Herr Hossiep, wie verbreitet sind Mitarbeiterbefragungen unterdessen im deutschsprachigen Raum?
Unserer Studie zufolge sind sie schon ziemlich verbreitet. 80 Prozent der befragten Unternehmen haben schon mindestens einmal eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt, rund 50 Prozent befragen regelmäßig ihre Beschäftigten.

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Foto von Kaleidico

Welche Ziele verfolgen die Unternehmen damit?
Die meisten Unternehmen nutzen die Befragungen, um Strategien umsetzen beziehungsweise um zu schauen, inwieweit diese Strategien bei den Mitarbeitern ankommen. Deutlich mehr als die Hälfte wollen die Kommunikation im Unternehmen verbessern. Wieder andere zielen auf ein internes oder externes Benchmarking ab. Will heißen: Sie wollen sich mit anderen Unternehmen messen oder sehen, wie eigene Firmenbereiche, Abteilungen oder Tochtergesellschaften im Vergleich abschneiden.

Um welche Themen kreisen die Befragungen vorwiegend?
An erster Stelle steht das Thema Führung, was wenig erstaunt. Denn Führung ist die Achillesferse für Arbeitszufriedenheit und Leistungsfähigkeit. Mitarbeiter kündigen ja letztendlich nicht ihrem Unternehmen, sondern ihren direkten Vorgesetzten. Weitere wichtige Themen sind Information und Kommunikation, berufliche Weiterbildung und Fragen der Zusammenarbeit.

Setzen die Unternehmen eher auf Standardfragebögen oder auf individuelle Instrumente?
Die große Mehrheit der Befragten – etwa 90 Prozent – haben angegeben, individuelle Instrumente zu nutzen. Gleichwohl ist es nach meiner Erfahrung so, dass der Kern der Befragung doch ein Standardbogen ist, um den die Unternehmen individuelle Fragen packen.

Verdrängen Online-Befragungen allmählich die Print-Fragebögen?
Die Verteilung ist ungefähr gedrittelt. 36 Prozent der Unternehmen setzen sowohl Printals auch Online-Befragungen ein, 36 Prozent nutzen nur die Online-Variante, 29 Prozent ausschließlich die Print-Variante.

Worauf sollten Unternehmen achten, die eine Mitarbeiterbefragung planen?
Sie sollten darauf achten, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu gehört zunächst einmal, dass die Stakeholder im Unternehmen absolut hinter der Befragung stehen. Außerdem sollten die Ziele des Projekts klar sein. Es macht keinen Sinn, Mitarbeiter nur deshalb zu befragen, weil das alle machen. Dann wird die Befragung zum Sozialklimbim oder „me-to- Produkt“. Und noch ein dritter Punkt: Wenn ich die Leute frage, muss ich damit rechnen, Antworten zu bekommen. Und mit diesen Antworten muss ich etwas tun können. Das heißt: Wenn ich keine Kapazitäten habe, an bestimmten Defiziten zu arbeiten, sollte ich sie mir besser auch nicht attestieren lassen.

Gibt es Fragen, die Unternehmen auf keinen Fall stellen sollten?
Grundsätzlich ist es wichtig, dass der Fragebogen sauber konstruiert ist – und so einfach sich das anhört, so schwierig ist das in der Praxis. Wir haben es hier mit empirischer Sozialforschung zu tun. Die Fragebogenkonzeption setzt relativ hohe Qualifikationen voraus. Ein Betriebswirt oder Jurist ist in der Regel nicht in der Lage, einen solchen Fragebogen zu entwickeln oder die Qualität eines Fragebogens einzuschätzen, den andere konstruiert haben.

Und wie sieht ein sauber konstruierter Fragebogen aus? Können Sie Tipps geben?
Gute Fragebögen halten einer statistischen Prüfung stand. Sie stellen zum Beispiel keine Fragen, die jeder bejaht oder verneint. Wenn ich frage, „Wünschen Sie sich, dass Ihr Vorgesetzter Ihre Leistungen noch stärker anerkennt?“, antworten 98,9 Prozent der Befragten mit „ja“. Das macht keinen Sinn.
Wichtig ist auch, dass ich die Antworten einordnen kann. Was sagt es mir, wenn 36 Prozent der Mitarbeiter angeben, dass sie stolz darauf sind, für ihr Unternehmen zu arbeiten? Ist das gut oder schlecht? Das weiß kein Mensch. Deshalb brauche ich einen sauberen Benchmark. Fragwürdig ist, wenn der nur aus dem Mund des Chefberaters kommt.

