Die Führungsherausforderung hat längst begonnen

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Foto von bantersnaps
  • Der Job fürs Leben ist Geschichte: Nur 14 Prozent aller Beschäftigten arbeiten noch in dem Unternehmen, in dem sie ihr Arbeitsleben begonnen haben.*
  • Arbeitsverhältnisse werden immer vielfältiger: Bereits 25 Prozent aller Erwerbstätigen arbeiten in atypischen Beschäftigungsverhältnissen.*
  • Loses Commitment überwiegt: 66 Prozent der Arbeitnehmer empfinden nur eine geringe Bindung an ihr Unternehmen.*
  • Autonomie statt Gehaltserhöhung: Für 60 Prozent der Deutschen erhöhen gute Arbeitsergebnisse ihre Motivation im Job, mehr Verantwortung motiviert 39 Prozent, mehr Gehalt dagegen nur 21 Prozent.*
  • Außergewöhnliche Ideen brauchen außergewöhnliche Umgebungen: Nur 6 Prozent der Menschen haben ihre besten Ideen an ihrem Arbeitsplatz. Zum Vergleich: 17 Prozent am Sofa, 14 Prozent in der Dusche, 12 Prozent beim Sport.*
  • Manager haben Nachholbedarf in der Vorbildwirkung: Nur 50 Prozent aller Führungskräfte haben in den letzten drei Jahren an berufsbezogenen Ausbildungen teilgenommen.*

Angesichts dieser Zahlen ist klar: Traditionelle Managementmethoden greifen nicht mehr.

Quelle: work:design – Die Zukunft der Arbeit gestalten (Literaturtipp)

Die Antwort auf diese Fragen ist vielschichtig, setzt aber im Kern auf einen zentralen Treibstoff, nämlich Vertrauen. Dabei ist die Verlockung groß, sich in unsicheren Zeiten möglichst strikt an einem Controlling- und Steuerungskorsett zu orientieren. Dementsprechend prägen Statusberichte, KPIs und Traffic Lights den Alltag vieler Führungskräfte. In unruhigen Situationen scheint der Wunsch vieler Führungskräfte nahe liegend, ihr Business genau im Griff zu haben und möglichst exakt Schwachstellen erkennen zu wollen. Bloß führt die Sehnsucht nach Exaktem allzu oft in Richtung Mikromanagement und zum völligen Fokus auf Scorecards um der Scorecard willen. Dabei hilft im Wildwasser des Wandels ein noch so gutes Radargerät nicht – gefragt sind Flexibilität, Entscheidungsfreude, Mut und spontanes Agieren.

Wer den Versuch unternimmt, die Leistungen und Prozesse seines Unternehmens möglichst präzise zu messen, um jederzeit seinen Standort bestimmen zu können, wird rasch zu der Erkenntnis gelangen, dass damit die Dynamik des Unternehmens gebremst wird. Und natürlich verändert kleinteiliges Performance-Management das Unternehmen.

Der erfolgversprechende Weg in Richtung Zukunftssicherheit sieht anders aus. Es ist der Weg des unternehmerischen Vertrauens. Mit Vertrauen zu beginnen, grundsätzlich davon auszugehen, dass Menschen gerne etwas leisten wollen, sich einbringen und entfalten wollen. Die Wirtschaft von morgen ist zu schnell, zu komplex, zu vielschichtig, um alles kontrollieren zu können.

Die Vorstellung, dass Kooperation und Bindung auf Basis langfristiger, planbarer Strukturen entsteht, gerät zunehmend ins Wanken. Das gilt für das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Mitarbeitern ebenso wie für die Beziehungen zwischen Teilen einer Organisation oder zwischen Unternehmen und Partnern.

