Dabei scheint es sinnvoll, betrieblichen Erfolgsfaktoren, die eine Entwicklung der Personalpolitik hin zu einer besseren Vereinbarkeit von Erwerbs- und Privatleben fördern, herauszuarbeiten. Das war das Anliegen einer mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds gestarteten Studie des Bremer Verbundprojekts Beruf und Familie. Wissenschaftlerinnen haben dabei zehn Unternehmen untersucht, die mit dem audit berufundfamilie® ausgezeichnet sind.

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Foto von Jonathan Borba

Das audit berufundfamilie® der Gemeinnützigen Hertiestiftung ist gegenwärtig das etablierteste Managementinstrument für die Umsetzung familienbewusster Maßnahmen in Unternehmen. Anfang 2008 waren über 550 Unternehmen mit dem audit berufundfamilie® ausgezeichnet. Die Auszeichnung bedeutet, dass diese Unternehmen sich bereits konkret auf den Weg zu einer familienbewussten Personalpolitik gemacht haben, indem sie nicht nur den Ist-Zustand ermittelt, sondern anhand von verbindlichen Zielvereinbarungen Maßnahmen für drei Jahre geplant haben.

In den zehn Unternehmen wurden 20 qualitative Interviews mit der Geschäftsführung oder der verantwortlichen Personalabteilung und den Betriebs- beziehungsweise Personalräten durchgeführt. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass vor allem sechs Erfolgsfaktoren eine konkrete Umsetzung in den Unternehmen fördern und wesentlich zum Gelingen einer familienbewussten Personalpolitik beitragen:

  1. Initiative engagierter Personen
  2. Sensibilisierte, qualifizierte Führungskräfte als Vorbild
  3. Partizipative Projektorganisation, ein bedarfsgerechtes Angebot
  4. Ausreichend zeitliche und personelle Ressourcen
  5. Kommunikation familienbewusster Personalpolitik
  6. Familienbewusste Unternehmenskultur

Engagierte Personen, die die Initiative ergreifen und das Thema voranbringen, sind wesentlich für die Etablierung und Weiterentwicklung familienbewusster Personalpolitik. In vielen Betrieben ging die Initiative von engagierten Einzelpersonen aus, die das Thema aus eigener Betroffenheit auf die Agenda gesetzt haben. Das zeigt, dass Veränderungsprozesse in Unternehmen oftmals von einzelnen Impulsgebern abhängig sind, die für eine neue Idee oder Haltung persönlich einstehen und werben. Diese engagierten Personen sind vor allem zu Beginn der Entwicklung familienbewusster Personalpolitik wichtig und fungieren im gesamten Prozess als Bezugsperson.

Gutes Beispiel

Führungskräfte, die für das Thema sensibilisiert sind und mit gutem Beispiel vorangehen, sind ein weiterer Erfolgsfaktor. Führungskräfte haben eine Schlüsselstellung bei der Umsetzung familienbewusster Angebote. Sind sie offen für familiäre Werte und Verpflichtungen, macht das den Beschäftigten Mut, ihre Bedürfnisse zu äußern und angebotene Maßnahmen zu nutzen. Gerade erfahrene Führungskräfte sind oftmals mit dem traditionellen Familienmodell des männlichen Alleinernährers groß geworden, bei dem sich die Partnerin um die Kinder und den Haushalt kümmerte und ihm den Rücken für seine Karriere frei hielt. Für viele junge Beschäftigte und Führungskräfte ist jedoch die gleichzeitige Erwerbstätigkeit der Partner heute Normalität. Diese Generationsunterschiede bei den Lebensentwürfen können zu Verständnis- und Akzeptanzblockaden führen. Nur wenn Führungskräfte die Umsetzung und Nutzung familienbewusster Angebote aktiv unterstützen und selbst mit gutem Vorbild vorangehen, kann familienbewusste Personalpolitik zum Erfolg werden. Die Studienergebnisse zeigen, dass familienbewusste Politik in Unternehmen besser gelingt, wenn Führungskräfte mit Seminaren entsprechend sensibilisiert und gecoacht werden. Ein Beispiel aus einem Interview: „Am Anfang des Führungskräfteseminars war die Meinung vieler Männer so, ‚ne, bin ich nicht zuständig, macht meine Frau’ und am Ende der Veranstaltung haben sie dann durchaus festgestellt ‚stimmt, ich bin ja auch betroffen’. Und das war ein Highlight, kann man durchaus sagen.“

Zentral ist das Zusammenwirken von Beschäftigten, Betriebs- beziehungsweise Personalräten, Geschäftsführung und Personalabteilung, denn nur so können bedarfsgerechte und passgenaue Maßnahmen entwickelt und umgesetzt werden. Vor allem die Einbeziehung der Beschäftigten ist dabei wesentlich. Sie sind die Expert, da sie Arbeitsabläufe und ihre persönlichen Bedürfnisse am besten kennen. Oftmals haben sie bereits konkrete Vorstellungen, wie etwas verbessert werden kann. Empfehlenswert sind Bedarfsanalysen, zum Beispiel durch Mitarbeiterbefragungen, was die Beschäftigten brauchen und welche Hindernisse dabei zu bewältigen sind.

