Heute dreht sich in unserem HRM Podcast alles um das Thema „Lern-Hacks in der Zeit nach Corona“. Unser Gesprächsgast ist Dr. Daniel Stoller-Schai, Gründer der Firma Collaboration Design, das nachhaltige und kollaborative Lernlösungen für Unternehmen entwickelt. Zudem ist der Schweizer seit 2009 Head Advisory Board der Learning Innovation Conference. Daniel Stoller-Schai erläutert hier, wie die Zukunft des hybriden Lernens in Unternehmen aussehen könnte und warum er verstärkt auch Deep anstatt auf Fast Learning setzt.

Dr. Daniel Stoller-Schai

Alexander Petsch: Ich freue mich, dass Du heute bei uns bist.

00:01:12

Daniel Stoller-Schai: Vielen Dank, Alex, die Freude ist ganz meinerseits und ich freue mich auf einen spannenden Podcast mit Dir.

00:01:19

Alexander Petsch: Learning Hacks in der Post-Covid-Ära. Durch Covid ist natürlich vieles noch digitaler geworden. Aber war Lernen nicht schon vorher stark hybrid, Stichwort E-Learning? Was hat sich nun wirklich geändert?

00:01:36

Daniel Stoller-Schai: Ich würde sagen, es war zum Teil hybrid, es war zum Teil digital. Viele haben es gemacht, viele haben es aber auch nicht gemacht. Wir sind die letzten eineinhalb Jahre durch eine sehr steile Lernkurve gegangen. Was mich gefreut und überrascht hat, ist, wie viele sehr innovativ mit dem Thema umgegangen sind und sich darauf eingestellt haben. Ich kann mich erinnern, Anfang 2019 habe ich die ersten Zoom-Kurse gegeben für all die, die das Tool noch überhaupt nicht gekannt haben. Und seither haben wir uns fit gemacht mit digitalen Web-Conference-Tools, mit digitalen Whiteboards. Wir haben uns mit hybriden Lern-Settings beschäftigt, mit der neuen Rolle von Learning and Development Professionals. Also, wir haben sehr vieles gelernt. Die Frage ist, wie nachhaltig ist das? Und wo sind noch weitere Lernstrecken, die wir zu gehen haben?

00:02:34

Alexander Petsch: Jetzt bist Du ja Experte und probierst alles aus, was es im Lern-Technologiebereich gibt? Was wäre denn Dein erster Hack, den Du uns mitgebracht hast?

00:02:56

Daniel Stoller-Schai: Die Frage ist natürlich, was ist ein Lern-Hack? Und ein Lern-Hack oder -Hacker ist jemand, der die Dinge unkonventionell angeht. Das ist jemand, der neue Lösungswege sucht, der versucht, Fehler im System kreativ zu nutzen, die Perspektiven zu wechseln und etwas anderes anzusehen und zu verstehen. Und ja, ich bin seit vielen Jahren digital unterwegs und deshalb ist es spannend, das von der anderen Seite her anzuschauen. Jetzt vielleicht nicht auf das Digitale zu schauen, sondern auf das Haptische und Analoge. Sich zu überlegen, wie verändert sich eigentlich das Präsenzlernen durch die Zunahme am Digitalen? Ich habe kürzlich einen Artikel geschrieben zum Thema „Die Renaissance des Präsenzlernens“ und weise darin darauf hin, dass das Digitale das Analoge und Haptische von der typischen Wissensvermittlung befreit. Das heißt, wir haben neue, ganz andere Möglichkeiten, uns in Präsenz zu treffen und einen ganz anderen Fokus darauf zu legen. Ich hatte kürzlich in einem Bewerbungsgespräch mit einer Dame zu tun. Die kam aus dem Bereich E-Learning, aber auch aus dem Bereich Verpackungsindustrie. Und ich fand es total charmant, mir zu überlegen, könnten wir diese Fähigkeiten, nämlich mit Verpackungsmaterial etwas zu machen, nicht mehr einsetzen im Präsenzbereich und dort ähnlich wie bei Legacy Display (unklar!) oder anderen haptischen Methoden solche Dinge einzusetzen. Lass uns auf das Analoge und auf das Haptische schauen. Und dann sprechen wir sehr viel von Fast Learning, Rapid Learning und Micro Learning.

