„Wir stehen an einem kritischen Punkt“, urteilte AMS-Vorstand Johannes Kopf bei der Podiumsdiskussion der Zeitschrift personal manager auf der Fachmesse Personal Austria im November 2012. Wenn Österreich im globalen Wettbewerb nicht die richtigen Antworten habe, werde es zum Venedig Europas – zu einer hübschen, aber vergreisten Touristendestination. Das wirkliche Leben spiele sich dann woanders ab.

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Foto von Patrick Amoy

Dass der Fachkräftemangel ein reales Problem für viele Unternehmen und die heimische Wirtschaft insgesamt darstellt – darüber waren sich die Diskutanten einig. Die Auswirkungen beschrieb Andreas Gruber, Arbeitsmarktexperte der Industriellenvereinigung: „Zum einen könnten die Unternehmen deutlich mehr Aufträge abarbeiten, wenn sie mehr Fachkräfte hätten“, so der Experte. „Zum anderen spüren sie den Fachkräftemangel dann sehr stark, wenn Veränderungen anstehen“. Qualifizierte Mitarbeiter seien elementar, um Unternehmen weiterzuentwickeln.

Aktuelle Studien bestätigen diese Einschätzungen: 76 Prozent der befragten Personalverantwortlichen beklagten in einer Befragung der Zeitschrift personal manager vom September 2012, dass sie bei der Suche nach neuen Mitarbeitern einen Mangel an Fachkräften spüren. Mehr als die Hälfte (59 Prozent) der 137 Befragten erhalten auf ausgeschriebene Stellen weniger Bewerbungen als noch vor einigen Jahren (siehe Webtipp).

Wie hoch der Personalbedarf ist, zeigt eine Studie der WKÖ. Danach planten die heimischen Arbeitgeber im September 2012 rund 150.000 Neueinstellungen für die kommenden sechs Monate. In erster Linie suchen sie Fachkräfte, also Menschen mit Lehrabschluss. Aber auch die Nachfrage nach Lehrlingen (den angehenden Fachkräften) stieg im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 20 Prozent.

Besonders hoch ist die Nachfrage im Pflegebereich und in den sogenannten MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Es fehlt an Krankenpflegern und Drehern, an Fräsern und Diplomingenieuren. Stark betroffen ist die ITK-Branche. Knapp die Hälfte der österreichischen IT-Unternehmen habe einen konkreten Personalbedarf innerhalb der nächsten zwei Jahre, so der WKÖ-Fachverband Unternehmensberatung und IT (UBIT) in einer Mitteilung. Bis 2020 würden zahlreiche ITler in Pension gehen und der Personalbedarf entsprechend steigen. Das ist umso besorgniserregender, da auf das Konto der IT laut Wirtschaftskammer 30 Prozent der Wettbewerbsfähigkeit und 50 Prozent der Produktivitätssteigerungen der österreichischen Wirtschaft gehen.

Ein anderes Beispiel ist die Tourismusbranche. Im Herbst des vergangenen Jahres machten die Hotels und Gastronomiebetriebe des Salzkammerguts mit ihren Recruitingbemühungen Schlagzeilen. Sie suchten im krisengeplagten Griechenland nach Kellnern, Köchen, Hilfskräften und Lehrlingen. Zwei Jobbörsen auf Kreta und in Thessaloniki stehen bereits. Sie sollen helfen, den akuten Personalbedarf zu decken. Laut AMS waren Ende Oktober 2012 160 Stellen im Tourismus des Salzkammerguts offen, 47 Lehrlinge fehlten.

