Aus Angst vor einer Überschwemmung des deutschen Arbeitsmarktes mit osteuropäischen Billiglöhnern hat die Bundesrepublik bis zum letztmöglichen Zeitpunkt gewartet, um nun auch den Arbeitnehmern unserer östlichen Nachbarn völlige Freizügigkeit zu gewähren. So muss sich Deutschland nun auf einen Strom von Zuwanderern einstellen, wobei die Zahl der zu erwartenden Menschen, die im Laufe der nächsten Jahre auf den deutschen Arbeitsmarkt strömen werden, je nach Wirtschaftsinstitut zwischen 350.000 und 700.000 schwankt.

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Foto von Matt Hoffman

Niederlassungsfreiheit

Die Tatsache, dass seit dem Eintritt der neuen Mitglieder in die EU zwischen allen EU-Ländern die so genannte Niederlassungsfreiheit gilt, führte in den Jahren nach 2004 zu einem interessanten Effekt. Niederlassungsfreiheit bedeutet nämlich, dass es jedem EU-Bürger freisteht, sich auf dem Gebiet der EU mit einem eigenen Unternehmen niederzulassen.

Die eingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit verwehrte zwar den meisten Arbeitnehmern den deutschen Arbeitsmarkt, doch auf Grund der Niederlassungsfreiheit kamen bereits kurze Zeit nach der so genannten EU-Osterweiterung zahlreiche „Unternehmer“ statt Arbeitnehmer nach Deutschland. Ein völlig neuer steuerlicher und sozialversicherungsrechtlicher Problemkreis war geschaffen worden: die Scheinunternehmerschaft und damit die Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung vom Werkvertrag. Ein Feld, das von da an Hundertschaften von Zollbeamten und Steuerfahndern beschäftigen sollte.

Illegale Arbeitnehmerüberlassung

Viele dieser kleinen Unternehmer hatten nicht in erster Linie die Selbständigkeit in Deutschland im Auge, sondern sie wollten lediglich irgendeiner (vermeintlich gut bezahlten) Beschäftigung im wirtschaftlich attraktiven Deutschland nachgehen. Dieses Bestreben führte dazu, dass viele Firmen aus den neuen EU-Mitgliedstaaten begannen, den deutschen Markt mit ihren günstigen Arbeitskräften zu erobern.

Dabei kam es jedoch immer sehr genau auf die konkrete Fallgestaltung an. Häufig wurden ausländische Arbeitnehmer einfach inländischen Auftraggebern überlassen, was im Regelfall zu einer so genannten illegalen Arbeitnehmerüberlassung führte und für die Beteiligten nicht selten zu hohen Strafen und Haftungsinanspruchnahmen führte. Speziell das Bau- und Baunebengewerbe, sowie die Schlacht branche sind relativ schnell durch sehr günstig arbeitende Unternehmen aus Osteuropa unter Druck geraten.

Werkvertrag

Da die deutschen Arbeitgeber bisher nicht ohne weiteres Arbeitnehmer aus den neuen EU-Staaten beschäftigen durften, wurde zwischen dem deutschen Auftraggeber und dem ausländischen Auftragnehmer oft ein so genannter Werkvertrag nach § 631 BGB geschlossen. Darin verpflichtete sich der ausländische Auftragnehmer, ein bestimmtes Werk (beispielsweise das Errichten eines Rohbaus) zu einem bestimmten Preis herzustellen. Im Rahmen der Niederlassungsfreiheit ein völlig legaler Vorgang. In der praktischen Umsetzung jedoch wurden häufig Arbeitnehmer eines ausländischen Unternehmens an eine Baustelle gebracht, um dort nach den Vorgaben des Auftraggebers zu arbeiten (vgl. Beispiel).

