Angesichts multikultureller Belegschaften und eine rasch zunehmende Präsenz auf den Auslandsmärkten gewinnen interkulturelle Kompetenzen im täglichen Geschäft an Bedeutung. Ob es um den Umgang mit Kunden, Lieferanten, Kollegen oder Verhandlungspartnern geht, immer ist es wichtig zu verstehen, welcher „Autopilot“ beim Gegenüber im Hintergrund des manifesten Verhaltens wirkt. Bei diesem Autopiloten handelt es sich um die meist unbewussten Wert- und Verhaltensprägungen, die wir alle erhalten, wenn wir unsere Kinder- und Jugendjahre in einem homogenen kulturellen Umfeld verbringen: Wir sind kulturell geprägt, auch wenn wir dies kaum wahrnehmen, weil sich diese Prägung auf einer un- beziehungsweise vorbewussten Ebene vollzieht.

person using phone and laptop
Foto von Austin Distel

Was ist interkulturelle Kompetenz?

Interkulturelle Kompetenz besteht aus einem Bündel an kognitiven, affektiven sowie Verhaltensfähigkeiten und entwickelt sich meist in mehreren Schritten. Allgemein gesprochen beschreibt sie die Fähigkeit, „erfolgreich mit Menschen anderer Kulturen zu interagieren” (Schneider & Hirt 2007) oder komplexer ausgedrückt: „Interkulturelle Handlungskompetenz zeigt sich in der Fähigkeit, kulturelle Bedingungen und Einflussfaktoren im Wahrnehmen, Denken, Urteilen, Empfinden und Handeln einmal bei sich selbst und zum anderen bei kulturell fremden Personen zu erfassen, zu würdigen, zu respektieren und produktiv zu nutzen“ (Thomas & Kinast & Schroll-Machl 2000). Diese Definition vereint gesellschaftlich-ethische Motive wie Verstehen und Respekt mit wirtschaftlich-praktischen Anliegen, nämlich einer produktiven Nutzung der Unterschiede, zum Beispiel im Feld der Produktdifferenzierung oder in multikulturellen Teams. Sie nimmt ihren Ausgangspunkt im Bewusstsein und verweist auf die Notwendigkeit der Erkenntnis der Relativität des eigenen Verhaltens, der eigenen Wertmaßstäbe und Weltbilder. Nur wenn diese nicht als selbstverständlich und dadurch implizit als absolut gesehen werden, entsteht die notwendige Offenheit, das Verhalten, die Wertmaßstäbe und Weltbilder anderer Kulturen nicht mehr als Abweichung (von der eigenen Norm), sondern in ihrem eigenen „Recht“ beziehungsweise Bezugsrahmen zu verstehen. Wenn durch entsprechende Bewusstseinsbildung Unterschiede weder ignoriert, noch geleugnet, noch mini- oder maximalisiert werden, können sie differenziert bearbeitet werden. Nun kommt die kognitive Komponente der interkulturellen Kompetenz ins Spiel.

Auf dem fruchtbaren Boden interkulturellen Bewusstseins kann sich Wissen über fremde Kulturen entfalten: Informationen über Geschichte, Geographie, Kunst, Politik, Wirtschaft eines Ziellandes und das Erlernen zumindest einiger Basisredewendungen in der fremden Sprache unterstützen diese Komponente. Im Speziellen geht es dabei um Wissen, welches aus Kulturtheorien bereitgestellt wird, die sich mit der (Ein-)Ordnung von Unterschieden befassen.

