Bereits heute zeigen zahlreiche Studien, dass 98 Prozent der 15- bis 29-Jährigen das Social Web ganz selbstverständlich als Kontakt- und Informationsquelle nutzen. Diese jungen Männer und Frauen sind nicht nur die Kunden der Unternehmen von heute und morgen, sondern auch ihre künftige Mitarbeiter – soweit sie nicht bereits auf deren Gehaltslisten stehen.

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Foto von Alesia Kazantceva

Für Unternehmen bedeutet das, dass sie sich neu strukturieren müssen, um für den Nachwuchs attraktiv zu bleiben. Denn Social Software ist ein Angriff auf die etablierten Regeln der Macht und erzwingt ein grundlegendes Umdenken. Nicht mehr die Anbieter, sondern die Kunden haben das Sagen. Prinzipien wie diese fasste bereits vor mehr als 10 Jahren das Cluetrain Manifest zusammen, eine Sammlung von 95 Thesen über das Verhältnis von Unternehmen und ihren Kunden im Zeitalter des Internets. Die beschriebene Veränderung der Gesellschaft hat aber erst begonnen.

Neue Aufgabe für HR: Strukturen an Mitarbeiter anpassen

Klassische, hierarchische Organisationskonzepte verlieren im digitalen Zeitalter zunehmend ihre steuernde Wirkung. Waren sie einst die Antwort auf eine arbeitsteilig organisierte Gesellschaft, repräsentieren sie heute in ihrer Starrheit das Gegenkonzept zur gesellschaftlichen Realität. Hieraus erwächst ein Veränderungsdruck auf die Unternehmen, bei dem es nicht mehr darum geht, Routinen neu zu organisieren, sondern Offenheit und Flexibilität zu initiieren. Veränderung muss daher zum organisationalen Standard werden.

Das Problem dabei: Üblicherweise passen sich die Strukturen in Unternehmen nicht den Möglichkeiten der Mitarbeiter an. Die Beschäftigten fügen sich vielmehr in das bestehende Umfeld ein. Doch für immer weniger Menschen macht es Sinn, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Identifikation und Motivation gehen verloren, Innovation und Produktivität leiden. Um die nötigen Flexibilität in Organisationen zu schaffen, muss sich die Anpassungsleistung von den Mitarbeitern auf die Strukturen verschieben. Dieses Prinzip hat die Disziplin Design längst für sich erkannt: „Form follows function“.

Für die Entwicklung von Unternehmen zum Enterprise 2.0 heißt das: Die Kultur ist wichtiger als Technik. Daher ist ein tiefgehender Change-Prozess vonnöten, den es aus HR heraus zu managen gilt. Personaler dürfen sich somit nicht als Zuschauer positionieren, sondern sollten Treiber dieser Transformation werden.

Personaler hinken hinterher

Die meisten Personalmanager glauben, dass sie schon kräftig Social Media nutzen. Tatsächlich ist das Thema zwar in der Branche angekommen, aber noch lange nicht dort, wo es sein könnte. Sicher schütteln nun diejenigen Personalverantwortlichen mit dem Kopf, die Social Media in letzter Zeit erfolgreich eingesetzt haben – etwa für Personalmarketing und Social Recruiting. Das ist jedoch nur ein Bruchteil des Wirkungsradius von strategischem HR-Management.

Laut einer Online-Umfrage von defacto X, der Selbst-GmbH und der Deutschen Telekom unter rund 500 Führungskräften nutzen vier von fünf Befragten entsprechende Social-Software-Dienste und Plattformen bereits seit mindestens zwei Jahren – nicht nur privat, sondern auch im beruflichen Umfeld. Der geschäftlich motivierte Anteil der Web 2.0-Nutzung liegt aber nur bei 47 Prozent (privat: 53 Prozent).

Wie die Studie weiter zeigt, nutzen Führungskräfte Social-Media-Anwendungen bisher vor allem, um sich mit ihren Mitarbeitern und Kollegen virtuell zu vernetzen (59 Prozent) und weniger, um sich aktiv Inhalte zu erstellen. So kommuniziert knapp ein Drittel (32 Prozent) der Befragten oft mit Mitarbeitern und Kollegen via Social Web, während jeweils etwa jeder Vierte selbst häufig Nachrichten postet (27 Prozent) und sein Wissen im Rahmen von Projekten – beispielsweise über ein Wiki – zur Verfügung stellt (24 Prozent).

