Am Abend des 31. August 2008 gab die Commerzbank die Übernahme der Dresdner Bank bekannt. Damit startete eines der größten deutschen Mergerprojekte der jüngsten Zeit: Zwei geschichtsträchtige Universalbanken mit bedeutender Marktstellung, langer Historie und hoher Markenbekanntheit, mit 43.000 und 23.000 Mitarbeitern, jeweils rund 1.000 Filialen und gemeinsam 14 Millionen Kunden sollten zusammenwachsen. Eine der Kernherausforderungen lag in der Integration einer 138-jährigen und einer 136-jährigen Unternehmenskultur.

woman sitting at table
Foto von Campaign Creators

Mehr als zwei Jahre und zahlreiche Überstunden später, nach Lehman-Pleite und nach beispielloser Welt-Finanzkrise, die zur Einrichtung nationaler Bankenrettungsfonds geführt hat, ziehen die Beteiligten eine positive Zwischenbilanz – auch wenn noch einige Jahre vergehen werden, bevor beide Unternehmen vollständig zusammen gewachsen sind. An welchen Eckpunkten hat sich das Change-Management im bisherigen Prozess orientiert, welches waren die wichtigsten Leitgedanken und welche wesentlichen Instrumente kamen in den vergangenen beiden Jahren zum Einsatz?

1. Vor dem (eigentlichen) Start: Change-Management angestoßen

Bereits während der Due Diligence entschied der Vorstand, den geplanten Merger durch professionelles Change-Management begleiten zu lassen. Damit wurde deutlich: Die Entscheider hielten klassisches Projektmanagement für nicht ausreichend. Mit Bekanntgabe der Bankenübernahme wurde ein interdisziplinäres Change-Management-Team in Form eines runden Tisches, bestehend aus Mitarbeitern (unter anderem Human Resources, Kommunikation, Projektmanagement, Marktbereiche) beider Banken installiert. Dieser tagte anfänglich zweimal wöchentlich, entwickelte die Grundlagen der Change-Architektur sowie die Change-Kommunikation und diskutierte die wichtigsten Aspekte und Rückmeldungen aus den beiden Organisationen. Als theoretische Grundorientierung diente das 8-Stufen-Modell nach John Kotter, ergänzt um die in Westeuropa vorherrschende wichtige Rolle des mittleren Managements.

Nach Abschluss des Interessenausgleichs und Sozialplans berief der Aufsichtsrat mit Blick auf die Bedeutung der konkreten Fusion zum 1. Juni 2009 einen Integrationsvorstand, der zugleich die Funktion des Personalvorstands und Arbeitsdirektors ausfüllt. Dieser installierte einen hauptverantwortlichen Projektleiter Change, um die Durchschlagskraft zu erhöhen und dem zunehmenden Umsetzungstempo der Integration Rechnung zu tragen.

2. Im Mittelpunkt: Die kulturelle Integration

Als eine der wesentlichen Voraussetzungen für den Erfolg des Mergers galt die kulturelle Integration der „gelben“ und der „grünen“ Bank. Erst diese Eingliederung garantiert, dass Mitarbeiter und Führungskräfte die Firmenübernahme nachhaltig akzeptieren. Da der „technische“ und der „kulturelle“ Merger nicht synchron verlaufen, besteht die Hauptherausforderung darin, die asynchronen Kurvenverläufe der Sach- und Beziehungsebene zu managen – und zwar in Bezug auf Geschwindigkeit und Logik

Auf der Faktenebene herrschte schnell Klarheit und Planungssicherheit: So hatte das neu entstandene Unternehmen bereits nach drei Wochen die erste Führungsebene unterhalb des Vorstands aus beiden Häusern ausgewählt und nach zwei Monaten die zweite Führungsebene. Damit stand das neue Führungsteam zügig fest und konnte Verantwortung übernehmen.

Der Prozess des kulturellen Zusammenwachsens dauert(e) deutlich länger – und ist noch längst nicht abgeschlossen. Organisatorisch unterstützen dabei verschiedene Veranstaltungen, Netzwerke, Formate für die bereichsinterne Dialog-Kommunikation, Team-Workshops sowie die Zusammenarbeit in unterschiedlichen Projekten. Diese Instrumente richten sich an alle Führungskräfte und Mitarbeiter weltweit.

Um die kulturelle Integration nachhaltig zu verankern, arbeitete das Change-Management-Team mit einem Dreisprung: 1. Information, 2. Dialog und 3. Partizipation.

3. Eine starke Vision: Das Zielbild der neuen Commerzbank

In mehreren Runden erarbeitete der Vorstand das Zielbild der Bank, die sogenannte Corporate Story. Als eines der Kernstücke der Integration operationalisierten die Führungskräfte und Mitarbeiter das Zielbild und brachen es auf die einzelnen Bereiche herunter, so dass jetzt für jeden einzelnen Beschäftigten nachvollziehbar ist, welchen Beitrag er in seinem Umfeld und Tätigkeitsfeld leistet und wie er damit dazu beiträgt, das Gesamtbankziel zu erreichen.

4. Rollenverständnis und Change-Roadmaps: Führungskräfte erhalten Aufgaben und Instrumente

Als wesentliches Grundprinzip gilt für alle Führungskräfte: Jeder ist in seiner Eigenschaft als Führungskraft auch ein Change-Agent und damit für den Veränderungserfolg oder -misserfolg in seinem Einflussbereich verantwortlich. Es gilt das Motto: And who is responsible? Me!

