In dem Film „Ready Player One“ sind die Städte die­ser Welt zu Slums verkommen und die Menschen spielen das Spiel OASIS, um in eine virtuelle Welt zu entfliehen, in der sie nahezu alles umsetzen können, was im realen Leben nicht funktioniert. Dieses Szenario ist Science-Fiction, hat aber viele Bezüge zu unserer Welt. So faszinieren Videospiele Millionen von Menschen – und bezogen auf die Umsätze lassen sie Hollywoods Blockbuster längst hinter sich. Was macht den Siegeszug von Video­spielen aus und wie können wir deren Prinzipien in der betrieblichen Weiterbildung nutzen?

woman in white coat holding blue and black vr goggles
Foto: Bermix Studio, Unsplash

Der Erfolg von Videospielen basiert zu einem großen Teil darauf, dass Spiele generell einem grundlegenden Bedürfnis des Menschen entsprechen: „Der Spieltrieb ist ein angeborenes Sozialverhalten, das Lernen erst möglich macht“, erklärt Johanna Pirker, Gamification-Expertin und Wissenschaftlerin an der TU Graz. Kleine Kinder erproben beim Spielen durch Versuch und Irrtum verschiedene Verhaltensweisen – und lernen so zum Beispiel grundlegende Gesetze der Physik wie die Erdanziehungskraft kennen.

Warum wir von klein auf so gerne spielen, erklärt eine Definition des niederländischen Kulturanthropologen Johan Huizinga:

„Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben‘.“

(Huizinga: 1938/1991, S. 37, Quelle: Wikipedia)

Weil wir dabei Freude und Spannung erleben, sind Spiele somit für uns attraktiv. Sie bieten zudem die Möglichkeit, das „gewöhnliche Leben“ hinter uns zu lassen und in eine völlig andere Dimension einzutauchen. Das gilt in besonderem Maße für Videospiele, die ihre Nutzer in eine eigene virtuelle Welt führen. Dabei bleiben wir als Spielende aber nicht passiv wie beim Betrachten eines Films, sondern nehmen aktiv an dieser virtuellen Realität teil, ja gestalten sie sogar zu einem gewissen Grad mit.

Virtual versus Augmented Reality

„Spieleentwickler haben viele von den Algorithmen und Bildwelten vorangetrieben, die wir heute auch in der Weiterbildung einsetzen können“, erläutert Pirker. Die Technologien des Videospiels ermöglichte die „Immersion“ – also das Eintauchen – des Betrachters in die virtuelle Welt. Im Spiel übernehmen wir Rollen und machen Erfahrungen, die sich von unserem realen Leben stark unterscheiden können. „Das macht Virtual Reality auch für den Trainingsbereich so interessant. Denn in der virtuellen Welt können wir etwas ausprobieren, was in der wirklichen Welt gefährlich oder kostspielig wäre. Wir können Szenarien durchspielen, bis ins Extreme ausreizen und so oft wiederholen, wie wir möchten“, so die Wissenschaftlerin.

Während Virtual Reality Benutzerinnen und Benutzern ermöglicht, komplett in eine virtuelle Welt einzutauchen, gebe uns Augmented Reality die Möglichkeit, die wirkliche mit der realen Welt zu verbinden. Oft würden dafür Mobiltelefone oder spezielle Brillen verwendet, um mittels Augmented Reality reale Objekte mit virtuellen Zusatzinformationen zu ergänzen. Das könne eine Konstruktionsanleitung sein, die uns erklärt, wie wir ein Werkstück zusammenschrauben müssen, oder Daten und Fakten zu einem Bauwerk, das wir besichtigen möchten.

Das Projekt Maroon

Wie wir virtuelle Welten für das Lernen nutzen können, hat Johanna Pirker gemeinsam mit ihrem Team an der TU Graz bei der Entwicklung des virtuellen Physiklabors Maroon ausgelotet. Dabei hat sie sich uns von dem Projekt „Teal“ des Massachusetts Institute of Technology (MIT) inspirieren lassen, das ebenfalls Physiksimulationen für den Hochschulbereich anbietet. Daher auch die Namensgebung: Teal, eine Bezeichnung für den Farbton Blaugrün (auch Aquamarin oder Petrol) ist die Komplementärfarbe zu Maroon (Kastanienbraun oder Rotbraun). „To maroon someone“ heißt zudem, „jemanden auf einer Insel aussetzen“ – und das passte aus Sicht des Forscherteams sehr gut für eine Lerninsel, wie sie an der TU Graz entwickelt wurde.

Maroon ist ein virtuelles Labor, das User über eine VR-Brille sehen. Bewegungen im realen Raum werden erkannt und in den virtuellen Raum übertragen. Die Experimente können die Nutzer über Controller bedienen (siehe Bild). Diese können auch haptisches Feedback über Vibration geben, beispielsweise wenn zwei Magnete aneinander geführt werden.

„Im Unterschied zu Magnetfeldversuchen in der realen Welt, die wir alle aus dem Physikunterricht kennen, sehen die Besucher des virtuellen Labors über die Datenbrille auch die normalerweise unsichtbaren Feldlinien, die zeigen, wie sich die Magnete anziehen oder abstoßen“, so Pirker. Diese Zusatzinformationen sind gerade für den Physikunterricht interessant. „Viele physikalische Phänomene sind unsichtbar, sie unterliegen aber bestimmten Gesetzen, die wir über Virtual Reality erfahrbar machen können. Lernende können beispielsweise auch eine aktivierte Tesla-Spule von der Nähe betrachten. Das wäre in der realen Welt sehr gefährlich“, sagt Pirker.

