Oben wird gedacht, unten wird gemacht – nach dieser Devise seien Unternehmen im Industriezeitalter erfolgreich gemanagt worden, erklärte Niels Pflaeging. Doch heute, im Komplexitäts- oder Wissenszeitalter, erweise sich die Trennung von Denken und Handeln als überholt. Management sei folglich nicht nur verzichtbar, sondern sogar schädlich und verschwenderisch, mahnte der Buchautor und Redner. In seinem „Gedankenexperiment“ plädierte Pflaeging vehement dafür, sich von der stark verinnerlichten Ideologie zu verabschieden – und zwar restlos: „Wir versuchen verzweifelt, das alte System zu verbessern. Dabei bräuchten wir ein neues!“

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Foto von Annie Spratt

Neues Menschenbild erfordert Radikal-Kur

Doch wie sieht nun dieses neue System aus, das Pflaeging als Beta-Kodex bezeichnet? Weil Marktintelligenz nicht im Zentrum entstehen könne, müsse sich die Macht auf die Peripherie verlagern. „Je zentraler wir Entscheidungen treffen desto schlechter sind sie“, argumentierte der Redner. Statt Hierarchie und Kontrolle benötigten Mitarbeiter am Aussenrand Handlungsfreiheit, genauer gesagt Sinnkopplung statt Abhängigkeit. „Alle Menschen wollen etwas leisten und in ihrer Arbeit einen Sinn finden“, ist Pflaeging überzeugt. Doch nicht Pflichterfüllung, sondern eine Ergebniskultur erzeuge Leistung. In diesem Zusammenhang bezeichnete der Referent viele gängige HR-Instrumente wie Kompetenzen-Management und Mitarbeiterbeurteilungen als „Bullshit“: „Es ist nicht in Ordnung, Mitarbeiter zu bewerten – mit Ihrem Lebenspartner tun Sie das ja auch nicht“, erntete er trotz seiner harschen Worte einen Lacher.

Bye, bye Management!

In Sachen Leadership bedeute dies, Management durch Führung zu ersetzen. „Führung ist das Gegenteil von Management. Es ist eine Rolle, die jeder ab und zu übernimmt“, erläuterte der Vordenker. Zur Orientierung brauche es keine strikten Vorgaben, sondern nur relative Ziele. „Es hat keine Aussagekraft, wenn Sie die Unternehmensleistung mit einem selbsterstellten Plan vergleichen. Vergleichen Sie sich besser mit anderen Markteilnehmern“, wandte sich Pflaeging zudem gegen eine fiktive Management-Matrix-Welt. „Ich behaupte, Unternehmen sollten niemals planen. Sich vorbereiten, ja, aber nicht planen“, ging der Referent noch einen Schritt weiter. Die besten Organisationen dieser Welt liessen sich ausschliesslich vom Markt managen. Es sei schwer, sich von dem alten Denken zu lösen, räumte Pflaeging abschliessend ein. Vorreiter, die diesen „Reifungsprozess“ bereits erfolgreich vollzogen hätten, seien unter anderem Trisa, Southwest Airlines, Svenske Handelsbanken, dm-drogerie markt und Gore.

Swisscom: Jeder Mensch hat Potenziale

„Auf der Reise“ befindet sich derzeit auch die Swisscom, wie Dr. Günter H. Pfeiffer, Leiter Personalwesen, an der Swiss Professional Learning ausführte. In seinem Vortrag über die Personal- und Organisationsentwicklung des Konzerns traten viele Analogien zu Pflaegings Konzept zutage. So kennzeichnete Pfeiffer den Umgang mit der wachsenden Komplexität und die Unvorhersehbarkeit der Ereignisse als die Megatrends, mit denen Unternehmen heute konfrontiert seien. Auch sein Menschenbild weist Übereinstimmungen auf: „Jeder Mensch verfügt über unglaubliche Potenziale“, konstatierte der Personalchef.

