Aufwendig ist allerdings die Orchestrierung dieser neuen Ansätze mit den klassischen Recruitingformaten wie Jobanzeigen und -messen. Und ganz schwierig gestaltet sich die übergreifende Erfolgsmessung, weil die Rückläufe nicht immer in Kennzahlen gegossen werden können und bei einem breiten Maßnahmenportfolio so viele Rädchen ineinandergreifen, dass Einzelaktionen schwer evaluierbar sind. So erlebt es unter anderem Ursula Preuer, Recruitingverantwortliche beim Sanitär- und Heizungsgroßhändler Holter: „Wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen aufgesetzt. Die Rückläufe sind je nach Job, Saison, Arbeitsmarktsituation und Medienecho sehr unterschiedlich, was die strategische Planung schwierig gestaltet. Es geht darum, die vielen verschiedenen Kanäle zu monitoren und von Zeit zu Zeit zu entscheiden, was man weiter im Programm lässt.“ Holter habe im letzten Jahr beispielsweise am Jobspace-Projekt teilgenommen, aber wenige Rückmeldungen erhalten. Konstant hohe Bewerbungsraten erreiche Preuer mit der Onlineseite www.lehrberuf.info – einer Stellen- und Präsentationsbörse speziell für Lehrlinge. Begeistert ist sie auch von einem jährlichen Treffen zwischen Arbeitgebern und der Handelsakademie 2 aus Wels unter dem Titel „Schule trifft Wirtschaft“, das der Elternverein organisiert: „Maturanten treffen in diesem Projekt auf regionale Arbeitgeber und diskutieren mit ihnen in Kleingruppen Fragen zur Arbeitswelt und Bewerbung. Im Nachgang erhalten alle teilnehmenden Firmen eine Mappe mit sämtlichen Lebensläufen der Absolventen. Das ist sehr lohnend. Dieses Jahr waren wir Gastgeber. Für uns war es die dritte Teilnahme am Projekt. Es gibt aber auch Schulkooperationen, bei denen wir umgekehrt den Schülern Jobinserate direkt zusenden“. Klassische Jobmessen seien für Holter ungeeignet, weil man nur wenig herzeigen könne. Bei all diesen Aktionen wirke Preuer als Dirigentin im Hintergrund. Sie koordiniere alle Aktionen. Termine vor Ort bei Recrui-tingdays an Schulen oder Events nehmen Fachkräfte aus einzelnen Fachabteilungen wahr; quasi als Firmenbotschafter. Wichtig sei es auch, die Unternehmenskommunikation einzubeziehen. Zum Beispiel verfasst diese PR-Berichte über die Lehrlingsausbildung und die Weiterentwicklungsmöglichkeiten bei Holter, die in der Lokalpresse publiziert werden: „Damit erreichen wir vor allem die Eltern, die ihre Kinder dann anregen, sich bei uns zu melden. Insgesamt geht es uns darum, auf möglichst vielen Kanälen präsent zu sein, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden“. Auf einen dieser Kanäle ist Preuer besonders stolz: Das Arbeitsmarktservice (AMS) ließ bei Holter einen kleinen Infofilm über das Berufsbild des Großhandelskaufmanns drehen, der den AMS-Infozentren zur Verfügung gestellt wurde.

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Foto von Scott Graham

Das Netzwerk als Kontaktdrehscheibe ist auch das Thema des Alumni-Verbandes der Universität Wien. Dieser hob in 2010 das Projekt „Alma“ aus der Taufe: Absolventen unterschiedlicher Studienrichtungen setzen sich als Mentoren für Studenten ein, unter der Leitung von Geschäftsführerin Ingeborg Sickinger: „Durch Alma werden Studierende in der Abschlussphase ihres Studiums dabei unterstützt, sich mit ihrer beruflichen Zukunft auseinanderzusetzen; seien es Themen zur Berufsorientierung, zur Berufsentscheidung oder zum Jobeinstieg. Alma bietet ihnen Kontakt zu berufserfahrenen Absolventen unserer Universität“, berichtet Sickinger. Diese arbeiten für Unternehmen wie das Telekommunikationsunternehmen Orange oder den Möbelhersteller Ikea sowie für den Non-Profit-Sektor oder den öffentlichen Dienst. Besonders günstig findet Sickinger, dass viele Mentoren Manager oder HR-Verantwortliche sind, weil sie aus den Bereichen Wirtschaftspsychologie oder Naturwissenschaft kommen. Damit sich alle Teilnehmer besser orientieren können, hat der Alumni-Verband einen Leitfaden für Mentoren geschrieben. Er klärt die Ziele der Gespräche und die Rollen innerhalb des Projektes. Die Mentoren sollen keine Abschlussarbeiten betreuen, Karrieregarantien geben oder Lebensberatung leisten, sondern vielmehr den Studenten durch gemeinsame Zielvereinbarungen helfen, ihre Stärken und Schwächen zu reflektieren, Berufsfelder und Arbeitsverhältnisse kennenzulernen und allgemeine Fragen zu beantworten. Das Alma-Team unterstützt die Mentoren bei ihren Treffen. Ingeborg Sickinger ist mit dem Erfolg des Pilotprojektes zufrieden: „Es hat sich für beide Seiten gelohnt.“ Der nächste Durchgang starte im Frühjahr 2013. Mit an Bord sei zum Beispiel die Firma Kapsch. Begleitend dazu gebe das Projekt seit Kurzem eine Alumni-Zeitschrift heraus, in der sich Arbeitgeber mit Anzeigen und Advertorials positionieren. Damit erreicht die Initiative aktuell 41.000 Studenten.

