Das Krankenhaus – ein Unternehmen der Vinzenz Gruppe – beschäftigt verschiedene Berufsgruppen, darunter 150 Ärzte, 270 Pflegekräfte, 70 Medizintechniker, 130 Verwaltungsmitarbeiter sowie etwa 80 Kräfte in Küche, Reinigungsbereich und Haustechnik. Die Mitarbeiter sind um das Wohl der Patienten bemüht, aber viele haben selbst gesundheitliche Probleme. Einseitige körperliche Belastungen und falsche Bewegungsabläufe führen häufig zu Beschwerden wie Verspannungen im Nacken oder Rückenschmerzen. Zeitdruck und emotionale Belastungen verursachen Beschwerden wie Einschlaf- und Durchschlafschwierigkeiten, Kopfschmerzen, Gereiztheit, innerer Unruhe oder Erschöpfung.

people meeting in room
Foto von Antenna

Der Weg zur gesunden Organisation

Als wir begannen, uns mit diesem Thema auseinanderzusetzen, war schnell klar, dass wir an den zwei Säulen des betrieblichen Gesundheitsmanagements ansetzen müssen:

am individuellen Verhalten der Mitarbeiter (z. B. Bewegung, Erholung, seelische Gesundheit oder Nichtrauchen am Arbeitsplatz) sowie
an den Verhältnissen im Betrieb (z. B. Gestaltung der Arbeitszeiten, Arbeits-organisation, Betriebsklima, Vereinbarkeit von Beruf und Familie).

Verhältnisorientierte Veränderungen haben eine „gesunde Organisation“ zum Ziel, verhaltensorientierte zielen auf „gesunde Menschen“ ab (Abbildung 1, S. 30). Beide Elemente der Gesundheitsförderung beeinflussen sich jedoch auch gegenseitig. So haben verhaltensorientierte Angebote wie Rückenkurse oder Ernährungsberatungen langfristig keine Wirkung, wenn die Verhältnisse (z. B. Zeitdruck oder Dienstplanunsicherheiten) unverändert bleiben und die Beschäftigten belasten.

Wir wollen die Mitarbeiter als Menschen wahrnehmen, nicht nur als Dienstnehmer mit Aufgaben und Zielen. Dazu gehört, dass wir sie in schwierigen Situationen unterstützen, indem wir beispielsweise Supervision oder Coaching anbieten oder Psychologen für akute Krisensituationen zur Verfügung stehen. Dazu gehört aber auch, die Qualität der Führung hoch zu halten. Neue Führungskräfte machen wir in einem umfassenden Einschulungsprogramm mit unserem Verständnis der werteorientierten Führung vertraut. Für bestehende Führungskräfte gibt es unterschiedliche Fortbildungsangebote zu aktuellen Leadershipthemen.

Führung hat einen großen Einfluss auf die physische und psychische Gesundheit der Mitarbeiter. Führungskräfte haben eine wichtige Vorbildfunktion. Sie können die Mitarbeiter ermuntern, Angebote der Gesundheitsförderung wahrzunehmen – und sie können durch ihr Verständnis und ihre Unterstützung positiv auf deren Wohlbefinden einwirken.

Auch das Betriebsklima kann sich positiv oder negativ auf die Gesundheit auswirken. Daher versuchen wir, dieses zu fördern – zum Beispiel durch Weihnachtsfeiern, Maibaum- oder Jubiläumsfeste, unsere Spring Party oder die Verabschiedungsfeiern von Mitarbeitern, die in Pension gehen.

Gesunde Menschen durch fitkhgh

Zusätzlich zu diesen verhältnisorientierten Aktivitäten starteten wir im Jahr 2008 das fitkhgh-Programm. Ziel des Bewegungs- und Entspannungsprogramms war und ist neben der Gesundheitsförderung auch die Risikoprävention am Arbeitsplatz. Das Programm beinhaltet verschiedene Kurse, die teilweise über einen Zeitraum von sechs bis zehn Wochen laufen, teilweise aber auch zeitlich unbegrenzt einmal in der Woche stattfinden. Prinzipiell können die Mitarbeiter jede Woche ein Angebot wahrnehmen, darunter:

Yoga

Qi Gong

Pilates

Gesunde Küche im Alltag (Kochworkshop)

Schwimmen

Zirkeltraining

Schigymnastik

Lauftraining

Faszienfitness (Aktivierung des muskulären Bindegewebes)

Stressbewältigung

Entspannungstechniken

In den Seminaren zur Stressbewältigung lernen die Mitarbeiter, wie sie nicht nur vor oder nach der Arbeit, sondern auch währenddessen Anspannungen reduzieren können. Der Fokus der Bewegungsangebote liegt nicht auf der sportlichen Leistung, sondern diese bieten die Möglichkeit, nach oder vor der Arbeit verschiedene Sportarten auszuprobieren. Die Teilnehmerzahl pro Kurs ist begrenzt, wir vergeben sie nach dem „first come, first serve“- Prinzip.

