Wo steht das Personalmarketing derzeit – und welchen Weg wird es in Zukunft einschlagen? Diesen Fragen stellen sich drei Experten aus Agenturen im Roundtable für das TALENTpro-Magazin. Das Geschäft mit der Talent Attraction wird zunehmend herausfordernd: Wie lassen sich über Kanäle wie TikTok, Instagram oder Whatsapp Zielgruppen ansprechen? Welche Themen, Geschichten und Werte begeistern die Gen Z? Und wo lässt sich mit Künstlicher Intelligenz (KI) arbeiten?
Lasst uns mit einer generellen Einschätzung beginnen: Wo steht das Personalmarketing im Jahr 2025 bei der Nutzung moderner Technologien und Plattformen?

General Manager bei emplify
Patrick Scheer: Ich möchte einen Namen in die Runde werfen, der derzeit stark im Fokus steht: TikTok. Die gesamte Branche feiert TikTok, es sei unerlässlich, dort vertreten zu sein. Allerdings performen Facebook und Instagram nach wie vor besser, was ich erstaunlich finde. Es ist also fraglich, ob sich hohe Investitionen in TikTok lohnen, auch angesichts der vergleichsweise geringen Qualität der potenziellen Bewerber:innen dort.

Managing Director bei Personalwerk
Dorothee Reiser: Wir nutzen derzeit die Dating-App Tinder für eine Kundenkampagne, und die Ergebnisse sind überzeugend. Aber es geht nicht um den einzelnen Kanal. Vielmehr ist es wesentlich, die Zielgruppe klar zu definieren und über verschiedene Touchpoints hinweg zielgruppengerechte Inhalte zu entwickeln, die zum jeweiligen Kanal passen.
Aber es geht nicht um den einzelnen Kanal. Vielmehr ist es wesentlich, die Zielgruppe klar zu definieren und über verschiedene Touchpoints hinweg zielgruppengerechte Inhalte zu entwickeln.

Vorstandsmitglied bei Raven 51
Udo Völke: Absolut richtig. Es ist wichtig zu wissen, welche Kanäle Zielgruppen nutzen und welche Inhalte sie dort erwarten. Einige Unternehmen entwickeln Content für Facebook und verwenden ihn dann ebenso auf TikTok. Das funktioniert nicht, denn es handelt sich um völlig unterschiedliche Medien mit unterschiedlichen Nutzerbedürfnissen. Daneben stellt sich die Frage, ob man Inhalte selbst produziert, indem man etwa Videos dreht oder Grafiken gestaltet, oder ob man hierfür auf eine KI zurückgreift.
Ein gutes Stichwort: In welchen Bereichen und unter welchen Bedingungen ist es sinnvoll, KI im Personalmarketing einzusetzen?
Scheer: Wir nutzen Künstliche Intelligenz, um A/B-Tests durchzuführen und auf die jeweiligen Ergebnisse automatisiert zu reagieren. Bei Online-Anzeigen testet die KI fortlaufend verschiedene Jobtitel und ersetzt schlecht performende Titel durch gut performende. Dadurch steigt die Effektivität der Kampagne, und gleichzeitig entfällt manuelle Arbeit.
Völke: Beim Active Sourcing hilft KI, nicht offensichtliche Skills aus Lebensläufen zu extrahieren und Defizite bei Kandidat:innen aufzudecken, die sich grundsätzlich für eine Position eignen. Eine weitere Technik, die wir sicherlich alle schon ausprobiert haben: das Verfassen von Stellenanzeigen mit ChatGPT.
Wie war der Erfolg?
Völke: Bei der Erstellung von Stellenanzeigen ist ChatGPT sehr hilfreich. Allerdings liefert das System mit seinem Output lediglich eine Grundlage, an der wir weiter feilen müssen. Eine herausragende Fähigkeit von ChatGPT ist die Vereinfachung komplexer Texte, wovon insbesondere Unternehmen profitieren, die dazu neigen, internes Vokabular und Fachbegriffe zu verwenden.
Eine herausragende Fähigkeit von ChatGPT ist die Vereinfachung komplexer Texte, wovon insbesondere Unternehmen profitieren, die dazu neigen, internes Vokabular und Fachbegriffe zu verwenden.
Scheer: Stellenanzeigen mit ChatGPT zu verfassen, ist keine Zauberei, wenn man effektive Prompts verwendet. Aber tatsächlich liefert ChatGPT lediglich ein Grundgerüst. Für emotionale Nuancen und eine spezifische Tonalität sind Textredakteur:innen unverzichtbar.
Reiser: Das sehe ich ähnlich. ChatGPT ermöglicht es, nicht bei null anfangen zu müssen und erleichtert die Anpassung eines Textes an verschiedene Zielgruppen. Dennoch ist es notwendig, den Text gründlich zu überarbeiten, allein schon aufgrund der formalen Kundenanforderungen, die von geschlechtergerechter Sprache bis zu markenspezifischen Formulierungen reichen.