00:04:54

Alexander Petsch: Lass uns nochmal auf das Haptische zurückgehen. Du sagst, durch das Digitale haben wir die Möglichkeiten, ganz andere Dinge in der Präsenz zu fokussieren. Dann heißt das eigentlich, dass all das, was ich gut digital lernen kann, vorgeschaltet wird. Und die Exzellenz des Wissens ist dann das, was Du eher im Präsenztraining erwarten würdest.

00:05:34

Daniel Stoller-Schai: Exakt. Wir sollten das Präsenztraining komplett befreien von der klassischen Wissensvermittlung. Das ist nichts Neues. Wir haben das vor ein paar Jahren schon mit dem Thema Flipped Classroom angeschaut. Aber jetzt, glaube ich, ist das Verständnis da, ist auch die Erfahrung da. Dass wir das Präsenzlernen wirklich auf die Wissensanwendung, den Wissensaustausch, die Interaktion, das Miteinander fokussieren. Und die wertvolle Face-to-Face-Zeit für das nutzen und nicht für Wissensvermittlung, die wir getrost in den digitalen Bereich schieben können.

00:06:16

Alexander Petsch: Also, Dein erster Tipp wäre, Präsenztraining nicht mehr für Wissensvermittlung.

00:06:23

Daniel Stoller-Schai: Genau, der Blick vom Digitalen auf das Haptische und Analoge. Der zweite Lern-Hack: Wir sprechen von Fast, Rapid und Micro Learning. Und es gab vor Jahren in Italien den Wechsel von Fast Food zu Slow Food. Ich habe mir gedacht, was heißt das eigentlich, wenn wir von fast Learning zu Slow Learning wechseln und uns wieder mehr mit langsamen Lernprozessen beschäftigen? Weil ich gehe davon aus, dass wir in Zukunft uns mit Dingen beschäftigen müssen, bei denen es nicht mehr reicht, wenn wir das nur Fast, Rapid und Micro lernen. Sondern wir brauchen langsame Lernprozesse und wir brauchen Deep Learning, dass wir uns wirklich vertieft mit Lernprozessen beschäftigen. Ich war letztes Jahr an einem Bootcamp für Data Science an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne zum Thema „Data Science for Managers“. Eine ganze Woche ein Bootcamp von acht Uhr morgens bis 18 Uhr abends. Frontalbeschallung. Das Wort war nicht so nett, aber es war interessant in dem Sinne, dass es wirklich ein Deep Dive war im Bereich Data Science. Da hätten mir ein kleines Lernmodul oder ein Webinar nie gereicht. Also, wir müssen da in Zukunft wirklich den Fokus auf Deep Learning und Slow Learning legen.

00:08:09

Alexander Petsch: Also eine ganz andere Wissenstiefe anstreben.