 

Dass die Kurse wirken, zeigt sich am Rückgang der Notfallbehandlungen: Wenn sie akute Schmerzen haben, nehmen die Mitarbeiter die Notfallbehandlung der Abteilung für physikalische Therapie in Anspruch. Die Fachärzte dieser Abteilung entwickeln dann individuelle Therapievorschläge wie Massage, Heilgymnastik oder Mooranwendungen. Im Schnitt nahmen zwischen 2011 und 2014 jedes Jahr in etwa 110 Personen Notfallbehandlungen in Anspruch. Diese sind bewusst auf drei Einheiten begrenzt und stellen keine nachhaltige Therapie dar. Im Sinne der Salutogenese (siehe unten) setzen wir stattdessen auf Gesundheitsprävention. Mit fitkhgh ließ sich die Zahl der Akutbehandlungen etwas senken und durch einen niederschwelligen Zugang zu Bewegungsangeboten die Gesundheitskompetenz der Mitarbeiter stärken.

Gesundheitsfördernde Verhältnisse

Die Gestaltung der Arbeitszeit trägt maßgeblich zur Gesundheitsförderung bei. Im Krankenhaus unterliegt die Arbeitszeit der Beschäftigten besonderen Bedingungen, da wir die Versorgung der Patienten an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr sicherstellen müssen. Im Krankenhaus Göttlicher Heiland ist dennoch grundsätzlich jede Form der Arbeitszeit möglich – von sechs Stunden pro Woche bis zur Vollzeit. Einige Mitarbeiter übernehmen Nacht- oder Wochenenddienste, andere nicht. Im Verwaltungsbereich gibt es Gleitzeit.

Bezogen auf die Nachtdienste sind die Bedürfnisse und Erwartungen der Mitarbeiter sehr unterschiedlich. Die einen sehen sich schon durch seltene Nachtdiensteinsätze in der Haushalts- und Familienorganisation vor Probleme gestellt, andere suchen Dauernachtarbeit.

Wir bemühen uns darum, Wechsel von Voll- auf Teilzeit und umgekehrt, höhere oder niedrigere Wochenarbeitszeiten oder andere Arbeitszeitmodelle bei gleicher Wochenarbeitszeit unkompliziert zu handhaben. Auch die Mitnahme von Zeitguthaben gestalten wir weitestgehend nach den Wünschen der Mitarbeiter. Eine Planung der Dienstzeiten mit ausreichend Vorlauf und der Möglichkeit, individuelle Wünsche zu berücksichtigen, ist bereits gelebte Praxis.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass Mitarbeiter ihre Arbeitszeitbedingungen als „familiengerecht“ beurteilen, wenn diese zu ihrer aktuellen Lebenssituation passen, wenn sie die alltäglichen Abläufe stabil organisieren können und das Krankenhaus ihnen die Möglichkeit gibt, bei den Besetzungsanforderungen und der Dienstplanung mitzureden.

Bewegung direkt am Arbeitsplatz

Im nächsten Schritt dehnten wir „Rücken Fit am Arbeitsplatz“ auf das ganze Krankenhaus aus. Nach Vereinbarung mit der Trainerin, einer Physiotherapeutin, können Mitarbeiter eine 15 Minuten lange „Turneinheit“ anfordern, die den bereichsspezifischen Bedürfnissen angepasst ist. Die Mitarbeiter bestimmen in Absprache mit den Physiotherapeuten selbst Ort und Zeitpunkt für „Rücken Fit“. Sogar im Bürosessel sind Lockerungs- und Bewegungsübungen möglich.


Die Turneinheit zielt darauf ab, die eigene Haltung bewusst zu erleben und zu spüren, wann es notwendig ist, diese zu verändern. Außerdem soll die Bewegung die Wirbelsäule unterstützen. „Rücken Fit“ ist interdisziplinär, Mitarbeiter unterschiedlicher Berufsgruppen können gemeinsam in Gruppen von rund zehn Personen trainieren. Zu Beginn des Programms lernen sie Basisübungen, später nutzen sie verschiedene Geräte wie Bälle oder Therabänder. Je nach Arbeitsplatz passt die Physiotherapeutin die Übungen an. Denn die Mitarbeiter im Sekretariat benötigen andere Übungen als Ärzte und Pflegekräfte.


