Psychosoziale Faktoren überwiegen physikalische

two white wooden tables near glass window
Foto von Matt Hoffman

Die Studie zeigt, dass Arbeitsunzufriedenheit und Stressbelastung sowie komplexe Arbeitsanforderungen und Monotonie-Grade weit schwerer wiegen als räumliche und materielle Faktoren. Im Umkehrschluss gilt aber: Wer innenarchitektonisch und belegungstechnisch klug plant, federt so manche Beschwerlichkeiten und Stressspitzen im Job ab.    

Die Studie liefert ihren Lesern einige globale Stellschrauben für kluge Planung:

1) Liebling Einzel- und Kleinbüro

>> Mitarbeitende fühlen sich in kleineren Büros, in denen sie Privatsphäre geniessen,
     weniger oft krank oder belastet als ihre Kollegen in den klassischen Grossraumbüros.  
     Unabhängig von der teamorientierten Generation Y-Mentalität: Viele Menschen schätzen
     Nischen. Sie brauchen zumindest Rückzugsmöglichkeiten.

Interessante Hintergrund-Fakten: 25,6 % der Befragten arbeiten in Räumen mit drei bis sechs Personen. 15,1 % sitzen mit sieben bis fünfzehn Personen im Raum. 21,1 % sind in Grossraumbüros mit 16 bis 50 Personen tätig. Über 7 % müssen mit über 50 Personen klar kommen.

2) Wenn trockene Luft eigentlich dicke Luft meint

>> Hinter Klagen über physikalische Faktoren verbergen sich des Öfteren Probleme mit
      psychosozialen Faktoren. Besser der HR-Profi fasst bei Klagen systematisch nach.

3) Keine Automatismen bitte

>> Beschäftigte wollen Umgebungsfaktoren selbst bestimmen. Automatisierte Jalousien
     oder ähnliche Services kommen also nicht bei jedem gut an. 

Interessante Hintergrund-Fakten: Zu 68,3 % sitzen die Befragten direkt am Fenster (weniger als zwei Meter m vom Fenster entfernt), rund ein Viertel (23,4 %) zwischen 2 und 5 Meter und 8,3 % in mehr als 5m Entfernung.

4) Mithören, weghören und zuhören

>> Bewusstes Weghören darf kein Dauerzustand sein. Das hat nichts mit zu wenig
     Hartgesottenheit oder mangelnder Professionalität zu tun. Etwas absichtlich nicht
     wahrzunehmen, kostet schlichtweg Energie. Und das schlägt auf die Leistung.

Interessante Hintergrund-Fakten: Noch ist es offenbar ruhig in den Büros – durchschnittlich beschäftigen sich die Bürobeschäftigen in einer Arbeitswoche zu 55,9 % mit stillen Aufgaben wie planen, lesen, schreiben und rechnen. Auf das Telefonieren entfallen 14 % und auf Besprechungen 13 %. Ansonsten  trifft man sich informell oder tut anderes.  

Nach einer Information des Staatssekretariates für Wirtschaft (seco) aus dem Jahr 2010 halten sich 70 Prozent aller Erwerbstätigen in Bürogebäuden auf. Diese Angabe stand damals nicht im luftleeren Raum. Zugleich hatte die Staatstelle nämlich eine Studie darüber veröffentlicht, wie Arbeitsgestaltungen, aber auch verschieden grosse Räume, Möbel sowie engere oder weite persönliche Freiräume Mitarbeitende in ihrem Wohlbefinden fördern oder stören. Dazu hatte das seco zusammen mit dem Kompetenzzentrum Typologie und Planung in Architektur (CCTP) der Hochschule Luzern 1.230 Personen aus Offices befragt. Die Studie „Schweizerische Befragung in Büros“ ist in ihrer Komplexität und Thematik heute noch aussagekräftig für alle, die wissen wollen, wie Innenarchitektur Menschen beflügeln kann. In Zeiten der forcierten Wissensarbeit ist das nicht unerheblich.