Nicht nur Universitäten unterhalten Alumni-Verbände. Auch größere Beratungsunternehmen gründen Ehemaligen-Netzwerke, wie zum Beispiel die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte Österreich. Claudia Stingl, Senior Human Resources Managerin bei Deloitte Services Wirtschaftsprüfungs GmbH, berichtet: „Unser Alumni-Club agiert als Verein. Dreimal pro Jahr treffen sich ehemalige Mitarbeiter unseres Hauses, zum einen bei uns, zum anderen in den Unternehmen der Alumni-Mitglieder; zum Beispiel in Banken, weil viele Mitarbeiter dorthin gewechselt sind“. Durch dieses Netzwerken bleibe Deloitte bei Ehemaligen positiv im Gespräch und ziehe neue Kontakte an.

Die beschriebenen Beispiele zeigen: Viele Unternehmen reagieren bereits auf den Fach- und Führungskräftemangel, indem sie ihr Recruiting ausbauen und gezielt Networking betreiben. Sollten sich ihre Bemühungen jedoch zukünftig allzu einseitig auf einzelne Zielgruppen beschränken, nützen diese Bemühungen angesichts des demografischen Wandels wenig. Auch Mütter, Migranten und ältere Fachkräfte können wertvolle Beiträge zum Unternehmenserfolg leisten. Sie anzusprechen, dürfte sich lohnen.

Quelle: personal manager Zeitschrift für Human Resources Ausgabe 1 Jänner / Februar 2013

Für Claudia Stingl ist das aber nur ein kleiner Teil einer großen Recruiting-Konzertierung. Die Verzahnung vieler Rädchen sei Deloittes Erfolgsgeheimnis und bedeute gleichzeitig „beinharte Arbeit“. Es gehe nämlich auch darum, viele verschiedene Personen einzubinden und als Botschafter einzusetzen. So veranstalten Manager auf Fachtagungen Workshops, Berater arbeiten als Lektoren an Fachhochschulen oder netzwerken auf Kongressen. Sie sollen vor Ort sondieren und Impulse an das Recruiting zurückspielen, Kontakte vermitteln und kompetente Ansprechpartner sein. Einzelne Botschafter wählt das Personalmanagement aus und schult diese zum Beispiel zum Thema Bewerbung oder Berufsbild. Kommunikationsleitlinien geben dem Botschafter einen Rahmen, innerhalb dessen er Informationen über das Unternehmen weitergeben darf. Oberste Präambel, so Stingl: „Über Kunden spricht man nicht.“ Erfolgreiche Werbungen vergütet Deloitte mit einer Prämie.

Neben diesem inzwischen bewährten Netzwerk-Recruiting ist das Unternehmen jüngst ins Recruiting 2.0 eingestiegen. Es wurde speziell ein Mitarbeiter aufgenommen, so Stingl, der Maßnahmen dafür entwickelt habe. Im Rahmen von Social Media wurde zum Beispiel eine Gruppe auf Xing gegründet und ein Facebook-Auftritt lanciert. Daneben geht das Unternehmen klassische Wege über das Angebot von Case-Studies an Universitäten und mehrmonatige Praktika. Um am Puls der Bewerber zu bleiben, bittet Deloitte Neueinsteiger zu einem Workshop, in dem diese ihre Eindrücke vom Bewerbungs- und Einstellungsverfahren im Nachhinein schildern sollen – das Recruiting möchte aus den Rückmeldungen lernen. „Glauben Sie nicht, dass all dies über Nacht kam. Es ist über Jahre hinweg gewachsen. Einzelmaßnahmen sind schnell gesetzt, es geht aber um das Zusammenspiel der verschiedenen Instrumente“, betont Stingl. Eine gewisse Erfahrung sei notwendig, um zu wissen, wann man welche Kanäle bespielt. In der Ausbildung von Wirtschaftsprüfern gebe es bestimmte Termine im Jahr, zu denen Aktionen erfolgen müssten. Kollegen aus der HR-Branche rät Stingl, ihre Hausaufgaben zu machen. Wer nicht einmal richtig auf Bewerbungen zu antworten wisse, der scheitere schon an der Startlinie.

