Keynote-Vortrag

black floor lamp on living room sofa
Foto von Toa Heftiba

von Bernhard Wolff

auf der Messe PERSONAL2010:

„Think innovative! Lust auf Ideen“

Mittwoch, 28. April 2010,

11.20 – 12.05 Uhr,

Neue Messe Stuttgart, Halle 9, Forum 4

Herr Wolff, Sie sind unter anderem bekannt für Ihre Auftritte als Rückwärtssprecher. Ist Rückwärtssprechen eine kreative Arbeit?

Ja. Es ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie es möglich ist, beim Denken die Richtung zu wechseln – im wahrsten Sinne des Wortes. Neben diesem Perspektivenwechsel hat Rückwärtssprechen auch einen Moment der Entdeckung. Beides sind wichtige Elemente von Kreativität.

Inwiefern handelt es sich dabei um eine Entdeckung?

Kinder entwickeln häufig aus einem Spieltrieb heraus einen neuen Blick auf die Welt. Jedenfalls war das meine persönliche Erfahrung: Ich habe das Ortsschild meines Heimatdorfes gesehen und einfach die Perspektive gewechselt, rückwärts gelesen und entdeckt, dass da eine zweite ganz andere Bedeutung auftaucht: Stockelsdorf, so heißt dieser Ort, und daraus wird dann Frodslekcots. Diesen Moment der Entdeckung habe ich im Laufe der Jahre professionalisiert. Damit veranschauliche ich vor allem den Perspektivenwechsel, wenn ich auf der Bühne komplette Szenen rückwärts spiele.

Sie setzen Theater und Kabarett als Methode ein, um Kreativität zu fördern. Wie funktioniert das?

Theater ermöglicht, die Perspektive zu wechseln. Wenn ich in einem Unternehmen ein Rollenspiel einsetze, indem ich beispielsweise Mitarbeiter Kunden spielen lasse, dann sehen diese ihre Arbeit plötzlich von einem ganz anderen Standpunkt aus. Außerdem kommt das Spielerische dazu. In einem Rollenspiel können die Beschäftigten auch einmal Dinge sagen, die sie vielleicht sonst nicht aussprechen. Auch mit Szenen und Sketchen, die von Schauspielern oder Comedians präsentiert werden, haben wir gute Erfahrung gemacht. Komiker dürfen Themen zur Sprache bringen, die normalerweise tabu sind. Das ist angewandte Narrenfreiheit.

Welche Rolle spielt dabei Humor?

Ein Kabarettist erlaubt sich, eine ungewöhnliche Perspektive auf die Welt einzunehmen. Er überrascht uns damit, dass er Menschen ganz anders wahrnimmt, da er sich über das allgemein akzeptierte Verhalten hinwegsetzt. Ein solcher Prozess ist auch für Unternehmen notwenig, wenn sie Veränderungsprozesse anstoßen möchten. Denn dafür müssen sie Schwächen offenlegen und wenn das mit Humor geschieht, wird es erträglich. Stellen Sie sich vor, der Geschäftsführer stellt sich hin und haut den Mitarbeitern die Schwächen ganz direkt um die Ohren. Das ist kontraproduktiv. Wenn Kabarettisten dasselbe Thema in einer Comedy-Szene aufgreifen, in der sie diese Dinge mit viel Humor auf den Punkt bringen, dann ist das für die Mitarbeiter eher eine Befreiung. Es ist dann ausgesprochen und alle können beginnen, daran zu arbeiten.

Bei Kabarettisten mag es angehen, auch unangenehme Dinge auszusprechen. Aber viele „normale“ Menschen möchten nicht aus dem Rahmen fallen, oder?

Das ist leider oft so und diese angepasste Haltung verhindert, dass wir kreativer denken oder arbeiten. Deshalb lohnt es sich, nach den Gründen zu fragen: Möchten Menschen deshalb nicht aus dem Rahmen fallen, weil sie sich einfach ungern verändern oder weil ungewöhnliche Ideen bestraft werden? Was passiert denn in einem Meeting, in dem ein Mitarbeiter einen etwas anderen Vorschlag macht? In manchen Unternehmen verstößt das gegen die eingespielten Prozesse und Strukturen, so dass Führungskräfte das gleich abblocken. Wer mit seinen Ideen nicht ernst genommen wird, meldet sich ein oder zwei Mal und gewöhnt es sich dann ab.

Feste Strukturen können also ein Kreativitätskiller sein?