INFO: WER WURDE BEFRAGT?
1.230 Beschäftigte:
 
Geschlecht:          56 % Männer | 44 % Frauen
Beschäftigung:     79 % Vollzeit | 14,6 % Teilzeit – 60 Prozent und mehr |
                            6,4 % Teilzeit – weniger als 60 Prozent
Funktion:             69,7 % Fachkräfte | 25,8 % Führungskräfte | 4,5 % Hilfskraft
  

Büro ist doch keine Arbeit

Zwar gibt die Studie keine Auskunft darüber, wie und ob HR-Profis sich über Raum- und Arbeitsplanung den Kopf zerbrechen. Fakt ist jedoch, dass sie es tun sollten, ranken sich doch um den Büroarbeiter immer noch viele Vorurteile in Belegschaft und Management. Und das geht dann so: Der Officemensch braucht weniger Platz als seine Kollegen von Bau, aus der Fabrikhalle oder beim Gartenbau. Tisch, Stuhl, Regal, Telefon, Laptop und Drucker – all das genügt diesem beinahe anspruchslosen Typen. Er geniesst ja überhaupt einen angenehmeren Arbeitsplatz als Outdoor-Jobber. Zwischen Brandsonne, Matschregen, Herbstböe und Hemd, Hose oder Rock der Mitarbeitenden sitzt schliesslich immer noch des Angestellten bester Wetterfreund, der Fensterriegel. Und was die doppelglasige Isolierscheibe nicht vermag, erledigen Heizung oder Tischventilator.

Die Natur ist im Büro aussen vor und die körperliche Arbeit gleich null – bequem hat es der Mensch. Oder nicht? In so mancher Zeitarbeitsfirma zoffen sich diejenigen von draussen mit denjenigen von drinnen darüber, ob Arbeiten im Sitzen auch als solches geschimpft werden könne. An diesem Meinungsstreit ändert auch nicht, dass Populärmedien plakativ titeln: „Wer beim Arbeiten länger sitzt, ist früher tot.“ Die Gazetten informieren darüber, wie zu wenig Bewegung zu Herz- und Kreislaufschwäche, gestauten Beinen, krummen Rücken und steifen Gliedern führt. Bei ständig laufender Heizung und geschlossenem Fenster leiden dazu noch Nase, Haut und Bronchen. Diese Olympiade der räumlichen Steilspitzen wird nur noch davon getoppt, dass Mensch an Mensch möglichst dicht beieinander sitzt; dann können auch soziale Faktoren ihre volle negative Wirkung entfalten. Also doch: Das Büro kann alles andere als bequem und gesundheitsförderlich sein.

Beschäftigtenwünsche: Das soll mein Büro können

Die Studie erhob, was Beschäftigten am Büro wichtig erscheint und inwiefern sie ihre Erwartungen eingelöst sehen. Für ihre Angaben stand den 1.230 Befragten eine Skala von eins bis fünf jeweils zur Verfügung.

Wenig überraschend ist, dass die Teilnehmer vor allem die Möglichkeit haben möchten, sich zu konzentrieren (Mittelwert: 4.4). Offenbar ist dies nicht jedem von ihnen vergönnt, denn die Arbeitsplatzgestaltungen gewährleisteten dies nur mittelmässig (Mittelwert: 3.2). An zweiter Stelle rangiert der Wunsch nach ausreichender Schreibtisch und Ablagefläche (Mittelwert: 4.07 – Erfüllung liegt bei 3.9). Auch komfortables Mobiliar wünscht man sich (Mittelwert: 4.1), findet das aber nicht immer vor (Mittelwert: 3.77)

Ein Gleichklang an Interessen zeigt sich bei den Optionen „ungestört telefonieren“, „in zwei bis drei Stunden-Blöcken arbeiten“, „persönlicher und direkter Kontakt zu Kollegen“. Die jeweiligen Mittelwerte liegen auf der Bewertungsskala nämlich alle bei 3.8.

Weniger wichtig als das bisher Genannte empfinden die Befragten die Anpassungsfähigkeit des Platzdesigns an verschiedene Arbeiten. Der Mittelwert ihrer Erwartungen liegt dazu bei 3.4. Diejenigen, die genau das wollen, werden offenbar darin auch weitgehend bedient (Mittelwert: 3.28).