00:08:14

Daniel Stoller-Schai: Exakt. Man spricht da von T-shaped-Learning. Ich brauche wohl breites Übersichtswissen, aber wir haben vergessen, auch in die Tiefe zu gehen. Es ist ganz wichtig, dass wir bei gewissen Themen, beispielsweise bei der Artifical Intelligence, wirklich auch in die Tiefe gehen. Ich denke, das ist essenziell. Und vielleicht noch ein anderer Punkt, ein anderer Lern-Hack. Wir fokussieren immer wieder auf die Vermittlung von Lernfreude, Lernmotivation, Learning Experience. Das finde ich absolut richtig. Aber wir blenden dabei auch ein Stück weit aus, dass es auch eine große Lernangst gibt, sich mit neuen Dingen zu befassen. Ich erlebe das gerade in einem Projekt, wo es darum geht, digitale Grundkompetenzen zu ermitteln und zu messen. Und schon das Wort messen oder eine Nullmessung durchzuführen, löst sehr viel Angst aus. Ich glaube, wir müssen uns auch bewusst mit der Angst beschäftigen. Wir steuern auch in eine Richtung, wo wir sagen, wir möchten das selbständige Lernen, das selbstorganisierte Lernen fördern. Wir wissen aber gleichzeitig aus der Wissenschaft, nur 20 bis 30 Prozent sind gute Selbstlernende. Ich glaube, wir müssen das Thema Lernangst und Lernunterstützung ernst nehmen und Mitarbeitende, Lernende auch dabei unterstützen und ihnen aufzeigen, wie lerne ich denn und warum habe ich von gewissen Dingen Angst, sie neu zu lernen, und wie kann ich damit umgehen?

00:09:56

Alexander Petsch: Was heißt das konkret für Lernverantwortliche in Unternehmen und Organisationen?

00:10:03

Daniel Stoller-Schai: Wir sprechen schon lange davon, dass wir als Learning Professionals immer mehr auch in die Rolle von Learn Coaches gelangen. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass wir diese Rolle ernst nehmen und dass wir uns selber fit machen in Bezug auf selbstgesteuertes Lernen. Dass wir uns mit unseren eigenen Lernängsten auseinandersetzen, uns selber dabei beobachten, wie wir neue Dinge lernen. Und das bedeutet, dass wir uns immer wieder auch echten Lernprozessen aussetzen. Solange ich selber als Learning Professionell weder bereit bin, etwas Neues zu lernen, noch mich aus meiner Komfortzone herauszubegeben, weiß ich nicht mehr ganz genau, was echtes Lernen bedeutet. Und ich habe vor ungefähr 15 Jahren damit begonnen, mich einem neuen Lernprozess auszusetzen. Und zwar baue ich Möbel. Also, ich arbeite mit Holz und Metall und habe eine super Firma gefunden in Niederbayern, die solche Kurse anbietet, altes Handwerk. Und ich habe angefangen, dort Kurse zu nehmen, weil ich mich diesem Lernprozess aussetzen wollte. Und ich kann dir sagen, das war am Anfang echt hart, weil ich war immer der einzige Schweizer, der einzige Nicht-Handwerker und ich war immer der Schlechteste. Das war echt übel und ich habe versucht, das durchzuhalten. Unterdessen bin ich so in die Mitte vorgerückt und als Erfolgserlebnis stehen jetzt erstens bei mir zu Hause ein paar schöne, neue Möbel rum, und zum anderen werde ich bereits von anderen Kursteilnehmern gefragt, wie es geht. Und das finde ich genial.

00:11:48

Alexander Petsch: Das ist ja die höchste Form des Lernens, wenn ich anderen beibringe, was ich selbst gelernt habe. Dann kann ich es erst richtig.

00:11:58

Daniel Stoller-Schai: Exakt. Da gibt es ein schönes Buch von Alexander Renkel, das heißt „Lernen durch Lehren“. Das spricht genau diese Thematik an.

00:12:09

Alexander Petsch: Wie kann ich in meiner Organisation mit Lernängsten umgehen? Was sind Deine Tipps?

