Der 11. September 2001 ist bis heute das prototypische Lehrbeispiel einer „Krise in der Krise“, aber auch von Krisenmanagement. Schon geschüttelt von den Preisattacken der Low-Cost- Airlines, Arbeitskämpfen sowie deutlich verändertem Kundenverhalten stürzte der Terroranschlag die internationale Luftfahrt in die schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Der internationale Dachverband der Weltluftfahrt (IATA) schätzt die Verluste seiner Mitglieder auf 15 Milliarden US-Dollar. Das ist mehr als die Branche in den zwanzig Jahren zuvor an Gewinnen eingeflogen hatte. Auch bei der Deutschen Lufthansa brach das Geschäft nach dem 11. September ein. In den ersten Monaten nach den Anschlägen beförderte die Fluggesellschaft rund 25 Prozent weniger Passagiere als in normalen Zeiten. Zugleich trieben die Sicherheitskontrollen an den Flughäfen die Kosten in die Höhe. Die täglichen Verluste betrugen fünf Millionen Euro.

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Um das Überleben zu sichern, mussten sowohl Flugzeugkapazitäten wie auch Personalkosten in kürzester Zeit um ein Drittel reduziert werden. Dabei griff HR bezogen auf die Personalkosten auf den gesamten Handwerkskasten der Flexibilisierungsinstrumente zurück: Einstellungsstopp, Zwangsurlaub, massiver Abbau der Überstunden, um kurzarbeitsfähig zu werden. Die Lufthansa führte Kurzarbeit für das Kabinenpersonal ein und fuhr die Arbeitszeitkorridore im fliegerischen Bereich von 70- bis 90-Block-Stunden an die Untergrenze. Hunderte von Mitarbeitern wandelten Vollzeit- in Teilzeitstellen um, und wer ein mehrjähriges Sabbatical einlegen wollte, erhielt eine Rückkehrgarantie. Dies reichte jedoch nicht aus. In harten Verhandlungen einigten sich die Sozialpartner, den Tarifvertrag für das Boden- und Kabinenpersonal um sieben Monate von 14 auf 21 Monate zu verlängern. Die für das Cockpitpersonal vereinbarte Vergütungserhöhung verschob sich für ein Jahr. Der Vorstand verzichtete auf zehn Prozent der Fixvergütung zusätzlich zum wegfallenden variablen Anteil seiner Bezüge. Führungskräfte und außertarifliche Mitarbeiter erklärten sich ebenfalls zu einer Reduzierung ihrer Festbezüge um vier bis sieben Prozent für sechs Monate bereit. Durch diese starke Flexibilisierung von Arbeitszeiten, Beschäftigungsstrukturen und Vergütung konnte das Unternehmen seine Personalkosten zeitlich befristet um rund 25 Prozent senken, die Personalkapazität einigermaßen an die Kundennachfrage anpassen, die Massenentlassung gut ausgebildeter und motivierter Service-Professionals vermeiden, sowie die zwei weiteren kurz aufeinander folgenden Krisenschübe, ausgelöst durch SARS und Irak-Krieg verarbeiten.

Die Puffer atmender Organisationen

Atmende Strukturen sind das Herzstück krisenrobuster, agiler Unternehmen. Atmende Organisationen passen sich veränderten Marktbedingungen an und können einen Einbruch beziehungsweise ein Wachstum der Nachfrage von bis zu 30 Prozent verkraften.

In der Dramatik einer Krise ist zudem die „rapid response“, die drastisch erhöhte Adaptionsgeschwindigkeit, sowohl unter dem Aspekt des raschen Abbaus der Remanenzkosten als auch des agilen Packens von Opportunitäten Nadelöhr. Rapide Antwortfähigkeit ist weniger eine strukturelle als eine kultur- und führungspolitische Herausforderung. Die Beherztheit bei den zu treffenden Entscheidungen ist Ausdruck der charakterlichen Disposition des Führenden sowie Ergebnis des guten Trainings der Unternehmenskultur.

