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Foto von Ant Rozetsky

Spielerisch lernen

Zum Thema Empowerment weniger bildungsaffiner Menschen hat die Bertelsmann Stiftung mehrere Studien in Auftrag gegeben. Frank Frick, Direktor des Programms „Lernen fürs Leben“, sagt zum Zwischenergebnis: „Sicher scheint schon jetzt: Beim Lernen können weder Zugang, noch Didaktik oder Anerkennungskultur unverändert bleiben, wenn wir eine leistungsfähige und chancengerechte Gesellschaft wollen.“ Die ersten Ergebnisse zeigen, dass die meisten der einfachen Arbeiter nicht an Weiterbildung teilnehmen. Die Gründe lassen sich unterteilen in persönliche, situative und angebotsbezogene Barrieren. Klassische, verschulte Lernsettings sind in dieser Zielgruppe negativ besetzt und haben wenig Bezug zur Lebenswelt. Lernen ist mit Mühe, Qual, Versagen oder gar Stigmatisierung verbunden. Aber auch sie lernen, allerdings eher spielend und spaßorientiert.

Die Studien der Bertelsmann Stiftung weisen einen Weg, um diese Menschen abzuholen: Digitalisierung von Lernformaten als Antwort auf Technikaffinität, Individualisierung der Inhalte als Antwort auf die Spaßorientierung und Virtualisierung im Spiel für Menschen, die Lernen mit Zwang assoziieren. „Game Based Learning“ und „Serious Games“ seien vielversprechende Ansätze, so Frick. So soll der neugierige Spieler den erfolglosen Lerner im Mitarbeiter aufmuntern. In sozialen Gruppen, die traditionelle Lernformen grundsätzlich ablehnen, soll so mehr Akzeptanz geschaffen werden. Als erfolgreiches Beispiel nennt Frick das Spiel SIMS. Hier leben Spieler ihr Alltagsleben – müssen zum Beispiel Wohnungen einrichten, die Karriere planen oder Autos in der Heimwerkstatt virtuell reparieren. Das Spiel ist mit 125 Millionen verkauften Editions weltweit ein Erfolg. Frick schlägt den Bogen zu bereits etablierten digitalisierten Lernangeboten: „Chirurgen oder Piloten üben ja auch in Simulationen, das alles ist längst bekannt und müsste nur auf andere Mitarbeitergruppen ausgeweitet werden.“ Allerdings warnt Frick vor unbedachtem Umgang mit diesen Tools: „Es wird schwer werden, Spiele-Entwicklern zu vermitteln, die jeweiligen Lerninhalte und eine begleitende Kompetenzerfassung des „lernenden Spielers“ umzusetzen. Gamification sollte nicht zu einer Verflachung oder unvernünftigem Umgang mit Bildungsinhalten führen.

Oliver Venzke sieht in diesen Games – ungeachtet des Booms von Online Learning-Medien – allerdings nur eines von vielen Medien, und nicht die Lösung tieferliegender Probleme, die in der jeweiligen Unternehmenskultur wurzeln.

ZITAT >>
     „Beim Lernen können weder Zugang, noch
     Didaktik oder Anerkennungskultur unverändert
     bleiben, wenn wir eine leistungsfähige und
     chancengerechte Gesellschaft wollen.“

     Frank Frick, Direktor des Programms „Lernen
     fürs Leben“, Bertelsmann Stiftung

Schulungsangebote anreichern

Am Stuttgarter Flughafen sind diese Forderungen schon Realität. Friedemann John, Leiter der Personalentwicklung und Ausbildung, sagt zur Korrelation von Bildung und Talent: „Ich denke, dass grundsätzlich jede Form von Bildung nicht losgelöst von einer Entwicklung der eigenen Persönlichkeit gesehen werden kann. Dies bedeutet, dass alle Bildungsmaßnahmen – ob sie nun im Bereich der Persönlichkeits- und Talent-Entwicklung oder im eher fachlich-technischen Bereich angesiedelt sind – auch andere Ebenen der Bildung des Mitarbeiters durch die individuelle Vernetzung dieser Themen direkt oder indirekt ansprechen.“ Man müsse verhindern, so John, dass Mitarbeiter einseitig instrumentell lernen.

