Herr Kurz, als Experte für Effizienz im Büro helfen Sie Mitarbeitern ihre Schreibtische aufzuräumen. Waren Sie schon immer ein ordentlicher Mensch?

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Foto von Christin Hume

Meine Tätigkeit hat mit Ordnung erstmal nichts zu tun, sondern ist aus der Organisationsentwicklung entstanden, als ich Geschäftsführer eines metallverarbeitenden Unternehmens mit gut 100 Mitarbeitern war. Wir haben dort zunächst die Kaizen-Philosophie in die Produktion übernommen und beachtliche Erfolge erzielt. Als Verantwortlicher für den kaufmännischen Bereich habe ich das dann gemeinsam mit den Mitarbeitern auf die Verwaltung übertragen.

Sie nennen dieses Prinzip Büro-Kaizen. Was genau steckt dahinter?

Kaizen ist japanisch und heißt „beständig in kleinen Schritten besser werden“. Sinnbildlich können Sie sich das als Treppe vorstellen. Das übergeordnete Prinzip dabei ist Folgendes: Wenn Du wissen willst, wie hoch der Staudamm werden soll, frag die Menschen, die am Fluss wohnen. Das heißt, nicht der Chef oder ein externer Berater kommt und sagt: „Ich bin der Experte für Deinen Arbeitsplatz und sage Dir, was gemacht wird“, sondern der Mitarbeiter ist selbst der Profi. Und das Ganze beginnt damit, den eigenen Arbeitsplatz zu strukturieren.

Warum ist ein aufgeräumter Schreibtisch wichtig?

Wir sind ja nicht allein auf dieser Welt. Die Zusammenarbeit mit anderen und die Vertretung funktioniert besser, wenn wir gemeinsame Systeme haben. Das Fraunhofer-Institut hat einmal untersucht, für was Mitarbeiter in der Verwaltung ihre Zeit verwenden. Ein Ergebnis war, dass 13 Prozent der Arbeitnehmer ihrer Arbeitszeit für Suchen verschwenden. Sie gewinnen schon 10 Prozent an Produktivität, allein durch die reduzierten Suchzeiten. Außerdem arbeiten Leertischler effizienter als Volltischler. Wenn sie einen leeren Schreibtisch haben, können Sie sich auf eine Aufgabe konzentrieren und die Dinge gehen viel schneller und leichter von der Hand als an Schreibtischen, auf denen Verschiedenes herumliegt.

Aber es gibt doch auch Menschen, die das Chaos um sich herum brauchen, um kreativ zu sein.

Der Mensch liebt dieses Chaos eigentlich nicht. Hermann Scherer hat einmal gesagt, dass die Mär vom kreativen Chaos eine Lebenslüge ist und genauso sehe ich das auch. Unzählige Beispiele beweisen das Gegenteil. Ein strukturiertes Vorgehen führt einfach zu den besseren Ergebnissen.

Wenn sie so einen chaotischen Schreibtisch vor sich haben, wo setzen sie dann an?

Bei meiner Arbeit gibt es kein Richtig oder Falsch. Mein Leitspruch ist: Gut ist, was Ihnen gut tut. Dazu stelle ich einfach Fragen. Zum Beispiel: „Warum haben Sie denn die Dinge auf dem Tisch?“ Dann ist oft die Antwort: „Damit ich sie nicht vergesse.“ Wenn ich dann den Mitarbeitern eine Möglichkeit an die Hand gebe, mit der sie die Dinge in den Schrank oder den Tisch räumen können, aber garantiert nichts vergessen, lassen sie sich häufig darauf ein, dieses System einmal zu testen.

Ist das nicht zunächst eine Frage der Menge an Dingen, die auf dem Schreibtisch liegen und vielleicht gar nicht mehr gebraucht werden?

Ja, genau. In der Schule lernen wir, dass der Mensch vom Affen abstammt. Ich glaube eher an eine Verwandtschaft mit dem Eichhörnchen. Wir sind alle Jäger und Sammler. Wir lieben es, Dinge auf unserem Schreibtisch anzusammeln. Deswegen sollten wir beim Aufräumen wegwerfen, was wir nicht mehr brauchen. Und dann ist der Schreibtisch nur noch halb so voll.

Wie oft haben Sie schon den Satz gehört: „Vielleicht kann ich das aber doch noch brauchen?“

Das ist natürlich der Klassiker. Es gibt Menschen, denen bereitet der Gedanke etwas wegzuwerfen körperliche Schmerzen. Um das zu vermeiden, gibt es aber eine wunderschöne Methode von Werner Tiki Küstenmacher, dem Autor des Buches „Simplify your life“. Er nennt das „Wegwerfen auf Probe“. Wir sagen: „Nehmen Sie doch einen Karton und schreiben Sie Ihren Namen und ein Datum darauf. Wenn er bis dahin nicht geöffnet wird, können Sie ihn ohne weiteres Ansehen entsorgen.“ Dieses System hilft den Menschen loszulassen. In den allermeisten Fällen wird der Karton nie wieder geöffnet, aber den Menschen geht es gut.

Wenn ich einiges weggeworfen habe, sind aber womöglich noch genügend Dinge da, um Unordnung damit zu machen. Wie kann ich das nun strukturieren?