Neben Fachkräften suchen die Unternehmen auch qualifiziertes Personal für die Führungsebene. „In Österreich fehlen zwischen 40.000 und 50.000 gut ausgebildete Fachkräfte sowie Mittel- und Topmanager“, schätzt Günther Tengel, Geschäftsführer des Executive-Search-Spezialisten Amrop Jenewein und Chairman von Amrop CEE. „Ich könnte Ihnen auf Anhieb 20 Funktionen nennen, für die es auf dem österreichischen Markt nicht annähernd genügend Kandidatinnen und Kandidaten gibt“, so Tengel. „Beispielsweise in Bereichen wie Compliance, Risk, Trade Marketing oder IT-Operation.“ Die Suche auf das Ausland auszudehnen, helfe nicht immer weiter. Denn der Mangel in diesen Jobprofilen sei oft grenzüberschreitend.

Die Studien „Fachkräftemangel in Österreich“ der Zeitschrift personal manager und „Flexible Working 2012“ des Beratungsunternehmens Deloitte finden Abonnenten unter:
www.personal-manager.at/studien

Quelle: personal manager Zeitschrift für Human Resources Ausgabe 1 Jänner / Februar 2013

Doch nicht nur die Gesundheit der Mitarbeiter entscheidet über den Verbleib im Berufsleben, sondern auch deren Kompetenzen. Lebensbegleitendes Lernen wird immer wichtiger, denn die beruflichen Anforderungen verändern sich laufend. „Sehr häufig ist die technologische Entwicklung in den Unternehmen schneller als das Ausbildungsangebot“, erklärt Arbeitsmarktexperte Gruber. Das führt dazu, dass die Vorstellungen der Arbeitgeber und die verfügbaren Bewerberprofile häufig auseinanderklaffen. In einer Arbeitswelt, die immer stärker vom technologischen Fortschritt getrieben ist, werden Unternehmen daher zukünftig noch mehr als bisher gefordert sein, ihre Fachkräfte selbst aus- und weiterzubilden.

Erfahrungen damit hat das Technische Büro Ing. Bernhard Hammer GmbH, ein Ingenieurbüro, das sich auf den Gebäude- und Energietechnikbereich spezialisiert hat. Das Unternehmen ist in den vergangenen zehn Jahren von zehn auf 45 Mitarbeiter gewachsen. Einfach war es nicht, die passenden Kräfte zu finden, denn das Ingenieurbüro benötigt spezielle Kompetenzen, insbesondere im Feld der Alternativenergien. „Da es auf dem Markt zu wenige Fachkräfte für unseren Bereich gibt, haben wir angefangen, unsere Spezialisten selbst auszubilden“, erzählt Maria Rossböck, Assistentin der Geschäftsführung und Leitung HRM. Die Ausbildung beginnt mit einem 360-Grad-Feedback, das sich mit fachlichen Fragen und Themen der Persönlichkeitsentwicklung auseinandersetzt. Es folgen individuelle Trainings und Weiterbildungen in Zusammenarbeit mit externen Anbietern. Für seine Personalentwicklung erhielt das Unternehmen im Jahr 2012 den Staatspreis KNEWLEDGE in der Kategorie der Unternehmen bis 100 Mitarbeiter. Der Staatspreis ist eine Initiaitive des Wirtschaftsministeriums zur Förderung und Entwicklung des Lebensbegleitenden Lernens.

Gute Leute finden sich auch jenseits der 50. Doch nach wie vor gehen die meisten Österreicherinnen und Österreicher deutlich vor dem gesetzlichen Pensionsalter in den Ruhestand. Schon mit Ende 50 verabschiedet sich die Mehrheit aus dem Berufsleben. Das durchschnittliche Pensionsantrittsalter liegt hierzulande für Männer bei 58,5 Jahren und für Frauen bei 57,5 Jahren, so der OECD-Bericht „Pensions at a Glance“ aus dem Jahr 2011. Nur Luxemburger gehen laut Bericht noch früher in Pension.

