Gabriela Maria Payer bekleidete zwanzig Jahre lang zahlreiche Führungsrollen bei der UBS AG. Sie hatte unter anderem die weltweite Führung der Ausbildung und Personalentwicklung inne und war Head of Human Resources für das Global Wealth Management & Business Banking. Heute leitet sie ihr eigenes Beratungsunternehmen PAYERPARTNER für strategische Geschäftsentwicklung. Außerdem ist sie Ausbildungsleiterin und Mitglied der Geschäftsleitung des Swiss Finance Institute, einer von den Banken und führenden Schweizer Universitäten getragenen Stiftung. Im Interview spricht sie über Learning Innovation und “gewollte Weiterentwicklung”.

Dr. Gabriela Maria Payer, Lernen ist gewollte Weiterentwicklung
Gabriela Maria Payer

Liebe Gabriela, Du hast Dich in deiner beruflichen Laufbahn oft mit dem Thema «Corporate Learning» beschäftigt. Was bedeutet für Dich «Learning Innovation»?

Wenn man lernt ohne es effektiv als Lernen wahrzunehmen, das heißt, wenn Lernen «gewollte Weiterentwicklung» ist.

Das beinhaltet, dass wir unser Verständnis, unsere Vorgehensweise und auch den Einsatz von Technologien laufend anpassen. Die Wissenserweiterung wird «UBERisiert», das heisst, es stehen immer dort wo ich etwas lernen muss oder lernen will Lern-Angebote zur Verfügung. Das ist jetzt schon der Fall und wird sich in den verschiedenen Dimensionen weiterentwickeln. Während ich selber die Wahl habe, was und wie ich lerne und ich mein Wissen auch selber überprüfen und davon Massnahmen ableiten kann, wird der Wissensanbieter eine Brückenbauer-Funktion einnehmen.

Ein Beispiel: als Verantwortungsträgerin in einer Gesundheitsorganisation muss ich verstehen, wie diese funktioniert: was von ihr erwartet wird, was wir für Dienstleistungen erbringen wollen und wie wir unseren Leistungsauftrag bestmöglich erfüllen. Das Wissen dazu habe ich aus meinen Basisausbildungen, Berufserfahrungen, muss es aber gezielt auf die Funktion und das Umfeld, in dem sie ausgeübt wird ergänzen. Wichtig ist auch, welche Kompetenzen, meine Kollegen mitbringen, damit wir als Mannschaft leistungsstark sind. Dabei verändern sich häufig die Rahmenbedingungen und ein «adaptives» Wissen und somit auch situatives Lernen ist gefragt.

Was sind für Dich Herausforderungen und Ziele – Strategien / Projekte und Programme im Bereich Lernen und Arbeiten?

Die grosse Herausforderung ist die Bereitschaft hinzukriegen, dass die ganze Organisation lernt.
Wie schaffen wir es, dass wir nicht mehr nur isoliert, hier und da, sondern vernetzt lernen. Nichts soll voneinander getrennt sein – da F&E und hier Produktion, Distribution. Vielmehr sollten wir die Zusammenhänge erkennen und in der Zusammenarbeit nutzen können. Für das Lernen, eine lernende Organisation sollten die Organisations-Experten mit den Ausbildungs-Experten zusammenarbeiten, damit sie ein gemeinsames Vorgehen umsetzen können.

Veränderungen, Anpassungen auf Grund von Unternehmenszielen, neuen Technologien, Vorschriften, Marktgegebenheiten, und anderes sollten miteinander gekoppelt werden. So wird eine Organisation in allen Dimensionen weiterentwickelt bzw. auf ihren Unternehmenszweck ausgerichtet. Leadership ist dann oftmals nicht eine Frage der Hierarchie, sondern der Kompetenz an den entscheidenden Stellen zur Befähigung der Organisation mit ihren Mitarbeitern.

Was müssen Betriebe, Organisationen, Bildungsinstitutionen tun, um Lerninnovationen umzusetzen?

Freude und Mut zur Veränderung fördern. Anders als beim einem «Start-up», wo alle immer lernen (müssen), sind etablierte Organisationen oft träge und selbstzufrieden. Wenn es gelingt, diese Trägheit zur Veränderung zu knacken, Neugier zu wecken, um die Strukturen, Prozesse, die Menschen zu verändern, neu auszurichten, dann ist diese Organisation im Vorteil gegenüber seinen Mitbewerbern und erfreut seine Stakeholder.


