Im HR ist das Thema noch nicht angekommen

Die meisten Interim-Mandate werden heute von der Geschäftsleitung oder dem CEO eines Unternehmens vergeben. 75 Prozent der Mandate kommen über die persönlichen Netzwerke. Hafner stellt fest: «Im HR ist das Thema Interim-Management noch nicht angekommen. Da ist noch einiges zu tun, damit dies als Unterstützung und Hilfe begriffen wird.»
Am Umdenken geht kein Weg vorbei, sind Vordenker wie Joël Luc Cachelin überzeugt. Denn spätestens die Digitalisierung werde als nächste grosse Herausforderung die Wirtschafts- und Arbeitswelt massiv verändern. Dementsprechend sei HR gefordert, sich bezüglich neuer Arbeitsformen auf dem Laufenden zu halten und auch neue Formen der Arbeit im Betrieb auszuprobieren. Dabei gelte es, mit externen Zuarbeitern die Innovationskraft zu erhöhen und Arbeitsgemeinschaften neu zu organisieren: Künftig gebe es weniger feste Abteilungen als flexible Teams, die sich um aktuelle Projekte gruppierten.
Cachelins Prognose: «In zehn Jahren wird es weniger Festanstellungen geben als heute, das Projektdenken wird deutlich ausgeprägter sein.» Wie Lesen, Schreiben und Rechnen werde der Umgang mit digitalen Techniken künftig zu den Grundfähigkeiten des Menschen zählen. Und immer mehr Maschinen seien zentraler Bestandteil des Wertschöpfungsprozesses. «Das erfordert flexible temporäre Teams, die sich immer wieder neu zusammenstellen.»
Schon heute müssen Manager auf Zeit enorm flexibel und mobil sein und fähig, selbst bei widrigen Bedingungen unter starkem Druck zu arbeiten. Der Einsatz auf Zeit bedingt Führungs- und Sozialkompetenz, Klarheit, authentisches Auftreten, vernetztes Denken und Erfahrung. Ebenso unabdingbar sind Zuhören können sowie stufengerechte, zielgruppengerechte Kommunikation.
Interim-Management – Daten & Fakten
Interim-Management (lateinisch ad interim ‹unterdessen›, ‹einstweilen›) ist eine zeitlich befristete Art des betriebswirtschaftlichen Managements. Das Konzept der zeitlich befristeten Platzierungen von Führungskräften in Unternehmen entstand in den 1970er-Jahren in den Niederlanden und ermöglichte eine Flexibilisierung des regionalen Arbeitsmarktes. Kündigungsfristen für Mitarbeiter waren sehr lang und vielfach konnte nicht ohne erhebliche Kosten auf Marktveränderungen reagiert werden. In den 1980er-Jahren wurde dieses Modell dann in anderen europäischen Ländern adaptiert.
Interim-Manager übernehmen Ergebnisverantwortung für ihre Arbeit in einer Linienposition. Sie verlassen das Unternehmen, sobald das Problem gelöst und eine stabile neue Unternehmens- oder Bereichsführung etabliert ist oder nach dem Relaunch der betreffenden strategischen Geschäftseinheit. Der DSIM – Dachverband Schweizer Interim Manager – wurde Ende 2006 als unabhängige Vereinigung für Interim-Manager gegründet.
Klassisch gelten Interim-Manager als Aushilfen auf dem Chefsessel – wenn personelle Engpässe zu überbrücken sind. Daneben werden solche externen Spezialisten auch gerne im Krisenmanagement eingesetzt – zum Beispiel, um als Bereichsleitung einen Unternehmensteil zu sanieren. Es hängt den Interim-Managern daher gerne der Ruf einer «Feuerwehr» an, die in der Betriebsführung oft unliebsame Aufgaben von der Restrukturierung bis hin zur Schliessung und Abwicklung eines Unternehmens übernimmt. Allmählich jedoch verändert sich dieses Bild.
Die Bandbreite an Interim-Funktionen hat sich inzwischen deutlich ausgeweitet. Nahezu alle Funktionsbereiche in Unternehmen werden heute zeitweise mit Interim-Managern besetzt. Nach Erfahrung des DSIM – Dachverband Schweizer Interim Manager – werden in jüngerer Zeit Temporär-Führungskräfte verstärkt im Rahmen von Projektarbeit eingesetzt, wenn die eigenen Kapazitäten des jeweiligen Unternehmens nicht ausreichen.