Continental mit rund 81.000 Mitarbeitern weltweit hat ähnlich wie die Deutsche Lufthansa atmende Organisationsstrukturen geschaffen, die es ihr ermöglichen, im harten Wettbewerb der Automobilzuliefererindustrie auf einem Spitzenplatz zu bestehen und mit Puffern rasch auf steigende oder sinkende Nachfragen zu reagieren, Diese atmende Struktur steht auf vier Säulen:

Flexible Arbeitszeiten

  • Arbeitszeitkonten bis zu 240 Stunden
  • Lebensarbeitszeitkonten
  • Arbeitszeitkorridore im tarifpolitischen Rahmen der chemischen Industrie
  • Diverse Teilzeitoptionen

Flexible Beschäftigungsverhältnisse

Neben der Stammbelegschaft mit unbefristeten Kontrakten:

  • Befristete Beschäftigung
  • Leasing- beziehungsweise Zeitarbeit
  • Freie Mitarbeiter

Flexible Organisationsstrukturen

  • Insourcing beziehungsweise Outsourcingoptionen bis hin zum Inplant-Outsourcing
  • Schmale, zentrale Stäbe
  • Extrem schlanke, wendige Overhead-Strukturen
  • Autonome Geschäftseinheiten mit hoher unternehmerischer Gestaltungsfreiheit in dezentralisierter Organisation

Flexible Vergütung

  • Variabilisierung der Vergütung durch Konzernergebnisbeteiligung, standortspezifische Erfolgsbeteiligungsmodelle, dividendenabhängige Sonderzahlungen (im chemischen Bereich) sowie zielvereinbarungsbasierte Vergütungsmodelle
  • Tarifvertragliche Öffnungsoptionen zur Absenkung von Löhnen und Gehältern

Idealerweise kann das Verhältnis von fest zu flexibel, ja sogar von Stammbelegschaft zu atmender Belegschaft bis 2/3 zu 1/3 betragen. Der Aufbau muss über einen längeren Zeitraum hinweg organisch gestaltet werden, kann aber rasch abgeschmolzen werden. Längst nicht alle Krisen gehen auf externe Einflüsse zurück. Führungsversagen, Produktfehler, ein schlechtes Kunden- beziehungsweise Qualitätsmanagement oder Wirtschaftskriminalität können Firmen ebenso gefährden wie Terroranschläge oder Seuchen. Um hausgemachten Krisen vorzubeugen, benutzt Continental zusätzlich zur „Atmung“ verschiedene Stellhebel, die auch den HR-Bereich betreffen.

Globales Arbeitskostencockpit

Aufgrund ihrer Personalkosten können sich Standorte oder ganze Länder aus der Wettbewerbsfähigkeit katapultieren. Deshalb muss eine Konzernleitung Warnsignale frühzeitig erkennen und gegenlenken. Der Personalbereich der Continental hat inzwischen einen präzisen Überblick über Arbeitskosten und Arbeitskostentreiber in den weit über 100 Standorten weltweit. So kann er nicht nur rasch erkennen, warum die Kosten in einem Standort steigen, sondern auch schnell gegensteuern.

Quasi spiegelbildlich gilt dies genauso für die Bindung schwer ersetzbarer Experten an das Unternehmen. Für Spezialisten in strategisch relevanten Technologien, aber auch Belegschaftskörper in umkämpften Arbeitsmärkten hat Continental Bindungsformen entwickelt, sei es auf dem Gebiet der Personalentwicklung, Vergütungspolitik oder persönlichen Wertschätzung.

Produktqualität

Wegen Problemen mit Elektronik und Bremssystemen musste ein großer Automobilhersteller im Frühjahr 2005 1,3 Millionen Autos zurückrufen. Die größte Rückrufaktion in der Geschichte dieses Konzerns wird Analysten zufolge einen mehrstelligen Millionenbetrag kosten. Konsequentes Qualitätsmanagement für eigenverantwortete Wertschöpfung, aber auch für Vorleistungen von Zulieferern sind Schlüssel zur Vermeidung ernsthafter Qualitäts- und Produktkrisen. Toyota hat das schon vor Jahren erkannt. Mitarbeiter des japanischen Autobauers müssen das Produktionsband stoppen, wenn sie einen Defekt erkennen. Die Produktionsmitarbeiter sind aufgefordert, die Ursache von Defekten aufzuspüren und zu beheben. Dieser ständige Appell nach operationeller Exzellenz ist Teil von Toyotas Qualitätskultur der ständigen Verbesserung. Continental hat früh von Toyota gelernt und unter dem Namen „Basics“ Unternehmensleitsätze für Hochleistung formuliert, in denen Qualität eines der zentralen Themen ist. Damit dies nicht Lippenbekenntnis bleibt, räumt Continental dem Thema Qualität in der Employee-Commitment- Befragung „Basics Live“ und den anschließenden Verbesserungsinitiativen einen großen Raum ein. Die Integration von Qualitätsthemen in Erfolgsbeteiligungssysteme, der Ausbau der teilautonomen Gruppenarbeit in den Fabriken zur Stärkung der unternehmerischen Mitverantwortung, die Stärkung des konzernweiten Ideenmanagements, aber auch die Optimierung der Einarbeitungs- und -qualifizierungsprozesse sind Ergebnis dieser Analysen und Feedbacks.