Aufschlussreich sind ebenfalls die Angaben zu den jeweiligen Einzelarbeitsplätzen (siehe Grafik). Am unzufriedensten waren die Studienteilnehmer mit ihren Bewegungsspielräumen und den Lichtverhältnissen. Alles in allem gerechnet fühlen sich die meisten jedoch mit Stuhl, Bildschirmposition, Tastatur, Gerätschaften und Tischhöhe wohl. Über 60 % der Teilnehmer bewerten jeden dieser Parameter als angenehm und positiv.

Die Faktorenskala der Raumplanung – auch für HR

Gleich in der ersten Kategorie finden sich Faktoren, die HR-Sache sind: Ergonomische Bedingungen für Bildschirmarbeit, kommunikationsfördernde Möbel und Einrichtungen dürfen und müssen von HR-Managern mitgestaltet werden. Die weiteren Themen der Kategorie „Konstruktion und Einrichtung“ wie zum Beispiel Baumaterialien und Lüftung fallen für Personalmanager natürlich weg. Auch in der zweiten Kategorie “Umgebung“ sollten HR-Profis ein Wörtchen mitreden. Hier geht es um Beleuchtung, Temperatur und Lärmpegel. Für Geruchsbelastung, frische Luft, Feuchtigkeit und Ähnliches sollten andere Fachleute mitdenken oder vorausgedacht haben.

Die dritte Faktorensparte des Psychosozialen ist zu weiten Teilen HR-Terrain:

Welchen Stress erleben welche Mitarbeitergruppen? Wie viel Privatsphäre wird gewährt? Welche Belegungsdichte wird wohl Zoff heraufbeschwören? In was für offenen oder geschlossenen Räumen wird Kreativität, konzentrierte Arbeit und Ähnliches von Angestellten gefordert?    

Zur Kategorie vier der Innenraumbedingungen – Kultur und Organisation – zählt Dr. Jagjit Singh Sauberkeit, Führung und Management, Arbeitsklima sowie Selbständigkeit der Arbeitenden. Ohne Frage berührt all dies die Kernkompetenzen von HR-Profis.

Wer das Zusammenspiel all dieser Faktoren beschreiben wollte, würde einen dicken Schmöker schreiben müssen. Wo wollte man da anfangen? Allein eine Sommerszene wie „30 Grad im Büro, Kleidervorschrift für Herren „Anzug & Krawatte“, kleine Fenster, giftige billige Lackmöbel aus China, 20 Quadratmeter-Büro mit vier Personen und drei Druckern, rigide Arbeitszeitregelungen“ zeigt, wie komplex die Materie ist. Selbst gestandene Raumplaner und Innenarchitekten betonen in der Öffentlichkeit immer wieder, dass Standardrezepte unmöglich sind. Das sollten sich auch HR-Profis bewusst machen.

So ganz müssen sie allerdings nicht auf der grünen Wiese stehen. Es gibt Studien, die zumindest Orientierungspunkte liefern, wie die Schweizerische Befragung in Büros. Die globalen Ergebnisse mögen vielleicht nicht überraschen, aber sie unterstreichen, dass der Mensch untrügliche Bedürfnisse hat. Und die werden in der digitalisierten, völlig vernetzten Welt gern mal vergessen.

Produktivität im Kommunikativbüro?

In Zeiten der forcierten Teamarbeit, viel geforderten Kreativität und „New Work“-Modelle raten viele Organisationsexperten Arbeitgebern, der fachübergreifenden Kommunikation im Büro den Weg besser zu ebnen. Es darf und soll fleissig genetztwerkt und diskutiert werden. Klar: Dialog fördert Ideen. Doch auch diese Massgabe wirkt überdreht eher kontraproduktiv. Eine der unschönen Effekte ist ein hoher Zeitverlust.