Ich empfehle insgesamt sieben Schritte, um den Schreibtisch aufzuräumen. Das ist vergleichbar mit einem Büffet aus sieben Vorspeisen, sieben Hauptspeisen und Nachspeisen. Jeder stellt sich seinen Teller so zusammen, wie es ihm am besten schmeckt. Nehmen Sie zum Beispiel den Umgang mit wichtigen Informationen. Jeder hat am Schreibtisch wichtige Informationen auf Zetteln, die er an die Wand, den Monitore oder unter die Schreibunterlage klebt. Die kann man auch ganz anders aufbewahren, so dass man sie selber schnell und übersichtlich findet, ohne dass alles zuplakatiert ist. Wenn Sie zum Beispiel die reinen Informationen haben, also so etwas wie Telefonlisten oder Terminpläne gäbe es die Möglichkeit, sie in einem Foliensichtbuch unterzubringen. Das ist eine Art Schnellhefter mit 10, 20 oder 30 Hüllen – für jede Hülle einen Inhalt und vorne rein ein Inhaltsverzeichnis. Das können Sie idealerweise auf den Rollcontainer legen, um es jederzeit griffbereit zu haben.

Leider breitet sich aber nach einiger Zeit meistens wieder das Chaos aus. Wie können Mitarbeiter auf Dauer einen aufgeräumten Schreibtisch bewahren?
Das ist ein ganz zentraler Punkt meiner Tätigkeit. Zum Aufräumen braucht mich eigentlich niemand, obwohl ich natürlich aus meiner Erfahrung heraus gute Tipps geben kann. Aber normalerweise können die Menschen selber aufräumen. Sie haben es ja schon hundertmal gemacht. Ich sage aber: Wir räumen noch genau ein einziges Mal auf, nämlich heute, und dann nie wieder. Es muss Systeme geben, die die Ordnung dauerhaft erhalten.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wenn Sie Zuhause eine Küche haben, dann haben Sie wahrscheinlich eine Schublade für Messer, Gabel und Löffel. Die Schublade ist in aller Regel immer aufgeräumt, jeder kann schnell aufräumen und zugreifen. Es gibt eine zweite Schublade mit dem Soßenschöpfer, dem Schneebesen, dem Kochlöffel und allem, was man sonst noch so im Haushalt braucht. Normalerweise sieht die Schublade nicht so aufgeräumt aus. Typisch ist so eine rüttelnde Bewegung, damit die Schublade überhaupt noch zugeht. Sie sehen: Solche Systeme wie der Besteckkasten oder das Foliensichtbuch verhindern, dass Unordnung entsteht. Wenn etwas Neues dazukommt, dann weiß ich genau, wo es hingehört. Wenn wir allen Dingen eine Heimat geben, kann keine Unordnung entstehen.

Die Ausrede „Ich habe keine Zeit zum Aufräumen“ können Mitarbeiter dann wohl vergessen.

Keiner hat die Zeit zum Aufräumen, aber jeder hat die Zeit zum Suchen. Ganz harten Fällen sage ich deshalb: „Räumen Sie nicht auf, aber stellen Sie sich die neuen Systeme ein.“ So verschwindet auch alles vom Schreibtisch. Und was dann nach zwei, drei Wochen noch liegt, das sind wahrscheinlich die Dinge, die Sie nie wieder brauchen.

Nehmen wir an, dass die Arbeitsplätze der Mitarbeiter nun aufgeräumt sind. Dann verbessern Sie weitere Strukturen der Verwaltung?

Dann reden wir im zweiten Schritt über die Ordnungsstruktur in der Abteilung, also etwa im Vertrieb, in der Entwicklung oder der Buchhaltung. Die dritte Stufe sind die unternehmensweiten Prozesse und die Frage: Wie kann das Unternehmen abteilungsübergreifende Dinge optimieren? Im vierten Schritt geht es darum, die Eigenverantwortung des Mitarbeiters zu stärken. Manche Mitarbeiter haben gute Ideen, doch ihre Chefs nicht immer die Zeit sie umzusetzen. Deswegen müssen wir die Mitarbeiter dazu bringen, dass sie selbst Veränderungen umsetzen. Sie müssen wissen, wie sie das machen, und sie müssen es dürfen. Die fünfte und letzte Stufe besteht im Büro-Kaizen darin, mit Zielvereinbarungen die Effizienz des Unternehmens zu steigern.

Warum wählen Sie gerade diese Reihenfolge?

Das ganze beginnt am persönlichen Arbeitsplatz der Mitarbeiter, weil Kaizen immer die Entwicklung des gesamten Unternehmens im Blick hat. Würden Organisationen etwa mit den unternehmensweiten Prozessen oder der Eigenverantwortung der Mitarbeiter starten, kann jeder noch so gute Ansatz daran scheitern, dass die Schreibtische noch voll sind und dass die Unterlagen verloren gehen.

Und geht es noch irgendwie weiter, wenn die fünfte Stufe der Zielvereinbarungen erreicht ist?

Auf der fünften Stufe kann es immer weitergehen – etwa wenn Sie das Unternehmen an Zielen ausrichten und sagen: „Im nächsten Jahr steht bei uns das Thema Kundenorientierung im Vordergrund oder lass uns mal versuchen Innovationsfähigkeit gezielt zu verbessern.“ Doch wenn Sie das erreichen, sollten Sie nicht glauben, dass sie auf dem Berg sind und es endgültig geschafft haben. In Märkten, die sich ständig ändern, müssen Unternehmen kontinuierlich ihre Ziele anpassen.

Interview: Stefanie Hornung

Vortrag: “Für immer aufgeräumt: vom Volltischler zum Leertischler”
PERSONAL2009, Am Donnerstag, 26. März,
13.35 – 14.20 Uhr, Forum 1

Linktipps:
www.personal-messe.de
www.fuer-immer-aufgeraeumt.de