Alternsgerechte Arbeitsumgebungen können dazu beitragen, diese Entwicklung umzukehren. Denn wann sich ein Mitarbeiter in die Pension verabschiedet, hängt auch vom Unternehmen ab. Wird die Arbeit der älteren Menschen im Unternehmen wertgeschätzt? Haben sie interessante Aufgaben und Entwicklungsmöglichkeiten? Sind die physischen und psychischen Belastungen der Arbeit nicht zu hoch? Aspekte wie diese entscheiden mit über den Verbleib im Berufsleben Wie es älteren Mitarbeitern im Unternehmen ergeht, hat die Firma Rudolf Leiner untersucht, die im November den NestorGold erhielt, ein Gütesiegel für Arbeitgeber, die sich für Alter(n)sgerechtigkeit engagieren (www.nestorgold.at). Das Einrichtungshaus beschäftigt sogar Mitarbeiter über 70. Mehr als die Hälfte der rund 2700 Beschäftigten hat die 45 überschritten. Anlass genug für Personalchef Manfred Monsberger, die Arbeitsbedingungen für die 50Plus im eigenen Haus genauer zu beleuchten. Der HR-Verantwortliche gab beim Institut für Soziologie der Universität Wien eine Studie in Auftrag, die der Frage nachging, wie zufrieden die älteren Mitarbeiter mit ihrem Arbeitgeber sind und was sie von ihrem Unternehmen erwarten.

Die Ergebnisse waren insgesamt positiv: „Unsere älteren Beschäftigten scheinen sehr gerne für uns zu arbeiten. Sie fühlen sich wohl und wertgeschätzt. Auch die Zusammenarbeit der Generationen funktioniert“, so Monsberger. Um diese Stärken weiter zu fördern, organisierte Leiner Workshops zum Thema generationenübergreifendes Miteinander. Außerdem rief das Unternehmen ein Mentorensystem ins Leben, bei dem ältere Mitarbeiter jüngere in der Einarbeitung unterstützen. Auf diese Weise will Leiner das Know-how der erfahrenen Kräfte stärker nutzen. In Zukunft will sich das Einrichtungshaus außerdem verstärkt mit dem Thema Gesundheitsmanagement auseinandersetzen – ein weiterer Baustein in Richtung alternsgerechte Arbeitsumgebung.

Ein Vorbild zum Thema Gesundheitsmanagement dürfte der Papierproduzent Norske Skog Bruck sein. Das Unternehmen bietet seinen rund 500 Mitarbeitern in Österreich Fitness- und Muskelfunktionstests sowie verschiedene Trainingsmöglichkeiten, die von Laufen über Radfahren bis zu Gymnastik reichen. Ein Charity Club soll Mitarbeiter zusätzlich motivieren, etwas für ihre Gesundheit zu tun: Die Beschäftigten tragen „ihre“ Bewegung quartalsmäßig in Pässe ein und die Firma wandelt dieses Zeit in Geld um, das Kollegen mit finanziellen Schwierigkeiten zugutekommt.

Mit Angeboten wie diesen können Arbeitgeber bei der Suche nach Fachkräften punkten. Sie tragen außerdem zu einem positiven Betriebsklima bei, das Mitarbeiter an das Unternehmen bindet. Voraussetzung für ein offenes und positives Klima sei jedoch auch ein gewachsenes Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Mitarbeitern, gibt Günther Tengel zu bedenken. „Wer sich heute auf Employer-Branding fokussiert, im nächsten Jahr Mitarbeiter entlässt und im Jahr drauf wieder auf Employer-Branding setzt, verliert dieses Vertrauen“, so Tengel. Mitarbeiter würden sich heute sehr genau anschauen, wie Arbeitgeber mit ihren Beschäftigten und anderen Stakeholdern umgingen. Vertrauen aufzubauen sei aktuell die größte Herausforderung für Unternehmen. „Wem das nicht gelingt, der wird sich langfristig vom Markt verabschieden. Wem es gelingt, der wird als wertebewusster Arbeitgeber erkannt werden.“

