Die eierlegende Wollmilchsau

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Foto von Matt Hoffman

Mit steigender Geschwindigkeit und Komplexität des Marktes steigt auch der Anspruch an Know-how und Entscheidungsgeschwindigkeit von Führungskräften. Das erfordert ein umfangreiches Kompetenzportfolio und den Umgang mit einer hohen Workload. Häufig passt zu diesem Anspruch weder eine klassische 100-Prozent-Stelle noch die Kompetenz einer einzigen Person. Überstunden und Überforderung sind die Folge. Führungskräfte als eierlegende Wollmilchsäue? Hier kommt ein weiterer spannender Vorteil von Jobsharing zum Tragen: Das Zusammenführen verschiedener Kompetenzen auf einer Stelle. Immerhin 68 Prozent der Jobsharer unserer Studie beschreiben ihre Kompetenzen als komplementär. Verschiedene Kompetenzen auf einer Stelle bedeutet Sparring und „learning on the job“. Das wiederum führt zu mehr Innovation und Weiterentwicklung der Jobsharer. Es wird zwar häufig kritisiert, dass die Arbeitszeiten eines Jobsharing-Tandems meist umfangreicher sind als eine einzige 100-Prozent-Stelle. Doch es sind gerade diese „Überhang-Zeiten“, in denen sich das Tandem austauscht, die das Potenzial von Jobsharing gegenüber einer Vollzeitstelle für eine Person ausmachen. Die vielfältige Kompetenzen, das Sparring und mehr Gesamtarbeitszeit im Jobsharing machen viele Führungspositionen aktuell überhaupt stemmbar. Jobsplitting statt Jobsharing, also eine Aufgabenaufteilung ohne Austausch, verpasst dieses Potenzial und geht mit mehr Unzufriedenheit und Konkurrenz zwischen den  Tandempartnern einher. Das zumindest zeigt unsere Studie, die vier verschiedene Tandemtypen identifiziert hat.


Vier Typen von Jobsharing

Den ersten Typus von Jobsharern bezeichnen wir als fremdbestimmte Tandems, da die Entscheidung zum Jobsharing von außen an die Jobsharer herangetragen wurde und die Vertrauensbasis im Tandem weniger gegeben ist. Diese Tandems teilen sich die Aufgaben relativ streng (Jobsplitting) auf und stimmen sich wenig ab. Sie profitieren dementsprechend auch weniger von den Synergien, die eine enge Zusammenarbeit bieten kann und sind auch deutlich kritischer im Hinblick auf ihre Arbeitssituation und Karrierechancen als Jobsharer, die sich in der gemeinsamen Verantwortung für ihre Themen sehen. Jobsharing wird von den fremdbestimmten Tandems oftmals als temporäre Notlösung gesehen, viele der Jobsharer fühlen sich in der klassischen Teilzeitfalle gefangen.

Als symbiotische Karrieretandems bezeichnen wir den zweiten Jobsharing-Typus. Diese Jobsharer haben sich gezielt für das Modell entschieden, um so ihre Karriere fortsetzen zu können. Sie sind häufig noch in den ersten Schritten ihrer beruflichen Laufbahn, arbeiten also zumeist auf Teamleitungsebene. Das Jobsharing erlaubt es ihnen, die Arbeitszeit zu reduzieren und zudem die Arbeitsaufgaben solidarisch aufzuteilen beziehungsweise gemeinsam anzugehen. Diese Tandems betonen das gegenseitige Vertrauen und die Übereinstimmung im Hinblick auf das Arbeitsverständnis und die Ansprüche an die eigene Arbeit. Sie stimmen sich untereinander eng ab und springen auch immer wieder füreinander ein. Sie stehen voll und ganz hinter der Entscheidung zum Jobsharing und sehen es als langfristiges Arbeitsmodell.

