Eine einzige Geste führt zu einer Entlassung?
Ein Missverständnis, nichts weiter. Die abwinkende Geste war Resultat eines inneren privaten Gedankengangs eines Mitarbeiters und richtete sich gar nicht gegen seinen Chef. Doch der interpretiert die Handbewegung anders. Dies ist nur das Tüpfelchen auf dem „Missverständnis-i“ zwischen den beiden. Hauptsächlich durch Zeitnot kam es im Vorfeld immer wieder zu unklaren Anordnungen und durch mangelndes Nachfragen und unterschiedlicher Werte zu Fehlinterpretationen. Jetzt ist das Fass voll. Eine Spirale negativer Erwartungen und „Hellhörigkeit“ auf das Problem hin setzt ein – und führt letztendlich zu einer Entlassung.
Trotz allen guten Willens – Sprachgewalt kann verletzen
Marshall B. Rosenberg hat schon Anfang der 60ger Jahre das Konzept der „Gewaltfreien Kommunikation“ entwickelt. Er erkannte, dass die meisten Menschen grundsätzlich kooperieren wollen – aber Sprache, Erziehung, innere Haltung und äußere Zwänge häufig zu einem Kommunikationsstil beitragen, der durch Schuldzuweisungen, Verallgemeinerungen, Beleidigungen, Kritik, Vergleiche und Abwertungen gekennzeichnet ist. Schon ein „Klassiker“: In dem Wort „Ratschlag“ steckt auch ein „Schlag“. Jemanden „einen Rat geben“– klingt schon freundlicher. Ein weiterer Fortschritt ist es dann, zu erkennen, dass man oft selber schon gleiche „Fehler“ begangen hat, und vielleicht aus eigener Erfahrung heraus Tipps geben kann, oder diese Erfahrungen schildern kann – aber in den seltensten Fällen in der Lage und im Recht ist, immer einen Rat parat zu halten.
Das moralische Urteil über den Anderen
Rosenberg stellte fest, dass wir häufig aus einer Sprache der Herabsetzung und Macht heraus „moralische Urteile“ über andere Menschen fällen und diese damit automatisch in eine Defensive drängen würden. Was dabei vergessen würde: Letztendlich ginge es allen Beteiligten darum, „wahrgenommen“, „angenommen“, „wertgeschätzt“ und „anerkannt“ zu werden. Fühle sich jemand in diesen Bedürfnissen verletzt, sei er nicht mehr für Argumente zugänglich, ziehe sich zurück oder trete „die Flucht nach vorne“ an, z.B. indem er dann – auch wieder mit Worten – austeilen und seinerseits verletzen würde. Da diese Verkettung aus „gewalttätigem“ Sprachgebrauch – Flucht/Verteidigung/Angriff – neuem gewalttätigen Sprachgebrauch immer wieder zu neuen Verletzungen und Verstrickungen innerhalb eines Konfliktes führen würde, wäre es wichtig, rechtzeitig „schwelende“ Konflikte zu erkennen – und sie möglichst frühzeitig anzusprechen.
Gewaltfrei kommunizieren funktioniert
Das Fatale an Konflikten ist, dass sie nicht von alleine verschwinden. Man muss sie angehen und überwinden. Die Grunderkenntnis: Erst, wenn wir Empathie zeigen und unser Gegenüber diese spürt, sind wir in der Lage, Lösungen zuzulassen und potenziell konflikthafte Gespräche friedlich zu führen.
Was ist aber potenziell konflikthaft? Das sind prinzipiell alle Situationen, in denen unterschiedliche Denk-, Handlungs- und Bewertungsmuster verdeckt und unreflektiert aufeinandertreffen. Unterschiedlichkeit führt automatisch zu einem höheren Spannungszustand – besonders immer dann, wenn die beteiligten Parteien im Grunde voneinander abhängig sind – aber keine echte gemeinsame Basis für eine Problemlösung finden.