Standardisierung der Prozesse

Ein weiteres Kernthema des präventiven Krisenmanagements ist die weltweite Standardisierung der Prozesse hin zu einem „World Class Operations Model“. Sie trägt dazu bei, dass jeder Teil des globalen Netzwerkes die gleiche Mindeststufe an Qualität, Konsistenz und Zuverlässigkeit liefert. Das betrifft natürlich auch Training und Personalentwicklung. Je standardisierter die Prozesse sind, desto schneller kann das Unternehmen lokale Spitzen und Täler an anderen Orten kompensieren. Und: Wenn Aus- und Weiterbildung einheitlichen Standards folgen, können Fachteams ohne große Einarbeitung an wechselnden Standorten eingesetzt werden.

Governance

 

Eine strategisch fehlgeleitete, unfähige oder gar korrupte Unternehmensführung, wie zum Beispiel bei ABB vor CEO Dorman, Parmelat oder World.Com kann internationale Konzerne, ja ganze Branchen erschüttern. Vor diesem Hintergrund ist die Bedeutung von Corporate Governance selbsterklärlich. Aufsichtsräte müssen Geschäftslage und Zukunftsperspektiven kennen, Führungsqualität im Blick behalten, Frühwarnsignale hinterfragen und ein Gegensteuern anregen.

In einer Union-Investment-Studie zum Thema Corporate Governance erreichte Continental im Frühjahr 2005 den vierten Platz und damit das Spitzenfeld der befragten DAX-30-Unternehmen. Dabei hat die Fondgesellschaft vier Bereiche analysiert: die Aktionärsrechte, die Regeln für Vorstand und Aufsichtsrat sowie die Transparenz des Unternehmens. Die Qualität der Gesamt- Führung wurde mit der Kursentwicklung der Unternehmensaktien verglichen.

Eine effektive Kontrolle beugt nicht nur Unternehmenskrisen vor, sondern wirkt sich laut Union Investment auch auf den Aktienkurs aus. Während der Deutsche Aktienindex zwischen Ende 2003 und April 2005 um 5,5 Prozent stieg, legte Continental um 89,6 Prozent zu. Fast alle Unternehmen der Spitzengruppe verzeichneten deutliche Zuwächse.

„Critical Incidents“ in der Performance

Nicht nur das Topmanagement, auch Experten im Mittelbau können Krisen vorbeugen, verhindern, aber auch auslösen, wie der Fall des Börsenhändlers Nick Leeson zeigt. Der damals 28-jährige Händler trieb die britische Barings Bank in die Zahlungsunfähigkeit. Wegen seiner Fehlspekulationen wurde das Traditionshaus im Jahr 1995 aufgelöst. Die Auswertung der Kontrollprozesse, dokumentiert im E-Mail-Verkehr, zeigte später, dass es über Jahre hinweg Warnhinweise gegeben hatte. Bankmitarbeiter und auch die Revision hatten sich kritisch über Leesons Geschäftsaktivitäten geäußert, doch weder Personalbereich noch Management reagierten.

Das Beispiel Leeson zeigt: Unternehmen müssen bei der Auswahl ihrer Führungskräfte viel stärker auf Berufsbiografie und Critical Incidents achten. Ein gutes Beispiel für diese Vorgehensweise ist die Auswahl der Geschwaderkommandanten bei der amerikanischen Luftwaffe. Trainer beobachten die Nachwuchsführungskräfte über Jahre und führen Buch über deren fliegerische Leistung. Die Auswertung der Critical Incidents entscheidet über ihre Beförderung. Im betrieblichen Bereich sind Critical Incidents wie Eitelkeit, Übermut, Regelverstöße und Unsauberkeiten im finanziellen Verhalten Frühindikatoren, die bei Personalentscheidungen berücksichtigt werden müssen. Hier ist personalseitig zweierlei von Bedeutung: Zum einen die Personalentwickung in ihrer „advocatus diaboli“-Rolle zu strapazieren, zum anderen das biografische Performance- Wissen der Führungskräfte zu aktivieren. Parallel dazu ist die Unternehmensrevision eine wichtige Waffe, um Kontrollmechanismen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und die Sanktionierung von Fehlverhalten zu fordern. Internal Auditing und HR-Bereich bei Continental arbeiten hier eng verzahnt.