Ein dritter Typus bilden die Sparringspartner im höheren Management: Die Jobsharer dieses Typus haben das Modell bewusst gewählt und sehen es als dauerhafte Lösung. Die Befragten dieser Gruppe sind allerdings schon weiter in ihrer Karriere und befinden sich meist zumindest auf Abteilungsleitungsebene. Ihre Aufgaben sind eher strategischer als operativer Natur, was sich auch auf die Motive der Entscheidung für Jobsharing auswirkt: Ihnen sind die Austausch- und Lernmöglichkeiten im Tandem („Sparring“) wichtig, die sich positiv auf die Entscheidungsqualität auswirken. Um die Sparringsmöglichkeiten ausnutzen, überschneiden sich die Verantwortungsbereiche der Tandempartner stark. Zudem finden sich in dieser Gruppe auch Tandems, die in einem sogenannten Senior-Junior-Modell arbeiten, in dem also eine erfahrene Person eine jüngere einarbeitet.

Der letzte Jobsharing-Typus umfasst Strategische Bündnisse im höheren Management: Diese Tandems befinden sich ebenfalls auf Abteilungsleiter- oder Bereichsleiterebene. Im Unterschied zum Sparrings-Typus ist das Jobsharing hier ein karriere-strategischer Schritt, bei dem es häufig auch – aber nicht primär – um die Vereinbarkeit von Beruf- und Privatleben oder Sparring geht. Die Arbeit im Tandem erlaubt den Managern vielmehr, sehr große und komplexe Stellen gemeinsam auszufüllen, für die sie alleine nicht geeignet wären oder die sie alleine nicht bewältigen könnten. Daher stehen hier bei der Passung fachliche Kriterien im Vordergrund.

Jobsharing anzubieten und zu unterstützen, lohnt sich also für Unternehmen. Und die Mehrwerte gehen über ein gutes Image und erhöhte Mitarbeiterbindung hinaus. Jobsharing zahlt auf eine moderne Arbeitskultur und ein modernes Führungsverständnis ein und schafft die Möglichkeit, Stellenformate neu zu denken und mehr Raum für Innovation zu schaffen.

Übrigens: über 95 Prozent der Jobsharer sind sehr zufrieden in dem Modell. Mehr als  90 Prozent erleben positives Feedback von Kunden, ihrer Führungskraft, Kollegen und Mitarbeitern.


Abschließend noch ein paar Handlungsempfehlungen für die Einführung von Jobsharing, die sich aus unserer Studie ergeben:

1. Schaffen Sie nachvollziehbare und sinnvolle Rahmenbedingungen für Jobsharing

2. Schulen Sie Vorgesetzte und Personalverantwortliche zum Thema Jobsharing und bieten Sie Tandems Unterstützung in Form von Coaching an, insbesondere zum Start.

3. Prägen Sie durch offensive Kommunikation die Wahrnehmung von Jobsharing – und das nicht nur in Richtung berufstätiger Mütter, sondern explizit in Richtung anderer Zielgruppen (Väter, Mitarbeiter mit Lust auf Ehrenamt oderMenschen, die sich einfach mehr Zeit für sich selbst wünschen).

4. Fördern Sie die persönliche Vernetzung von Jobsharern. Der Einsatz einer Matching-Software  hat in unserer Studie keinen positiven Effekt gezeigt. Keines der interviewten Tandems hat sich über eine solche Software gefunden, obwohl diese in 86 Prozent der Fälle angeboten wurde. Tandems „matchen“ sich in einer jobsharing-freundliche Umgebung vielmehr über persönliche Vorkenntnisse oder Live-Vernetzungsformate.

5. Arbeiten Sie parallel an Ihrer Unternehmenskultur. Die Akzeptanz von Jobsharing im Management hängt unter anderem von der Unternehmenskultur ab. Je stärker eine dominante Präsenzkultur vorherrscht, desto schwieriger sind die Bedingungen für Jobsharing. Dennoch sollte die Unternehmenskultur nicht als Show-Stopper betrachtet werden. Das Angebot und Vorleben von Jobsharing kann die Kultur in eine positive Richtung mitgestalten.

Gemeinsamer Führungsstil im Jobsharing

Bei aller Vielfalt an Aufgaben- und Zeitmodellen im Jobsharing gibt es doch einen gemeinsamen Nenner über alle Modelle hinweg, wie die Studie zeigt: Ein Tandem sollte den gleichen oder ähnlicher Führungsstil pflegen und gemeinsame Teamverantwortung übernehmen. Ebenso müssen sich die Werte zum Thema Arbeitsanspruch decken, während die Arbeitsweise innerhalb eines Tandems durchaus variieren kann. Wichtig ist eine ähnliche Arbeitsmoral. Sprich: Das gemeinsame Ziel und die Verbindlichkeit zum Ziel sollten sich decken, nicht unbedingt der Weg dorthin.