Wertschätzendes Führungsverhalten

Bei der Swisscom gebe es zwei Prinzipien: „Leidenschaft für Kunden“ und „Herzblut für das, was ich tue.“ Daran ausgerichtet bewege sich das Unternehmen in den letzten Jahren weg von finanzgetriebenen Werten hin zu einem wertschätzenden Führungsverhalten. Schliesslich könne niemand erwarten, dass Mitarbeitende ihre Kunden gut behandelten, wenn sie selbst schlecht behandelt würden, erklärte Pfeiffer. Durch Vorleben und täglichen Erfahrungsaustausch werde eine gemeinsame Wertebasis entwickelt, die alle miteinander teilten. Jeder Mitarbeitende sei ein Botschafter für diese gelebten Werte und verfüge im Kundenkontakt über einen eigenen Entscheidungsspielraum. Um eine „Motivationsmelodie“ zu erzeugen, spiele das Unternehmen zudem eine „Vielzahl von Instrumenten“, darunter auch materielle. Eine finanzielle Erfolgskomponente könne aber nur im Team erzielt werden, fügte Pfeiffer an.

Abkehr von Instrumentalisierung

Bei der Bewerberauswahl lege die Swisscom besonderen Wert auf eine bestimmte Verhaltenskomponente: „Weil die Zukunft nicht vorhersehbar ist, suchen wir lernfähige Menschen mit Neugierde, die bereit sind, sich aktiv einzubringen.“ Im Selektionsprozess geniessen die Mitarbeitenden heute zudem viel Mitspracherecht. „Statt Kompetenzmodellen und Assessmentverfahren vereinbaren wir ein Erstgespräch und dann weitere Gespräche in der Arbeitsumgebung“, erklärte Pfeiffer. Auch strukturierte Feedbackgespräche mit Vorgesetzten gehörten der Vergangenheit an. „Die bekommen heute unmittelbar und kontinuierlich Rückmeldungen von der Belegschaft.“

All you need: Fully engaged people

Mitarbeiter, die sich mit Herzblut engagieren, machen den Unterschied. Diese Aussage unterschreibt auch Paul Bridle. Der britische Experte erforscht seit Jahren, was erfolgreiche Unternehmen auszeichnet. Er ist zudem dafür bekannt, sein Wissen in einprägsamen Bildern und Beispielen zu vermitteln. So auch im Vortrag an der Personal Swiss, in dem der Vielreisende unter anderem von seinen Erfahrungen mit Hotelrezeptionen berichtete. Zum Beispiel von der Empfangsdame eines eher einfachen Hotels, die exakt auf seine individuellen Bedürfnisse einging: „Sie brauchen Ruhe und einen Internetanschluss, aber keine Aussicht. Dann verlege ich Sie besser in den 4. Stock.“ Durch das Mitdenken und den persönlichen Einsatz der Angestellten habe dieses Hotel mehr Eindruck auf ihn gemacht als eine luxuriöse Unterkunft mit unpersönlichem Service.

Rollenklärung: Einflugschneisen ins Business gesucht

Wenn Menschen den entscheidenden Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten, müsste das Personalmanagement eigentlich entsprechend hoch aufgehängt sein. Doch in vielen Unternehmen ist das nicht so. „Erst kommt das Geschäft, dann das Peoplemanagement, heisst es oft“, erklärte Lothar A. Harings. Wenn HR nicht als „Plan B“ in der Rangfolge fungieren wolle, müsse es ein klares Verständnis für seine Rolle entwickeln, betonte der Chief Human Resources Officer der Kühne + Nagel International AG. Seinen Platz im „Driver Seat“ erhalte es aber nur, wenn es sich die Sprache des Geschäfts aneigne. „HR war in der Vergangenheit auf lange Zeiträume ausgerichtet. Heute ist aber nichts mehr für die Ewigkeit gemacht“, plädierte Harings für kürzere Steuerungen und griffige Botschaften, an denen sich die Personalabteilung dann auch messen lassen könnte. Bei seinem Eintritt in den Logistikkonzern Kuehne und Nagel habe er zunächst einen 100 Tage-Plan aufgestellt, erläuterte der Personalchef. Nach dem Motto „Tu Gutes und sprich darüber“ müsse HR kontinuierlich auf den darin enthaltenen Value-Add aufmerksam machen.

