Der Google-CEO Sundar Pichai hält Künstliche Intelligenz (KI) für ähnlich revolutionär wie die Erfindung des Feuers. Der Launch von ChatGPT hat eine wahre Euphorie entfacht. KI hält mit immer neuen Anwendungen und Weiterentwicklungen Einzug in den Alltag von Menschen und Unternehmen. Auch die HR-Szene verspricht sich einen Schub. Beobachter und Experten erwarten deutliche Verbesserungen in der Personalbeschaffung- und verwaltung. Doch können KI-Tools tatsächlich auch das Recruiting und den gesamten Talent Acquisition Prozess revolutionieren und effizienter und gerechter machen? Die österreichische Recruiting-Expertin Claudia Lorber schreibt in ihrem heutigen Gastbeitrag für das TALENTpro-Magazin: „Es hängt davon ab, wie gut wir mit den Tools umgehen können“. Am 6. November spricht sie eine Keynote auf der TALENTpro Online-Konferenz.

Das Potenzial von Künstlicher Intelligenz (KI) in Bezug auf ein verbessertes und effizienteres Recruiting lässt sich noch gar nicht richtig beurteilen. Allerdings ist die Entwicklung rasant, das zeigt alleine der Vergleich zwischen der Einführung von ChatGPT im November 2022 und was jetzt – nur knapp ein Jahr später – schon alles möglich ist. Ob der Einsatz von KI tatsächlich zu mehr Effizienz verhilft, hängt davon ab, wie gut wir mit den Tools umgehen können.

STRUKTURIERTE DATEN ÜBERNEHMEN – ERLEICHTERUNG FÜR BEWERBER:INNEN
Es gibt mittlerweile einige Bewerbermanagementsysteme, die schon auf KI setzen: Beim Matching von Anforderungen und Qualifikation zum Beispiel – wobei das auch ohne KI relativ gut abbildbar ist. Hilfreich ist vor allem die Übernahme von strukturierten Daten, sowohl für Recruitingverantwortliche, die dann keine Daten mehr im System einpflegen müssen, als auch für Bewerber:innen, die sich das Ausfüllen von Formularen sparen können. Im Folgenden gehe ich auf die Rolle der KI in Bezug auf verschiedene Aspekte des Talent Acquisition Prozesses ein. KI-Tools können hier bislang einen vielversprechenden Beitrag für mehr Effizienz und Gerechtigkeit leisten, stoßen aber teilweise noch an ihre Grenzen.
HILFESTELLUNG BEI TEXTEN – SCHNELLER BESSER SCHREIBEN
Hier können ChatGPT & Co. durchaus Ansätze liefern, auf die man vielleicht selbst noch nicht kommt. Das Formulieren von zielgruppengerechten Texten liegt den meisten Recruiter:innen nicht besonders, da kann KI eine wesentliche Erleichterung im Recruiting-Alltag bedeuten. Ich versuche immer wieder einmal Jobinserate durch KI formulieren zu lassen, aber da KI mit bereits vorhandenen Daten arbeitet, ist die Qualität noch nicht auf dem Niveau, das ich mir vorstelle. Da haben meine Formulierungen derzeit noch die Nase vorn. Als Hilfestellung kann man sie schon einsetzen, Wunder oder völlig neue Ideen darf man sich nicht erwarten.

