Foto: Ricardo Arce, Unsplash

Die Arbeitswelt hat sich innerhalb der letzten Jahre stark verändert: flexible Arbeitszeitmodelle, mehr Homeoffice, mobiles Arbeiten. Auch die Personalsuche bleibt davon nicht unberührt. Unternehmen stellen sich berechtigt die Frage, wie sie potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten erreichen und sich von der Konkurrenz absetzen. Der sinnvollste Weg im New Recruiting führt über unkonventionelle Kanäle, wie drei Beispiele zeigen.

Neben den sich verändernden Ansprüchen der Arbeitnehmenden erhöht auch der aktuelle Fachkräftemangel den Druck auf Unternehmen, bei ihren Recruiting-Kampagnen kreativ zu werden. Aktuell verschmelzen Arbeit und Privates mehr als je zuvor. Deshalb ist es zwingend notwendig, auch das Recruiting verstärkt in den Alltag zu integrieren. Die Stellenanzeigen der Zeitungen mit hunderten ähnlich anmutenden Inseraten sind längst passé und werden nicht ohne Grund als Anzeigenfriedhof bezeichnet. Doch selbst das digitale Äquivalent – die Job-Plattformen – haben ein ähnliches strukturelles Defizit: Sie sind ein Sammelbecken für Unternehmen, die Personal suchen. Bewerberinnen und Bewerber müssen auf diesen Plattformen aktiv eintauchen, um fündig zu werden. Die Recherche ist trotz verbesserter Suchfunktionalitäten oft mühsam und jede einzelne Bewerbung kostet Zeit. Stellenausschreibungen von Unternehmen, die sich hier tummeln, übersehen potenzielle Bewerberinnen und Bewerber schnell. Einen Klick weiter lauert womöglich schon der ärgste Konkurrent.

Recruiting im Alltagsumfeld

Meine Beobachtung hier ist: Genau wie sich die Arbeit mehr und mehr in das Privatleben der Menschen integriert, wird auch New Recruiting ein selbstverständlicher Teil des Alltags. Aus Nutzerperspektive heißt das: nicht mehr aktiv suchen, sondern passende Stellenangebote im Alltagsumfeld direkt serviert bekommen. Die Basis dafür bildet eine neue, hoch technologische Mediawelt, die der jeweiligen Zielgruppe TV- und Audio-Spots, Online-Werbebanner und Außenwerbung so punkt- und zeitgenau wie noch nie ausspielen kann, ohne dass diese ihre mediale Welt auch nur eine Sekunde verlassen muss. Die Mechanismen aus der Markenwerbung greifen damit jetzt auch auf das Recruiting über. Mit solchen Job-Anzeigen können Unternehmen auch diejenigen erreichen, die gerade nicht aktiv nach einem neuen Job suchen, aber trotzdem offen für ein besseres Angebot wären – die passiv Wechselwilligen. First Mover können sich hier aktuell klare Wettbewerbsvorteile sichern.

Wie so etwas in der Praxis aussieht? Drei Beispiele, wie New Recruiting funktioniert:

ZEISS: Audio-Spots und Plakat-Kampagnen

Die ZEISS Gruppe, ein weltweit führendes Technologieunternehmen unter anderem in der optischen Industrie, setzt beim Employer Branding und Recruiting in Richtung Schülerinnen und Schüler unter anderem auf einen crossmedialen Mix aus großflächiger Plakat- und Verkehrsmittelwerbung sowie auf Audio-Spots beim Streamingdienst Spotify. Die 122 Flächen der Plakat-Kampagnen befanden sich im Einzugsgebiet der Firmenstandorte. So erreichte der Arbeitgeber neben den Arbeitssuchenden auch Eltern, Lehrern, Freunden und Verwandten in der Region. Die Recruiting-Kampagne auf Spotify richtete die ZEISS Gruppe nach Alter und Postleitzahlgebiet aus.