Individualität versus Vollkasko-Mentalität
Die Personalberaterin Judith Baumberger sieht ebenfalls positive Aussichten für die Interim-Branche. «Stabile Jobs sind heute schon Mangelware. Drei Viertel aller Beschäftigten weltweit sind nur noch befristet angestellt.» Auch für die Schweiz prognostizierte sie in einem Ausblick auf die kommenden zehn Jahre: «Ich kann mir vorstellen, dass Unternehmen dann viel mehr freie Mitarbeitende haben.» Die alternative Berufskarriere könnte sich also vom Dasein als Angestellter zum Interim-Manager als Einzelunternehmer, der Teil einer grösseren Gruppierung ist, wandeln.
«Individualität versus Vollkasko-Mentalität» ist aus ihrer Sicht Thema in der Arbeitswelt der Zukunft. Entsprechend gelte es, HR auf Vordermann zu bringen, damit diese sich mehr Support von Interim-Managern holen. Ihr Eindruck: «Viele HR-Leiter wollten sich keine Konkurrenz von aussen ins Haus holen, obwohl es ihnen bei manchen Themen an Zeit und Fachwissen fehlt.»
Dr. Markus Zoller, CEO Ruag Defence AG, sagte mit Blick auf die betriebliche Praxis: «Es braucht einen Mix an Festangestellten und Kompetenz von aussen, um sowohl das General Management als auch die permanenten Veränderungsprozesse im Unternehmen gut bewältigen zu können.
Quelle: persorama – Magazin der Schweizerischen Gesellschaft für Human Resources Management | Nr. 3, Herbst 2015
Berufsbild wandelt sich
Auch an den Personen lässt sich der Wandel ablesen: Waren noch vor einigen Jahren rund 80 Prozent der Interim-Spezialisten managementerfahrene Leute im Alter von 50 bis 60 Jahren, stellt DSIM-Präsident Paul Hafner heute fest: «Die Interim-Manager werden jünger und immer öfter übernehmen Frauen solche Spezialistenjobs.»
Beim diesjährigen Flagship-Event des DSIM zeigte sich, wie deutlich sich das Berufsbild des Interim-Managers verändert und erweitert hat: Von einer Unterstützung in Chefposition auf Zeit zu projektbezogener Hilfe durch Sachverstand von aussen – in freier Mitarbeit. Entsprechend äusserten sich die Referenten: In einer sich massiv verändernden Arbeitswelt gehören selbständige Temporär-Führungskräfte zu den Gewinnern, weil sie die Anforderungen der Unternehmen nach Flexibilität, Zuverlässigkeit und qualitativ hochstehender Zusammenarbeit als externe Spezialisten bestens erfüllen, so der Tenor. Sie haben daher das Potenzial, Gewinner in der anstehenden Transformation der Arbeitswelt zu sein.
Doch wie sieht unser Arbeitsumfeld in 5, 10 oder 15 Jahren tatsächlich aus? Der Zukunftsforscher Dr. Joël-Luc Cachelin gab am DSIM-Event in Baden Ausblicke in die Auswirkungen der Digitalisierung, die HR-Spezialistin Judith Baumberger zeigte alternative Arbeitsmodelle aus Sicht des Personalwesens und Dr. Markus Zoller, CEO Ruag Defence AG, stellte die Transformation zu einem internationalen Industriekonzern anhand praktischer Beispiele vor.
Dr. Peter Janes vom DSIM-Vorstand ist grundsätzlich überzeugt: «Das ganze Arbeitsumfeld befindet sich Wandel von Festanstellungen in andere Formen.» Ähnlich argumentierten Teilnehmer des Events. Zum Beispiel Dr. Thomas Biland, Executive Search: «Das Thema mobile workforce wird sich in der Zukunft akzentuieren und an Bedeutung gewinnen. Das ist in der Breite noch gar nicht bekannt.» Auch Interim-Spezialist Matthias Schmid, MPACTS, sagt: «Das Interim-Management ist eine zukunftsweisende Sache.»
Dabei ist das Thema Interim-Management eigentlich nicht wirklich neu. In der Schweiz gibt es die Manager auf Zeit schon seit mehr als drei Jahrzehnten. «Dennoch handelt es sich um eine junge Branche», findet DSIM-Präsident Paul Hafner. Die Branche habe sich in den vergangenen Jahren substanziell verändert und weiter professionalisiert. Mit Blick auf die starken und schnellen Veränderungen in der Arbeitswelt und die häufigen Change-Prozesse in Unternehmen geht er davon aus, dass künftig Interim-Manager zunehmend gefragt sind.