UNTERSTÜTZUNG BEI DER BEWERBERAUSWAHL – VORSICHT VOR DISKRIMINIERUNG
Es ist eine wesentliche Frage, ob KI das Zeug hat, den Bewerberauswahlprozess zu optimieren und die Qualität der Bewerber zu erhöhen. Es geht aber nicht darum, wie die Algorithmen das können, sondern im ersten Schritt darum, dass wir im Recruiting lernen, was denn tatsächlich die Anforderungen sind und wie man die im Recruitingprozess abfragen bzw. erfahren kann. Das ist Basisarbeit im Recruiting und da kann uns im Moment die KI wohl noch nicht helfen. Diese kann uns auch fundierte Briefinggespräche mit Führungskräften noch nicht abnehmen. Heikel wird es beim Punkt Diskriminierung. KI lernt von den Menschen, die sie trainieren. Da sind erfahrungsgemäß eher wenige Frauen beteiligt, wenige Personen mit Migrationshintergrund oder Behinderung. Woher soll die KI daher wissen, was diskriminierungsfrei bedeutet? Das ist eine große Verantwortung für alle Unternehmen, die KI-Tools entwickeln und ich würde mir wünschen, dass darauf wirklich geachtet wird.
BEWERBERKOMMUNIKATION – KI IST BESSER UND SCHNELLER
Es ist meine große Hoffnung, dass KI die gesamte Candidate Experience verbessern kann. Angefangen beim Stelleninserat, das zielgruppenspezifisch formuliert ist und auf den Kanälen und in der Region ausgespielt wird, wo sich die potenziellen Mitarbeiter:innen aufhalten, bis hin zur einfacheren Terminkoordination. Außerdem besser formulierte Texten in der gesamten Bewerbungskorrespondenz und vor allem schnellere Prozesse: Noch immer erzählen mir Bewerber:innen, dass sich Unternehmen nach einer Bewerbung entweder gar nicht bei ihnen melden oder erst Wochen später. Das sollte mit dem Einsatz von KI dann wirklich der Vergangenheit angehören. Denn im Gegensatz zum Kontakt mit Recruiter:innen ist mit KI basierten Anwendungen oft Kommunikation in Echtzeit möglich und potenzielle neue Mitarbeiter:innen erhalten schnell eine Antwort auf ihre Frage. Auch wenn wir hören, dass Bewerber:innen nicht mit „Robotern“ kommunizieren wollen – in vielen anderen Bereichen unseres Lebens ist das bereits ganz normal und es gibt genügend Menschen, die gar nicht erkennen, dass sie mit einem Chatbot kommunizieren. Künftig wird es wohl auch möglich sein, diese Kommunikation zu personalisieren, nicht nur über Chatbots, sondern zum Beispiel auch via EMail. Microsoft testet hier gerade entsprechende Funktionen für Outlook. Davon erhoffe ich mir einiges an Arbeitserleichterung.
EIGNUNGSDIAGNOSTIK – KI KANN KEINE ETHIK
Hinsichtlich Eignungsdiagnostik und dem Einsatz von KI-Tools habe ich derzeit noch Bedenken. Unternehmen sollten nicht ohne Überprüfung wahllos solche Lösungen im Recruiting nützen. Ich finde Transparenz im Recruitingprozess grundsätzlich wichtig und das muss vor allem bezüglich des Einsatzes von künstlicher Intelligenz unbedingt klar kommuniziert werden. Chatte ich mit einem Menschen oder einem Bot? Mit welchem Tool werden meine Unterlagen analysiert? Welche Tools kommen an welchem Schritt im Prozess zum Einsatz? Unternehmen müssen die Tools unbedingt beim Punkt Diskriminierung testen – da gab es in der Vergangenheit bereits Beispiele, wo Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund ausselektiert worden sind. Die KI kann keine Ethik, das liegt nach wie vor in unserer Verantwortung. Auch hinsichtlich der Privatsphäre und des Datenschutzes gibt es einiges zu beachten. Da wir in Europa beim Datenschutz wesentlich strengere Richtlinien haben als zum Beispiel in den USA werden wir wohl auf einige Tools auch künftig verzichten müssen. Ich bin allerdings keine Juristin und keine Datenschutzexpertin – aus meiner Sicht ist das noch ein Gebiet, wo wir Aufholbedarf haben. Wir wissen ja meist gar nicht, auf welche Daten die diversen Tools eigentlich zugreifen – wie können wir da die Privatsphäre auch weiterhin schützen? Das wüsste ich selbst auch gerne.