Diese praktische Gestaltung entsprach bisweilen nicht den Vereinbarungen im Werkvertrag, sondern erfüllte die Voraussetzungen einer Arbeitnehmerüberlassung. Dies hatte unter Umständen nicht nur für den im Ausland sitzenden Verleiher empfindliche Konsequenzen, sondern auch für den in Deutschland ansässigen Auftraggeber (Entleiher). Konnte den Vertragspartnern statt eines vereinbarten Werkvertrages eine Arbeitnehmerüberlassung nachgewiesen werden, so fiel der ausländische Verleiher in die Rolle eines Arbeitgebers gemäß § 38 Absatz 1 Nummer 2 EStG mit den gesamten Pflichten (Lohnsteuerabzug, Sozialversicherung etc.), die diese Stellung mit sich bringt. Liest man den § 38 Absatz 1EStG weiter, so erkennt man im Satz 2 die Konsequenz für den deutschen Auftraggeber (Entleiher). Demnach kann auch der inländische Entleiher unter Umständen zum Arbeitgeber werden und vom deutschen Finanzamt gemäß § 42 d Absatz 8 EStG in Haftung genommen werden.

Subunternehmer

Die Reihe an Unannehmlichkeiten für den deutschen Auftraggeber ist an dieser Stelle aber noch nicht zu Ende. Ist die Arbeitnehmerüberlassung nämlich einmal festgestellt worden, so stellt sich in aller Regel die Frage, ob die Arbeitnehmerüberlassung denn gemäß §§ 1 und 1 b des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) überhaupt erlaubt war. Da die Vertragsparteien in solchen Sachverhalten in der Regel explizit keine Arbeitnehmerüberlassung vereinbaren wollten und gemäß § 1b ANÜ auch nicht durften, stellten die Finanzbehörden die so genannte illegale Arbeitnehmerüberlassung fest. Neben einem weiteren Haftungstatbestand (§ 42 d Absatz 6 EStG) gegen den inländischen Auftraggeber wurden Geldbußen in einer Höhe von bis zu 25.000 € fällig.

Bemerkenswert ist, dass die illegale Arbeitnehmerüberlassung sogar so weit geht, dass im Falle eines Bauherren dieser sogar für die Subunternehmer seiner Subunternehmer verantwortlich ist. Hat ein deutscher Auftraggeber (z. B. ein Bauunternehmen) also einen Subunternehmer engagiert, der seinerseits wiederum mit einem Subunternehmer einen Werkvertrag geschlossen hat, der sich in der Praxis als illegale Arbeitnehmerüberlassung herausgestellt hat, so kann der Auftraggeber für die illegale Arbeitnehmerüberlassung seiner Subunternehmer zur Verantwortung gezogen werden und unfreiwillig für die Arbeiter auf der Baustelle zum Arbeitgeber werden.

Fazit

Wer nun denkt, das Thema sei mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit der polnischen, ungarischen, tschechischen, slowenischen und baltischen Arbeitnehmer Geschichte, der irrt. Denn für die Staaten der EU-Osterweiterung aus dem Jahr 2007, Bulgarien und Rumänien, gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit noch nicht und die Arbeitnehmer aus diesen Ländern, die sich Ihren Lebensunterhalt in Deutschland verdienen möchten, müssen sich noch bis 31.12.2013 gedulden. Experten vermuten allerdings, dass speziell das geringe Lohnniveau und die schwierigen Umstände in Rumänien viele Menschen dazu bewegen werden, sich im Rahmen von Scheinwerkverträgen auf deutschen Baustellen oder Schlachthöfen zu verdingen.

Die deutschen Behörden hatten schon in der Vergangenheit große Probleme, solche Sachverhalte überhaupt zu erkennen und aufzudecken. Zeitungsberichten zufolge möchte Finanzminister Wolfgang Schäuble die „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ aber noch in diesem Jahr mit 150 zusätzlichen Stellen ausstatten. Unter anderem an dieser Tatsache zeigt sich, dass dem Thema auch nach dem Ende der Barrieren für die meisten osteuropäischne Arbeitnehmer noch ein hoher Stellenwert beigemessen wird.

Quelle: LohnPraxis – Nr. 6/7 – Juni/Juli 2011