Problempunkt
Die Parteien stritten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Verdachtskündigung. Der Kläger war seit 1990 bei der beklagten Stadt beschäftigt. Am 12.10.2005 teilte die Kriminalpolizei der Stadt mit, dass eine Bürgerin Strafanzeige gegen unbekannt wegen exhibitionistischer Handlungen in ihren Räumlichkeiten gestellt hat. Die Frau habe mehrfach beobachtet, wie sich ein Mann in der zweiten Etage des Rathauses entblößte und seine Genitalien zeigte. Am 14.10.2005 ertappte die Kriminalpolizei dann den Kläger „auf frischer Tat“ und setzte die Beklagte am 17.10.2005 hierüber in Kenntnis. Diese hörte den Mitarbeiter in einem Personalgespräch am 14.11.2005 zu den Vorwürfen an und suspendierte ihn. Am 30.11.2005 informierte die Staatsanwaltschaft die Beklagte, dass sie Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gegen den Kläger gestellt hat. Daraufhin hörte die Stadt den Personalrat ordnungsgemäß an und kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger durch Schreiben vom 8.12.2005 fristlos.

Der Kläger stritt die Kündigungsgründe im Rahmen der Kündigungsschutzklage ab. Er machte ferner geltend, die Beklagte habe die Ausschlussfrist des § 626 Abs.2 BGB nicht eingehalten. Es sei nicht erforderlich gewesen, bis zum Erlass des Strafbefehls abzuwarten.
Hiergegen wandte die Beklagte ein, der dringende Tatverdacht sei erst entstanden, nachdem die Staatsanwaltschaft ihr den Antrag auf Erlass des Strafbefehls mitgeteilt hatte.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das LAG erachtete in der Berufung die Kündigung wegen Nichteinhaltung der Frist nach § 626 Abs.2 BGB für unwirksam.
Entscheidung
Das BAG sah die Revision als begründet an, da die Beklagte die Frist des § 626 Abs.2 BGB eingehalten hatte. Auch wenn sich der Arbeitgeber am Fortgang eines Strafverfahrens orientiert, kann er nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt kündigen. Er benötigt einen sachlichen Grund für den gewählten Zeitpunkt, um die Frist des § 626 Abs.2 BGB einzuhalten. Dieser ist jedoch nicht objektiv und genau bestimmbar. Vielmehr ist die Verdachtskündigung dadurch gekennzeichnet, dass das wahre Geschehen für den Arbeitgeber im Verborgenen liegt. Der anfänglich vage Verdacht lässt sich allerdings oft nicht kontinuierlich durch neue Erkenntnisse bestätigen. Häufig kommt es zu Rückschlägen und Stillstand. Dann wiederum erhöhen plötzlich neue Ereignisse die Gewissheit, dass der Arbeitnehmer die Pflichtverletzung doch begangen hat. Führen sie dazu, dass es dem Arbeitgeber unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, darf er außerordentlich kündigen. Eine solche Wirkung kann auch die Erhebung der öffentlichen Klage bzw. der Erlass eines Strafbefehls haben. Damit gibt es während der Aufklärungsphase u. U. nicht nur einen, sondern mehrere Zeitpunkte, in denen der Verdacht „dringend“ genug ist, um eine Verdachtskündigung auf ihn zu stützen. Das Gericht gestand der Beklagten daher einen gewissen Beurteilungsspielraum zu.
Konsequenzen
Das BAG bestätigte zunächst seine Rechtsprechung, wonach sich der Arbeitgeber bei der Verdachtskündigung an einem laufenden Strafverfahren orientieren kann. Neu ist die Feststellung, dass es hierbei keinen festen Zeitpunkt gibt, zu dem die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt. Das LAG war noch der Auffassung, es gebe stets zwei objektiv genau bestimmbare Zeitpunkte für den Fristbeginn: einen für die Verdachtskündigung und einen weiteren für die Tatkündigung. Versäumt das Unternehmen den ersten, könne er nur noch nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens eine Tatkündigung aussprechen, so das LAG.
Diese Sichtweise hat das BAG jetzt verworfen. Der Arbeitgeber kann auch noch nach Abschluss eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens eine Verdachtskündigung aussprechen, wenn die Pflichtverletzung zwar nicht nachgewiesen ist, es ihm aber allein aufgrund dieses Verdachts nicht zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.
In einem weiteren Urteil vom 5.6.2008 (2 AZR 25/07) äußerte sich das BAG ebenfalls zur Kündigungsfrist bei einer Verdachtskündigung. Macht der Arbeitgeber die Kündigung u. a. davon abhängig, dass der Mitarbeiter rechtskräftig verurteilt wird, beginnt die Frist des § 626 Abs. 2 BGB erst zu laufen, wenn er sichere Kenntnis von der Rechtskraft hat. Dabei ist er nicht verpflichtet, sich bei der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht nach dem Stand des Verfahrens zu erkundigen. Vielmehr reicht es aus, wenn er ihre offizielle Mitteilung abwartet.
Praxistipp
Für den Arbeitgeber bedeutet dies, er ist nicht gezwungen, voreilig eine Kündigung auszusprechen, sobald er von den ersten Verdachtsmomenten einer strafbaren Handlung des Arbeitnehmers Kenntnis erlangt. Läuft ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Mitarbeiter, empfiehlt es sich u. U. sogar, zunächst dessen Ergebnis abzuwarten. So gewinnt das Unternehmen möglicherweise wichtige Erkenntnisse, um die Kündigung besser begründen zu können und muss nicht eigene aufwändige Nachforschungen anstellen.
Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht - Personal-Profi - 8/09