Spot an: 10. Swiss HR-Award rückt HR ins Rampenlicht

Auch der Swiss HR-Award, der in diesem Jahr zum 10. Mal verliehen wurde, wirft Licht auf das „Nachtschattengewächs HR“. „Mit unserer Teilnahme am Wettbewerb haben wir externe Anerkennung gewonnen“, freute sich Nathalie Bourquenoud, Leiterin Personal & Logistik beim Gewinner PostFinance. Mit einem neuen HR-Geschäftsmodell ist es in ihrem Unternehmen gelungen, die HR-Berater als Business-Partner der Linie zu etablieren. „Ich bin Mitglied der Geschäftsleitung. Das ist wichtig und richtig“, betonte Bourquenoud. Mit einem integrierten und verbundenen Career Development Konzept für alle Funktions- und Geschäftsbereiche eroberte die Syngenta AG Platz zwei. Auf dem dritten Platz landete die St. Galler Kantonalbank, die sich ebenfalls durch einen Imagegewinn der Personalabteilung bei der Linie und das Gesundheitsförderungsprojekt „Good Work“ hervorgetan hat. Als Kern- und nicht Supportprozess gilt HR auch bei der Esprit Unternehmensberatung AG. Sie wurde für ihre Personalstrategie „Der Mensch im Mittelpunkt – bei Esprit bleiben und sich wohlfühlen“ mit dem Sonderpreis KMU belohnt.

Yes we care: Gesundheit im Fokus

Sich wohlfühlen – das können Mitarbeitende nur, wenn sie gesund sind. Inzwischen herrscht in vielen Firmen die Bereitschaft, in die Gesundheit – und damit in die Leistungsfähigkeit – der Beschäftigten zu investieren. „Es gibt so viele Absenzen, Burn-outs, psychische Erkrankungen“, sieht Dominique Lötscher, Spezialistin für Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) der nationalen Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz, grossen Handlungsbedarf. „Die Art und Weise, wie wir leben, das Multitasking, die Doppelrollen in Familie und Beruf – das alles fordert.“ Betriebliches Gesundheitsmanagement habe eine Präventivfunktion, betonte Lötscher, die zusammen mit ihrer Kollegin Catherine Züllig das neue Label „Friendly Workspace“ an der Fachmesse vorstellte.

Friendly Workspace: BGM-Kriterien mit Vorreitern systematisiert

„Sie müssen kein Wellness-Hotel aufbauen!“ betonte Dominique Lötscher in ihren Ausführungen. Bei der Zertifizierung mit dem neuen Label gehe es weniger um Quantität als um Kontinuität. Bewertet werden sechs BGM-Qualitätskriterien, die Gesundheitsförderung Schweiz zusammen mit führenden Schweizer Unternehmen entwickelt hat: 1. BGM und Unternehmenspolitik, 2. Aspekte des Personalwesens und der Arbeitsorganisation, 3. Planung von BGM, 4. Soziale Verantwortung, 5. Umsetzung von BGM, 6. Gesamtevaluation. Als erste Firmen wurden in diesem Frühjahr zehn Grossbetriebe und vier KMU mit dem Qualitätssiegel ausgezeichnet.

Das Verfahren: Nach dem Self-Assessment kommen die Prüfer ins Haus

Zunächst müssten Unternehmen eine Selbstevaluation der sechs Kriterien vornehmen, erläuterte Catherine Züllig, die Firmen im Zertifizierungsprozess begleitet. Zu diesem Zweck stehe ihnen ein kostenloses online Assessment-Tool zur Verfügung. Über die Vergabe des Labels entscheiden dann externe Assessoren von Gesundheitsförderung Schweiz, die bei einem Tagesbesuch im Unternehmen eine abschliessende Bewertung auf Basis des Self-Assessments vornehmen. „Zu bezahlen ist nur der Arbeitseinsatz der Prüfer und die Lizenzgebühr“, betonte Züllig. Das Interesse an dem neuen Label sei gross. „Derzeit durchlaufen weitere Unternehmen den Prozess. Wir rechnen mit einer progressiven Entwicklung“, erklärte Dominique Lötscher. Was in der Schweiz begonnen wurde, könnte möglicherweise auf ganz Europa ausgedehnt werden, sieht sie zudem auch andernorts Bedarf an dem Gütesiegel.

