Auf dem Youtube-Kanal von dm Österreich sieht man seit Kurzem eine Reihe von Videoclips, in denen Jugendliche ausgelassen miteinander tanzen, sich die Arme um die Schultern legen und die Haare fröhlich durch die Luft schwenken. „Wir haben Spaß und mögen uns gern“, lautet die Botschaft, die da herüberkommt. Die Videos – übrigens mit realen Lehrlingen des Unternehmens – sind Teil der aktuellen Kampagne #herzundkopf, mit der dm Österreich um Nachwuchs wirbt. Dabei ist der Name Programm. Denn die Kampagne soll Jugendliche nicht nur mit Argumenten überzeugen, sondern auch emotional packen. Dafür haben sich Petra Mathi-Kogelnik und ihr Team etwas Neues einfallen lassen. „Wir gehen mit unseren mobilen Ständen auf Tour und versuchen, die Jugendlichen bei öffentlichen 

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Foto von Christina @ wocintechchat.com

Veranstaltungen wie Konzerten oder Kino-Events zu erreichen“, erzählt die Verantwortliche des Ressorts Mitarbeiter. Nicht nur bei den üblichen Karriere- und Lehrlingsmessen will das Unternehmen präsent sein, sondern genau da, wo junge Leute zusammenkommen und sich amüsieren.

dm Österreich:
Individualität und Vielfalt

Zusätzlich zur „#herzundkopf Tour“ bedient dm mit der neuen Kampagne die gesamte Klaviatur des Arbeitgebermarketings. Neben Anzeigen in Printmedien (um die Eltern zu erreichen) spricht die Drogeriemarktkette potenzielle Lehrlinge über Plakate in den Filialen und natürlich mit Postings in Social Media wie Facebook, Instagram, Google+, Spotify und eben Youtube an.

Auffällig sind die verschiedenen Lehrlingstypen, die sich in der Kampagne wiederfinden. „Ein Friseurlehrling tickt eben anders als ein Drogist“, erklärt Mathi-Kogelnik. „Friseure sind extrem kommunikative, kreative und manchmal ein bisschen verrückte Typen. Die Drogisten sind sehr strukturiert und kaufmännisch unterwegs, aber auch an Natur und Kräutern interessiert“, so die Verantwortliche des Ressorts Mitarbeiter. „Die Kosmetiker dagegen sind ruhiger und introvertierter. Sie arbeiten den ganzen Tag allein mit den Kunden, sind gründlich, ordentlich – und immer perfekt zurechtgemacht“. Diese verschiedenen Typen – auch Personas genannt – will das Unternehmen über seine Kampagne individuell ansprechen – und zudem betonen, dass Vielfalt und Individualität im Unternehmen generell geschätzt sind.

Personas sind fiktive Repräsentanten einer bestimmten Zielgruppe, die im Marketing zum Einsatz kommen, um zum Beispiel Kundengruppen genauer zu beschreiben. Um Personas zu entwickeln, untersuchen die Marketingverantwortlichen, welche Eigenschaften und Merkmale die Zielgruppe im Durchschnitt/typischerweise mitbringt. Welche Ausbildung hat die Persona? Wo und wie lebt sie? Welche Hobbys hat sie? Was macht sie in ihrer Freizeit? Was sind ihre Ziele? Fragen wie diese helfen dabei, eine Persona – also ein Bild der Zielgruppe – zu entwickeln.

So lebt die dm-Kampagne von den Bildern der Lehrlinge, die für den jeweiligen Typus ihrer Berufsgruppe stehen sollen. Wer auf der Karriereseite des Unternehmens Informationen über die verschiedenen Lehrberufe sucht, findet dort zum Beispiel Bilder von angehenden Drogistinnen vor einem sanften, grünen Hintergrund mit Kräutern und Pflanzen, während sich die Friseure bunt und witzig präsentieren.

Jugendforscher Heinzlmaier:
Typologie der Lehrlinge

Beraten ließ sich dm von dem Wiener Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier, der im vergangenen Mai 500 österreichische Lehrlinge in einer repräsentativen Studie zu Familienbild, Geschlechterverständnis und Freizeitverhalten befragt hat. Dabei analysierte er auch, wie sich Lehrlinge aus verschiedenen Ausbildungsbranchen bezogen auf Werte und Lebensstil unterscheiden. „Das Faszinierende ist, dass es gravierende Unterschiede gibt“, erzählt Heinzlmaier. Da sei zum Beispiel der Industrielehrling, ein „adaptiv-pragmatischer“, anpassungsorientierter, bürgerlicher und familienorientierter Mensch, der auf Eigentum ausgerichtet sei. „Er erträumt sich ein Haus und ein stabiles, sicheres Leben, will früh eine Partnerschaft eingehen und Kinder haben“, so Heinzlmaier. Das genaue Gegenbild dazu sei der Lehrling der Gastronomie. „Das sind Abenteurer“, so der Jugendforscher. „Sie wollen die Welt kennenlernen, häufig den Arbeitsplatz wechseln und träumen davon, einmal auf einem Schiff zu arbeiten. Die schieben die Familiengründung auf, wollen bis 30 herumnomadisieren und sich dann eventuell niederlassen.“


Unternehmen seien gut beraten, diese Unterschiede in ihrer Lehrlingsansprache zu berücksichtigen. „Wenn Sie dem Industrielehrling zum Beispiel im Vorstellungsgespräch sagen, dass er in Ihrem Unternehmen die Möglichkeit hat, ein Jahr nach Kuala Lumpur zu gehen, lösen sie bei dem einen Schock aus. Der will das nicht“, betont Heinzlmaier. „Hingegen findet der Lehrling der Gastronomie das total super“.

