BAG, Urteil vom 17.01.2008, 2 AZR 536/06

four men looking to the paper on table
Foto von Sebastian Herrmann

Im konkreten Fall hatte eine seit 1995 in einem Versandkaufhaus beschäftigte Mitarbeiterin beim Versand von Päckchen an Kunden etwa dreimal so viele Fehler gemacht wie der Durchschnitt aller Arbeitnehmer - beispielsweise durch Kundenverwechslungen, fehlende oder falsche Teile. Zwei vom Arbeitgeber ausgesprochene Abmahnungen und auch weitere Versuche, die Fehlerquote zu senken, blieben erfolglos. Deshalb kündigte der Arbeitgeber schlussendlich fristgerecht wegen qualitativer Minderleistung das Arbeitsverhältnis. Im anschließenden Kündigungsschutzverfahren argumentierte der Arbeitgeber, er erleide bei den Kunden einen erheblichen Imageverlust. Außerdem entstünden dem Unternehmen erhebliche Kosten, um die Fehler wieder zu beheben: Der Arbeitgeber erhalte beispielsweise viele Pakete zurück und müsse sie neu versenden sowie Kundenverluste ausgleichen. Die Arbeitnehmerin war dagegen der Auffassung, dass ihre absolute Fehlerquote so gering sei, dass dies die Kündigung nicht rechtfertige. Auf einen Vergleich mit den Fehlerquoten anderer Arbeitnehmer, so entgegnete sie, dürfe es nicht ankommen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hatten zunächst zugunsten der Arbeitnehmerin entschieden. Die zuständigen Richter waren der Meinung, dass das Dreifache der durchschnittlichen Fehlerquote schon an sich nicht ausreiche, eine Kündigung zu rechtfertigen, da in diesem Fall soziale Aspekte stärker ins Gewicht fielen.

Das Bundesarbeitsgericht sah das anders: Der Arbeitgeber kann sehr wohl aus verhaltensbedingten Gründen eine wirksame Kündigung aussprechen, wenn Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum eine qualitativ erheblich unterdurchschnittliche Leistung erbringen. Hat der Mitarbeiter jedoch hierfür Gründe vorgebracht, die er nicht beeinflussen kann, fehlen die notwenigen Voraussetzungen für eine Kündigung. Der Arbeitnehmer verstößt beispielsweise nicht gegen seinen Arbeitsvertrag, wenn seine Aufgaben besonders kompliziert waren, es Materialstockungen gab oder er schwerbehindert ist. Wenn der Arbeitnehmer dagegen keine solchen Entschuldigungsgründe vorbringt, spricht das Dreifache der üblichen Fehlerquote für eine schuldhafte Vertragsverletzung, die auch - nach entsprechender vorangegangener Abmahnung - eine Kündigung rechtfertigt.

Damit lässt das Bundesarbeitsgericht die Kündigung von leistungsschwachen Mitarbeitern allein aufgrund der Leistungsschwäche unter bestimmten Umständen zu, wenngleich die Hürden hier sehr hoch gelegt sind:

Zum einen muss der Arbeitgeber zunächst grundsätzlich nachweisen, dass der Arbeitnehmer vertragswidrig handelt. Festzustellen ist dabei, was die Vertragspflichten des Arbeitnehmers hinsichtlich der Leistung sind. Eine einheitliche Leistungsverpflichtung gibt es nicht. Die Leistungspflicht des Arbeitnehmers lässt sich auf einen sicherlich nicht in allen Fällen juristisch einwandfreien, aber dafür in der Praxis handhabbaren und prägnanten Satz zusammenfassen: „Der Arbeitnehmer muss tun, was der Arbeitsgeber sagt, und zwar so gut, wie er es kann.“

Es kommt somit zum anderen auf die individuelle Leistungsfähigkeit und nicht auf Durchschnittsleistungen an, wenn es um die Frage geht, ob auch eine Pflichtverletzung vorliegt. Das Bundesarbeitsgericht spricht in der aktuellen Entscheidung davon, dass der Arbeitnehmer seiner Vertragspflicht dann genügt, wenn er „unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeitet“ - zumindest solange es keine anderweitigen Vereinbarungen gibt.

Fazit:

Eine vertragsgemäße Leistung kann daher auch dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer schlechter als der Durchschnitt vergleichbarer Arbeitnehmer arbeitet oder eine durchschnittliche Fehlerhäufigkeit, bezogen auf alle Arbeitnehmer, überschreitet. Dies gilt zum Beispiel bei älteren Arbeitnehmern oder Schwerbehinderten.

Überschreitet ein Mitarbeiter allerdings die durchschnittliche Fehlerquote längerfristig und deutlich, so kann das ein klares Indiz dafür sein, dass der Arbeitnehmer schuldhaft nicht seinen vertraglichen Pflichten nachkommt. Entscheidend ist dabei die tatsächliche Fehlerzahl, die Art und Schwere der Fehler sowie deren Folgen für den Arbeitgeber.

Weitere Informationen: www.edk.de


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