Nicht zuletzt für ihr Projekt Maroon wurde die Wissenschaftlerin auf die Forbes-Liste „30 under 30 Science“ gewählt. Konzipiert wurde das virtuelle Physiklabor für den Hochschulbereich, doch aktuell ist geplant, es auch in Schulen einzusetzen, um Schülerinnen und Schülern die Physik näherzubringen. „Die Zukunftsvision ist, dass früher oder später jede Bildungsinstitution neben den realen Physik- und Chemielaboren auch ein Virtual Reality Lab hat, in dem Lehrerinnen und Lehrer Experimente zeigen können, die in der realen Welt nicht umsetzbar wären und in denen Schüler ohne Angst, etwas kaputt zu machen, selbst experimentieren“, sagt Pirker. Die virtuelle Datenbrille fördere dabei die Fokussierung auf das Experiment, weil sie äußere Reize weitgehend abschirme. Die Schülerinnen und Schüler würden so ermutigt, in diese Welt einzutauchen und sich ganz auf den Versuch zu konzentrieren.

Virtual Reality in der betrieblichen Weiterbildung

Auch Unternehmen könnten Virtual Reality nutzen, um ihre Mitarbeiter weiterzubilden, ist Pirker überzeugt. Das könne dann besonders interessant sein, wenn Arbeitgeber sehr viele Mitarbeiter gleichzeitig trainieren wollen oder etwas vermitteln möchten, das potenziell gefährlich ist. So nutzt die US-Supermarktkette Walmart Virtual-Reality-Headsets, um Mitarbeiter auf den Besucheransturm beim „Black Friday“ oder andere Events vorzubereiten. Mithilfe der VR-Brillen lernen die Mitarbeiter, wie sie die Produkte in den Läden anordnen sollen, aber sie trainieren auch Notsituationen, die man in der realen Welt nicht ausprobieren könnte. 17.000 VR-Brillen sollen Medienberichten zufolge bei Walmart bereits im Einsatz sein.

Das Training über Virtual Reality ist deshalb besonders effektiv, weil die Erfahrungen, die Menschen dabei sammeln, sehr unmittelbar sind und real erscheinen. Aus diesem Grund wird Virtual Reality in den USA auch schon im Training von Footballteams eingesetzt. Mit Virtual-Reality-Headsets durchleben die Teammitglieder bestimmte Spielsituationen – und da diese Erfahrung sehr nahe an der Realität ist, gehen ihnen die Spielzüge in Fleisch und Blut über. So ließe sich VR auch in anderen Arbeitsbereichen gut einsetzen, in denen körperliche Bewegungen, Taktik und Sicherheit wichtig sind – wie bei der Feuerwehr oder der Seenotrettung.

„Es gibt viele Studien, die belegen, dass wir viel eindrücklicher lernen können, wenn wir entsprechende Situationen durchleben“, erzählt Pirker. „So gibt es VR-Trainings, die zeigen, wie wir uns bei einem Erdbeben schützen können. Das könnten wir auch nachlesen. Doch der Lerneffekt ist viel größer, wenn wir in einer sicheren Umgebung bestimmte Stellungen ausprobieren können, die uns eventuell einmal das Leben retten.“

Diese Bewegungen würden dann als Teil der „Muscle Memory“ im Körper verankert, weil wir sie schon einmal ausprobiert haben. Dabei würden andere Regionen des Gehirns aktiviert, als wenn jemand eine Informationsbroschüre über Erdbeben gelesen hätte.

Aber auch in anderen Feldern könnte Virtual Reality im Training nützlich sein. Schon heute untersucht die Automobilbranche intensiv die Potenziale von VR. So ist es heute schon möglich, über VR-Headsets Autotypen zu entwickeln und vorzuzeigen, die noch gar nicht produziert sind. In der Architektur ließen sich darüber Wohnungen gestalten, die noch nicht existieren.

Wo stehen wir heute und was bringt die Zukunft?

„Virtual Reality ist an sich nichts Neues“, resümiert die Wissenschaftlerin. „Die ersten Entwicklungen gehen bereits auf die 1950er-Jahre zurück.“ Seitdem habe sich die Technologie deutlich weiterentwickelt. Aber erst in den letzten Jahren sind die notwendigen Devices – zum Beispiel Virtual-Reality-Headsets – im Preis so gefallen, dass zunehmend mehr Menschen damit experimentieren können.

In Sachen Immersion gebe es allerdings noch Luft nach oben, schränkt Pirker ein. So sei das totale Eintauchen in die virtuelle Welt nach wie vor nicht möglich. „Das wäre erst der Fall, wenn es am virtuellen Strand wirklich nach Meer riecht und uns die frische Brise und um die Nase weht. Der Film „Ready Player One“ hat aber schon einen Eindruck davon vermittelt, in welche Richtung ein solches Szenario gehen könnte. Aktuell sind wir davon noch weit entfernt.“

Dennoch ließen sich VR-Umgebungen schon heute sinnvoll in Trainings einsetzen – gerade dann, wenn kein ausreichendes Lehrpersonal zur Verfügung steht, wenn Präsenztrainings sehr teuer wären oder gefährliche Gefahrensituationen geübt werden sollen. „Dabei sind VR-Trainings immer als Ergänzung zur realen Welt gedacht“, betont die Wissenschaftlerin. Die virtuellen Erfahrungen können und sollten reale Erlebnisse niemals ganz ersetzen.

Von Bettina Geuenich