Gleichwohl hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass rein transaktionell orientierte, kurzfristige Bindungen, wie sie etwa durch Outsourcing entstehen, auf Dauer nicht werthaltig genug sind. Neue Kooperationsmodelle müssen somit eine feine Balance treffen, die sich zwischen diesen beiden Extremen aufspannt. Diese neue Kooperation schafft dynamische Organisationsmodelle, in denen Enge und Abstand in raschem Wandel darstellbar sind und Verbindungen auch dann gehalten werden können, wenn die Distanz am größten ist. Neben geeigneten Strukturen ist damit vor allem eine Werte- und Haltungsfrage verbunden. Immer öfter heißt es: ein neues Stück, ein neuer Tanzpartner – ohne dabei den bisherigen Partner zu vergrämen. Es geht im Gegenteil darum, dieses Wechselspiel nicht nur zu beherrschen, sondern geradezu zu genießen.

Leader von morgen sind eben begeisterte Tango-Tänzer. Sie gehen spielerisch mit Führung um, können ihre Rolle im Dialog mit anderen wandeln und bringen ihre Organisation in den perfekten Rhythmus.

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin ist das Aufgeben der Arbeitszeitorientierung zugunsten der Ergebnisorientierung. Der Begriff Results-Oriented Work-Environment (ROWE) steht für Unternehmenskulturen, in denen die Mitarbeiter weder formal noch informell (zum Beispiel durch subtilen Leistungsdruck) daran gemessen werden, wie lange sie arbeiten. Stattdessen bewertet die Führungskraft lediglich die Arbeitsergebnisse der Beschäftigten. Damit endet die Anwesenheitspflicht und stattdessen stehen Teams und Vorgesetzte vor der Herausforderung, eine fluide Organisationsform zu finden. Informations- und Kommunikationstechnologien unterstützen dabei ebenso wie partnerschaftlich zwischen Unternehmen und Mitarbeiter erarbeitete Spielregeln.

Ähnliches gilt übrigens nicht nur im Hinblick auf einzelne Mitarbeiter, sondern auch auf ganze Organisationsteile. Verteilte oder filialisierte Konzerne pendeln vielfach zwischen „mindless global“ und „hopeless local“ – also zwischen starrer Zentralisierung und völlig widerspruchsloser Orientierung an den Vorgaben der Zentrale einerseits und einer völligen Unabhängigkeit der Tochterunternehmen andererseits. Zukunftsorientiert erscheint es hingegen, die Organisation an gemeinschaftlichen Zielen zu orientieren – anstatt auf starre hierarchische Kontrollstrukturen zu setzen.

Haben Sie schon einmal argentinischen Tangotänzern zugeschaut, wie sie spielerisch zwischen intimer Nähe und weiter Distanz wechseln, wie sich Führung und Geführtwerden in Harmonie ergeben und sich scheinbar ganz automatisch der richtige Rhythmus einstellt? Dann haben Sie bereits die Grundlage für Führung in zukünftigen Arbeitswelten gelegt. Denn so wie im Tanz besteht Führungsarbeit in der Zukunft immer öfter darin, den richtigen Ausgleich zwischen Gegensätzen zu finden und in losen Verbindungen Einklang und die richtige Schwingung herzustellen.
Der Choreograf Antonio Todaro war eine der maßgeblichen Persönlichkeiten in der Entwicklung des Tango, bekannte Schritte und Figuren gehen auf ihn zurück. Dabei war sein Stil nicht langsam, romantisch und sanft wiegend, wie Tango vor allem in Europa vielfach getanzt wird. Todaro legte Wert auf Geschwindigkeit und Agilität, sein Stil war schnell und kraftvoll, beiden Tanzpartnern kam seiner Vorstellung nach eine starke Rolle zu. Er verlieh dem ehemals eng gekoppelten Zusammenspiel wesentlich mehr Freiheitsgrade. Die Analogien zu Führungssituationen in Unternehmen sind nahe liegend.

Hatten Unternehmen und Führungskraft auf der einen Seite und Mitarbeiter auf der anderen Seite in der Vergangenheit Jahre, nicht selten sogar Jahrzehnte Zeit, sich aneinander zu gewöhnen, so lösen sie sich heute, wie Tanzpartner, viel schneller ab.