Am Stuttgarter Flughafen diene bereits bei der Erhebung des regelmäßigen jährlichen Bildungsbedarfs ein Kompetenzmodell zur Berücksichtigung der Fachkompetenz, aber auch der persönlichen, methodischen sowie sozialen Kompetenz. Allerdings ließen sich nicht alle betrieblichen Aufgaben und Funktionen über klassische Seminare entwickeln: „Ich beziehe dies vor allem auf Soft Skills wie den Führungs- und Kommunikationsbereich. Eine Führungskraft braucht zur Abrundung ihres Profils sehr wohl eine Bildung, die über die reinen beruflichen Bezüge hinausgeht. So vermitteln wir in Workshops neue Impulse zum Thema Führen, indem wir Bereiche wie Politik, Psychologie, Soziologie, Pädagogik, Hirnforschung bis hin zur Philosophie einbringen“, so John. Dies wirke sich sicherlich auch auf das private Umfeld aus und führe auch dort immer wieder zu lebhaften Diskussionen und damit zur weiteren Vertiefung und Festigung der Informationen. Als weiteres Beispiel nennt John regelmäßige Inhouse-Englischkurse in Form von „Conversation Circles“, in denen die vorhandenen Sprachkenntnisse vertieft werden. Die Art der Themenwahl und die Ausgestaltung dieses Formates hätten allgemeinbildenden Charakter. Inhaltlich würde Aktuelles thematisiert, von Politik und technischen Herausforderungen bis hin zur Finanzkrise.


ZITAT >>
     „Zum Teil verlaufen Gelder jedoch im Sand, weil
     Adressaten wie Führungskräfte gar nicht soviel
     Weiterbildung zusätzlich zu ihrem straffen Arbeits-
     pensum in Anspruch nehmen können. Stattdessen
     wären Bildungsmaßnahmen in der Linie ausge-
     sprochen
effizient“.

     Oliver Venzke, Gewerkschaftssekretär in der
     Hauptverwaltung der Industriegewerkschaft
     Bergbau, Chemie, Energie

Schwache Lerner abholen

Jan Torsten Kohrs, Lehrbeauftragter am Institut für Bildungsmanagement der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und Geschäftsführer der Unternehmensberatung squadra unterstützt ebenfalls ein Talent Management für die gesamte Belegschaft. Allerdings sieht er in der Praxis Handlungsbedarf bei jenen, die aktuell noch nicht zu den klassischen Leistungsträgern gezählt werden: „Ich gab vor Kurzem ein interkulturelles Seminar für Sachbearbeiter. Es ist ungewöhnlich, dass ein Unternehmen so etwas organisiert. Nun war es aber recht schwierig, die Leute zum Dialog über kulturelle Themen zu bewegen. Sie hatten Checklisten und abrufbare Wissensinhalte erwartet. Ich denke, dass es für sie noch ungewohnt ist, ganz anders angesprochen zu werden.“ Oliver Venzke, Gewerkschaftssekretär in der Hauptverwaltung der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie wundert die Beobachtung von Kohrs nicht: „Wir sind aus Arbeitnehmersicht – besonders jener an der Linie – in der Bildungsdebatte eher am Anfang. Zwar wurden Weiterbildungsansprüche zum Tarifvertragsgegenstand, doch steuert man immer noch bis zu 80 Prozent der Bildungsbudgets in Leistungsträgerprojekte. Hier müsste zugunsten ganzer Belegschaften ausbalanciert werden. Eine vergleichsweise geringe Bildung bedeutet ja nicht, dass weniger Bildungsangebote nötig sind; nach dem Motto, es lohnt ohnehin nicht. Gegeben wird derzeit jenen, die haben. Zum Teil verlaufen Gelder jedoch im Sand, weil Adressaten wie Führungskräfte gar nicht so viel Weiterbildung zusätzlich zu ihrem straffen Arbeitspensum in Anspruch nehmen können. Stattdessen wären Bildungsmaßnahmen in der Linie ausgesprochen effizient“.

Warum weniger bildungsaffine Mitarbeiter bei weniger instrumentellen Angeboten oft verhalten reagieren, erklärt sich Venzke damit, dass diese ein feines Gespür dafür hätten, wie ehrlich Unternehmen auftreten. Sie seien es oft gewöhnt, Rädchen in einem großen Prozess zu sein und verhalten sich dementsprechend rational. Dem ökonomischen Kalkül setzen sie die Nachfrage nach abrufbaren Angeboten gegenüber. Unternehmen müssten ein Interesse am Lernen dokumentieren, damit Mitarbeiter sich auf Bildungsprozesse unvoreingenommen einlassen, so Venzke. Ernsthafte Signale könnten sein, dass Mitarbeiter auch mal aus dem laufenden Betrieb herausgenommen werden. Kritikern entgegnet Venzke, dass Schauspielkurse für Manager akzeptierter seien als arabische Kochkurse für Gastronomie-Mitarbeiter.

