„In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen“, sagte Laurence J. Peter einmal, auf den das so genannte Peter-Prinzip zurückgeht. Ein Manager, der in seiner aktuellen Position gute Leistungen erbringt, ist nicht immer automatisch für die nächst höhere Position geeignet. Doch noch immer werden in vielen Unternehmen die Mitarbeiter nach ihrer momentanen Performance beurteilt. Das führt häufig dazu, dass sich Führungskräfte in neuen Rollen überfordert fühlen.

person using laptop computer
Foto von Christin Hume

Talentmanagement, so wie es heute schon vielfach praktiziert wird, soll diesen Fehler vermeiden. Angesichts des Fachkräftemangels und des demographischen Wandels ist es für die Unternehmen entscheidend zu wissen, ob sie genügend Potenzial im Unternehmen haben oder ob sie neues Personal einstellen müssen. Dafür ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich, der das Personalmanagement und die Ziele der Organisation systematisch synchronisiert. Das umfasst verschiedene Methoden, die miteinander verzahnt werden und den kompletten HR-Zyklus von der Vorselektion über das Recruiting, die Einarbeitung und die Personalentwicklung bis hin zur Rotation abbilden.

„Talentmanagement ist momentan sicherlich ein Modewort, aber der Unterschied zur früheren Personalbeschaffung- und entwicklung besteht beispielsweise darin, dass die Unternehmensziele und die Strategie mitberücksichtigt werden“, erklärt Dr. Svea Steinweg. Als Senior Consultant der SHL Deutschland GmbH berät sie internationale Unternehmen vor allem in der Personaldiagnostik. Da das Thema Talentmanagement unterschiedliche Stationen im HR-Management berücksichtigen muss, greifen viele Unternehmen in diesem komplexen Prozess auf mehrere Beratungen gleichzeitig zurück. SHL berät Unternehmen wie H&M, L’Oreal, American Express oder Bahlsen vor allem bei der Definition von Anforderungen, der Leistungsmessung und der gezielten Mitarbeiterentwicklung.

Kompetenzmodelle definieren

Die tesa AG wurde im Jahr 2001 ausgegründet und wagte damit den wichtigen Schritt von einer Sparte innerhalb des Beiersdorf-Konzerns in die Eigenständigkeit. Seither berät SHL die tesa Gruppe mit ihren rund 3.700 Mitarbeitern in punkto Talentmanagement. Das Beratungsunternehmen setzt zunächst bei der Strategie an: Welche Kompetenzen sollen die Mitarbeiter heute und in Zukunft mitbringen? – das ist die zentrale Frage dabei und für die tesa AG selbstverständlich. „Es scheint fast zu trivial zu sein, dass die Kompetenzen – wozu persönlichen Werte und die Handlungsfähigkeit gehören – eine so wichtige Rolle spielen, aber in vielen Unternehmen findet das jetzt erst Einzug“, kommentiert Beraterin Steinweg.

Um herauszufinden, welche Anforderungen das Unternehmen von den Mitarbeitern erwartet, führt SHL Interviews mit Entscheidungsträgern im Unternehmen. Vorstände und Manager verschiedener Ebenen durchlaufen Visionary Interviews, mit deren Hilfe die Berater die Vision hinterfragen, sowie Critical Incident Interviews, die die bereits wichtigen Werte des Unternehmens berücksichtigen. Wenn es zum Beispiel zur Strategie gehört, dass das Unternehmen zukünftig innovativer werden muss, so würde die Kompetenz „Kreativität“ eine Rolle spielen. Die Ergebnisse der Interviews bereitet SHL wissenschaftlich auf und leitet daraus Kompetenzen ab, die anschließend mit den relevanten Entscheidungsträgern in einem Workshop diskutiert werden. Stehen die Kompetenzen fest, schlägt das Beratungsunternehmen Module vor, die dafür geeignet sind, die erforderlichen Job Skills abzufragen. Im Fall tesa lag bereits ein Kompetenzmodell vor, das SHL für die Beratung nutzt. Für die Diagnostik der tesa-Kompetenzen kommt auf dieser Grundlage ein Development-Center mit verschiedenen Instrumenten zum Einsatz.

Potenziale messen

Mit den Development-Centern kann das Unternehmen vor allem herausfinden, welches Potenzial Mitarbeiter, die bereits als High Potentials eingestuft werden, tatsächlich haben. Wichtig sei, so Steinweg, dass die Teilnehmer das gleiche Level haben. „Die Development-Center verfolgen das Ziel, den vom Unternehmen weltweit als gute Mitarbeiter benannten Teilnehmern ein Feedbacktool zur Standortbestimmung zu bieten“.

Doch wie messen die Berater konkret das Potenzial der Talente? Dabei helfen psychometrische Verfahren, die valide, prognostische Aussagen treffen können. Um sich selbst einzuschätzen, müssen die Teilnehmer vor der Veranstaltung zumeist einen Fragebogen, den Occupational Personality Questionnaire(OPQ), ausfüllen. Das weltweit genutzte Verfahren passt der SHL-Think-Tank in London seit 25 Jahren mit Hilfe von wissenschaftlicher Forschung laufend an. Es bezieht sich auf die Motive, Werte und Verhaltenspräferenzen von Menschen sowie auf die Persönlichkeit.