Im Handel, wo 70 Prozent der Lehrlinge weiblich seien – und tendenziell traditionelle Vorstellungen von ihrer Zukunft hätten, sei wiederum eine andere Ansprache erforderlich. „Sie wollen sich im Betrieb geborgen und angenommen fühlen, haben also auf der psychologischen Ebene große Anforderungen“, so der Forscher. „Außerdem sind ihnen Körper, Gesundheit und Ernährung wichtig – also eine komplett andere Ausrichtung“.

Lidl Österreich:
Eigenverantwortung stärken

Auch Lidl Österreich arbeitet im Recruiting – nicht nur der Lehrlinge – mit Personas. „Auf sie stimmen wir zum Beispiel die Bildsprache und die Schriftarten unserer Werbekampagnen ab“, erklärt Personalchef Christian Putz. „Wir überlegen uns vorher genau, wer der ideale Typ für eine Position ist, welche Eigenschaften er oder sie mitbringt und wie er sich in bestimmten Situationen verhält“. Wer sich die Bilder und das Video auf www.lidl.at/lehre anschaut, sieht, dass der Lebensmitteldiscounter deutlich andere Typen anspricht als dm Österreich. Während bei dm Selbstverwirklichung und persönliche Entwicklung im Vordergrund stehen, adressiert Lidl Themen wie Sicherheit, Vergütung, Eigenverantwortung und Aufstiegsmöglichkeiten.

Das Unternehmen, das 2016 von dem Great Place to Work Institut als „Great Place to Start“ ausgezeichnet wurde, bildet seine Lehrlinge mit dem erklärten Ziel aus, sie später als Filialleiterinnen und -leiter einsetzen zu können. Eigenverantwortung spielt dabei eine wichtige Rolle. Daher übernehmen die Lehrlinge alle zwei Jahre für eine Woche rund fünf Lidl-Filialen, um sie in Eigenregie zu führen. Das Projekt „Lehrlinge on Tour“ fand zuletzt 2015 in Wien statt. „Wir haben die damals 100 Lehrlinge auf fünf Filialen aufgeteilt und das Stammpersonal für eine Woche beurlaubt beziehungsweise auf andere Filialen verteilt“, berichtet Putz. „Die Lehrlinge haben dann das komplette Tagesgeschäft erledigt – vom Aufsperren, Kundenbetreuen, Warenbefüllen und Disponieren bis zum Abrechnen“, so der Personalchef. Jugendliche aus dem letzten Lehrjahr schlüpfen in dieser Woche in die Rolle der Filialleiter. Für Notfälle stünden die Ausbildner natürlich im Hintergrund als Ansprechpartner bereit, sagt Putz. Für die persönliche Entwicklung der Lehrlinge sei Lehrlinge on Tour sehr wichtig, betont der Personalchef. „Sie lernen, was es bedeutet, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Die Selbstkompetenzen wachsen enorm in dieser Woche“.

Werteverschiebung bei den Lehrlingen

Nicht jeder Jugendliche will und kann diese Verantwortung tragen. Daher ist eine zielgerichtete Ansprache im Lehrlingsrecruiting so wichtig. Jenseits der Typologien beobachtet Jugendforscher Heinzlmaier aber auch, dass sich die Werte und Wünsche der Lehrlinge im Lauf der Jahrzehnte verändert haben. Während Jugendliche in den 1980er- und 1990er-Jahren noch vom Paradigma der Selbstverwirklichung angetrieben worden seien, legten sie heute bei der Wahl des Lehrbetriebes vor allem Wert auf die Höhe der Lehrlingsentschädigung und die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Grund hierfür sei der kompetitive Arbeitsmarkt. „Die jungen Leute suchen Stabilität, sie suchen Firmen, die angesehen sind, auf die man sich verlassen kann“. Bekannte Marken hätten daher automatisch einen Wettbewerbsvorsprung.

Wer weder mit einer bekannten Marke noch mit Sicherheit und Vergütung punkten könne, habe es daher schwer im Lehrlingsrecruiting. „Wir sehen das beispielsweise in der Gastronomie, die irrsinnig Probleme hat, gute Lehrlinge zu bekommen“, so der Forscher. „Der Grund dafür ist, dass sie einen schlechten Ruf als Arbeitgeber genießt, weil die Arbeitszeiten meist nicht gerade familien- und freizeitfreundlich sind“. Betriebe aus weniger gefragten Branchen, die Nachwuchs für sich gewinnen wollten, müssen daher ihre Arbeitsbedingungen verbessern, stärker auf die Mitarbeiter eingehen und an der Lohnschraube drehen. Denn Kommunikation alleine ist eben nicht alles.


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Quelle: personal manager – Zeitschrift für Human Resources | Ausgabe 1 Jänner/ Februar 2017