Rosenberg identifizierte eine Vielzahl an Regeln, wie Kommunikation gewaltfreier gestaltet werden könnte – eine Reihe davon ist heute fester Bestandteil etablierter Kommunikations-, Coaching- und Therapie-Techniken:
Die einzelnen Klärungsphasen und Gesprächsstufen in einem Setting zur Gewaltfreien Kommunikation:
Kontakt- und Annährungsphase: Gehen Sie das Problem möglichst vor der Eskalation an. Intervenieren Sie frühzeitig, beobachten Sie, hören Sie gut zu, verzichten Sie auf Beurteilungen.
Suchen Sie sich zur Aussprache eine ruhige Umgebung, nehmen Sie sich Zeit – und arrangieren Sie die Aussprache nicht „in der Hitze des Gefechts“. Ein wenig Abstand hilft – zögern Sie aber die Lösung nicht hinaus. Atmosphäre ist Trumpf. Bleiben Sie sachlich.
Aufmerksamkeitsphase: Sie sitzen zusammen – sehr gut. Manchmal hilft es auch, um ein „Verharren auf dem Standpunkt“ zu vermeiden, einen Spaziergang zu machen. Tun Sie, was Ihnen gut tut. Alle Beteiligten sollten das Gespräch wollen und dabei mitwirken wollen. Klären Sie, wie Sie sich das Gespräch vorstellen, wie das Gespräch ablaufen soll, ob es Regeln gibt etc.
Unterredungsphase: Regeln im Gespräch könnten sein: Keiner reagiert direkt auf einen anderen. Jeder hat eigene Redezeit und darf ausreden. Es wird kein direkter Bezug genommen, und es wird nicht über das Gehörte geurteilt. Jeder redet nur in „ich-Botschaften“ und vermeidet Verallgemeinerungen.
1. Jeder schildert die Situation, so wie er sie beobachtet hat. Er sollte versuchen, sie so wertfrei wie möglich zu beschreiben. Z.B. “Die Urlaubsplanung für dieses Jahr ist schon fertig. Man hat mich dazu nicht gefragt. Ich möchte gerne meinen Urlaub eintragen, der Termin ist jedoch schon besetzt.“
2. Dann sagt jeder, was für Gefühle in der Situation ausgelöst wurden und wie er sich jetzt noch fühlt: „Ich bin richtig wütend, aber auch traurig und enttäuscht.“
3. Dann versucht jeder, dem anderen zu beschreiben, welche Bedürfnisse er hat – also was er sich wünscht. Dabei erkennt er – und erkennen die anderen, welche Bedürfnisse hinter den Gefühlen stehen – und wie auch bestimmte Gefühläußerungen andere Bedürfnisse und Gefühle verdecken und „maskieren“ können. „Ich bin wütend, weil ich mich zurückgesetzt und nicht respektiert fühle. Ich habe ein Recht darauf, meinen Urlaub so zu gestalten, wie ich möchte und ihn rechtzeitig in die Planung einzubringen. Ich wirke nach außen nur wütend, aber eigentlich bin ich auch traurig durch diese Missachtung.“
4. Zuletzt formuliert jeder einen bestimmten Wunsch, eine bestimmte Bitte, wie z.B. „ich möchte künftig schon im Vorfeld in die Urlaubsplanung mit einbezogen werden und rechtzeitig über die Pläne und Änderungen informiert werden.“
Beschlussphase: Der Moderator fasst alles Gesagte noch einmal zusammen und vergewissert sich, dass alle die unterschiedlichen Standpunkte und Gefühle der anderen auch wahrgenommen haben. Dann stimmt er mögliche Lösungsansätze mit den Beteiligten ab. Im besten Fall akzeptieren die Beteiligten diese Vorschläge, stehen dahinter – und gehen mit einem erleichterten Gefühl aus dem Gespräch – oder den Gesprächen, denn manchmal brauchen Problemlösungen auch einen etwas längeren Atem. Doch es lohnt sich. Die Praxis zeigt: Erfolgreiche Konfliktlösungen stärken ein Team. Ein weiterer Vorteil: Je öfter man diese Art von Gesprächsstil praktiziert, umso „gewaltärmer“ wird automatisch die Kommunikation – und das wirkt sich auf die Gesprächskultur innerhalb eines Unternehmens aus: eine wichtige Basis auch für Änderungen in der Unternehmenskultur insgesamt.