In dem Development-Center, das vier Tage dauert, treffen sich die Auserwählten aus 51 weltweiten Standorten von tesa in Hamburg, Charlotte (North Carolina) oder Singapur. Sie stehen vor einer Vielzahl an Aufgaben – eine davon sind Rollenspiele: Ein Schauspieler exerziert mit den Teilnehmern eine knifflige Mitarbeitersituation, mit der sie möglichst gut zurecht kommen sollen. Außerdem stellt SHL ihnen eine Case Study, eine Analyseaufgabe, die sich auf die Strategie eines imaginären Unternehmens bezieht. „Der Mitarbeiter sollte dabei zeigen, dass er vernetzt und funktionsübergreifend denken kann“, erzählt Senior Consultant Steinweg. Diese Fallstudie muss der Teilnehmer präsentieren. Ferner steht den tesa-Mitarbeitern eine Gruppendiskussion bevor, in der sie beobachtet werden.

Das internationale Beobachterteam setzt sich zusammen aus tesa Managern, die ein höheres Level als die Teilnehmer haben, und Beratern von SHL, die fast immer Management-Psychologen sind. Bereits Im Vorfeld wird ein 360-Grad-Feedback durchgeführt, welches die Aussagen von Mitarbeitern, Kollegen, Vorgesetzen und Kunden berücksichtigt. Im Development-Center erhalten die Teilnehmer dazu eine Rückmeldung. Außerdem reflektieren die Teilnehmer sowohl mit Hilfe ihrer Ergebnisse im OPQ als auch mit weiteren Reflexionstools ihre Werte, Führungsvorstellung und Motivation. Der Clou an Development-Centern besteht darin, diese Selbsteinschätzung mit der Fremdeinschätzung der Verhaltensübung durch Beobachter abzugleichen.

In Konferenzen beraten die Beobachter, welche Empfehlungen konkret an die Mitarbeiter gegeben werden. Am Ende des Tages bekommen die Teilnehmer einen umfangreichen Report. Er beschreibt die ermittelten Stärken und Entwicklungsbereiche. Dr. Steinweg nennt ein Beispiel: „Wenn die Präsentationsfähigkeiten noch nicht für ein bestimmtes Level passen, dann schlagen wir Videofeedback vor oder gezieltes Feedback on-the-job von erfahrenen Kollegen, die als Mentoren agieren.“ Aus der Kombination vieler solcher Handlungsmöglichkeiten entsteht für den Teilnehmer ein individueller, maßgeschneiderter Entwicklungsplan.

Bilanz ziehen

Das Feedback der Teilnehmer ist Steinweg zufolge sehr positiv: Das internationale Management nehme sich viel Zeit und zeige damit seine Wertschätzung. Die Mitarbeiter erfahren zudem, was das Unternehmen von ihnen erwartet und so können sie sich besser orientieren. „Die Teilnehmer schätzen das internationale Networking mit Kollegen und das konkrete, kompetenzbasierte Feedback, das als sehr fair und fruchtbar eingeschätzt wird“, ist Dr. Svea Steinweg überzeugt. Das sei nicht immer selbstverständlich, denn bei anderen Verfahren komme es schon einmal dazu, dass die Mitarbeiter sich nicht einschätzen lassen wollen. Häufig ist daran jedoch eine ungeschickte, interne Kommunikation Schuld. „Einige Mitarbeiter haben Angst, dass sie ein Tattoo verpasst bekommen, das sie nicht mehr loswerden“, erläutert Steinweg.

Manche Unternehmen vernichten deshalb die Unterlagen, weil sie sich nicht von den vergangenen Ergebnissen beeinflussen lassen wollen. Für andere steht eher die Entwicklung über Jahre im Vordergrund und deshalb ziehen sie Vorjahresergebnisse als Vergleichsbasis heran. Erfolgreich ist Talentmanagement jedoch nur, wenn das Unternehmen einen Überblick über seine Talente bekommt. „Sinn und Zweck ist es festzustellen, ob die Schlüsselpositionen ausreichend besetzt sind oder in Zukunft besetzt werden können“, resümiert Beraterin Steinweg. Kurzfristiger Effekt sollte sein, dass die Arbeitszufriedenheit steigt, schon durch das faire Feedback. „Das Beispiel tesa zeigt eines ganz deutlich: Mit Talentmanagement investieren Unternehmen in den Managementnachwuchs von übermorgen.“

Dr. Svea Steinweg berichtet am 12. September ab 14.00 Uhr auf der Zukunft Personal von ihren Beratungserfahrungen aus internationalen Großkonzernen. Im Blickpunkt ihres Vortrags stehen Methoden zur Talentidentifikation und zum Performance Management. Weitere Informationen zur Messe sind unter www.zukunft-personal.de erhältlich.