Das Spannende in puncto gemeinsamer Führungsstil: Jobsharern ist eine wertschätzende, durch Kollaboration geprägte Führung sehr wichtig. Das zeigen die vertiefenden Interviews im Zuge der Studie, aber auch Erfahrungen aus der Beratungspraxis. Dominanz und Mikro-Management gegenüber ihrem Team lehnen sie ab. Vertrauen und „Loslassen können“ sind Grundmotive in ihrem Umgang mit ihren Mitarbeitern. Und das ist kaum verwunderlich, denn für die gemeinsame Arbeit im Jobsharing sind eben diese Werte ebenso ausschlaggebend für ihren Erfolg. Bei Jobsharern erleben wir in ihrem Führungsstil außerdem eine starke Ergebnis- statt Präsenzorientierung gegenüber ihren Mitarbeitern. Auch das überrascht wenig, denn speziell im Jobsharing-Modell liegt der Arbeitsfokus immer auf dem Ergebnis, unabhängig von der eigenen Präsenz. So kann es vorkommen, dass ein Tandempartner eine Präsentation erstellt und seine Tandemparterin diese dann hält. An diesem Beispiel wird deutlich, welche Eigenschaften im Jobsharing-Modell keinen Platz haben: Eitelkeit und Machtdenken.

Aktuell stehen eben jene Organisationskulturen, die von Eitelkeit und Machtansprüchen geprägt sind, zu Recht kritisch im Visier. Ihnen wird unterstellt, mittel- bis langfristig zu Wasserkopf-Organisationen zu führen, in denen Ellenbogenpolitik und die Positionierung Einzelner wichtiger sind als das kollaborative Arbeiten auf ein gemeinsames Ziel hin. 


Jobsharing als Treiber einer modernen Führungskultur

Jobsharing ist kein Allheilmittel, kann aber ein Treiber in Richtung moderner Führungs- und Unternehmenskultur sein. Denn durch die Zusammenarbeit im Tandem leben Führungskräfte  moderne Werte und Arbeitsweisen unmittelbar vor. Das liegt einerseits sicher daran, dass Menschen, die sich für das Jobsharing-Modell entscheiden, grundsätzlich kaum zum „Alphatierchentum“ neigen, andererseits sind im Jobsharing keine reinen Lippenbekenntnisse möglich. Denn im Tandem kommt es zum unmittelbaren Umsetzungsdruck neuer Arbeitsweisen durch die enge Arbeit zu Zweit. Wer Jobsharing betreibt, muss sein Wissen teilen und hat automatisch mehr als nur seine eigene Perspektive zu berücksichtigen. Jobsharer müssen wichtige Entscheidungen zu zweit treffen und auf persönliche Machtansprüche verzichten.

Übrigens: Das Jobsharing-Modell fördert auch das agile Arbeiten und die Anwendung digitaler Arbeitsmittel. Wer Zettelwirtschaft lebt und sich nicht gut organisieren kann, stößt beim Jobsharing schnell an seine Grenzen. Um „geteilte“ Arbeit möglich zu machen, braucht es effiziente Übergaben und eine hohe Aufgabentransparenz. Und hier bildet ein Tandem in sich selbst das beste Korrektiv. Wem klar ist, dass sich sein Tandempartner nicht durch acht verschiedene Post-its wühlen oder Schmierzettel entziffern möchten, wird sich angewöhnen, systematische und digitale Notizen vorzunehmen. Typische Arbeitsmethoden von Jobsharern sind zum Beispiel (digitale) Kanban Boards, knappe digitale Meeting- oder Tagesabschlussprotokolle, eine  Jour-fixe-Agenda, gut visualisierte Status-Updates und sauber geführte Notizen zu ihren Mitarbeitern als Basis auch für das nächste Mitarbeitergespräch. Durch die direkte Umsetzung zu zweit kommt es zur permanenten Reflektion der Arbeitsmethoden. Was funktioniert gut? Was funktioniert nicht? Wie können wir etwas besser werden? 99 Prozent der befragten Jobsharer unserer Studie beschreiben ihre Abstimmung (zeitliche- und Aufgabenkoordination) als gut bis sehr gut. Das ist eine erstaunlich hohe Zahl angesichts der Tatsache, dass dem Jobsharing-Modell regemäßig Ineffizienz unterstellt wird. 