Industrial and Labour-Relations

In einem hochkomplexen globalen Netzwerk wie dem der Automobilzuliefererindustrie arbeiten die weltweiten Produktions- und Entwicklungsstätten engstens zusammen. Wenn eine Produktionsstätte ausfällt, kann dies große Teile des Netzwerkes beeinträchtigen. Lokale Ausfälle durch Arbeitskonflikte, Streiks, Personalengpässe, mangelnde Flexibilität können sich global ausweiten und die Beziehung zu Großkunden gefährden. Continental legt deshalb großen Wert auf gleichzeitig konstruktive wie kostenbewusste Beziehungen zu Arbeitnehmervertretungen. Parallel dazu führen wir im zweijährigen Abstand weltweit unseren Employee Commitment Survey durch, um nach Auswertung der lokalen Ergebnisse Aktivitäten umzusetzen, welche die Arbeitszufriedenheit verbessern. Dies steigert nicht nur die Attraktivität des Arbeitgebers Continental, sondern hilft dem Unternehmen auch, Krisen vorzubeugen, die Unternehmensteile von innen lähmen und die Reputation schädigen. Dies korrespondiert mit Ergebnissen einer aktuellen Booz-Allen Studie zu den 20 größten Unternehmensrisiken, bei der mehr als die Hälfte der Risiken Unternehmensreputation, Markenwahrnehmung sowie Beziehungen zu Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten mit zum Gegenstand hatte.

Gute Führung in schweren Zeiten

Ein gutes Personalmanagement kann zwar mithelfen, Krisen vorzubeugen. Doch häufig passiert im Laufe einer Unternehmensgeschichte das, womit man am wenigsten rechnet. Irgendwann holt die Krise ein Unternehmen ein: Gerling, Karstadt, Lufthansa, Opel, Holzmann zeigen dies in unterschiedlicher Ausprägung. Exzellentes operatives Management der Krise ist dann zwar sachliches Fundament. In der akuten Krisensituation ist jedoch zusätzlich eine ausgezeichnete Menschenführung gefragt. Drei Grundsätze charakterisieren Führung in Krisenzeiten:

  1. Vakuum durch Persönlichkeit füllen

    Wenn Unternehmen von einer Krise erfasst werden, müssen sie zuerst Ursache, Wirkung und Ausmaß analysieren, ohne in Aktionismus zu fallen. Auf dieser Grundlage können sie intelligente Entscheidungen treffen. Nach dem 11. September 2001 stand für die Deutsche Lufthansa erst nach Wochen komplexer Analysearbeit fest, welche Flugzeuge sie vom Himmel nehmen würde, welche Routen sie mit welchem Fluggerät bedienen würde und welche Routen sie aufgeben würde. Natürlich stieg derweil die Anspannung der Belegschaft. In solchen Zeiten des strategisch-sachlichen Vakuums muss die Führung diese Leere in den vielen Gesprächsrunden, Auge in Auge, durch Persönlichkeit füllen. Dies schafft Vertrauen in die Zukunft und kompensiert – zumindest vorübergehend – inhaltliches Vakuum.

  2. Symbolisch Handlungsfähigkeit demonstrieren

    Gerade in rabenschwarzen Zeiten müssen Unternehmensleitung und Management symbolisch Handlungsfähigkeit demonstrieren. So war Lufthansa die einzige Airline, die den im kanadischen Gender gestrandeten Fluggästen ein mit psychologischem und medizinischem Personal ausgestattetes Sonderflugzeug, das der Personalvorstand begleitete, zur Hilfe schickte.

  3. Rasche, militärische Umsetzungsdisziplin

    Nach der Lageanalyse und Entscheidung für Handlungsoptionen müssen diese schnell und präzise umgesetzt werden. So wie sich öffentliches Katastrophenmanagement, Polizei und Militär auf einen Einsatz vorbereiten, müssen sich auch Unternehmen bewusstseinsmäßig und strukturell wappnen. Diese Vorbereitung beginnt mental damit, sich den „sense of urgency“ immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Sie leitet in das Festlegen einer Kommando- und Kommunikationsstruktur über und endet ganz praktisch beim halbjährlichen Brandalarm. Diese Mixtur aus Prävention und Bewältigung von Krisen führt im Zeitverlauf zum Erwerb von Krisenrobustheit. Es ist fast paradox: Krisen vermeiden und gleichzeitig aus unvermeidbaren Krisen zu lernen ist die Erfolgsrezeptur, die dazu führt, dass Unternehmen Experten im Umgang mit schwerem Wandel werden.