In den Anfängen des Online-Personalmarketings ging es vor allem um die anregende Unterhaltung von Stelleninteressierten, eventuell ergänzt durch eine Rückmeldung über persönliche Stärken. Dies war damals für die junge, hoch gebildete Zielgruppe auch passend. Heute ist die Stellensuche aber eine sehr ernsthafte, nicht unbedingt mit Spaß verbundene Angelegenheit.

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Nicht nur Berufsanfängern fällt es oft schwer, die Stellenbeschreibungen der Unternehmen mit ihrem eigenen Wissen, Wollen und Können abzugleichen. Ein besonders attraktives Online-Angebot für potenzielle Bewerber ist daher die konkrete Unterstützung bei der beruflichen Orientierung mit Tools, die ein Matching zwischen den mit psychologisch fundierten Internet-Tests erhobenen Potenzialen des Interessenten einerseits und den Anforderungen der beruflichen Positionen andererseits durchführen (Montel et al. 2005). Wie sich in der Untersuchung der Stiftung Warentest im März 2007 zeigte, weisen einige dieser Instrumente eine sehr gute Leistungsfähigkeit auf. Sie werden vor allem von Schul- und Hochschulabgängern genutzt.

Bei der Gestaltung solcher Tools ist besonders darauf zu achten, dass nicht irgendwelche spannenden Aufgaben erstellt, sondern die einzelnen Bestandteile sorgfältig auf die zu übermittelnden Botschaften abgestellt werden. Auch empfiehlt es sich, solche Aufgaben mit der fundierten Erfassung und Rückmeldung von beruflichen Potenzialen der Teilnehmer zu verbinden. Aktuelle Beispiele solcher Angebote sind etwa der „Allianz Voyager“ oder die „Explorer“-Module der Deutschen Post World Net (siehe Abbildung 1). In beiden Fällen zeigen die durchgeführten empirischen Evaluationen positive Wirkungen in den Zielgruppen, vor allem bei leistungsstarken Personen.

Wegen der guten Erfahrungen wird sich diese Art der Internet-Nutzung im Personalmarketing weiter verbreiten. Ein volkswirtschaftliches Problem dabei ist aber die strukturelle Benachteiligung der KMU. Die Kosten für die Erstellung liegen je nach Leistung zwischen etwa 50000 und 150000 Euro, hinzu kommt der Aufwand für das Bekanntmachen dieser Tools in der Zielgruppe. Bei höheren Einstellungszahlen lohnt sich dies sehr schnell, für ein kleines Unternehmen mit nur wenigen Einstellungen aus dem angesprochenen Bewerberkreis pro Jahr aber kaum. In Verbindung mit den Möglichkeiten der schnellen und treffsicheren Online-Auswahl führt dies zu einer Verstärkung des „Abschöpfens“ wichtiger Potenziale durch die großen Unternehmen zu Lasten der KMU.

Screening ist möglich

Viele Recruiter haben erhebliche Probleme mit E-Recruiting, was man sehr gut verstehen kann. Die Sichtung von E-Mail- Bewerbungen (oft mit zahlreichen Attachments) ist im Vergleich zu konventionellen Bewerbungsmappen wesentlich aufwändiger.

Moderne Online-Tools für die Vorauswahl (Screening) bieten hier Abhilfe. Im Regelfall umfassen sie je nach zu besetzender Stelle folgende Teile, die idealtypisch auch in dieser Reihenfolge für das Ausscheiden ungeeigneter Bewerber eingesetzt werden:

  • Schritt 1: Erhebung von biografischen Angaben, die nach einfachen Filtern (etwa bei unpassender Ausbildung oder Berufserfahrung) sofort eine automatische Absage nach sich ziehen.
  • Schritt 2: Erfassung von Fakten, wie sie in konventioneller Form aus dem Lebenslauf entnommen werden (etwa Angaben zu speziellen Fachkenntnissen, qualitative Aussagen zu beruflichen Erfahrungen, Interessen, Motivation für die aktuelle Position). Diese Fragen erfordern eine sehr sorgfältige Auswahl und Formulierung. Um die Bearbeitungszeit für den Bewerber in vernünftigen Grenzen zu halten, ist oft eine „verzweigte“ Befragung erforderlich (welche Fragen tatsächlich gestellt werden, hängt von den auf die vorhergehenden Fragen schon gegebenen Antworten ab). Ebenso sind „Regeln“ (vgl. DIN 33430) zu erstellen, die zu einem Ausscheiden unpassender Bewerber führen (vollautomatisch oder mit der Möglichkeit eines „persönlichen“ Eingreifen des Recruiters).
  • Schritt 3: Für die verbleibenden Bewer- ber erfolgt mit psychologie-gestützten Testverfahren eine Messung von Aspekten, die sonst konventionell durch den Eindruck des Recruiters aufgrund der Bewerbungsunterlagen abgeschätzt werden, also vor allem die Soft-Skills, Arbeitsstile oder Basismotive, aber auch Leistungsgrundlagen wie Denkfähigkeit, Konzentration und Denkgeschwindigkeit. Nach entsprechenden Regeln kann auch auf dieser Basis eine voll- oder teilautomatische Entscheidung über den Verbleib von Bewerbern im weiteren Verfahren erfolgen.