Kognitive Grundlagen sind ein notwendiger, allerdings keineswegs hinreichender Bestandteil interkultureller Kompetenz. Kognitive Einsicht vermittelt nicht zwingend auch Verhaltensfähigkeiten. Diese müssen aktiv erworben werden, entweder in realen oder in simulierten Situationen. Ähnliches gilt für den Feinschliff der affektiven Komponente. Empfindungen und Einstellungen beziehungsweise ein ausgeprägtes Bewusstsein über eigene und fremde Kulturalität lassen sich nicht ausschließlich aus Theorien ableiten und werden in der Praxis immer wieder auf die Probe gestellt. Wie uns die Hirnforschung vermittelt, übernehmen generell und besonders unter Druck ältere Teile des Gehirns die Handlungssteuerung, so dass etwaiger Rationalitäts- oder Zivilisationslack rasch bröckelt und ein unter Umständen vorurteilsbelasteter Autopilot für uns übernimmt: Wir reagieren dann auf Stereotype, aber nicht mehr differenziert auf Situationen. Dazu kommt, dass einige Merkmale interkultureller Kompetenz, wie das Offensein für andere, die Neugierde Neues zu erforschen oder anderen relativ schnell Vertrauen zu schenken, im Kindesalter automatisch vorhanden sind, diese jedoch im Laufe des Erwachsenenwerdens oftmals verlorengehen. Daher bedürfen wir alle gelegentlich der Auffrischung unserer interkulturellen Kompetenz, auch wenn wir uns kognitiv schon für ausreichend „gebildet“ halten.

Stereotype und kreative Generalisierungen

Stereotype können als nicht fundierte Verallgemeinerungen verstanden werden, mit denen ein eigener „Schatten“, das heißt, abgelehnte (oder auch ersehnte) und verdrängte Persönlichkeitsmerkmale auf ein Gegenüber projiziert werden. Typisch für stereotype Reaktionen ist eine stärker als normale Selektion der Wahrnehmung, die über die Wirkung der sich selbst erfüllenden Prognose zu vermeintlicher Bestätigung führt. Wer negative Vorurteile, etwa über eine Gruppe von Ausländern, hegt, nimmt vor allem negative Meldungen über diese Gruppe wahr, die geeignet sind, das Vorurteil zu unterstützen. Stereotype vernachlässigen somit Nuancierungen sowie intrakulturelle Unterschiede, wie etwa jene zwischen Nord- und Süddeutschen, Ost- und Westküstenbewohnern der USA, Singapur- Chinesen und Festlandchinesen.

Eine leichte Stereotypisierung leisten unvermeidlich auch an dimensionellen Unterschieden orientierte Kulturtheorien, wie etwa die sehr verbreitete Theorie des Holländers Geert Hofstede. Er differenziert nationale Kulturen entlang der Dimensionen Machtdistanz, Unsicherheitsvermeidung, Individualismus- Kollektivismus und Maskulinität-Femininität. Später fügte Hofstede in Auseinandersetzung mit asiatischen Kulturen noch eine fünfte Dimension in sein Modell ein, nämlich die zeitliche Orientierung (Hofstede 1997).

Bei oberflächlichen Übersetzern seiner Arbeit sind Aussagen zu beobachten wie etwa: Deutsche sind regelwütig, Französinnen/ Franzosen autoritätsorientiert, Australierinnen und Australier fatalistisch sowie Schwedinnen und Schweden feminin. Obwohl darin im Durchschnitt ein Körnchen Wahrheit steckt, sind solche Ableitungen methodisch unzulässig und pragmatisch leicht irreführend. Daher kommt Hofstedes Konzept ebenso wie eine Vielzahl von Weiter- und Neuentwicklungen vergleichbarer Art immer mit einem „Beipackzettel“ versehen auf den Markt, der dessen heuristischen Charakter betont: Das Kontinuum „egalitär – autoritär“ dient dazu, jene Selbstverständlichkeiten erkennbar zu machen, mit denen Angehörige von zum einen oder anderen Pol neigenden Kulturen aufgewachsen sind. Die Einen respektieren Machtunterschiede quasi als naturgegeben, ohne weiter darüber nach zu denken, während die Anderen Autorität aus pragmatischen oder funktionalen Gründen ebenfalls akzeptieren mögen, aber auf das gedankliche Ideal der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen, das in der Einleitung zur amerikanischen Verfassung einen recht poetischen Niederschlag gefunden hat, bestehen.

