Zwei Episoden zum Einstieg: Die Vorstandsmitglieder des IT-Unternehmens Cisco schlossen mit ihrem Aufsichtsrat für das Jahr 2001 einen Vertrag über Aktienoptionen ab. Wenn die Aktie des Unternehmens einen definierten Kurswert erreicht, sollten die Vorstandsmitglieder Cisco- Aktien deutlich unter Kurs erwerben und mit erheblichem Gewinn verkaufen können. Die Aktie erreichte diesen Kurswert im Jahr 2001 nicht. Doch die Vorstände beriefen sich auf die allgemein schlechte Wirtschaftslage. Ihrem Einsatz sei es zu verdanken, dass Cisco vergleichsweise gut dastehe. Deshalb stünde ihnen die besondere Vergütung zu. Den Vergütungsausschuss überzeugte diese Argumentation, und die relevante Grenze des Aktienkurses wurde im Nachhinein neu festgelegt. John Chambers, der Vorstandsvorsitzende, erhielt sechs Millionen Dollar aus Aktienoptionen – in einem Jahr, in dem sein Unternehmen eine Milliarde Dollar Verlust machte.

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Foto von Dane Deaner

Wechseln wir aus der Welt der Vorstände in die Welt der Produktion. In einem österreichischen Maschinenbauunternehmen bezogen die Produktionsarbeiter einen erheblichen Anteil ihres monatlichen Entgelts aus einer Mengenprämie. Wenn ein Mitarbeiter Gefahr lief, die Prämie einzubüßen, gewährte ihm der Meister rechtzeitig Regiearbeit (Arbeiten, für die keine Prämien gewährt werden). Für die Entlohnung während der Regiearbeit stand den Arbeitern laut Betriebsvereinbarung die während der Zeit der Prämienarbeit anfallende Lohnhöhe zu. Damit war für die Produktionsarbeiter – wie für die Vorstandsmitglieder von Cisco – das Risiko gebannt, durch eine schlechte Leistung Gehalt einzubüßen.

Ein leistungsbezogenes Vergütungsmodell, in dem Variabilität nach oben und unten stattfindet, existiert in den wenigsten Unternehmen. Das hat zwei grundlegende Ursachen: Zum einen ist Vergütung nicht nur der ökonomische Gegenwert für Arbeit, sondern transportiert auch Wertaussagen über Menschen. Aufgrund dieser Metabedeutung reagieren wir auf Vergütungsfragen sehr sensibel. Eine Kürzung von Zulagen und Entgelt wirkt sich entsprechend negativ auf Motivation und Leistung der Beschäftigten aus. Zum anderen ist Leistung – jenseits von Naturwissenschaften und Technik – ein undefinierter Begriff. Was Leistung bedeutet, lässt sich nur individuell beschreiben. Das Problem: Der Abteilungsleiter eines Unternehmens kann Leistung völlig anders definieren als seine Mitarbeiter.

Angesichts der Metabedeutung der Vergütung und der Relativität des Leistungsbegriffs ist es nicht leicht, ein Modell für die leistungsbezogene Vergütung zu entwickeln, das alle Beteiligten akzeptieren. Insbesondere der Anspruch auf eine Variabilität leistungsbezogener Vergütungsbestandteile im Sinne von „Level halten, senken oder steigern“ hält dem Praxistest nicht stand. Deshalb schränkt die Mehrzahl der Unternehmen diese Bandbreite bereits ein. Anstelle einer Variabilität im Sinne von „Level halten, senken oder steigern“ wählen sie die Variante „Level halten oder steigern“.

Prinzipiell haben sich in der Praxis drei verschiedene Modelle der leistungsbezogenen Vergütung durchgesetzt.

Modell 1:

Vergütung nach Beurteilung des Vorgesetzten

Unternehmen, die diesen Weg gehen, defi nieren Variabilität vorweg im Sinne von „Level halten, senken oder steigern“. Die Leistungen der Mitarbeiter beurteilen meist die Vorgesetzten – nach quantitativen oder qualitativen Kriterien. In der Praxis wandelt sich der Variabilitätsanspruch sehr schnell in „Level halten oder steigern“. Dieses System ist hilfreich, solange Quantität und Qualität der Arbeit stimmen und die Bewertungen der Vorgesetzten den Leistungen der Mitarbeiter einigermaßen gerecht werden. Der wertvollste Effekt dieses Systems besteht darin, dass es den Austausch zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten über Fragen der Leistung fördert.

Modell 2:

Leistungsorientierte Bänder und intensives Monitoring

Nach diesem Modell wird die Vergütung als Band (Range) betrachtet, auf dem die Mitarbeiter fortschreiten – oder stehen bleiben – können. Unternehmen wie die Generali AG, IT-Austria oder IBM Österreich haben bereits Systeme eingeführt, die sich an diesem Modell orientieren.

Auch in diesem Modell beurteilen die Vorgesetzten die Leistung der Mitarbeiter nach bestimmten Kriterien, wie zum Bespiel „Umgang mit Kunden, Kollegen, Sachwerten und Ressourcen, Problemen und Konflikten, Aufgaben, Zielen oder Entscheidungen“. Ein weiteres Beispiel für ein Kriterien-Set: „Eigenmotivierte fachliche und persönliche Entwicklung, Initiative, soziale Kompetenz sowie ganzheitliches unternehmerisches Denken und Handeln“.