Verbindung von Talent und
Bildungsmanagement

Veronika Strittmatter-Haubold, Leiterin der Akademie für wissenschaftliche Weiterbildung der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, meint, dass ein breiter, nicht auf Lernziele und -bedürfnisse abgestimmter Einsatz von Game Based Trainings die Spieltheorie missbraucht, weil man aus Faszination an der Methode Menschen wie Objekte behandle. Die Heidelbergerin würde Mitarbeiter anders abholen. Einzelne Abteilungen oder Teams könnten sich von Zeit zu Zeit – zum Beispiel nach Projektabschlüssen – Aufgaben stellen, die sie nicht aus dem Stand umsetzen könnten. Die Mitglieder müssten sich Anregungen und Wissen selbst organisieren, unterstützt von Personalern und Vorgesetzten. Man könne diese Lernprojekte sogar mit dem Vorschlagswesen oder der Forschung und Entwicklung koppeln. Wie viel Potential in der Verbindung von Talent- und Bildungsmanagement liegt, zeigt das Programm des diesjährigen Deutschen Bildungspreises, einer Initiative des Forschungsinstitutes EuPD Research Sustainable Management und der TÜV SÜD Akademie. Sie gaben einen knapp 120 Seiten umfassenden Studienband heraus. Mit diesem hofft man die Verbindung der zwei großen Bereiche zu fördern. Magdalena Nowak, Projektleiterin bei EuPD Research Sustainable Management, betont, dass man mit dem Preis die hohe Relevanz eines strategischen, weil an den Bedarfen der Mitarbeiter und des Unternehmens ausgerichteten, betrieblichen Bildungs- und Talent Managements hervorheben wolle. Für eine valide Auswahl der Preisträger sollen das erste aus der Praxis kommende Qualitätsmodell betrieblichen Bildungs- und Talent Managements, ein interdisziplinärer Expertenbeirat und das Audit Bildungs- und Talent Management sorgen, das die 15 Finalisten kostenlos erhalten. Es gehe nicht um die Erstellung eines Rankings, sondern die valide und ganzheitliche Beurteilung der vorhandenen  Managementansätze, so Nowak. Alle Teilnehmer erhalten so zum Beispiel einen umfassenden Benchmark des Bildungs- und Talent Managements im Branchenvergleich. Konrad Paul Liessmann würde das gern hören. Rankings sind für ihn die größte Blockade hin zu einer breiteren Allgemeinbildung: Jenseits von realen Bedürfnissen fungiere die Rangliste als Steuerungsinstrument, mit dem eine Wissenspolitik betrieben wird, die sich zunehmend an externen, äußerlichen und willkürlichen Kriterien orientiert.

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Autorin | Stefanie Heine (in 2012: Freie Journalistin)

Quelle | Erstveröffentlichung: „trends 13“ | Dezember 2012 |
Herausgeber: „Personalwirtschaft – Magazin für Human Resources“ –
Wolters Kluwer Deutschland

Fotos: 
© Günter Hamich | www.pixelio.de
© twinlili | www.pixelio.de

Bildung bedeutet sich bilden können

Thomas Gruber, Leiter der Deutschen Referenzstelle für Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung (DEQA-VET), meint, dass Unternehmen einen abgestuften Bildungsbegriff brauchen, zumal berufliche Bildung ein Baustein in der Entwicklung eines europäischen Bildungsraumes sei, wie ihn die Europäische Kommission intendiert. Dieser soll ihre strategischen Ziele fördern: Verwirklichung von lebenslangem Lernen und Mobilität sowie eine Verbesserung der Qualität und Effizienz der allgemeinen und beruflichen Bildung. Über diese Brücken sollen der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft und ein aktives Bürgertum gefördert werden. Unterstützen will man auch Innovation und Kreativität – einschließlich unternehmerischem Denken – auf allen Ebenen der allgemeinen und beruflichen Bildung. Laut Gruber ist Arbeit daher ohne Bildung nicht mehr denkbar und Bildung ohne Bezug zur Arbeitswelt nicht vorstellbar. Vor diesem Hintergrund verschmelze der Humboldtsche Bildungsbegriff mit dem eher utilitaristischen Bildungsbegriff aus dem Ausbildungswesen. Die so gewonnene Bildungsdefinition drehe sich dann weniger um Inhalte, weil sie unmöglich sinnhaft zentral gesteuert werden könne. Bildung heute bezeichne Lernstrategien.