Anwendungsgebiete für Gewaltfreie Kommunikation in Konflikten
Was bringt uns auf die Palme?
Konfliktpotenzial steckt in einer einzigen Geste – oder nicht abgespülten Tasse. Konfliktpotenzial liegt in unklaren Prämienverteilungen, unvollständigen Aufforderungen und schlecht kommunizierten Urlaubsregelungen. Konfliktpotenzial wird potenziert durch Zeitnot, Unterbrechungen, Unterstellungen, die Liste ist lang – die einzelnen Auslöser für jeden Menschen individuell sehr unterschiedlich. Hier liegen die Ansätze zur Klärung für einen Coach.
Welches sind die häufigsten Konfliktarten?
1.) Beziehungskonflikt. Er beginnt meist sehr harmlos – und eskaliert dann, z.B. indem vordergründig ein Sachkonflikt auf die Person eines Gegenübers – auf die Beziehungsebene gehoben wird. Manchmal beginnt es mit einem Missverständnis, einer kleinen Animosität oder Rivalität, einem kurzen Befremden. Manchmal steckt dahinter auch eine handfeste unterschwellige „Übertragung“: Werturteile, die wir jemandem unterstellen, der aus irgendeinem Grunde jemandem ähnlich erscheint, (und sei es einfach uns selber – oder einer Eigenschaft von uns, die wir unbewusst ablehnen und zur inneren Abwehr jemand anderem unterstellen), oder jemandem, den wir in er Vergangenheit nicht mochten oder mit dem wir mal schlechte Erfahrungen gemacht haben. Oder die Beteiligten haben einfach zu unterschiedliche Temperamente und Reaktionsmuster, Handlungs- und Deutungsmuster und unterschiedliche Prioritäten, Werte und Kommunikationsstile…das führt ohnehin schnell zu den klassischen Kommunikationskonflikten.
2.) Kommunikationskonflikte: Missverständnisse sind alltäglich und per se durch die Unterschiedlichkeit der Menschen normal. Von der Fehlinterpretation von Gestik und Mimik bis hin zu unklaren Begrifflichkeiten, mangelnden Informationen, Fehlinterpretationen und unterschiedlichen Denkkonzepten, ist hier alles möglich. Alle diese sehr alltäglichen Schwierigkeiten werden erst dann zu einem Problem, wenn sie eskaliert werden durch beispielsweise: häufiges Unterbrechen der Rede eines anderen, Besserwisserei, Vergleichen und Unterstellungen, das Vermeiden von Augenkontakt, Verallgemeinerungen und Generalisierungen mit den fatalen Worten „nie“ oder „immer“. Kommunikationskonflikte ziehen Kreise. Von einem internen Konflikt zwischen zwei Personen, bis hinein ins Team und in die ganze Abteilung.
3.) Sachkonflikte. Vordergründig werden die meisten Konflikte als Sachkonflikte bezeichnet. Bei einem Sachkonflikt geht es um „harte“ Fakten, Zahlen, Dinge, die leichter „nüchtern“ betrachtet werden können, und man kann damit auch vermeiden, genau hinzusehen, denn hinter vielen Sachkonflikten können sich Beziehungskonflikte verbergen. Hier kommt es zu unterschiedlichen Meinungen darüber, wie man mit einer Sache verfahren sollte, welche Vorstellung jeder von einer Sache hat, wie man das Problem lösen sollte. Wenn man hier auf der Sachebene bleibt – sich aber klar darüber ist, dass Gefühle und Beziehungen immer „mitspielen“, sind die Chancen für eine gütliche Einigung groß.