Veränderung und Lernen sind etwas Alltägliches. Wir haben laufend die Möglichkeit zu lernen, die Lernangebote bieten sich uns geradezu an. Denn erfolgreiche Menschen sind deshalb erfolgreich, weil sie nicht nur auf die INPUT-Faktoren achten, sondern vielmehr auf die OUTPUT-Faktoren. Sie verstehen es aus allen Situationen, Begegnungen, Problemstellungen, die essentiellen Elemente zu erkennen und zu nutzen. Sie analysieren und vergleichen eine neue Lage und kommen zu ergänzenden oder radikalen Bewertungen; sie hören gut zu, achten auf die Signale von Partnern, Mitarbeitenden, Kunden, Peers und schliessen nicht vorschnell. Sie integrieren dies jedoch mit der Analyse und vertiefen sich auch in ein Detail, um genau zu verstehen, was die Ursache ist, um dann entschieden eine Lösung umzusetzen. Sie haben in jedem dieser (allenfalls auch iterativen) Schritte gelernt und bringen dieses in ihrer Entscheidung und Resultat zum Ausdruck.

Ein ganz wichtiger Schritt in Lern- und Arbeitsprozessen ist die Reflektion. Durch Reflektion können wir feststellen, was wir gemacht haben, wie wir etwas angegangen sind, was dabei herausgekommen ist und was wir ein nächstes Mal anders – besser machen können. Wir sollten das, wenn immer möglich, mit den anderen Beteiligten zusammen machen, weil wir so wichtige Rückmeldungen für uns selber erhalten (zu Werten, Haltung, Verhalten und Wissen), die wir unmittelbar nutzen können. Bei den Kultur-, Führungs-, Personal- und Humanthemen, allgemein bei den gesellschaftlichen Themen, wo es um unsere Verantwortung geht, wie auch bei Fragen zu unseren strategischen Annahmen zur strategischen Entwicklung lohnt es sich ganz systematisch und strukturiert Reflektionen durchzuführen – selber oder durch externe Hilfe unterstützt.

Was fordert Dich aktuell heraus?

Wie können in oder für unbekannte Themen Skills aufgebaut werden? Diese Herausforderung hat eine sehr hohe Bedeutung, weil sich so vieles, mehrdimensional und mit hoher Geschwindigkeit entwickelt. Sei es im Gesundheitsbereich, wo sich die «digitalen Komponenten» in vielfältigster Ausprägung weiter ausbreiten werden. Oder im Bankenumfeld, wo es nicht trivial ist, wie in den verschiedenen Märkten und wie in Zukunft Wert generiert werden kann.

Wir wissen nicht mit Sicherheit, welches in den nächsten Jahren die entscheidenden Skills sein werden. Wir nehmen jedoch an, dass es andere Skills sein werden. So stellt sich bei einer Neuanstellung die Frage, ob er oder sie in der Lage sein wird, diese neuen Herausforderungen meistern zu können, die dafür erforderlichen Skills zu entwickeln und dann anwenden zu können. Wir müssen also eine Wette eingehen, dass die Person es schaffen wird, die dann verlangten Skills zu haben. Andernfalls werden wir gezwungen sein, die neuen Skills einzukaufen und die früher angestellten Personen neu zu orientieren.

Ein Unternehmen, eine Organisation muss sich folglich laufend darum kümmern, nicht nur die aktuellen Anforderungen zu beherrschen, sondern auch auf zukünftige Herausforderungen gewappnet zu sein. Es lohnt sich, diese Überlegungen in den Rekrutierungsprozess mit einzubeziehen – und natürlich ebenso in die Lernstrategien und -pläne.

Schon seit geraumer Zeit ist die AI Teil des adaptiven Lernens. Algorithmen führen uns sowohl in push- als auch pull-Funktionen und sind schon viel stärker in unserem Alltag eingebaut als uns bewusst ist. Trotzdem sind wir wahrscheinlich noch am Anfang einer konsequenten und breiten Nutzung dieser Technologien. Die Tätigkeit eines Portfolio- oder Versicherungsberaters hat sich noch nicht revolutionär verändert, doch es hat schon begonnen. Noch haben wir viel mehr Datenpunkte als wir damit etwas Sinnvolles tun.

Dann haben wir ja noch Potenzial und Weiterentwicklungsmöglichkeiten, um aus den Datenpunkten wertvolle Informationen für die Gestaltung neuer Lernprozesse zu gewinnen. Vielen Dank Gabriela, für dieses Gespräch.

Interview: Bruno Steurer

Quelle:
Dieses Interview erschien zuerst in dem Sammelband “10 Jahre Learning Innovation Conference – 22 Interviews”. Hrsg. von Alexander Petsch und Dr. Daniel Stoller Schai, HRM Research Institute 2019.

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