Die Büro-Studie fasste detailliert nach: Welche Faktoren verursachen Zeitverluste? Was schlägt auf die Leistung? Die Antworten Wenn Kollegen dauernd im Gebäude auf Tour gehen, dann kann das andere nerven, die sie erreichen wollen. Auch möchte man nicht immer angesprochen werden, manchmal reicht es schon, dass Personen öfter vorbeilaufen. Gespräche und Telefonate anderer im Raum lenken zudem unnötig ab. Ebenfalls genannt wurde die Suche nach Unterlagen und Dokumenten. 

Raumplanern und HR-Profis zeigen diese Antworten, dass das hochkommunikative Büro gut aufgeplant sein will. Es braucht Flächen für Austausch, aber auch Rückzugsorte. Die Erhebung einer weiteren zentralen Fragestellung der Studie zeigt zudem, dass viele Büroleute sich jetzt schon recht krank fühlen. Da ist es nicht opportun, am Raum Geld zu sparen.

Die Befragten sollten Angaben über die Häufigkeit von Symptomen in den letzten drei Monaten machen. Das mit Abstand am häufigsten genannte Symptom war „Müdigkeit“; 38,7 % der Befragten sind eher oft bis sehr oft müde. Davon führen 46,2 % diese Müdigkeit auf den Arbeitsplatz zurück.
Die weiteren am häufigsten genannten Symptome sind …

>> Einschlaf- und Durchschlafstörungen (16,7 %, zu 40 % dem Arbeitsplatz zugeschrieben – d.a.z.)
>> Schweregefühl im Kopf (16,1 %, 50,6 % d.a.z.)
>> Jucken/Brennen/Reizung der Augen (15,3 %, 60,9 % d.a.z.)
>> Kopfschmerzen (13,7 %, 45,1 % d.a.z.)
>> gereizte, verstopfte oder laufende Nase (12,6 %, 23,9 % d.a.z.)  
>> Konzentrationsschwierigkeiten (11,1 %, 56,0 % d.a.z.)  
>> Magenbeschwerden, Durchfall, Verstopfung (9,6 %, 24 % d.a.z.).

Es ist selbstredend, dass all diese Symptome den Wissensarbeiter bedrücken müssen. Er ist im Office seiner körperlichen Reiz-Reaktionsmöglichkeiten beraubt, muss also Reize psychisch abfedern und sitzt noch dazu in einer unnatürlichen Starrehaltung inmitten von Geräten. Kommen dann noch suboptimale Raumfaktoren dazu, dann gerät der Mensch ganz natürlich an den Rand seiner Kräfte. Wer das im Ernst einkalkuliert, verheizt Personal. Gute Personalarbeit berücksichtigt grundlegende menschliche Bedürfnisse. Also, liebe HR-Profis – mischen Sie sich in die Raumplanung ein.

Vorsicht, Sie betreten jetzt das Büro:
Sick-Building-Syndrom

Wenn Raumzustände im Büro Mitarbeitende an ihre persönlichen Gesundheitsgrenzen stellen, dann spricht der Fachmann vom „Sick-Building“-Syndrom. Weil die Ursachen so divers wie auch diffus in ihrem Zusammenspiel sein können, bezeichnet der Fachausdruck ein Gesundheitsbefinden, das der Mensch beim Eintritt in ein Gebäude sowie während seines Aufenthaltes spürt. Steht er wieder an der frischen Luft, so verflüchtigen sich seine Symptome.

Damit Gebäudeaufenthalte genau dieses Syndrom gar nicht erst aufkommen lassen, orientieren sich  Architekten, Innenarchitekten und Raumplaner an einer Reihe von förderlichen Faktoren. Eine breitgefächerte Skala für Innenräume hat der Brite Dr. Jagjit Singh – heute Managing Director at Environmental Building Solutions Ltd  – im Jahr 1996 erstellt. Er unterscheidet Faktoren der

a) Konstruktion und Einrichtung von
b) Umgebung sowie
c) Psychosozialen, aber auch
d) Kultur und Organisation.  

Personalverantwortliche können zwar nicht in allen Kategorien für gute Lösungen mitmischen, aber überall ist ihre Mitarbeit äusserst wünschenswert.

Fotos: 1) I-vista | pixelio.de 2) Rike | pixelio.de 3) Peter Freitag | pixelio.de