00:12:24

Daniel Stoller-Schai: Ich glaube, sie müssen angesprochen werden. Wenn ich sehe, dass mein Management sich auch auf eine Reise begibt und in Sachen Lernprozessen vorangeht und auch über Schwächen, Ängste und Stolpersteine spricht, dann nimmt das einiges von meinen Ängsten. Es gibt auch das Konzept der Fuck-up-Nights. Das bedeutet, wir sprechen mal einen ganzen Abend über all die Dinge, die nicht funktioniert haben, um das zu reflektieren und daraus zu lernen. Ich denke, es gibt verschiedenste Ansätze. Wir müssen vielleicht auch ein bisschen wegkommen vom klassischen Expertentum, wo man sagt, es gibt wenige, die vieles wissen und andere, die müssen das lernen. Das Konzept der Barcamps wirkt dem auch entgegen. Da spricht man eben nicht nur von Teilnehmern und Experten, sondern alle sind Teilgeber. Ich kann eigentlich mein Wissen eingeben und stelle dabei fest, dass das geschätzt wird, dass es ankommt. Ich kann mich mit anderen austauschen. Ich denke, das sind alles Schritte hin zum Abbau von Lernangst und zum Aufbau von echten Lernprozessen.

00:13:40

Alexander Petsch: Du hast eben gesagt, selbstorganisiertes Lernen ist ein Trend und ist ein Teil des Basiswissens.

00:14:06

Daniel Stoller-Schai: Ich glaube, das ist ein Trend, den man überall feststellen kann. Es geht ganz klar in Richtung selbstorganisiertes, selbstgesteuertes Wissen. Das impliziert eben, wie wir das vorher angesprochen haben, dass ich auch über die Selbstlernkompetenzen verfügen muss, die es dazu braucht. Ich glaube aber, wir gehen weg von klar gesteuerten Lernangeboten, von klassischen Mandatory Trainings, Compliance Trainings. Die gibt es zwar auch noch, aber wir bewegen uns in Richtung eines Learning-Systems, wo ich verschiedene Lernangebote,  Lernprozesse anbiete, und ich als Mitarbeiter bin selbst verantwortlich, hier die Initiative zu ergreifen und mich da weiterzubilden. Natürlich unter Einbezug von entsprechenden Unterstützungsmaßnahmen. Das kann ein Lerncoach sein, das könnte auch ein Learn Bot sein, der mich in meinem Lernprozess unterstützt. Aber die Initiative geht von mir aus.

00:15:21

Alexander Petsch: Gibt es von Dir Tipps und Tricks, wie ich das in der Organisation fördern, die Akzeptanz dafür erhöhen kann?

00:15:30

Daniel Stoller-Schai: Wichtig ist, dass jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin weiß, wo sie steht in Bezug auf ihr Kompetenzenprofil und wo sie sich hinbewegen möchte. Da ist es sicher wichtig, dass man Selbsteinschätzungen oder -tests durchführen kann, um festzustellen, wo stehe ich und wohin möchte ich mich bewegen. Dann braucht es andererseits ein breit gefächertes Angebot an Möglichkeiten, aus dem ich mich bedienen kann. Es braucht drittens zum Beispiel Webinar-Reihen, in denen neue Themen und Trends vermittelt werden. Wo ich sehe, wo gibt es Themen, die ich noch nicht kenne, die mich aber in Zukunft betreffen könnten und auch interessieren könnten? Das sind so ein paar Möglichkeiten, wie ich das entsprechend fördern kann.

00:16:26

Alexander Petsch: Welchen Impact hat jetzt Covid darauf gehabt?

00:16:30

Daniel Stoller-Schai: Ich glaube, ohne Covid hätten wir uns nie so schnell in die Richtung bewegt. Wir hätten nie so schnell gelernt, wie das jetzt in den letzten eineinhalb Jahren der Fall war. Wir mussten Schulen, Universitäten, betriebliche Weiterbildungen komplett umstellen auf digitales Lernen, auf digitales Arbeiten. Wir haben gelernt, uns zu arrangieren, zu implementieren im Homeoffice. Ich glaube, das wäre nicht passiert, wenn die Pandemie nicht gewesen wäre. Das hat einen echten Learn-Boost hervorgerufen. Und die Frage ist, was bleibt davon? Wir haben ja gesagt, wir gehen in Richtung einer Post-Covid-Ära. Da ist die Frage, was bleibt davon, wie nachhaltig ist das? Und wo müssen wir noch nachbessern? Ich war kürzlich in einem Seminar, wo wir uns mit diesen Fragen beschäftigt haben. Wir haben gesehen, dass vieles sehr ad hoc organisiert wurde, dass auch viele komplett überwältigt waren mit den verschiedenen Technologien. Dass auch sehr vieles unbedarft umgesetzt worden ist. Und ich glaube, wir sollten uns jetzt die Zeit nehmen, in die richtigen Lernsysteme zu investieren, Lern- und Arbeitsräume hybrid umzubauen, also mit hybrider Technologie auszurüsten. Und uns als Learn Professionals fit zu machen, damit wir die Kompetenzen, die wir in der Covid-Ära gelernt haben, weiterentwickeln können.

