Nicht nur aus ethischen Gründen, sondern auch aus purer ökonomischer Notwendigkeit, kommen Unternehmen um Angebote für Work-Life-Balance (Kastner, 2004) nicht mehr herum. Dienstleistungen, Produkte, Prozesse und Organisationen verändern sich permanent: Sie werden zunehmend komplexer (Dynaxität). Durch die damit verbundenen psychischen Belastungen steigt die Anzahl entsprechender psychischer Beeinträchtigungen wie Depression, Burnout oder Panik-Attacken.

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Foto von Austin Distel

Mitarbeiter zu finden und zu binden, die auf Dauer den dynaxischen Anforderungen genügen, wird schwerer – auch aufgrund des demographischen Wandels: Dem Arbeitsmarkt steht immer weniger qualifiziertes und psychisch stabiles (resilientes) Personal zur Verfügung. Wer bleibt, also nicht in attraktivere Länder auswandert (Brain-Drain), entscheidet sich nicht selten für Down-Shifting und fährt seine beruflichen wie finanziellen Ansprüche herunter.

Um als Arbeitgeber für geeignete Mitarbeiter attraktiv zu sein, schaffen Unternehmen deshalb flexiblere Arbeitsbedingungen. Arbeit und Freizeit verschmelzen zunehmend, indem das Zuhause auch „work“ beinhaltet und umgekehrt am Arbeitsplatz „life“ stattfindet.

Trend zu neuen Arbeits- und Organisationsformen

Diese Entwicklung kennt viele Gesichter. Sie zeigt sich etwa in Patchwork-, Leih-, Telearbeit, Job- und Desk-Sharing, Downsizing, Outsourcing, Call Center oder virtuellen Teams. Doch auch die klassische Karriere verändert sich. Viele Menschen bewegen sich auf einem Tätigkeitskontinuum zwischen dem Pol “klassischer Arbeitsplatz“ und dem Pol „keine Tätigkeit zum Zwecke des Gelderwerbs (zum Beispiel Eigenarbeit)“. Diese Tätigkeitsflexibilität geht einher mit Arbeitszeit-, Raum(Mobilität)- und Qualifikationsflexibilität. Es wird immer unwahrscheinlicher, einen einmal erlernten Beruf vierzig Jahre lang auszuüben. Als „normal“ gilt hingegen, mehrere Berufe im (Arbeits-)Leben auszuüben beziehungsweise die einmal erworbenen Qualifikationen permanent zu modifizieren.

Den Arbeitsplatz gibt es kaum noch, zumal die Arbeitsmittel sich in den nichtproduzierenden Berufen eine relativ große Ortsunabhängigkeit erlauben. Mitarbeiter können von zuhause auf die Server in der Firma zugreifen. Teilweise bestehen ganze Firmen aus fluiden, virtuellen Netzen.

Engagement sichern

Was erwarten nun diese raren, problemlösefähigen, psychisch stabilen, höchst leistungsmotivierten Talente in einer solchen dynaxischen Arbeitswelt der Zukunft? Und wann sind sie bereit, ihre Leistungsfähigkeit auch abzurufen? Dazu gilt es nach dem Konzept zum Leistungs- und Gesundheitsmanagement an drei „Stellschrauben“ zu drehen: Arbeitssituation, Führung sowie Unternehmenskultur.

1. Arbeitssituation hochwertig gestalten

Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter verstärkt in die Lage versetzen, mit Flexibilitäten und den damit einhergehenden Freiheit umzugehen (Thema „Selbstmanagement zur Work Life Balance“, d.h. Wie können wir Höchstleistungen erbringen, gleichzeitig gesund bleiben und Lebensqualität haben?). Eine Rolle spielen dabei auch die Arbeitsräume. Reine Großraumbüros etwa machen wenig Sinn, da sie das Gefühl der Anonymität verstärken. Wenn schon ein relativ fester Arbeitsplatz erforderlich ist, sollte er „Heimat“ bieten. Das heißt er sollte der menschlichen Natur entgegenzukommen, indem Mitarbeiter beispielsweise Privatheit, subjektive Sicherheit oder Geborgenheit erleben können.

2. Inhaltlich Führen

Flexible Arbeitsbedingungen haben den großen Vorteil, dass sie für die Lebensqualität recht große Gestaltungsmöglichkeiten bieten. Der Nachteil: Menschen mit diesen Freiheiten zu führen ist schwieriger. Denn Führung verlangt persönlichen Kontakt. Der Mensch ändert sich nicht mit den äußeren Gegebenheiten. Im Prinzip ist er immer noch ein „emotionales, soziales, Lauf- und Rhythmustier“, das krank wird, wenn es gegen seine Natur agiert. Führung lebt trotz der erwähnten Flexibilitäten von Vertrauen, Wertschätzung, sozialer Unterstützung und Problemlösungen im Team. Dies wird natürlich durch die erwähnten Flexibilitäten erschwert. Führungskräfte müssen trotz weniger und unregelmäßigerem Kontakt zu den Mitarbeitern Wertschätzung und soziale Unterstützung bieten.

3. Unternehmenskultur anpassen

Schließlich muss die Gestaltung der Organisationskultur in weitgehend anderen Bahnen laufen: im Sinne einer Vertrauens-Fehlerlern-Innovations-Gesundheitskultur. Unternehmen sollten Verantwortungen und Befugnisse anderes regeln, zum Beispiel müssen beide Aspekte zusammen passen. Wer für 500 Mitarbeiter verantwortlich ist, aber noch nicht einmal einen Laptop für 1000 Euro bestellen darf, hat ein Problem. In einer entsprechenden Führungskultur ist das Controlling ein Hilfs- und nicht Angstinstrument. „Der Manager als Coach“ untermauert das durch inhaltliches Führen. Wie beim Sporttraining müssen Führungskräfte Leistungsdaten als Hilfe rückmelden, aber vor allem sollten sie inhaltliche Hilfen geben, wie die Mitarbeiter im übertragenen Sinne weiter springen können.

Weitverbreitete Ignoranz – diesseits und jenseits der Krise

Aus Erfahrung ist Skepsis angebracht, inwieweit Unternehmen angesichts der Wirtschaftskrise solche Aspekte des Arbeitsplatzes als Heimat und des inhaltlichen Führens mithilfe des Controllings tatsächlich umsetzen. Meistens muss sich Personalarbeit in kritischen Phasen hinten anstellen, weil sich die Organisationen ja um die „wichtigen“ Probleme kümmern müssen. Das Paradoxe daran: In Boom-Zeiten bleibt wiederum keine Zeit für derartige Personalfragen, denn dann steht Gewinnmaximierung ganz oben auf der Agenda. Ob die Unternehmen zukünftig die Zeichen der Zeit erkennen, bleibt abzuwarten.

Literaturtipp

Die Zukunft der Work Life Balance: Wie lassen sich Beruf und Familie, Arbeit und Freizeit miteinander vereinbaren? Von Michael Kastner. Asanger Verlag 2004. 468 Seiten. ISBN: 978-3893344215