Nicht immer sind es nur Mitarbeiter, die auf Tuchfühlung mit Talenten gehen. Anita Dominici, Personalentwicklerin und Recruiterin bei der Verkehrsbüro Group – unter welcher zum Beispiel die Austria Trend Hotels & Resorts und das Reisebüro Ruefa firmieren – geht mit ihren Kollegen immer wieder persönlich auf Jobmessen oder zu Recruitingveranstaltungen an Schulen. In Gesprächen mit Interessenten, Lehrern und Eltern holt sie sich frische Eindrücke für ihre Arbeit. Das ist nicht unerheblich, denn ihre Group hat Lehrlingscastings für sich entdeckt: „Wir möchten nicht von Assessment-Centern sprechen, denn diese erinnern häufig an Führungskräfte-Recruitings“, so die Personalverantwortliche. „Wir wollen unsere potenziellen Lehrlinge nicht abschrecken und haben die Erfahrung gemacht, dass der Begriff ‘Lehrlingscasting’ von den jungen Menschen sehr gut angenommen wird. In unseren Castings machen Bewerber einen Einstufungstest – je nach Berufswunsch; also Reisebüro oder Hotellerie. Dem folgen Gruppendiskussionen zu berufsrelevanten Themen, Selbstpräsentationen sowie Rollenspiele, zum Beispiel an einer fiktiven Rezeption. Abschließend testen wir das Allgemeinwissen zum Berufswunsch“, berichtet Dominici. In der Jury säßen Manager aus der Verkehrsbüro Group.

Kontakte zu Hochschulen baue die Unternehmensgruppe aus, diese nützten aber erfahrungsgemäß weniger, denn die Gruppe habe den Anspruch, ihre Fachkräfte weitgehend durch ein breites Aus- und Weiterbildungsprogramm selbst auszubilden. Eine Lehre sei zum Einstieg ideal. Darum sei das HR-Management eher auf Events wie dem Tag der Lehre präsent oder auf den Onlineseiten von Jobspace.at. „Wir sind mit unserer Teilnahme sehr zufrieden. Allerdings mussten wir uns erst darauf einstellen, denn bei Jobspace.at stellen Interessenten keine echten Lebensläufe ein, sondern legen eher Profile von sich an. Auch konnten wir anfangs nicht immer erkennen, für welchen Beruf sich jemand tatsächlich interessiert“. Mittlerweile habe man sich allerdings darauf eingestellt und die Jobspace-Bewerbungen gut ins Recruiting integriert.

Persönlich mit Absolventen in Kontakt zu treten, das ist der effektivste Weg, meint Josef Buttinger, Gründer des Personalisten-Netzwerkes „hr-lounge.at” und Leiter Human Resources-Solution bei Bilfinger Österreich. Gleichzeitig mahnt er: „Viele Unternehmen betiteln flache Marketingaktionen schon als Kooperationen. Da werden dann gegen eine Summe X ein paar Sponsorlogos in Ausbildungseinrichtungen angebracht. Das schöpft das Potenzial gar nicht aus.“ Gleiches gelte oft auch für den Umgang mit Hochschülern. „Man rührt die Werbetrommel, dann bewerben sich Absolventen und dann sagt man ihnen, dass man mindestens ein bis zwei Jahre Berufserfahrung erwartet.“ Buttinger fordert mehrmonatige Praktika als Teil des Lehrplans und Einbeziehung der Studenten in Social-Skill-Entwicklungsmaßnahmen. Außerdem regt er an, Unternehmen sollen viel mehr Projekte beziehungsweise Konzepte von Studenten ausarbeiten lassen, sie dabei intensiv begleiten, dadurch eine echte Beziehung mit ihnen aufbauen und sich so als attraktiver Arbeitgeber etablieren. Dazu seien vor allem kleinere Unternehmen gut beraten, sich regional zu vernetzen, um Synergieeffekte zu nutzen. Einen steigenden Trend sieht Buttinger darin, dass mehr und mehr Personalisten auf persönliche Netzwerke zurückgreifen, um nach Talenten zu fahnden.

Vor allem um junge Leute hat sich die Wirtschaft in den letzten Jahren bemüht. Viele Unternehmen haben schon Kontakte zu Schulen, Fachhochschulen oder Universitäten geknüpft, um Absolventen für sich zu werben. Dabei müssen sie die Interessen und Lebensstile ihrer Zielgruppe berücksichtigen. Viele Absolventen wollen sich nicht mehr komplett dem Beruf verschreiben. Und Schüler haben zuweilen mehr Sinn für Games und Freizeit als für die Berufswelt. Ergo überarbeiten viele Unternehmen ihre Instrumente und Zielgruppenansprachen. So fragen zum Beispiel laut Martin Sattler, Pressesprecher der Wirtschaftskammer Wien, mehr Firmen nach Beratung zu Lehrlingscastings: Wie veranstalten? Wen ansprechen? Wie bewerben? Auf ein neues, jugendaffines Format setzt auch eine Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend: die Website www.jobspace.at – eine Plattform für Lehrstellensuchende. Sie zeigt einen virtuellen Weltraum, in dem kleine Planeten in einem Koordinatensystem schweben, die – angeklickt – zu Arbeitgebern wie dem Drogeriemarkt dm oder Energiekonzern OMV führen; eine Reminiszenz an die Spieleindustrie und neue Social-Media-Welten.