Recruiting: Das Werben geht weiter – und zwar online

Mit dem Label „Friendly Workspace“ oder anderen Auszeichnungen tun Unternehmen nicht nur ihren Mitarbeitern etwas Gutes, sondern erhöhen auch ihre Chancen im Kampf um die besten Köpfe. Denn qualifizierte Fachkräfte sind weiterhin gesucht, wie Dr. Falk von Westarp, Country Manager Schweiz des Karriereportals Monster, bei der Vorstellung der Studie „Recruiting Trends Schweiz 2010“, bestätigte: Im Zuge der Wirtschaftskrise seien zwar weniger Stellenangebote auf allen Kanälen geschaltet worden, doch ein Drittel der Vakanzen sei nach Einschätzung der Befragten immer noch schwierig oder gar nicht zu besetzen. Die Krise habe zudem die sich fortschreitende Substitution von Print- durch Online-Ausschreibungen noch beschleunigt. Online geniesse nicht nur einen Preisvorteil, sondern auch eine erhöhte Reichweite gegenüber der Zeitung. „Zur grenzüberschreitenden Personalbeschaffung genügt ein Klick“, erklärte von Westarp. Hinzu kommen Aktivitäten in den sozialen Netzwerken, deren Bedeutung weiter zunehme. Monster habe Social Media-Dienstleistungen in sein Portfolio aufgenommen, binde Google maps zum Lokalisieren der Jobangebote ein, platziere gezielt Online-Anzeigen, sei mit Beratungstexten in den Suchmaschinen präsent, betreibe eine Fanseite bei Facebook und ein Diskussionsforum bei Xing. „Der Online-Stellenmarkt ragt in das Internet und holt die Leute in diesem Kontext ab“, kennzeichnete der Country Manager die Reiserichtung.

Digitalisiert: Neue Lerntechnologien im Trend

Auch im Bereich Weiterbildung führt die Reise ins Internet, wie an der Swiss Professional Learning deutlich wurde. „Alle Mitbewerber sind da. Das ist der place to be“, kommentierte Urs August Graf das neue E-Learning Aussteller-Cluster. Der CIO des Anbieters STEAG & Partner AG bestätigte, dass computergestützte Lernformate im Trend liegen. „Es kommen jetzt auch Organisationen hinzu, die bislang immer klassisch geschult haben.“ Zugleich habe sich die Sorge der Trainer, durch den Computer ersetzt zu werden, nicht bewahrheitet. „Ihr Aufgabenspektrum hat sich lediglich verschoben und gar erweitert. Sie spielen jetzt zusätzlich die Rolle des Begleiters mit Coaching-Funktion.“ Generell sei ein Medienmix gefragt. „Blended Learning mit seinem Wechsel von Präsenzunterricht und E-Learning kommt gut an“. Zur Etablierung dieser Lernformen müssten Unternehmen eine Lernkultur aufbauen. „Lernen ist ein fixer Bestandteil der täglichen Arbeit. Denn nur gut geschultes Personal ist auch in der Lage, die unternehmerischen Ziele zu erreichen.“

E-Learning für die Schweizer Polizei

Zu den Kunden der STEAG gehört auch eine Grosszahl kantonaler Polizeikorps und Schulen. „Bislang galt in den Schweizer Kantonen eine unterschiedliche Strafprozessordnung, die zum Jahresanfang 2011 vereinheitlicht wird“, erklärt Graf das Szenario. Um den Polizisten die damit verbundenen Änderungen zu vermitteln, habe STEAG ein auf sie zugeschnittenes, einsatzorientiertes Schulungskonzept entwickelt. „Die Zielgruppe kann mit dem Gesetzestext alleine nur wenig anfangen“, kennzeichnete Graf den Anspruch. „Gefragt sind praxisrelevante ‚Übersetzungen‘ der neuen Strafprozessordnung in die tägliche Arbeit der Polizei”. Wegen dieser starken inhaltlichen Orientierung verstehe sich STEAG auch nicht als Software-Schmiede, sondern als Generalunternehmung für Ausbildungsfragen. „Die Technologie kommt ganz zum Schluss.“

Fazit des Veranstalters: Neuer Drive für HR

„Die Personal Swiss 2010 hat sich richtig gut angefühlt. Während im Vorjahr eine gewisse Ängstlichkeit und Unsicherheit angesichts der Krise in der Luft lag, prägten jetzt eine neue Leichtigkeit und Optimismus das Geschehen. Die Fachbesucher schienen motiviert, zukunftsorientiert und sehr aufgeschlossen für die Messethemen. Unter solchen Bedingungen macht es einfach Spass, die Messen weiterzuentwickeln – so geschehen durch das neue E-Learning-Cluster an der Swiss Professional Learning, das sehr gut angenommen wurde. Auch die begleitende Swiss E-Learning Conference verbuchte einen gelungenen Auftakt“, freute sich Projektleiterin Sophie Jaillet. Eine Fortsetzung erfahren die Messen am 5. und 6. April 2011 in Zürich. Weitere Informationen sind unter www.personal-swiss.ch und www.professional-learning.ch zu finden.