Bereits nach einer kurzen Laufzeit konnten wir positive Entwicklungen feststellen. Mittlerweile finden auf fast allen Abteilungen im Krankenhaus einmal pro Woche Rücken-Fit-Einheiten statt, an denen wöchentlich rund 60 Mitarbeiter teilnehmen. Die Motivation der Beschäftigten, etwas für die eigene Gesundheit zu tun, ist durch das Angebot deutlich gestiegen. Derzeit läuft ein Evaluierungsprogramm, das sich mit der Weiterentwicklung des Kurses „Rücken Fit am Arbeitsplatz“ beschäftigt. Wir prüfen, ob wir auch andere Bewegungsangebote direkt am Arbeitsplatz umsetzen.

Fazit

Die demografische Entwicklung und das steigende Gesundheitsbewusstsein der Menschen erhöhen den Stellenwert der Prävention. Denn viele Erkrankungen sind auf ein fehlendes Gesundheitsbewusstsein und auf die Addition von Stressfaktoren zurückzuführen. Die Mitarbeiter sind selbst gefragt, auf ihre Gesundheit zu achten. Doch die betriebliche Gesundheitsförderung kann sie dabei unterstützen.


Von der Pathogenese zur Salutogenese

 

In der Vergangenheit beherrschte die Pathogenese – die Lehre von der Entstehung von Krankheiten – die Medizin. Heute rücken verstärkt Ansätze der Salutogenese in den Fokus, die der Frage nachgehen, was einen Menschen gesund erhält oder wie Gesundheit entsteht (Melchart/Grönwald 2015). Auf den ersten Blick könnte man meinen, es gehe hier um den Austausch zweier Fachwörter oder um eine Wortspielerei. Doch die Unterscheidung hat enorme Auswirkungen auf die Verantwortung des Einzelnen für seine Gesundheit. Früher hatten Ärzte die alleinige Definitionsmacht für Krankheiten – sie diagnostizierten, bestimmten Behandlungen und führten diese durch. Die Salutogenese erkennt viele Einflussfaktoren, die das Individuum selbst beeinflussen oder verändern kann. Das heißt, Menschen können selbst einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Gesundheit leisten.

 

Ein weiterer gravierender Unterschied in den Modellen besteht im Umgang mit Einschränkungen, die durch Krankheiten oder Überbeanspruchung entstehen. In der Pathogenese überwiegt eine Defizitsicht. Wenn eine Heilung nicht möglich ist, definiert sie eine Einschränkung oder gar Behinderung. Die Salutogenese sucht nach Ressourcen, die vorhanden sind oder die gezielt aufgebaut werden können, um ein Defizit auszugleichen.


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Quelle: personal manager – Zeitschrift für Human Resources | Ausgabe 5  September/ Oktober 2016.

Spezielle Bedingungen im Krankenhaus

Aufgrund der unterschiedlichen Dienstzeitmodelle des Krankenhausbetriebes war es zunächst nicht einfach, geregelte Kurszeiten anzubieten, die in jeder Woche für alle Interessierten erreichbar sind. Obwohl die Kurse immer wieder adaptiert und an die Bedürfnisse der Mitarbeiter angepasst werden, blieb die Zahl der Teilnehmer zeitweise unter den Erwartungen. Manchmal waren die Kurse zwar ausgebucht, manchmal nutzten aber auch nur drei Mitarbeiter ein Angebot. Die Trainer hörten oft Sätze wie: „Heute hab ich für Bewegung keine Zeit“ oder „Wenn‘s nur zu einem anderen Zeitpunkt wäre“.

Deshalb wählten wir einen anderen Ansatz: Die Bewegung kommt nun direkt zu den Mitarbeitern an den Arbeitsplatz. Mit diesem Konzept starteten wir im Jahr 2013 in der Küche, da das Team seinen Arbeitsplatz aus hygienischen Gründen nicht für eine Bewegungseinheit verlassen konnte. Die Physiotherapie kam in die Küche, um mit den Mitarbeitenden vor allem Lockerungsübungen des Schultergürtels zu üben. Anfänglich begegneten die Mitarbeiter der wöchentlichen Turneinheit mit Skepsis und Zurückhaltung, aber langsam entwickelte sich daraus eine willkommene Abwechslung, die auch gleichzeitig gut für den Körper war.