ZITAT >>
     „Ich denke, dass grundsätzlich jede Form von
     Bildung nicht losgelöst von
einer Entwicklung
     der eigenen Persönlichkeit gesehen werden kann.“

     Friedemann John, Leiter der Personalentwicklung
     und Ausbildung, Flughafen Stuttgart


Die Europäische Kommission habe diese unter anderem in einem Qualifikationsrahmen in Form gegossen, der in Deutschland in einen nationalen Qualifikationsrahmen (DQR) mündet. Dieser DQR umfasst verschiedene Kompetenzen zum lebenslangen Lernen; darunter unter anderem Lern-, Computer,- und mathematische Kompetenzen, aber auch Selbstmanagement sowie kulturelle Kompetenzen. Gruber geht angesichts dieser strategischen Ziele noch einen Schritt weiter: Bildung selbst werde zum Markt. Kritikern der alten Schule entgegnet er, dass Goethes und Kants Philosophie in den europäischen Konzepten inbegriffen sind. Intendiert sei mit solcher Politik das selbstständig denkende, vernünftige Subjekt: „Heute brauchen wir aufgrund der Komplexität der Welt immer neue Legitimationen für das, was wir tun, herstellen und verkaufen. Wir müssen uns mit dem Sinn von Handlungen und moralischen Werten auseinandersetzen. Reines Schulen fördert die Talente dafür ja nicht. Werte entstehen im Nachdenken über Welt, Wirtschaft und Gesellschaft. Und wenn Bildungsangebote nur High Potentials im Blick haben, reproduzieren wir das Bildungssystem vom Anfang des 19. Jahrhunderts. Wir leben in keinen Stände-Republiken mehr, sondern in einer Weltgesellschaft. Modernes Talent Management muss das im Blick haben.“ Besondere Aufmerksamkeit fordert Gruber von den Organisatoren und Anbietern von Bildung. Bestehende, rein schulische Angebote müssten entsprechend aufbereitet werden. Und: Alle Mitarbeiter müssten Bildungsadressaten sein.

Was weiß die Wissensgesellschaft? Diese Frage stellt der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann in seiner, in 2008 unter dem Titel „Theorie der Unbildung“ erschienenen Abhandlung über den Umgang der modernen Gesellschaft mit Wissen. Er attestiert den meisten Bürgern einen hohen Grad an Unbildung. Nämlich das Unvermögen, Umwelt und Gesellschaft angemessen zu verstehen, auf der Grundlage einer nachvollziehbaren, differenzierten Auseinandersetzung mit Fakten aus unterschiedlichsten Wissensgebieten. Der moderne Mensch beschäftige sich mit vielem, um es – sei es auf Zuruf durch die Wirtschaft oder Trends – wieder loszulassen; er verinnerlicht nur wenig und wächst zu wenig an seiner Auseinandersetzung mit seinem Leben und Arbeiten. Wissen sei oft nur flüchtiges Stückwerkwissen. Liessmann spitzt zu: Die Phrase von der „Halbwertzeit von Wissen“ zeige grell, dass Wissen kaum mehr eine Beziehung zum in Deutschland ursprünglichen Humboldtschen Bildungsverständnis hat, das einmal als Basis für ein mündiges Bürgerleben galt. Der Wiener Philosoph schreibt die diagnostizierte Schieflage insbesondere der fortschreitenden Ökonomisierung der Gesellschaft zu. Angesichts der Gestaltungsmacht der Wirtschaft in der Welt, mahnt Liessmann zu einem differenzierten Bildungsverständnis.

Dieser Ruf ist nicht überholt, denn in der aktuellen Bildungsdebatte werden – auch in Unternehmen – viele Schlagworte aneinandergereiht. Das verringert ihre Tiefenschärfe und tut auch dem Diskurs über Talenteförderung nicht gut. Ulrich Müller, stellvertretender Leiter des Instituts für Bildungsmanagement, wundert sich darüber nicht. Schon seit Humboldt gebe es heterogene Diskussionen über Bildung. Darstellungen, dass „die Bildung an sich“ verloren gehe, kann er nicht unterstützen. Doch auch er meint, dass Bildung für Mitarbeiter und Unternehmen nötig sei, damit diese soziale Verantwortung gegenüber der Gesellschaft leben könnten. Wer Arbeitnehmer nur instrumentell schule, immunisiere sie gegenüber einem kritischen Blick auf die globalisierte Welt. In dieser seien in sich ruhende Personen, die mit Herz, Hand und Verstand agieren, eher erfolgreich.


ZITAT >>
     „Wenn Bildungsangebote nur High Potentials
     im Blick haben, reproduzieren wir das Bildungssystem
     vom Anfang des 19. Jahrhunderts. Wir leben in keinen
     Ständerepubliken mehr, sondern in einer Weltgesellschaft.
     Modernes Talent Management muss das im Blick haben.“

     Thomas Gruber, Leiter der Deutschen Referenzstelle für
     Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung (DEQA-VET)