00:18:10

Alexander Petsch: Die Einflüsse von Covid kommen mir immer ein bisschen so vor, als ob die ganze Nation Fahrradfahren gelernt hat. Also digitales Fahrradfahren. Es ist jetzt jeder in der Lage, von der Kamera bis zum Sound alles am Rechner zu bedienen. Das war vorher für viele ein Buch mit sieben Siegeln, oder zumindest waren die Berührungsängste groß. Und ich glaube, auf dieses breite Basiswissen kann man in Zukunft aufbauen.

00:18:47

Daniel Stoller-Schai: Dem würde ich so zustimmen. Ich bin immer wieder erstaunt, wo es noch Lücken gibt. Zum Beispiel die Themen „Wie führe ich eine gute Web-Konferenz durch?“, „Wie aktiviere ich die Teilnehmenden?“ Das spielt eine große Rolle. Ich unterrichte an vielen Fachhochschulen in der Schweiz, in der letzten Zeit weitgehend virtuell. Ich habe quasi den Fokus von mir als Dozenten zurückgenommen und setze jetzt viel mehr auf Breakout-Sessions und Gruppenarbeiten und investiere viel mehr in das Formulieren von Gruppenarbeiten, um die Lernenden zu aktivieren und mitzunehmen. Und habe gemerkt, das kommt sehr gut an, weil es vielen nicht nur darum geht, mich als Dozenten zu hören, sondern sie wollen sich auch mit anderen austauschen. Und sie wollen etwas konkret erarbeiten und lösen. Das heißt, ich muss eigentlich gar nicht einen ganzen Tag lang unterrichten, sondern es geht vielmehr darum, dass ich die Aktivitäten der Lernenden arrangiere und aktiviere und sehr viel mehr in den didaktischen Aufbau von Gruppenarbeiten investiere. Ich kann Dir da ein Beispiel geben: Wir haben uns kürzlich mit Lerndesign und auch mit Lernorten und neuem Lernen beschäftigt. Und ich habe dann der ganzen Gruppe, das waren 25 Studierende, die Aufgabe gegeben, ihr seid das Lernteam in eurer Firma. Ihr seid ein mittleres Unternehmen, 800 Mitarbeitende. Eure Geschäftsleitung hat verstanden, dass neue Herausforderungen auf uns zukommen und dass neue Lernkonzepte erforderlich sind. Und sie stellen euch als Lernteam die Aufgabe, für eure Firma ein modernes Lernkonzept zu entwerfen. Und sie möchten von euch wissen, wie neues Lernen in der Firma stattfindet, welche Ergebnisse damit erzielt werden, welche Technologien dafür erforderlich sind und was es kostet. Und damit habe ich sie auf die Reise geschickt. Und sie haben innerhalb von zwei Stunden eine Pitch-Präsentation zusammenstellen müssen. Dann haben wir drei Personen aus der Gruppe der Lernenden genommen und sie in die Rolle des Geschäftsführers, der Finanzchefin oder der Personalchefin versetzt. Und die Gruppe durfte dann vor diesen drei Personen virtuell pitchen, hat ihr Konzept verkauft, hat erläutert, wie sieht modernes Lernen in unserer Firma aus. Welche Technologien brauchen wir, welche Ergebnisse werden erzielt und was kostet das Ganze? Und die drei aus der Geschäftsleitung mussten dann die entsprechenden Fragen stellen, mussten sich dann zurückziehen und eine Entscheidung fällen. Das heißt, ich als Dozent hatte damit eigentlich gar nichts mehr zu tun. Die aktive Rolle war komplett bei den Lernenden, und es hat total Spaß gemacht, sowohl der Pitchen-Gruppe zuzuhören als auch den drei Personen in den Rollen Geschäftsführer, Finanzchefin und Personalchefin. Zu sehen, wie schnell die in diese Rolle mutiert sind und gemeine Fragen gestellt, wirklich der Gruppe auf den Zahn gefühlt haben. Es war eine super Erfahrung.