Doch im Unterschied zum Modell 1 sorgt ein professionelles, systematisches und systemgestütztes Monitoring dafür, dass die Gehaltsentscheidungen überprüfbar werden. Das Monitoring muss die Leistungen der einzelnen Mitarbeiter im Bezug zu einzelnen Führungsbereichen einerseits und der Gesamtbelegschaft andererseits auswerten. Auch der Entscheidungsprozess, der zum Vorrücken der Mitarbeiter in neue Gehaltsstufen führt, ist transparent. So delegieren Unternehmen wie zum Beispiel IT-Austria oder Hewlett Packard Wien die Entscheidung an eine „Förderrunde“, der Führungskräfte, der HR-Vertreter und Betriebsräte angehören.

Modell 3:

Vergütung nach Funktionsgruppen

Das System der Funktionsgruppen basiert auf einer Vergütungssystematik, die General Motors im Jahr 1983 für seine Produktionsmitarbeiter im GM-Werk in Wien-Aspern entwickelt hat. Herzstück des Vergütungssystems ist die Konstruktion vertikaler Funktionsgruppen als Grundlage für Karrierebeschreibung und Leistungsdifferenzierung.

Das Unternehmen hat die Aufgaben der Mitarbeiter in Funktionsstufen differenziert und diese sehr detailliert, aber allgemein verständlich beschrieben. Jeder Funktion ordnete das Unternehmen einen Vergütungsbestandteil zu. Für die Beschäftigten ist das System leicht nachvollziehbar: Sie können ihr Gehalt verbessern, indem sie mehr oder anspruchsvollere Aufgaben übernehmen.

Die Palfinger AG, Weltmarktführer bei LKWKränen mit Sitz in Salzburg, hat das Modell in Zusammenarbeit mit mir adaptiert. Sie nutzte es, um die Anforderungen an unterschiedliche Funktionsgruppen in der Produktion zu beschreiben. Sie definierte die vertikalen Ausführungsstufen wie folgt:

  • Einfache Bedien- und Handhabungsaufgaben
  • Umfassende Bedien- und Handhabungsaufgaben
  • Erstrüstungs- und Optimierungsaufgaben
  • Wartung und vorbeugende Instandhaltung
  • Qualitätsprüfung für eine organisatorische Einheit aus mehreren Anlagen
  • Kurzfristige Fertigungsplanung und -steuerung für eine organisatorische Einheit aus mehreren Anlagen

Neben diesen vertikalen Funktionsgruppen sieht das Modell auch horizontale Gruppen vor. Mitarbeiter gehören horizontalen Funktionsgruppen an, wenn sie grundsätzlich gleichwertige Aufgaben an benachbarten Anlagen ausführen.

Jedem Element der vertikalen und horizontalen Systematik teilt das Unternehmen einen Vergütungswert zu, der üblicherweise aus einer bestimmten Anzahl an Punkten besteht. Jeder Leistungspunkt entspricht einem Euro- Wert. Bezahlt wird somit nicht nach Fähigkeit, sondern nach der Tätigkeit. Die Werte lassen sich in einer Vergütungsmatrix darstellen, die jedem Mitarbeiter zugänglich ist. Sie dient als Grundlage für Entwicklungsgespräche mit Vorgesetzten.

Ein weiteres Beispiel: Ein weltweit führendes Industrieunternehmen zur Herstellung von Nutzfahrzeugen hat das Modell verwendet, um die Vergütung seiner Assistentinnen und Sekretärinnen neu zu strukturieren. Die vertikalen Ausführungsstufen defi nierte das Unternehmen so:

  • Personen- oder bereichsbezogene einfache administrative Unterstützung; Bearbeitung standardisierter Fachaufgaben
  • Personen- oder bereichsbezogene administrative Unterstützung; eigenständige Bearbeitung nicht- oder teilstandardisierter Fachaufgaben
  • Personen- oder bereichsbezogene administrative Unterstützung; eigenständige Bearbeitung anspruchsvoller Fachaufgaben.

Alle Stufen sind jeweils durch repräsentative Beispiele ergänzt.

Das Funktionsgruppensystem umschifft die weiter oben beschriebenen Probleme klassischer variabler Vergütungssysteme. Es ist affektlogisch intelligenter konstruiert. Denn den Deal „mehr Geld für anspruchsvollere Aufgaben“ können wir eher akzeptieren als den Deal „mehr oder weniger Geld für die positive oder negative Beurteilung meines Chefs“. Das Modell reduziert die Gefahr, dass sich Gehaltsentwicklungen negativ auf Leistung und Motivation der Mitarbeiter auswirken. Doch auch dieses System funktioniert nur, wenn ein systematisches, methodengestütztes und transparentes Monitoring gewährleistet ist. Auch eine Kombination der Modelle 2 und 3 ist möglich. Für den Bereich der Angestelltentätigkeit ist aus meiner Sicht das Funktionsgruppenmodell, ergänzt durch ein zweites Entgeltsegment in Form leistungsorientierter Bänder, „State of the Art“ für ein durchgängig variabel konzipiertes, leistungsorientiertes Vergütungssystem.

Quelle: personal manager 4/2005