungsmanagements war aus seiner Sicht der straffe Zeitplan: „Wir haben sehr schnell reagiert: Ende 2008 zeichnete sich ab, dass Folgeaufträge ausblieben. Daraufhin haben wir uns über die Weihnachtstage im Team zusammengesetzt und in den ersten 14 Tagen des Jahres alle Personalentscheidungen getroffen.“ Auf diese Weise blieben die Mitarbeiter nicht lange im Ungewissen.

„Wir-Gefühl“ schaffen

Und heute? „Wir kümmern uns momentan eigentlich noch intensiver um unsere Mitarbeiter als vor der Krise“, betont Hadenfeldt. Gemeinsame Erlebnisse, die ein „Wir-Gefühl“ schaffen, seien heute wichtiger denn je: „In Zeiten wie diesen bleiben die Erfolgserlebnisse aus. Daher müssen wir die Motivation auf andere Weise hochhalten.“ Zum Beispiel über Teambuilding. Hofmann bildete Zweierteams für Kunden oder Kundengruppen, damit sich die einzelnen Mitarbeiter verstärkt austauschen und gegenseitig motivieren können. Parallel dazu feilen Arbeitsgruppen an Strukturen und Prozessen. Außerdem hat das Unternehmen seine Freizeitaktivitäten verstärkt, die im Betrieb bereits Tradition haben. Zweimal in der Woche treffen sich Mitarbeiter zu einem selbst organisierten Sportprogramm – zum Beispiel zum Joggen, Radfahren oder Fußball spielen.

Auch PriceWaterhouseCoopers fördert gemeinsame Aktivitäten jenseits der Abteilungsund Firmengrenzen, um das Zusammengehörigkeitsgefühl der Beschäftigten zu stärken. „Wir haben seit einem Jahr eine Kooperation mit einer Hausgemeinschaft der Diakonie für ältere und pflegebedürftige Menschen“, berichtet Elizabeth Hull, HR-Direktorin Human Capital Leader von PWC Austria. Mitarbeiter ihres Unternehmens besuchen die Hausgemeinschaften alle zwei Wochen während der Arbeitszeit, um mit ihnen zu reden, zu musizieren oder zu basteln. „Etwa 70 Kollegen aus allen Fachbereichen machen mit“, so Hull. Das gemeinsame soziale Engagement stärke die Bindung an das Unternehmen – und mache PWC zudem attraktiver für potenzielle Bewerber.

„Retention hat für uns nach wie vor einen hohen Stellenwert. Man muss sich nur die Demografie ansehen, um zu sehen, wie brisant das Thema ist“, betont Hull. In Zeiten wie diesen, in denen die Gehaltserhöhungen im Unternehmen nicht so hoch ausfallen könnten wie gewohnt, sei es beispielsweise besonders wichtig, Mitarbeitern langfristige Perspektiven aufzuzeigen und die Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb der Organisation herauszustellen. Elementar sei zudem die interne Kommunikation, bei der HR eine zentrale Rolle übernehmen könne. „PWC schickt monatlich einen Newsletter mit Informationen des CEO an die Mitarbeiter. Dieser wird eng mit meinem Bereich Human Capital abgestimmt“, unterstreicht Hull. Der Newsletter soll die Beschäftigten auf den neuesten Stand bringen – und die Stimmung hochhalten. Zum Beispiel, indem er Erfolgsmeldungen verbreitet, die gerade in Krisenzeiten abnehmen.

Von der Wirtschaftslage beeinträchtigt ist auch der Versicherer Allianz Österreich. Dennoch hat das Unternehmen seine Budgets für die Aus- und Weiterbildung gerade um 25 Prozent aufgestockt. „Wir wollen damit vor allem den Vertrieb stärken“, berichtet Thomas Kellerberger. Das Berufsbild des Finanzberaters sei gerade in jüngster Zeit massiv in Misskredit geraten. Sein Unternehmen reagiere darauf, indem es in der Aus- und Weiterbildung bewusst auf Qualität setze. „Wir wollen unsere Mitarbeiter seriös ausbilden – nicht nur durch Produktschulungen, sondern auch verstärkt durch Persönlichkeitstrainings“, so der HR-Verantwortliche. Die Allianz Österreich habe ein Mentorenprogramm für den Vertrieb eingeführt – und eine Zertifizierung für alle Vertriebsmitarbeiter auf den Weg gebracht. Die rund 100 Lehrlinge in Österreich erhielten künftig verstärkt Schulungen zu Themen wie Verkauf, Telefonkommunikation und Business- Etikette.

Davon abgesehen halte sein Unternehmen an gewohnten Instrumenten der Mitarbeiterbindung fest. Derzeit habe die Allianz Österreich mehr als 300 verschiedene Arbeitszeitmodelle im Einsatz, die den rund 3.000 Beschäftigten den Ausgleich zwischen Beruf und Privatleben erleichtern sollen. Die Generaldirektion in Wien verfügt über ein eigenes Firmenrestaurant, das vergünstigte Speisen anbietet. Mitarbeiter der Landesdirektionen erhalten zum Ausgleich Essensgutscheine, die sie in Gaststätten im Umkreis ihres Büros einlösen können. Eltern fördert das Unternehmen zusätzlich durch Kinderbetreuungsgutscheine, die in Österreich seit Ende März im Umfang von bis zu 500 Euro jährlich pro Kind von der Lohnsteuer befreit sind. Mitarbeiter des Wiener Standortes haben zudem in wenigen Monaten die Möglichkeit, ihr Kind in einer Einrichtung ganz in der Nähe ihres Arbeitsplatzes unterzubringen. „Wir haben gerade eine Kooperation mit einem Kindergarten abgeschlossen, der vor wenigen Wochen in unserer Gasse eröffnet hat“, erzählt Kellerberger. Im Herbst sollen die ersten Mitarbeiterkinder dort einsteigen. „Was wir machen, sind im Grunde genommen Kleinigkeiten“, resümiert der Personalist. „Aber in der Summe machen diese Kleinigkeiten den Unterschied.“ An seiner Bindungsstrategie halte das Unternehmen jedenfalls fest – auch in der Krise.

Quelle: personal manager 4/2009