BAG vom 22.09.2009 – 1 AZR 972/08
Sachverhalt:
Die Gewerkschaft ver.di hat im Dezember 2007 im Zuge eines Arbeitskampfes eine einstündige Aktion organisiert, bei der etwa 40 Personen überraschend eine Einzelhandelsfiliale aufgesucht haben und dort mit Waren vollgepackte Einkaufswagen zurückließen und durch den koordinierten Kauf von “Pfennig-Artikeln” Warteschlangen an den Kassen verursachten. Der Aufruf zu den Flash-Mob-Aktionen erfolgte sowohl an Gewerkschaftsmitglieder als auch an Nicht-Gewerkschaftsmitglieder. Ver.di gab sogar genaue Handlungsanweisungen für eine derartige Flash-Mob-Aktion: “Viele Menschen kaufen zur gleichen Zeit einen Pfennig-Artikel und blockieren damit für längere Zeit den Kassenbereich. Viele Menschen packen zur gleichen Zeit ihre Einkaufswagen voll (bitte keine Frischware!!!) und lassen sie dann stehen”. Das Arbeitsgericht, das zunächst noch der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung von Flash-Mob-Aktionen stattgegeben hatte, urteilte im Hauptsacheverfahren zu Gunsten der Gewerkschaft ver.di. Auch die Berufung des betroffenen Arbeitgeberverbandes vor dem Landesarbeitsgericht blieb erfolglos.
Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) urteilte ebenfalls zu Gunsten der Gewerkschaft ver.di. Das BAG entschied, dass eine gewerkschaftliche Aktion, bei der kurzfristig aufgerufene Teilnehmer durch den Kauf geringwertiger Waren oder das Füllen und Stehenlassen von Einkaufswagen in einem Einzelhandelsgeschäft eine Störung betrieblicher Abläufe herbeiführen, im Arbeitskampf nicht generell unzulässig ist. Eine derartige “Flash-Mob-Aktion” greife zwar in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Arbeitgebers ein. Der Eingriff könne aber aus Gründen des Arbeitskampfes gerechtfertigt sein. Grundsätzlich fallen gewerkschaftliche Maßnahmen, die zur Durchsetzung tariflicher Ziele auf eine Störung betrieblicher Abläufe gerichtet sind, unter die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften; zu dieser gehöre – so das BAG – auch die Wahl der Arbeitskampfmittel. Das BAG hielt die Flash-Mob-Aktion auch für verhältnismäßig: Arbeitskampfmittel seien nur rechtswidrig, wenn sie zur Durchsetzung der erhobenen Forderungen offensichtlich ungeeignet, nicht erforderlich oder unangemessen seien. Die Beurteilung der Angemessenheit einer gewerkschaftlichen Arbeitskampfmaßnahme hänge davon ab, ob für die Arbeitgeberseite Verteidigungsmöglichkeiten bestünden. Gegenüber einer “Flash-Mob-Aktion” im Einzelhandel kann sich der Arbeitgeber nach Auffassung des BAG durch die Ausübung seines Hausrechts oder durch eine kurzfristige Betriebsschließung zur Wehr setzen. Nach Auffassung des BAG sei eine derartige Aktion typischerweise auch keine Betriebsblockade.
Konsequenzen für die Praxis:
Bedenklich an der Entscheidung des BAG ist, dass Gewerkschaften durch die Zulässigkeit von “Flash-Mob-Aktionen” ein neues Arbeitskampfmittel an die Hand gegeben wird. Typischerweise stellt der Aufruf von außenstehenden Dritten keine koalitionsspezifische Verhaltensweise dar. Ein Arbeitskampf zeichnet sich vielmehr gerade dadurch aus, dass Arbeitnehmer, die sich ebenfalls auf die Koalitionsfreiheit berufen können, ihre Arbeit niederlegen, um damit insbesondere tarifliche Vergünstigungen zu erstreiken.
Nicht von der Hand zu weisen ist auch die (unbeherrschte) Exzessgefahr bei derartigen “Flash-Mob-Aktionen”. Das Streikrecht an sich deckt keine Sachbeschädigungen, keine Betriebsbesetzungen und -blockaden und auch nicht die Nutzung des Arbeitgebereigentums zur eigenen Machtdemonstration. Bei den “Flash-Mob-Aktionen” wird die Exzessgrenze allerdings regelmäßig schnell überschritten sein – aufgrund der Anonymität der Aktivisten und des Gruppenzwangs. Da die Gewerkschaft keine Kontrolle über die Außenstehenden hat, können Nötigungen, Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen die Folge sein: Nicht nur wenn jemand Ware beschädigt, handelt es sich um eine Straftat, sondern auch dann, wenn jemand Zahlungswilligkeit vorspiegelt, aber kein Geld dabei hat. Die Entscheidung des BAG zur Zulässigkeit von “Flash-Mob-Aktionen” kann – sozusagen über die Hintertür – auch dazu führen, dass Betriebsblockaden, die bislang bei Streikaktionen verboten waren, Tür und Tor geöffnet wird. Bisher ist es ständige Rechtsprechung, dass ein Betrieb nicht komplett abgeriegelt werden darf. Vielmehr muss der Arbeitgeber auch im Arbeitskampf die Möglichkeit behalten, den Betrieb mit Hilfe Arbeitswilliger aufrecht zu erhalten und fortzusetzen. Dieses Verbot könnte nunmehr durch die Zulässigkeit von “Flash-Mob-Aktionen” aufgeweicht werden.
Praxistipp:
Arbeitgeber müssen sich auf das neue Kampfmittel der Gewerkschaften einstellen und möglichst versuchen, bereits im Vorfeld günstige Abwehrstrategien zu entwickeln. Hier verbleibt zunächst, sich auf das Hausrecht zu berufen und/oder den Betrieb komplett zu schließen, was auch das BAG als zulässige Abwehrmaßnahme angesehen hat. Eine Betriebsschließung wird jedoch in den meisten Fällen schwer umsetzbar und arbeitgeberseitig regelmäßig nicht gewünscht sein. Rechtswidrig dürfte auch ein gewerkschaftlicher Aufruf zur Begehung von Straftaten sein; dementsprechend sollten betroffene Arbeitgeber sämtliche Flugblätter, Internet-Seiten und E-Mails sichten und überprüfen. Trifft die Gewerkschaft keine Vorkehrungen, die geeignet sind, Straftaten zu verhindern, kann dies regelmäßig zur Rechtswidrigkeit der von ihr durchgeführten (Streik-)Aktion führen. Rechtswidrig kann auch eine “Flash-Mob-Aktion” sein, die arbeitswillige Arbeitnehmer daran hindert, ihrer Tätigkeit nachzugehen. Sollte ein derartiger Fall gegeben sein, kann insbesondere auch die Möglichkeit bestehen, die “Flash-Mob-Aktion” im Wege des einstweiligen Rechtschutzes verbieten zu lassen.
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