Junge Menschen nutzen rund um die Uhr Messengerdienste wie Whatsapp. Sollten solche Dienste bei Kampagnen stärker eingesetzt werden, um Barrieren in der Candidate Journey abzubauen?
Völke: Absolut. Ein Arbeitgeber, ich glaube es war Helios, warb mit der Aussage: „Schreib eine Whatsapp, wir melden uns innerhalb von 24 Stunden.“ Nach Eintreffen der Nachricht haben die Recruiter:innen die Interessent:innen angerufen, um mehr über sie zu erfahren und parallel in der Datenbank nach geeigneten Stellen zu suchen. In engen Märkten kommt es auf solche Lösungen an. Zwischenschritte wie die Vorlage eines Lebenslaufs sind hier nur hinderlich.
Reiser: Unternehmen sollten das Medienund Kommunikationsverhalten von Zielgruppen und einzelner Kandidat:innen analysieren und berücksichtigen. Immer weniger junge Menschen haben Lust, ein Anschreiben zu verfassen; trotzdem fordern es viele Unternehmen noch.
Welche weiteren Maßnahmen befördern eine Augenhöhe über die gesamte Candidate Journey hinweg?
Scheer: Die Pandemie hat uns den Weg zu einem besseren Austausch geebnet. Wir nehmen mit Videotools schneller und auf einer tieferen Ebene Kontakt zu Bewerber:innen auf, und auch das Feedback erfolgt schneller. Das entspricht der digital geprägten Lebenswelt der Bewerber:innen. Daneben müssen sich Unternehmen auf die jobbezogenen Wünsche der Gen Z einstellen: Aspekte wie Workation und Teilzeit sind mittlerweile genauso wichtig wie das Gehalt.
Augenhöhe entsteht auch dadurch, dass Arbeitgeber persönlich und authentisch auftreten, anstatt bloßes Marketing zu betreiben.
Reiser: Augenhöhe entsteht auch dadurch, dass Arbeitgeber persönlich und authentisch auftreten, anstatt bloßes Marketing zu betreiben. Viele Unternehmen behaupten zwar, divers eingestellt zu sein und Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen zu beschäftigen, die Realität sieht aber oft anders aus. Wer leere Versprechungen macht, sorgt für Enttäuschung und Misstrauen.
Völke: Glücklicherweise haben Unternehmen in den letzten Jahren ein besseres Gespür dafür entwickelt, welche Themen sie glaubwürdig kommunizieren können – ohne sich anzubiedern.
Ist Employer Branding wichtiger denn je, um sicherzustellen, dass Kandidat:innen und Unternehmen zueinander passen?
Scheer: Es ist entscheidend, dass Unternehmen ihre individuelle Arbeitgebermarke aufbauen. Noch vor sieben, acht Jahren konnte man die Projekte dafür an einer Hand abzählen. Seitdem haben immer mehr Unternehmen erkannt, wie wichtig Employer Branding ist. Bewerber:innen sollten die Möglichkeit haben, das Unternehmen auszuwählen, welches am besten zu ihnen passt, ähnlich wie bei der Wahl zwischen einem Nike- und Adidas-Schuh.
Völke: Heutzutage kann sich kein Arbeitgeber mehr ein unklares Image leisten. Eine starke, wiedererkennbare Marke weckt bei den Zielgruppen Interesse und löst positive Emotionen aus. Wirkungsvolles Employer Branding trägt entsprechend auch dazu bei, Personen herauszufiltern, die nicht mit der Unternehmenskultur matchen.
Was sind inhaltliche Erfolgsfaktoren bei Gen-Z-Kampagnen?
Völke: Früher waren „Slice-of-Life“-Szenen beliebt, die den Büroalltag einfangen sollten. Heute versprechen Interviews Erfolg, bei denen originelle Themen oder witzige Situationen im Job aufgegriffen werden. So wird die Unternehmenskultur emotional und authentisch transportiert. Im Idealfall besprechen die Protagonist:innen keine Sekunde lang Dinge, die bereits die Stellenanzeige klärt, wie etwa Arbeitsplatzausstattung oder Gehalt.
Emotionales Marketing erfordert Mut. Kontroverse Ansätze erhöhen die Chance auf durchschlagenden Erfolg.
Scheer: Emotionales Marketing erfordert Mut. Kontroverse Ansätze erhöhen die Chance auf durchschlagenden Erfolg. Leider fehlt es oft an diesem Mut, zu wenige Kampagnen stechen aus der Masse heraus. Dennoch sehe ich eine neue Generation von Verantwortlichen im Personalmarketing, die bereit ist, polarisierendere Kampagnen umzusetzen.

Welche aktuelle Kampagne findet Ihr mutig?
Scheer: Ein Beispiel ist die Out-of-HomeKampagne des Bundesnachrichtendienstes mit dem Slogan „Wir suchen Terroristen (m/w/d)“. Ein derartiges Wording auf riesigen Plakaten in die Öffentlichkeit zu bringen, erfordert enormen Mut. Der Erfolg der Kampagne zeigt, dass es sich lohnen kann, offensiv zu werben. Auch die Wahl des auffälligen Werbeträgers war sinnvoll, denn Online-Kampagnen performen im Allgemeinen um 20 Prozent besser mit begleitenden Outof-Home-Kampagnen.