Gerade gestern habe ich auf einer Tagung ein spannendes Experiment umgesetzt: Die Teilnehmer sollten Killerphrasen für neue Ideen nennen. Anschließend habe ich sie abstimmen lassen, was sie am häufigsten hindert, Dinge umzusetzen. Die Nummer 1 unter den Killerphrasen war: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Verbesserungsvorschläge werden demnach häufig nicht belohnt, sondern sanktioniert. Dadurch entstehen gewisse Ängste, die Kreativität verhindern. Wenn etwa im Sicherheitsbereich eines Unternehmens Fehler passieren, dann werden Mitarbeiter, die den Fehler entdecken, das nicht unbedingt melden, auch wenn sie einen Verbesserungsvorschlag haben. Der Grund: Sie haben Angst, einzugestehen, dass ein Fehler passiert ist.

Sie plädieren also für eine Fehlerkultur?

Zumindest plädiere ich dafür, dass Mitarbeitern gewisse Fehler unterlaufen dürfen: und zwar solche, die aus innovativem Verhalten resultieren. Denn das birgt immer ein Risiko. Es ist doch erstaunlich, dass Unternehmen und Führungskräfte ihre Mitarbeiter bei jeder nur denkbaren Gelegenheit dazu auffordern, unternehmerisch zu denken und zu handeln, aber Fehler bestrafen, die genau deshalb entstehen. Es gibt natürlich auch Arbeitsbereiche, da dürfen keine Fehler passieren: Einem Piloten darf beispielsweise beim Checken der Sicherheitsliste nichts entgehen.

Unternehmenskulturen entstehen über Jahre. Wie lässt sich das aufbrechen?

Um eine Innovationskultur zu schaffen, muss zunächst die oberste Führungsebene dazu bereit sein. Dank der Forschung der Harvard-Professorin Teresa Amabile wissen wir, dass es dann bei der Umsetzung um die folgenden fünf Dimensionen geht: Ermutigung, Autonomie, Ressourcen, das richtige Maß Herausforderung und Abbau von unmittelbaren Innovationshemnissen, zum Beispiel in der Kommunikation. Diese Dimensionen machen das Innovationsklima aus, das der Mitarbeiter wahrnimmt.

Wenn Geschäftführer oder Abteilungsleiter selbst kreativ sind, motiviert das die Mitarbeiter ihre Ideen zu kommunizieren. Wichtig ist auch, dass Mitarbeiter Freiräume haben, um das kreative Denken zu entwickeln, sich zurückzuziehen aus dem täglichen Arbeitsstress und den Gedanken freien Lauf zu lassen.

Welche Techniken gibt es, mit denen Unternehmen Kreativität fördern können?

Eine elementare Methode ist das bildliche Denken: Ich muss meine Phantasie einschalten und Bilder im Kopf entstehen lassen. Dann bin ich in der Lage, Dinge völlig neu miteinander zu kombinieren. Ideen fallen meistens nicht vom Himmel, sondern entstehen dadurch, dass wir unterschiedliche Dinge verbinden. Diese Methode wird unter anderem beim sogenannten „Design Thinking“ eingesetzt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Sie können zum Beispiel an bestimmte Objekte denken, die es schon gibt und sie mental miteinander verschmelzen. Wenn Sie ein E-Book nehmen und gedanklich mit einem Lampenschirm kombinieren, dann könnte ein Lampenschirm dabei herauskommen, der einerseits eine Lichtquelle ist, gleichzeitig aber auch als Buch funktioniert. Der E-Book-Lampenschirm steht bei mir als Lampe am Bett und wäre gleichzeitig das Display zum Lesen. So kommen Sie auf neue Produktideen.

Und wie lässt sich so eine Methode auf ein konkretes Problem in meiner täglichen Arbeit übertragen?

Das, was ich eben beschrieben habe, zielt speziell auf neue Produkte. Für das Problemlösen empfehle ich beispielsweise die Strategie, Grundannahmen zu hinterfragen. In London gab es beispielsweise einmal einen Personalengpass bei den Taxifahrern. Es waren zu wenige Fahrer verfügbar, die sich in der Stadt wirklich auskennen. Die Grundannahme, dass ein Taxifahrer immer den Weg kennt, war gleichzeitig die Hürde, um das Problem zu lösen. Als man diese Annahme hat fallen lassen, funktionierte es plötzlich: Die Taxiunternehmen machten Taxis kenntlich, die Ortsunkundige fahren. Dafür mussten die Fahrgästen ein Drittel weniger bezahlen und dem Taxifahrer den Weg zeigen.

Was würden Sie Personalern raten, die mit ihrer Arbeit Kreativität im Unternehmen fördern möchten?

Überall da, wo Mitarbeiter zusammenkommen – vom Meeting über Tagungen bis hin zu großen Events –, sollten Sie möglichst viel Einfluss nehmen und das Know-how, das Sie als Personaler haben, anwenden, um die Spielfreude und Kreativität der Menschen anzuregen. Sehr häufig führen in punkto Tagungskonzeption die Vertriebs- und Marketingabteilung oder externe Eventagenturen das Zepter. Da könnten Sie als Personaler eine Menge bewegen.

Interview: Stefanie Hornung