Während die Schritte 1 und 2 nur eine, bei hohen Bewerberzahlen allerdings wesentliche, Verringerung der Prozesskosten im Recruiting zur Folge haben, bietet Schritt 3 eine gegenüber dem konventionellem Vorgehen qualitativ wesentlich verbesserte Vorselektion. Die hohe Bedeutung dieser Soft-Aspekte wird ja zu Recht immer wieder betont, ihre aussagekräftige Erfassung schon in der Vorauswahl war aber vor der Verfügbarkeit von Internet-Testplattformen praktisch so gut wie nicht möglich. Am ehesten geht dies noch bei älteren Bewerbern mit entsprechend aussagekräftigem Lebenslauf, bei den typischen Unterlagen von Schul- und Hochschulabgängern so gut wie nicht. Inzwischen haben diese Plattformen eine erhebliche Leistungsfähigkeit erreicht. So können etwa in der Plattform PERLS (Kirbach/Montel 2005) aus 128 Testskalen jene ausgewählt werden, die für die aktuell zu besetzende Stelle relevante Aussagen ermöglichen. Die Nutzungshäufigkeit solcher Tools hat in den letzten beiden Jahren stark zugenommen (allein über PERLS wurden im Jahr 2007 mehr als 100000 Testungen abgewickelt). Die manches Mal von Recruitern geäußerte Befürchtung, dass gerade High Potentials von solchen Tools abgeschreckt werden, hat sich nicht bestätigt, wie etwa die jahrlange Erfahrung von RWE für das dortige „International Graduate Program“ zeigt (Kirbach et al. 2004).

Allerdings ist bei allen in dieser Weise erhobenen Informationen zu beachten, dass die Identität der Person, die am Rechner die Fragen beantwortet, nicht ausreichend verifiziert werden kann. Die Situation ist hier die gleiche wie bei schriftlichen Bewerbungen, die ja auch von irgendjemand erstellt werden und beliebige Falschangaben enthalten können. Ebenso wie dort ist daher nur eine Negativ-Selektion möglich. Wer den Anforderungen nicht entspricht, scheidet aus dem Verfahren aus, und für die endgültige Auswahl unter den verbleibenden Bewerbern müssen die erhobenen Informationen unter kontrollierten Bedingungen überprüft werden.

Kein Ersatz für Interviews

Kein Internet-Tool kann die endgültige Auswahl unter den Bewerbern mit persönlichen Verfahren wie Interviews oder Assessment-Centern ersetzen. Viele für die Entscheidung relevante Aspekte (etwa Verhaltensskills, persönliche Wirkung, emotionale Passung zum Vorgesetzten oder zum Team) können nur so festgestellt werden. Der für die Prozessgestaltung entscheidende Nutzen liegt darin, diese teuren persönlichen Verfahren nur bei jenen Personen anzuwenden, die nach den objektiven Grundlagen eine besonders gute Passung zur Stelle erwarten lassen.

Die Verwendung der Befunde zu Fakten und Testwerten ist aber nicht auf die Vorauswahl beschränkt. Es gibt auch Internet- Tools, die auf der Basis von Kommunikationsmanagern wie etwa GEP (Programme, die eine Unterstützung zur automatischen Übersetzung von Fakten und Messwerten in komplexe verbale Befunddarstellungen bieten) die weitere Auswahl unterstützen. Auf dieser Basis ist es möglich, an Hand der aus der Vorselektion vorhandenen Daten für jeden in die Endauswahl kommenden Bewerber Hypothesen über die bei ihm vorliegenden Besonderheiten automatisch zu erstellen und damit eine gezielte Interviewführung durch den Recruiter zu erleichtern (siehe Abbildung 2). In Verbindung mit Hinweisen zu für den Einzelfall besonders passenden Fragen werden damit für die Bewerber individualisierte Interviewleitfäden verfügbar.

Der Nutzen eines solchen Vorgehens im Methodenmix (gleichzeitige Verwendung von persönlichen und Testverfahren) liegt in der Verbesserung der Treffsicherheit bei der Auswahl. Der damit erreichbare Nutzen für das Unternehmen hängt von vielen Faktoren ab, etwa vom Verhältnis der in der Endauswahl befindlichen Bewerber zu den zu besetzenden Stellen. Geht man von annähernd regulären Bedingungen aus, ist mit einer Leistungssteigerung von zirka sechs Prozent durch zusätzlichen Testeinsatz zu rechnen. Wählt man also eine Gruppe von Bewerbern konventionell nur nach Interview/AC ohne Tests aus, die andere mit einer Kombination dieser beiden Verfahren, ist in der zweiten Gruppe eine um durchschnittlich sechs Prozent höhere berufliche Leistung zu erwarten. Da kein Unternehmen einem Mitarbeiter auf Dauer mehr bezahlt als er an Leistung erbringt, entspricht dies bei fünfjähriger Verweildauer im Unternehmen mindestens 30 Prozent des jährlichen Bruttogehalts für jeden in dieser Form eingestellten Mitarbeiter.

Mehr zum Thema:

  • Kirbach, C./Montel, C./Oenning, St./Wottawa, H.: Recruiting und Assessment im Internet, Göttingen 2004.
  • Kirbach, C./Montel, C.: Die Internetplattform PERLS, in: Sarges, W./Wottawa, H. (Hrsg.): Handbuch wirtschaftspsychologischer Testverfahren, 2. Aufl., Lengerich 2005, S. 879-892.
  • Montel, C./Debo, S./Steinweg, S.: Persönlichkeitstestung und automatisierte Beratung im Internet, in: Renner, K.-H./ Schütz, A./Machilek, F. (Hrsg.): Internet und Persönlichkeit, Göttingen 2005, S. 284-297.
  • Wild, B./Fontaine, A./Schafsteller, C.: Fishing for Talents: Internet-Recruiting auf neuen Wegen, in: Personalführung, Heft 1/2001, S. 66-70.
Autor

Prof. Dr. Heinrich Wottawa,

Ruhr-Universität Bochum,

Fakultät für Psychologie,

Quelle: Personalwirtschaft 2/2008