Der Vorteil von Online-Audio: Der Kanal regt Emotionen und Gedanken an. Mit der eigenen Vorstellungskraft entsteht ein Bild vom Arbeitgeber. Ein weiterer Grund, warum Online-Audio den Werbetreibenden in die Hände spielt: Werbespots gibt es nur in der kostenlosen Version, die oft junge Menschen nutzen. Die Werbung richtet sich also gleich an die gewünschte Zielgruppe. Ein Vorteil für die ZEISS Gruppe, die mit dieser Kampagne hauptsächlich auf der Suche nach Auszubildenden war. Speziell sollte die Kampagne damit Schülerinnen und Schüler ansprechen, die im technischen oder kaufmännischen Bereich arbeiten wollen. Gerade hier gibt es eine Vielzahl an spezifischen Berufen, wie beispielsweise Feinoptikerinnen und Feinoptiker oder Oberflächenbeschichterinnen und Oberflächenbeschichter. Mit 80.000 erzielten Impressions lief die Audio-Kampagne sehr erfolgreich und führte schließlich zur Besetzung der 120 freien Stellen durch qualifizierte neue Mitarbeitende.

Avedo: Werbung auf Zapfsäulen und Online-Anzeigen

Avedo, eine Marke der Ströer Dialog Group GmbH und Experte für Dialogmarketing, entschied sich mit Ambient-Werbung auf Zapfpistolen von Tankstellen für einen außergewöhnlichen Medienkanal auf der Suche nach neuen Vertriebsmitarbeitenden für ein Projekt in der Automobilindustrie für den Standort Berlin. Einen Monat lang belegte Avedo insgesamt 21 Tankstellen in der Nähe der Firmenzentrale. Damit erzielte das Unternehmen ein Plus von 14 Prozent bei den Bewerbungen im Vergleich zum Vormonat. Das Unternehmen wählte die Zapfsäulen hauptsächlich, weil sie thematisch zum Projekt passten, für das sie Angestellte suchten.

Jobinserat an der Zapfsäule (Avedo)


Für den Dresdner Firmenstandort setzte Avedo in einer weiteren Recruiting-Kampagne darüber hinaus auf Online-Displayanzeigen mit regionalem Geotargeting. Denn die meisten Kandidatinnen und Kandidaten wollen keinen langen Arbeitsweg auf sich nehmen. Die Display-Banner sahen nur Personen in einem Radius von 30 Kilometern rund um Dresden. Ziel war es auch hier, passive Bewerberinnen und Bewerber mit den Stellenanzeigen anzusprechen. Displaykampagnen eignen sich dafür sehr gut, da sie die Nutzerinnen und Nutzer immer wieder unterschwellig während des Surfens auf Entertainment-, Lifestyle-, Shopping- und News-Seiten begegnen. Ergänzend entschied sich Avedo für OOH- und Verkehrsmittelwerbung sowie Social Media-Anzeigen. Im Vergleich zum Vormonat erzielte Avedo im Laufe der Kampagne einen leichten Anstieg der Nutzer aus Dresden, die über die organische Suche auf die Website gelangten. Auch die Zugriffsrate von der Anzeige auf die Website stieg.

Wichtel Akademie München: Werbung über Streaming-Portal

Doch nicht nur große und digitale Unternehmen suchen Verstärkung über unkonventionelle Kanäle. Auch Unternehmen aus dem sozialen Bereich greifen vermehrt auf für ihre Branche eher ungewöhnliche Maßnahmen zurück. So konnte der private Kita-Anbieter Wichtel Akademie München über Spotify das eigene Team erweitern. Die Recruiting-Kampagne lief über drei Wochen. Sie wurde regional in und um München ausgespielt und suchte gezielt nach Bewerberinnen und Bewerbern im Alter von 20 bis 35 Jahren. Damit erreichte die Wichtel Akademie potenzielle Erzieherinnen und Erzieher, Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger sowie Berufspraktikantinnen und Berufspraktikanten für die insgesamt 23 Kita-Standorte in München.  

Die Mechanik hinter dem Begriff New Recruiting ist also folgende: Ein maßgeschneiderter crossmedialer Mix spricht die jeweils passende Zielgruppe genau auf den Kanälen an, die sie besonders häufig nutzt. Auf diesem Weg trifft New Recruiting die Bewerbergruppen im alltäglichen Leben und richtet sich auch an passiv Wechselwillige. Mit New Recruiting verhindert ein Unternehmen, bei der Masse an Stellenanzeigen auf den gängigen Plattformen unterzugehen, um stattdessen gezielt die Richtigen zu erreichen.