Um dennoch Anhaltspunkte für Unterschiede zwischen typischen Reaktionsweisen zu gewinnen, werden Kulturtheorien in fast allen interkulturellen Trainings entweder direkt oder indirekt als Grundlage von Fallstudien und Spielen eingesetzt. Im Gegensatz zur Stereotyp-Bildung spricht man in diesen Fällen von „kreativen Generalisierungen“, bei denen der Umgang mit Kulturdimensionen flexibel erfolgt und jederzeit für Korrekturen offen bleibt. Stereotype hingegen erweisen sich gegenüber abweichenden Erfahrungen als einigermaßen resistent.

Ergänzend zu standardisierten Kulturtheorien bieten freie Befragungen die Möglichkeit, eigene Erfahrungen vor Ort zu generalisieren, wie im Fall der gegenseitigen Wahrnehmung von Deutschen und Chinesen (Abbildung 1).

Deutsche sehen Chinesen als Chinesen sehen Deutsche als
indirekt qualitätsorientiert
selten bereit, individuelle Verantwortung zu

übernehmen

zuverlässig
zurückhaltend, Konflikte offen an zu sprechen unflexibel
illoyal gegenüber Arbeitgebern geradlinig
materialistisch prinzipientreu
Status & Hierarchie bewusst bürokratisch
beziehungsorientiert schwach mit Fremdsprachen
  wettbewerbsorientiert

Abbildung 1: Eigene Zusammenstellung in Anlehnung an Bork (2006), Weiss (2006), Universität Bonn (2007).

Wie erwirbt man interkulturelle Kompetenz?

In der Praxis haben sich hier Glaubensfragen entwickelt, die im Spannungsfeld von Kosten und Nutzen, allgemeinen Trainings und länderspezifischen Maßnahmen sowie von Crashkursen im Sinne von Geschäftsverhaltensregeln und einer tiefen Auseinandersetzung mit der gleichzeitigen Anziehung und Abstoßung des Fremden in allen Kulturen angesiedelt sind. Theoretisch empfiehlt sich Gelassenheit: Es hängt davon ab, was bezweckt werden soll, nur eines muss klar sein: Ein Crashkurs über die Übergabepraktiken von Visitenkarten oder ein subliminales Training sprachlicher Floskeln vermitteln noch keine interkulturelle Kompetenz. Selten scheitert ein Geschäft nur an der Vernachlässigung derartiger Themen, viel entscheidender ist daher ein konkreter Geschäftsbezug der Trainings, wie zum Beispiel konkrete Verhandlungssimulationen.

Bennett hat ein Phasenschema vorgeschlagen, das die verschiedenen kognitiven und affektiven Stadien der Auseinandersetzung mit Andersartigkeit zwischen den Polen Ignoranz und kreativer Integration differenziert (Bennett 1993). Dabei geht es in den ersten Stadien vor allem um Bewusstseinsweckung, die neben kognitivem Wissen und Handlungsfähigkeit den Dreiklang der interkulturellen Kompetenz bildet. Interkulturelle Kompetenz vereinigt, wie erwähnt, affektive, kognitive und Verhaltenskomponenten. Das hat Auswirkungen auf die Art ihres Erwerbs. Generell muss bei allen auf Sozialisation beruhenden Fähigkeiten der Eisbergspitzeneffekt einer kognitiven Auseinandersetzung im Verhältnis zu nur unter der Oberfläche wirksamen gewichtigen Wirkung stillschweigender Vorbilder und Grundannahmen betont werden. Daher wirkt interkulturelles Training am besten in einer Unternehmenskultur der Offenheit. Allgemein gesprochen entsprechen den drei Dimensionen interkultureller Kompetenz jeweils unterschiedliche Methoden (Abbildung 2).

Bewusstseinsschaffung Wissen/Information Handlungsfähigkeit
Klug irritierende Methoden, wie

Spiele, verfremdete Situationen,

Begegnungen, etwaig Filme

Informationsorientierte Methoden,

wie Vorträge, Lektüre,

Diskussionen, Fallbearbeitungen,

Filme

Erfahrungsorientierte Methoden,

wie Rollenspiele, Übungen,

Reisen ins Zielgebiet, Vor-Ort Coaching

Abbildung 2: Phasen des Erwerbs interkultureller Kompetenzen

Sind interkulturelle Trainings eine gute Investition?