Die Studienergebnisse zeigen, dass sich familienbewusste Personalpolitik nicht nebenbei etablieren lässt. Ausreichend zeitliche und personelle Kapazitäten sind notwendig, damit eine systematische und strukturierte Projektorganisation überhaupt möglich ist. Die arbeitszeitlichen Ressourcen für die Umsetzung familienbewusster Angebote sind in Unternehmen sehr unterschiedlich zum Beispiel aufgrund der Unternehmensgröße und zum Teil schwer quantifizierbar, da oftmals viele Personen an der Verwirklichung arbeiten.

In erfolgreichen Unternehmen haben Verantwortliche ausreichend Zeit, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Eine systematische und nachhaltige Projektorganisation bedeutet klare Zuständigkeiten, zeitliche Meilensteine zur Erreichung bestimmter Ziele sowie Dokumentation und Bewertung des Erreichten. Um erfolgreich zu sein, braucht es verantwortliche Personen, die auch in Zeiten von Restrukturierung und Reorganisation familienbewusste Personalpolitik vorantreiben.

Die betriebliche Kommunikationspolitik ist als eigenständiges Erfolgskriterium bisher noch weitgehend unbeachtet. Überspitzt formuliert: Ohne Kommunikation keine familienbewusste Personalpolitik. In einem Unternehmen kann ein noch so reichhaltiges Angebot vorhanden sein, wenn es nicht kommuniziert wird, wird es auch nicht von den Beschäftigten genutzt. Vorhandene und auch neue Kommunikationsmedien des Unternehmens, etwa Intranetrubrik zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Privatleben, Mitarbeiterzeitschrift, Schwarzes Brett, E-Mail-Newsletter, Rundschreiben, sollten intensiv genutzt werden.

Das betriebliche Klima beziehungsweise die Unternehmenskultur sind einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren. Dabei ist mit familienbewusster Unternehmenskultur gemeint, dass in keinem der untersuchten Unternehmen familienbewusste Personalpolitik in den Mainstream eingegangen oder alltägliche Selbstverständlichkeit im Denken und Handeln sämtlicher Beschäftigter oder Führungskräfte geworden ist. Die Interviewten sind sich jedoch einig, dass ihr Unternehmen erst wirklich familienbewusst und letztlich familienfreundlich ist, wenn neben dem Beruflichen auch das Private seinen Platz im Alltag des Unternehmens hat. Das heißt zum Beispiel beim Sommerfest sind auch Angehörige dabei, junge Väter in Elternzeit stellen nach der Geburt ihr Kind im Unternehmen vor, Meetings finden nicht mehr um 19 Uhr statt.

Langfristiger Prozess

Unternehmenskulturen sind jedoch zählebig und es ist ein langfristiger Prozess, der viele Impulse braucht, damit sie familienbewusster werden oder die Beschäftigten private Bedürfnisse artikulieren. Eine Geschäftsführerin verdeutlicht das: „Das ist auch ein Prozess, man traut sich noch nicht so richtig. Es ist immer wieder sehr schön und auch sehr witzig, wenn man Leuten begegnet, die sagen‚ ‚weißt du, morgen hat mein Junge im Kindergarten eine Veranstaltung. Ich würde deshalb echt gern um drei gehen. Dafür mache ich auch einen halben Tag Urlaub‘. Da sage ich ‚warum reichst du einen halben Tag Urlaub ein? Brauchst du doch gar nicht, wenn in dem Projekt, mit dem du beschäftigt bist, alles prima läuft, oder du jemanden hast, der dich vertritt, brauchst du deswegen keinen Urlaub einreichen‘. ‚Ach nee, ehrlich nicht?‘ “

Familienbewusste Personalpolitik zeigt sich in Unternehmen noch sehr häufig als Thema für weibliche Beschäftigte mit betreuungspflichtigen Kindern. Sie wird jedoch nur in den Mainstream der Unternehmensstrategie und -kultur eingehen, wenn die Vereinbarkeitsbedürfnisse aller Beschäftigten systematisch in den Blick kommen.

Ein möglicher Schritt wäre ein veränderter Sprachgebrauch. Statt von familienbewusster Personalpolitik könnte beispielsweise von vereinbarkeitsbewusster oder lebensphasenorientierter Personalpolitik die Rede sein. So könnten neue Perspektiven entwickelt werden, die Vereinbarkeit und Verantwortungen beziehungsweise Bedürfnisse aus dem Privatleben nicht mehr als von der Normalität abweichendes Phänomen verstehen, das nur einzelne Beschäftigte betrifft, sondern als etwas, das alle angeht und betreffen kann. Betriebliche Angebote können so auf einer transparenten und realistischen Grundlage entstehen – mit dem Ziel eine Unternehmenskultur zu schaffen, in der Beschäftigte nicht mehr nur als Arbeitskraft losgelöst von lebensweltlichen Bedürfnissen und Verpflichtungen, sondern als Menschen gesehen werden, die nicht weniger leistungsfähig oder motiviert sind.

Internet-Tipp

Das Bremer Verbundprojekt Beruf und Familie informiert, berät, vernetzt und forscht seit 2004 zum Thema Vereinbarkeit von Erwerbsund Privatleben. Durch das Projekt sind über 70 Unternehmen und Institutionen unterschiedlicher Größe und Branche aus der Region miteinander vernetzt. www.berufundfamilie-bremen.de

Quelle: PERSONAL – Heft 06/2008