Sondern? Welche Daten sind heranzuziehen?
Ich benötige entweder Vergleichsdaten aus anderen Firmen oder aus der eigenen Firma. Beim internen Benchmarking muss ich aber darauf achten, dass die Beteiligung hoch ist. Wenn an den Befragungen immer nur zwischen 30 und 40 Prozent der Mitarbeiter teilnehmen, weiß ich nicht, ob die Teilnehmer aus dem einen Jahr mit denen einer früheren Befragung identisch sind. Also kann ich die Daten schlecht vergleichen. Es wäre also gut, mehr als 60 Prozent Beteiligung zu haben.

Und wie erreichen Unternehmen diese Quoten?
Das ist eine Sache der Organisation. Wenn die Mitarbeiter den Fragebogen während der Arbeitszeit in der Kantine ausfüllen, und der Betriebsrat die Bögen anschließend einsammelt, kommen Sie auf hohe Beteiligungsquoten. Wenn Sie das Ausfüllen der Befragung dagegen völlig frei stellen, dann werden Sie in der Regel die 40 Prozent Beteiligung nicht überschreiten können.

Viele Beschäftigte befürchten, dass Mitarbeiterbefragungen nicht anonym sind. Wie können Unternehmen diese Bedenken ausräumen?

Hier ist natürlich entscheidend, wie Unternehmen den Fragebogen anlegen. Wenn Mitarbeiter ihr Geschlecht und ihre Position im Unternehmen angeben müssen, ist es relativ einfach, sie zu identifizieren. Das steigert nicht gerade deren Bereitschaft, den Fragebogen auszufüllen. Viel entscheidender ist aber, welche Erfahrungen die Mitarbeiter mit ähnlichen Befragungen gesammelt haben. Wenn sie ein paar Mal erleben mussten, dass sie Missstände monierten, aber daraufhin nichts passiert ist, werden sie befragungsmüde und unwillig – frei nach dem Motto: „vom Wiegen wird die Sau nicht fetter“.

Die Unternehmen sollten also mehr Energie in die Umsetzungsarbeit stecken?
Das eigentliche Problem ist ja nicht, dass die Leute nicht wüssten, wie sich bestimmte Defizite im Unternehmen verbessern ließen. Gute Ideen sind in den Unternehmen meistens vorhanden, aber es fehlt an Kraft und Kapazitäten, sie umzusetzen. Wenn Betriebe die Folgen einer Mitarbeiterbefragung adäquat aufarbeiten, kostet das in der Regel das Fünf- bis Zehnfache der Summe, die sie für die Durchführung der Befragung aufgewendet haben. Dabei handelt es sich um Opportunitätskosten, die entstehen, weil sie Ressourcen in die Umsetzungsarbeit stecken müssen. Diese Kosten müssen sie budgetieren, sonst kann bei der ganzen Geschichte nichts herauskommen. Das heißt natürlich nicht, dass Unternehmen alles umsetzen sollten, was sich die Mitarbeiter wünschen. Sie müssen gegebenenfalls auch in einen kritischen Dialog eintreten. Aber für diesen kritischen Dialog benötigen sie Kraft und Zeit.

…und ein günstiges wirtschaftliches Umfeld?
Es ist in der Tat so, dass viele Unternehmen auf schwieriger See unterwegs sind – und die Ergebnisse ihrer Mitarbeiterbefragungen deshalb über Jahre hinweg auf einem bestimmten Niveau verharren, obwohl diese Firmen kontinuierlich an sich arbeiten. Äußere Bedingungen führen häufig dazu, dass der Arbeitsdruck auf die Mitarbeiter zunimmt und die Stimmung entsprechend belastet. In einem solchen wirtschaftlichen Umfeld kann es schon ein großer Erfolg sein, wenn Sie den Status quo halten können. Das heißt: Sie werden häufig einiges tun müssen, damit alles bleibt, wie es ist.

Die Studie
Das Projektteam Testentwicklung der Ruhr- Universität Bochum hat zwischen Februar und Ende Juni 2007 rund 820 Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz angeschrieben. Darunter waren die 500 größten Unternehmen, die 50 größten Banken und die 30 größten Versicherungen Deutschlands sowie die jeweils 100 größten Unternehmen, zehn größten Banken und zehn größten Versicherungen Österreichs und der Schweiz. 249 Organisationen retournierten den Fragebogen, was einer Rücklaufquote von 30 Prozent entspricht. Einen Download der Studie gibt’s unter www.testentwicklung.de.

Interview: Bettina Geuenich

Quelle: personal manager 02/2008