Reiser: Mut ist tatsächlich der Schlüssel. Mutig sind Unternehmen etwa, wenn sie bewusst mit ihren Schwächen oder mit ihnen entgegengebrachten Klischees spielen. Leider sind die Bedenken bei solchen Kampagnen häufig zu groß. Dabei könnten die Unternehmen durchaus an Sympathie gewinnen.
Völke: Nicht selten trauen sich lokale Handwerksbetriebe mit offensiven Botschaften nach draußen. Ich erinnere mich an einen Logistikdienstleister aus dem Osten Deutschlands, der die politische Orientierung seiner Mitarbeiter:innen öffentlich gemacht hat. Das mag moralisch fragwürdig sein, aber für die Zielgruppe des Unternehmens war die Aktion vermutlich ein Volltreffer.
Ist es also ratsam – gerade in diesen polarisierten Zeiten –, junge Talente durch eine bestimmte politische Positionierung für sich zu gewinnen?
Scheer: Politische Statements können sowohl positive als auch negative Reaktionen hervorrufen. Als Unternehmen hatten wir uns dazu entschieden, uns gegen Rechtsextremismus zu positionieren und ein entsprechendes Video zu veröffentlichen. Auf Linkedin ernteten wir überwältigende Zustimmung, während das Video in anderen sozialen Medien heftig kritisiert wurde, inklusive zahlreicher Hasskommentare. Damit muss eine Belegschaft erst mal umgehen können. Wir empfehlen Unternehmen, sich politisch zu positionieren, wenn es zu ihrer Kultur passt. Manche CEOs haben bereits Stellung bezogen, wie zum Beispiel Reinhold Würth, der in einem offenen Brief seine Belegschaft dazu ermutigte, nicht die AfD zu wählen. Das ist eine Art Employer Branding und kann ein Bindungsfaktor für potenzielle Mitarbeiter:innen sein. In Stellenanzeigen haben politische Botschaften jedoch keinen Platz.
Manche CEOs haben bereits Stellung bezogen, wie zum Beispiel Reinhold Würth, der in einem offenen Brief seine Belegschaft dazu ermutigte, nicht die AfD zu wählen. Das ist eine Art Employer Branding und kann ein Bindungsfaktor für potenzielle Mitarbeiter:innen sein.
Reiser: Ich finde, dass weniger politische Werte als vielmehr grundsätzliche Werte im Mittelpunkt stehen sollten, die ein Unternehmen lebt und vermittelt. Die politische Ausrichtung scheint dabei automatisch in gewissem Maße durch.
Werfen wir zum Abschluss einen Blick in die Zukunft: Wohin wird sich das Personalmarketing in den kommenden Jahren entwickeln? Welche Trends werden zur neuen Normalität?
Reiser: Wir werden eine zunehmende Akzeptanz dafür erleben, dass der erste und möglicherweise auch zweite Kontakt mit Kandidat:innen automatisiert stattfindet. Nach diesem automatisierten Kontakt sollte ein nahtloser Übergang in die persönliche Kommunikation erfolgen. Dabei müssen die beim Erstkontakt gegebenen Versprechungen eingehalten werden, etwa bezüglich des Zeitrahmens, in dem sich Mitarbeiter:innen zurückmelden.
Völke: Für Unternehmen wird es immer mehr darum gehen, über den Tellerrand hinauszudenken und neue Möglichkeiten im Recruiting zu erkennen. Ein Beispiel dafür ist die Deutsche Bahn mit ihrem Programm „63 plus“, das darauf abzielt, ältere Menschen anzusprechen. Dadurch konnte zum Beispiel ein ehemaliger Pastor, dessen Gemeinde aufgelöst wurde, eine späte Karriere als Lokführer starten. Diese Geschichte verdeutlicht, dass Diversität weit über die gängigen Vorstellungen hinausreicht – es geht nicht nur um Geschlecht und Herkunft, sondern um die Vielfalt der Menschen in alle Richtungen.
Für Unternehmen wird es immer mehr darum gehen, über den Tellerrand hinauszudenken und neue Möglichkeiten im Recruiting zu erkennen. Ein Beispiel dafür ist die Deutsche Bahn mit ihrem Programm „63 plus“, das darauf abzielt, ältere Menschen anzusprechen.
Scheer: Die Arbeitswelt verändert sich rasch, und Mitarbeiter:innen sind zunehmend bereit, ihre Positionen zu wechseln, vergleichbar mit dem Transfermarkt im Fußball. Vor diesem Hintergrund müssen Verantwortliche im Personalmarketing technologischer und datengetriebener agieren, um Kandidat:innen schneller und individueller anzusprechen. Ich sehe die Zukunft von KI daher eher im Performance-Marketing als bei Texten und Bildern. Gleichzeitig wird Kreativität noch mehr als bisher den Unterschied machen. Wer sich etwas traut, wird erfolgreich sein.