00:22:15

Alexander Petsch: Kann ich mir gut vorstellen. Wir haben vorhin auch über Tools gesprochen. Du bist jemand, der alles ausprobiert. Was sind denn Lern-Tools beziehungsweise Tools, die man vielleicht gar nicht als Lern-Tools begreifen würde, bei denen Du sagen würdest, damit lohnt es sich auseinanderzusetzen?

00:22:41

Daniel Stoller-Schai: Was ich persönlich sehr viel mehr nutze, sind die ganzen Social Media-Plattformen. Aber das betrifft meinen persönlichen Lernprozess. Ich bereite meine Learnings in Form von Beiträgen und Posts auf und publiziere die auf LinkedIn, und trete so in Dialog mit einer sehr breiten Learning Community. Ich baue so meine Netzwerke weiter aus und lerne sehr viel von anderen. Ich folge auch sehr vielen anderen. Und ich habe vor eineinhalb Jahren mir in meinem persönlichen Kalender zwei Stunden eingetragen pro Tag, um mich mit neuen Posts, mit neuen Büchern, mit neuen Youtube-Beiträgen und so weiter zu beschäftigen. Ich muss gestehen, ich habe es leider nicht ganz geschafft, aber ich werde den Fokus wieder mehr darauf legen, weil es so viele spannende, gut aufbereitete Ressourcen da draußen gibt. Und es lohnt sich echt, sich damit zu beschäftigen. Und das braucht einfach Zeit. Und darum habe ich zu Beginn auch gesagt, wir müssen etwas wegkommen vom Fast Learning, uns hinbewegen zum Slow Learning. Ich kaufe mir zum Beispiel alle Bücher immer noch in Papierform, und zwar nicht die billigen Paperbacks, sondern die schöne leinengebundene Ausgabe. Weil ich den Geruch und die Haptik des Buches liebe. Und Bücherlesen braucht einfach Zeit, das geht nicht schnell. Ich glaube aber, echtes Lernen hängt mit diesen langsamen Lernprozessen zusammen, ich muss mir Zeit nehmen zu lesen, zu reflektieren, auch mal nichts zu machen. Mir eine Strategie zurechtzulegen, wo ich welche Ressourcen regelmäßig konsumiere im Netz. Es ist unglaublich, was da draußen an Wissen vorhanden ist. Dieses Wissen aufzunehmen und es für mich zu aggregieren und kuratieren ist ein ganz wesentlicher Bestandteil meines eigenen Lernprozesses. Es ist klar, das können nicht alle. Da bin ich natürlich bevorzugt, weil ich selbstständig bin und mir das auch so zurechtlegen kann. Aber ich glaube, man sollte in den Firmen solche Lernzeiten auch ermöglichen. Und da sind wir noch weit davon entfernt. Wir haben schon komische Diskussionen, wenn es darum geht, Mitarbeitenden pro Woche eine Stunde Lernzeit zu geben. Und das wird dann sofort hochgerechnet, was das in Arbeitszeit und Stunden bedeutet. Das ist für mich absoluter Nonsens, denn erstens ist eine Stunde nichts, und zum anderen müssen wir Freiräume schaffen, damit unsere Mitarbeitenden lernen können und auch die Zeit dafür haben. Es spielt auch keine Rolle, wenn sie nichts machen. Das hat eben auch sehr viel mit Vertrauen zu tun. Und Jay Cross, unser erster Keynotespeaker auf einer der ersten Learning Innovation-Konferenzen, hat das sehr schön auf den Punkt gebracht. Er hat damals gesagt, „Learning is the work“. Das haben damals wenige verstanden, was das eigentlich heißt. Aber er hat absolut recht. Lernen ist Arbeiten und Arbeiten ist Lernen. Josh Bersin nennt das „Learning in the flow of work“. Ich glaube, an diesem Verständnis müssen wir noch arbeiten. Und diese komischen Diskussionen, ob Mitarbeitende eine Stunde Lernzeit pro Woche bekommt oder nicht, das ist kompletter Nonsens. Da hat jemand nicht begriffen, um was es geht.