Neben guten Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten legen Mitarbeiter heute zunehmend Wert auf flexible Arbeitsbedingungen, um persönliche Freiräume zu haben oder Familie und Beruf besser vereinbaren zu können. Unternehmen, die entsprechende Angebote machen, können ihre Attraktivität als Arbeitgeber deutlich steigern und auch Kräfte gewinnen, die sich aussuchen können, wo sie arbeiten. Die Studie „Flexible Working 2012“ des Beratungsunternehmens Deloitte zeigt, dass Österreichs Unternehmen schon mehrheitlich flexible Arbeitsbedingungen bieten – vor allem bezogen auf die Arbeitszeiten. Teilzeit- und Gleitzeitmodelle gehören mittlerweile zum Standard. In vielen Unternehmen können die Mitarbeiter auch von unterwegs arbeiten, wenngleich der fixe Arbeitsplatz nach wie vor das dominante Modell ist. Verbesserungsbedarf identifiziert die Studie vor allem im Hinblick auf die Flexibilisierung der Karrieremodelle: Die in Österreich verbreitete Präsenzkultur stehe der formalen Flexibilisierung oft entgegen, kritisieren die Studienautoren. So sei es in vielen Unternehmen zum Beispiel nicht möglich, in Teilzeit Karriere zu machen. Wer nach einer Stundenreduzierung verlangt, manövriert sich schnell in eine berufliche Sackgasse.

In diese „Teilzeitfalle“ geraten typischerweise Frauen nach der Elternkarenz. In den Unternehmen wächst jedoch allmählich das Bewusstsein dafür, dass sie wertvolle Mitarbeiter auf dem Weg in die Elternschaft verlieren können. Einige bemühen sich daher sehr um die Belange der Eltern in ihrer Belegschaft. Bei Shell Austria können Mitarbeiter in Elternteilzeit das Tempo ihrer Rückkehr beispielsweise weitgehend selbst bestimmen. Der Wiedereinstieg ist ab acht Stunden pro Woche möglich. In Folge können die Beschäftigten ihr Pensum, je nach Betreuungsmöglichkeit, weiter steigern. Auch Homeoffice lässt das Unternehmen zu, damit die tägliche Wegzeit für die Kinderbetreuung zur Verfügung steht.

Einige Arbeitgeber unterstützen ihre Mitarbeiter sogar bei der Kinderbetreuung, indem sie – in Eigenregie oder mit anderen Unternehmen – Krippen und Kindergärten aufbauen (siehe Interview S. 40). Die Österreichische Kontrollbank (OeKB) organisiert neben der ganzjährig geöffneten Kinderbetreuung eine Ferienfreizeit für Volksschulkinder. Und bei Berlitz Austria können Beschäftigte ihr Kind im Notfall sogar mit ins Unternehmen bringen, wo sie von einem internen Babysitterdienst versorgt werden.

Welche Wege können Unternehmen gehen, um Engpässen beim Personal zu begegnen? Tengel rät Arbeitgebern dringend, ihr Blick- und Suchfeld zu erweitern. Die unruhige Wirtschaftslage und die schnelle Taktung des Geschäfts verleite die Entscheider in den Unternehmen oft dazu, den vermeintlich sicheren Weg zu gehen und die Profile allzu eng zu fassen: „Gesucht werden dann Managerinnen und Manager zwischen 30 und 40, die ausschließlich in der gefragten Branche gearbeitet haben, das jeweilige Geschäftsmodell ganz genau kennen und somit vordergründig wenig Einarbeitungszeit brauchen“. Wer öfter die Branche gewechselt habe und nicht punktgenau ins Profil und/oder Altersschema passe, falle da schnell aus dem Raster. „Das halte ich für ein echtes Problem“, so Tengel. Denn so gebe es immer weniger Innovationen sowie proaktives Agieren in den Märkten – und die Branchen schotteten sich eher ab, als sich zu öffnen. Außerdem blieben Stellen unbesetzt, obwohl gute Leute verfügbar wären.