Jobsharing als Führungsthema

Insbesondere auf der Führungsebene ist der Mehrwert eines Jobsharing-Modells hoch – und das nicht nur aus Arbeitnehmer-, sondern auch aus Arbeitgebersicht. Leitungsstellen sind und bleiben Schlüsselpositionen, die Unternehmen auch in Zukunft nicht wegdigitalisieren können. Sie bringen eine hohe Workload mit sich. Die Themenverantwortung ist umfangreich. Es gilt, komplexe Entscheidungen zu fällen und  häufig die Verantwortung für ein großes Team zu übernehmen.

Führen in reiner Teilzeit kann funktionieren, solange das Team autonom arbeitet, die Stelle keine zeitlich hohe Abdeckung erfordert und auch das Umfeld der Führungskraft „teilzeitfreundlich“ tickt, zum Beispiel keine Meetings mehr ab 15 Uhr stattfinden. Ist einer dieser Punkte jedoch nicht erfüllt, stoßen viele motivierte Führungskräfte an ihre Grenzen, arbeiten in Abendschichten die Zeit nach und landen so doch wieder bei einem Vollzeiteinsatz, bei dem einzig die Lohnabrechnung daran erinnert, dass Stunden reduziert wurden.

Jobsharing kombiniert das Arbeiten in echter Teilzeit mit kollaborativer Arbeit zu zweit. Es ist echte Teilzeit, da die Arbeitszeit mit einem Tandempartner oder einer Tandempartnerin geteilt wird, und es ist kollaborative Arbeit, weil eine gemeinsame Themenverantwortung besteht. „Echte“ Tandems setzen gemeinsame Ziele und stehen, zum Beispiel auch in Form von Boniausschüttungen, gleichermaßen dafür gerade. Die Führung des Teams übernehmen sie gemeinsam,  sie entwickeln zusammen strategische Elemente und treffen wichtige Entscheidungen einvernehmlich.

Erste Studie zum Thema Jobsharing

Im November 2019 haben wir von the jobsharing hub mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und unserem Kooperationspartner Daimler AG eine Studie zum Thema Jobsharing veröffentlicht. 149 Jobsharer aus zehn DAX-Unternehmen, ebenso wie Personalverantwortliche dieser Unternehmen, standen uns Rede und Antwort. Neben einem Fragebogen haben wir 35 Tiefeninterviews durchgeführt. 77 Prozent der Jobsharer trugen Führungsverantwortung auf Team- Abteilungs- oder Bereichsleiterebene und arbeiteten zwischen einem bis zehn Jahren im Jobsharing.

Wie sieht nun das klassische Jobsharing-Modell aus? Unsere Studie zeigt: Ganz unterschiedlich! Das eine klassische Jobsharingmodell gibt es nicht. So  teilen sich Jobsharer  die Arbeitszeit ganz unterschiedlich auf, zum Beispiel arbeiten sie im Tages- oder Wochenwechsel, andere parallel mit starken Überschneidungen bei den Arbeitszeiten. Diese Unterschiedlichkeit ist auch gut so. Denn jede Stelle hat andere Erfordernisse. Während zum Beispiel bei einer Position mit stark operativem Kundengeschäft eine durchgehende Erreichbarkeit – und damit auch ein eher versetztes Zeitmodell wichtig ist, wäre es bei einer strategisch-kreativen Stelle möglicherweise sinnvoller, häufig zeitgleich zu arbeiten und die Themen oder Projekte gemeinsam zu besetzen, die vom Sparring und der Doppelperspektive des Tandems maximal profitieren. Genauso viel Vielfalt fanden wir beim Thema Aufgabenverteilung: 61 Prozent der Jobsharer in Führung haben stark überschneidende Verantwortungsbereiche, 39 Prozent teilen sich die Verantwortungsbereiche tendenziell eher auf, schaffen in der Regel aber eine hohe Vertretbarkeit.