00:26:34

Alexander Petsch: Was wäre für Dich eine ausgewogene Lernzeit in einem wissensgetriebenen Unternehmen?

00:26:39

Daniel Stoller-Schai: Das ist sehr schwierig zu sagen. Gewisse Leute brauchen vielleicht eine Stunde, andere brauchen einen halben Tag und wieder andere bräuchten eine Woche. Es gab das schöne Konzept der Apple Fellows in den 90er Jahren bei Apple. Und Bill Atkinson von Apple hat als Fellow von Apple in seiner Musezeit das ganze Konzept von Hypercard entwickelt. Das hat er nicht in seiner regulären Arbeitszeit gemacht, sondern das hat er in seiner Lernzeit gemacht. Jetzt  muss man natürlich fairerweise sagen, nicht alle sind Apple Fellows oder waren Apple Fellows bei Apple, das waren nur ganz besondere Leute. Und auch da haben wir natürlich ganz klare Abstufungen in den Firmen. Am schlimmsten sieht es dort aus, wo Leute an einer Hotline oder im Service arbeiten. Dort ist es ganz schwierig, diese Lernzeit auch zu geben. Aber ich glaube, wenn wir von der Etablierung neuer Lernkulturen sprechen, dann müssten wir uns auch damit befassen. Wie viel Lernzeit geben wir unseren Mitarbeitenden? Und vielleicht ist es unsere Aufgabe als Führungskräfte, das mit unseren Mitarbeitenden zu reflektieren. Ich habe kürzlich von einem interessanten Konzept einer Firma gehört. Die zahlen ihren mitarbeitenden rund 3000 Franken pro Jahr und sagen, damit kannst du dich weiterbilden. Du kannst damit machen, was du willst. Sie schränken es nicht ein auf den Unternehmenszweck, sondern die Mitarbeitenden können echt machen, was sie wollen. Aber es gibt einmal pro Jahr einen zweitägigen Learning-Event, und da müssen alle berichten, was habe ich mit diesem Geld, mit dieser Zeit gemacht und was habe ich daraus gelernt? Das ist total interessant und spannend zu hören, wie all diese Fäden, die vermeintlich weit auseinandergehen, wieder zusammengeführt werden. Und was das eigentlich der Firma bringt. Und es gibt auch solche, die haben nichts Sinnvolles gemacht. Sie haben die Zeit nicht richtig genutzt, die gibt es auch. Aber ich glaube, damit muss man leben.

00:28:59

Alexander Petsch: Daniel, vielen Dank! Das war spannend, sich mit Dir über das Thema Lernen nach Covid zu unterhalten. Wer die heutige Folge des Podcasts oder die einzelnen Punkte als Checkliste zusammengefasst haben möchte, einfach auf hrm.de den Titel der heutigen Podcast-Episode oder Danile Stoller-Schai eingeben, dann werdet Ihr das finden. Herzlichen Dank, Glückauf und bleibt gesund! Und denkt daran, der Mensch ist der wichtigste Erfolgsfaktor für Euer Unternehmen.

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