Von einer nachhaltig abgestimmten Social-Media-Strategie sind die meisten Unternehmen noch weit entfernt, wobei die Unternehmensgröße eine entscheidende Rolle spielt. Während 47 Prozent der Großunternehmen (mehr als 10.000 Mitarbeiter) bereits strategisch mit Social Media Anwendungen arbeiten, ist dies in mittleren (100 bis 10.000 Mitarbeiter) und kleinen Unternehmen (weniger als 100 Mitarbeiter) lediglich zu 14 Prozent beziehungsweise 17 Prozent der Fall.

HR (41 Prozent der Befragten) schneidet in dieser Studie gegenüber anderen Unternehmensfunktionen wie Marketing, Sales, Service, Marktforschung, Kommunikation oder IT äußerst zurückhaltend ab. Dies betrifft sowohl die private als auch geschäftliche Nutzung. Marktbeobachtungen, die über die Befragung hinausgehen, bestätigen: Was einige HR-Abteilungen und Social-Media-Pioniere der Personalarbeit mit ersten Initiativen im Personalmarketing erreicht haben, ist erstmal nur die Basis, um in das Thema Enterprise 2.0 einzutauchen.

Der Blick nach vorne – mit Experimenten starten

Historische Erfahrungen zeigen: Tiefe strukturelle Entwicklungen von Unternehmen haben stets lange Inkubationszeiten. Denn hierfür müssen Menschen, die in engen strukturellen Korsetten stecken, zunächst gesellschaftliche und soziale Entwicklungen wahrnehmen und Anpassungsstrategien für sich entwickeln. Diese individuell verankerten Handlungsmuster stellen dann den Nährboden für eine nachhaltige organisationale Entwicklungen dar.

Damit Unternehmen Kurs in Richtung Enterprise 2.0 nehmen, sollten Personalmanager deshalb erst einmal mit Experimenten starten. Dafür müssen sie selbst in die Mitmachkultur des Web 2.0 eintauchen und ihre Erfahrungen in kleinen Pilotprojekten umsetzen. Innerhalb der Deutschen Telekom haben wir in den letzten zwei Jahren mehr als 60 unterschiedliche solcher Projekte gestartet – sowohl im internen Bereich als auch auf Kundenseite. Experimente im Kundenservice waren zum Beispiel der Twitter-Kanal „Telekom_hilft“ (mehr als 8.500 Follower), Kundenforen, Blogs in Social Media (T-Mobile US erreicht über SoM mehr als 10 Millionen Kunden) oder die interne Nutzung von Wikis, Blogs und Social Networks (mehr als 23.000 interne User). Gleichzeitig ist aber auch eine Enterprise-2.0-Strategie erforderlich: Dabei sollten HR-Verantwortliche strategisch erarbeiten, in welchen Funktionseinheiten das Unternehmen zu Beginn aktiv werden soll und welche Wertschöpfungsprozesse Potential im Sinne des Web-2.0-Gedankens haben.

Ohne Top down kein Bottom up

Kaum eine andere Unternehmensinitiative entwickelt eine solche Dynamik und intrinsische Motivation der Beteiligten, wie das Thema Enteprise 2.0. Da es sich nicht um eine Modeerscheinung neuer Tools handelt, sondern um eine geistige Haltung, hängt viel von der Einstellung der Belegschaft ab. Die Arbeit mit Mitarbeitern, die dem Enterprise 2.0 positiv gegenüberstehen, fällt leicht. Um die Veränderungen jedoch in der gesamten Organisation zu verankern, sollten Personalmanager dauerhaft gezielte Impulse in das Unternehmen geben und die Bottom-Up-Wirkung um klare Top-Down-Signale zu ergänzen. Personalverantwortliche, die ihr Top-Management als aktive und sichtbare Vorbilder in punkto Social Media oder Collaboration gewinnen können, haben es leichter, das mittlere Management zu überzeugen. Sie erreichen dadurch die notwendige „Sandwich-Power“.

Damit HR das Comittment der Unternehmensleitung für die Entwicklung hin zum Enterprise 2.0 erlangt, sollte es nicht die Frage stellen, ob Enterprise 2.0 nötig ist. Vielmehr sollte das Personalmanagement skizzieren, wie die Entwicklung dazu aussehen muss und der Unternehmensleitung klar machen, was passiert, wenn sich das Unternehmen nicht zum Enterprise 2.0 entwickelt: Auf dem Markt hat ein solcher Betrieb langfristig nichts zu melden.

HR muss Treiber für das Enterprise 2.0 sein und sich als Impulsgeber etablieren – auf Augenhöhe mit der Unternehmensleitung. Starten Sie jetzt. Starten Sie klein, aber starten Sie!