Wie bei allen Ausbildungen stehen im Fall der interkulturellen Trainings sichere Kosten ein nur probabilistischer Nutzen gegenüber, der sich über die Zeit verteilt und nur unter weiteren günstigen Umfeldbedingungen manifestiert. Als Hilfsgröße für diesen Nutzen können die Kosten eines frühzeitigen Abbruchs von Auslandsaufenthalten heran gezogen werden. Der entgangene Nutzen schlecht geführter Verhandlungen oder durch Kulturprobleme eingeschränkter Leistungen beim Auslandseinsatz ist ebenso schwer zu beziffern wie jener schlechter strategischer Entscheidungen in suboptimal zusammen arbeitenden multikulturell besetzten Vorstandsteams oder unproduktiver Konflikte in entsprechenden operativen Teams, ganz zu schweigen von entgangenen Umsätzen aufgrund unzureichender Differenzierung der angebotenen Produkte und (begleitenden) Dienstleistungen. Der Versuch, den Nutzen in einer Art Kennzahl festzuhalten, führt zu Begriffsspielereien wie etwa den „Return on Culture“ (Gibson et al. 2003). Wenn als Rendite des eingesetzten (Kultur)kapitals der Abbau von Kommunikationsbarrieren oder die Ankurbelung eines eingeschlafenen Projektes definiert werden, bleibt dies für manche Entscheider zu vage, um Mitteleinsatz zu rechtfertigen.

Vorbehalte von Führungskräften und Mitarbeitern, die sich in der Komplexität des Begriffes, in Selbstüberschätzung im interkulturellen Umgang oder eben in der erschwerten Messbarkeit des Nutzens finden, haben die Förderung der interkulturellen Kompetenz lange Zeit auf einen Stiefmütterchenplatz verwiesen. Intuitiv scheinen allerdings immer mehr Firmen die Notwendigkeit erkannt zu haben, nicht nur zu Entsendenden unmittelbar vor einem Auslandseinsatz einen Crashkurs anzubieten, sondern einem Pool von Mitarbeitern die Auseinandersetzung mit Interkulturalität zu bieten. Ob Unternehmen dies aus tatsächlicher Überzeugung heraus leben, oder nur aufgrund der Popularität des Themas mit dem Strom schwimmen, soll hier in Frage gestellt werden. Wir sehen diese Entwicklung positiv, denn interkulturelle Kompetenz ist – und hier schließt sich der Kreis zur oben angeführten Definition – nicht nur nützlich, sondern auch persönlich bereichernd.

Literaturtipps

Towards Ethnorelativism: A Developmental Model of Intercultural Sensibility.

Von Milton Bennett, in: Education for the Intercultural Experience.

Von R. Michael Paige, Intercultural Press 1993, S. 21-71.

„Return on Culture“ – Interkulturelle Kompetenzentwicklung für das internationale Geschäft.

Von Robert Gibson, Theresia Tauber und Mario Münster,

in: Wirtschaftspsychologie aktuell 2/2003, 12-15.

Cultures and Organizations – Software of the mind – Intercultural Cooperation and its Importance for Survival.

Von Geert Hofstede, McGraw Hill 1997.

Multikulturelles Management.

Von Ursula Schneider und Christian Hirt.

Oldenbourg Verlag 2007.

Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz von international tätigen Fach- und Führungskräften durch interkulturelle Trainings.

Von Alexander Thomas, Eva-Ulrike Kinast und Sylvia Schroll-Machl,

in: Interkulturelles Lernen/Interkulturelles Training. Managementkonzepte, Band 8.

Hrsg. von Klaus Götz. Rainer Hampp Verlag 2000, 97-124.

Mit den Augen der Anderen sehen.

Von BonnEconLab, Universität Bonn in: forsch 1/2007,S. 28.

Schlangenstehen vor der deutschen Botschaft.

Von Henrik Bork,

in: Das Parlament, Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, Jahrgang 2006/47.

Führen und Managen in China.

Von Mario Weiss,

in: Change Management 2/2006, 14-15.

Quelle: personal manager 2/2008