In mehr als 350 Change-Agent-Workshops setzten sich alle Führungskräfte der neuen Commerzbank mit ihrem Rollenverständnis, ihren Aufgaben und den Erwartungen der Organisation an ihre Leadership-Fähigkeiten auseinander.

Gleichzeitig „übersetzten“ sie in diesen Veranstaltungen die Meilensteinplanung der Projektorganisation in individuelle Change-Roadmaps für ihren eigenen Verantwortungsbereich – angelehnt an die Fragestellung: „Was löst in meinem Bereich Veränderungsbedarf aus“? Diese individualisierte Change-Roadmap gibt der Führungskraft einen strukturierten Fahrplan für ihre Veränderungsaktivitäten vor. Ergänzend dazu enthalten die an die Führungskräfte verteilten Change-Agent-Guides eine Minisammlung zu den wichtigsten Aspekten von Veränderungsprozessen.

Ein zweites obligatorisches Instrument, das in der gesamten Bank zum Einsatz kam, waren Teambildungsveranstaltungen, die das Zusammenwachsen der Mitarbeiter vor dem Hintergrund der „ComWerte“ unterstützen. Bis heute hat die Commerzbank bereits mehr als 2000 dieser Veranstaltungen durchgeführt und weitere circa 1500 sind in Planung.

5. Unterschiedliche Situationen in den Segmenten: Nur so viel handeln wie nötig

In der Gesamtorganisation waren einzelne Tochtergesellschaften, Segmente, Bereiche oder In- und Auslandsstandorte sehr unterschiedlich von dem Merger betroffen – sowohl hinsichtlich des Integrationsumfangs (zum Beispiel im Sinne des Geschäftsmodells) als auch bezogen auf die Umsetzungsgeschwindigkeit.

Die einzelnen Bereiche schätzten daher zunächst selbst den Umfang der Veränderungen ein, ebenso wie den zeitlichen Ablauf und Handlungsbedarf. Diese Einschätzungen validierten und hinterfragten sie im Quervergleich mit dem Change-Management-Team. Aus dem bankweit aufgestellten Change-Management-Angebot wählten die Bereiche die für sie notwendigen Instrumente.

6. The map is not the territory: Mit Feedback und Sounding die Erfolge prüfen

Um regelmäßig ein verlässliches Stimmungsbild der Gesamtorganisation zu erhalten, führte das Change-Management-Team Kurzbefragungen unter den Führungskräften und Mitarbeitern durch. Sie fragten die Belegschaft, wie überzeugt sie bisher von der Integration sind, inwiefern sie den Merger für notwenig erachten und sich dem Integrationsprozess verpflichtet fühlen.

Im weiteren Verlauf startete die Commerzbank eine ergänzende und breiter angelegte Integrationsbefragung von 16.000 Mitarbeitern, den „Change Monitor“. Ziel war es, über ein Treibermodell – dieses extrahiert die Faktoren, die signifikanten Einfluss auf die Integration haben – Stärken und Schwächen des Integrationsprozesses zu identifizieren und sowohl positive als auch negative Faktoren und zentrale Stellhebel abzuleiten. Auf Basis dieser Erkenntnisse konnte das Projektteam konkrete Verbesserungspotenziale für die Change-Roadmaps der Führungskräfte aufzeigen und strukturierte Folgeprozesse etablieren.

Bei einem qualitativ ausgerichteten strukturierten Sounding, in dem sich eine definierte Anzahl von Mitarbeitern regelmäßig und flächendeckend zusammensetzt, transportierten Mitarbeiter Wahrnehmungen und Sichtweisen der Basis direkt zum Top-Management.

7. Ausblick: Jetzt heißt es dran bleiben!

Bisherige Messungen zeigen, dass sich die wichtigen Erfolgsfaktoren für die nachhaltige Akzeptanz der Integration von Commerzbank und Dresdner Bank bei den Mitarbeitern und Führungskräften sehr positiv entwickeln.

Dennoch sollten die Projektverantwortlichen sich nicht zu früh freuen. Zum heutigen Zeitpunkt ist in erster Linie die technische Integration weit fortgeschritten – die emotionale steckt noch mitten drin. Zum Beispiel sitzen viele Teams noch nicht in ihrer Zielstruktur zusammen.

Zu den Kernherausforderungen eines guten Change-Prozesses gehört es, sich nicht selbst zu „überholen“. Auch wenn bereits neue Herausforderungen im Bankenmarkt vor der Tür stehen, muss das Unternehmen den Veränderungsprozess weiter gewissenhaft begleiten. Auch sollte das Change-Management-Team Phänomene, die typischerweise in späteren Phasen von Post-Merger-Integrationen auftauchen – wie etwa ein selektiv und subjektiv wahrgenommenes Reverse-Takeover-Phänomen (die Personen des übernehmenden Unternehmens gewinnen den Eindruck, dass „in Wirklichkeit“ sie übernommen wurden) – sorgfältig beobachten.

Daher heißt es jetzt: Dran bleiben! Und darum ist auch 26 Monate nach der Ankündung, dass die Commerzbank die Dresdnerbank übernimmt, das Change-Management-Team noch aktiv.