4.) Rollenkonflikte: Jede Person vereint eine Vielzahl an Rollen in sich. Praktisch für jede Beziehung – und dann sogar noch einmal für die unterschiedlichen Situationen in einer Beziehung – haben wir unterschiedliche erlernte Rollen, unbewusst wie bewusst, parat. Ein Mitarbeiter verhält sich zum Chef anders als zum HR-Manager, und zu seinem befreundeten Teamkollegen anders als zum Interimskollegen aus der Zeitarbeitsfirma. Manchmal geraten die Rollen durcheinander. Vorsicht ist auch geboten, wenn eine Person zu viele Rollen auf sich vereint. Die wahrgenommene Rolle entscheidet mit darüber, auf welchem „Ohr“ ich die Nachricht meines Gegenübers empfange. Wenn in der kleinen Agentur der Firmeninhaber gleichzeitig ein alter Freund von mir ist, jedoch auch mein Vorgesetzter, mein HR-Ansprechpartner, der aktuelle Projektleiter eines bestimmten Projekts und Pate meines Sohnes, – in welcher Funktion redet er dann gerade mit mir? Konflikte entstehen auch, wenn unterschiedliche Rollenerwartungen aufeinandertreffen. Schwierig wird es auch, wenn andere Personen uns in Rollen sehen, die sich sehr von dem Bild unterscheiden, das wir selber von uns haben. Rollenerwartungen werden in der Regel nicht ausgesprochen und sind häufig unbewusst. Das Gefühl über eine „enttäuschte“ Rollenerwartung ist den Beteiligten jedoch leider nur zu oft bewusst.
5.) Wertekonflikte: Der Chef sagt: „Machen Sie das mal“ – der Mitarbeiter interpretiert das „mal“ als: „wenn Sie Zeit haben“ – der Chef erwartet jedoch, dass es sofort erledigt wird. Ein klassischer Fall von Kommunikationskonflikt – aber auch Wertekonflikt. Eine Klärung erbringt: Der Chef setzt seine Prioritäten immer nach Zeit – der Angestellte erledigt Dinge lieber gründlich und lässt sich dabei Zeit. Der eine Kollege braucht geregelte Arbeitsabläufe, der andere kann von Idee zu Idee springen und kommt mit Unterbrechungen zurecht. Für den einen Mitarbeiter ist sein Schreibtisch Ausdruck eines kreativen Chaos – für den anderen einfach ein Schandfleck. Wertekonflikte bergen Zündstoff, da hier leicht das Nichterfüllen einer persönlichen Wertevorstellung auch dazu führt, dass der Andere moralisch oder ethisch „abgewertet“ wird.
6.) Verteilungskonflikte: Hier geht es bei Vielen ans „Eingemachte“: Anerkennung einer Leistung, gesehen werden, gewürdigt werden, nicht zu kurz kommen – das sind wichtige Bedürfnisse eines jeden Menschen. Die Motive, wie jeder damit umgeht, liegen häufig in der Kindheit. Wenn nun der Firmenwagen dem Kollegen zugesprochen wird – und der neue Büroschrank doch in die andere Abteilung kommt, kochen die Gefühle hoch.
Machtkonflikte: Rivalitäten zwischen Personen sind normal. Wenn sie jedoch beginnen, die Kräfte und Aufmerksamkeit in einem Unternehmen „wie in dem Auge eines Orkans“ zu binden und zu blockieren, ist es höchste Zeit, zu intervenieren. Rivalitäten kosten Zeit und Geld. Leicht ziehen Rivalitäten durch „Parteienbildung“ größere Kreise. Sie treten häufig in besonders hierarchisch angelegten Strukturen auf, in denen der Verteilungskampf um die wenigen lukrativen und imagefördernden Posten tobt – jedoch auch in Arbeitssituationen, in denen Rollen, Verantwortungen und Zuständigkeiten unklar verteilt und kommuniziert werden – ein Umstand, der auch die Entstehung von Mobbing begünstigen kann. Machtkonflikte entstehen auch häufig nach Betriebsveränderungen, Zusammenlegungen von Abteilungen etc., also immer dann, wenn sich Strukturen erst wieder neu bilden müssen.