So meint etwa der amerikanische Ökonom und Hochschullehrer Richard Florida: „Menschen identifizieren sich heute stärker mit ihrer Tätigkeit als mit ihrem Arbeitgeber.“ Auch der Umgang mit sozialen Bindungen verändert sich: Wenn Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, bleibt der Bezug zu den handelnden Personen häufig erhalten. Dienste wie XING profitieren davon, dass Menschen mit Menschen in Kontakt bleiben wollen, unabhängig vom aktuellen Dienstgeber.

Unternehmen können gegen diese Fragmentierung in der Beziehungslandschaft anlaufen und versuchen, die Loyalität zwischen Mitarbeitern und Arbeitgeber zu stärken. Allerdings führen sie damit einen Abwehrkampf, dessen Erfolg langfristig überaus unsicher ist. Zielführender ist es wohl, den zugrunde liegenden Wandel anzunehmen und sich die in der Praxis entscheidenden Fragen zu stellen: Wodurch entsteht in derart labilen Strukturen so etwas wie Bindung? Wie lässt sich Identifikation und Produktivität in kurzer Zeit aufbauen?

In der Vergangenheit war die Beziehung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern auf Dauer angelegt. Es war üblich, einen (!) Beruf zu erlernen, eine sichere Stellung bei einem renommierten Unternehmen anzustreben und damit den Job fürs Leben zu finden. Im Gegenzug waren Arbeitgeber darauf eingestellt, jahrelange Karrierepfade vorzudefinieren, mit entsprechender Ausbildung und Personalentwicklung. Doch schon heute sind die Verhältnisse viel kurzfristiger aufgebaut, und die Entwicklung hin zur Portfolio-Karriere, in der sich Berufe und Beschäftigungsverhältnisse im Laufe des Lebens immer wieder verändern, nimmt immer mehr Fahrt auf. 66 Prozent der Arbeitnehmer haben laut Eurobarometer aus dem Jahr 2009 bereits bis zu fünfmal ihre Arbeitsstelle gewechselt.

Kobra-Effekt heißt ein Phänomen, das der Ökonomen Horst Siebert in seinem gleichnamigen Buch beschrieben hat. Es bezeichnet das Phänomen, dass ausgerechnet jene Entschlüsse und Handlungen, die ein Problem lösen sollen, dieses letztlich noch verschärfen können. Die Bezeichnung geht historisch darauf zurück, dass ein britischer Gouverneur in Indien Kopfgeld auf erlegte Kobras aussetzte, um der herrschenden Schlangenplage Einhalt zu gebieten. Vordergründig schien das Konzept erfolgreich zu sein, wurden doch immer mehr tote Schlangen abgeliefert. Allerdings wurde deren Anzahl nicht wirklich reduziert, da die Bevölkerung begann, Kobras zu züchten und zu töten, um weiterhin Prämien zu kassieren. Anreizsysteme in Unternehmen bewirken vielfach ähnlich kontraproduktive Effekte: Die Mitarbeiter suchen nach Methoden, um das Messsystem auszutricksen – mit dem Resultat, dass die Leistungen nicht steigen und dennoch alle Kennziffern auf Grün stehen.

Menschen schlagen aus eigenem Antrieb vielschichtige Laufbahnen ein, wechseln häufiger die Positionen und nehmen auch bewusst Brüche im Lebenslauf in Kauf. Während sich im Marketing schon länger die Notwendigkeit zeigt, Zielgruppen immer genauer anzusprechen, gilt in der zäh mit dem Abschied aus der Industrialisierung ringenden Arbeitslandschaft immer noch das Prinzip der Verallgemeinerung. Doch den typischen „durchschnittlichen“ Mitarbeiter gibt es nicht, Arbeitsstile, Erwartungshaltungen an die Arbeitgeber und Vorstellungen von einer geglückten Karriere werden vielschichtiger: Für den einen bedeutet, „es geschafft zu haben“, einen klingenden Titel auf der Visitenkarte vorweisen zu können, verbunden mit den Insignien der Macht wie etwa luxuriöse Dienstautos oder repräsentative Büros. Für den anderen stehen interessante Aufgaben im Vordergrund, wieder andere wollen Zeit für Familie und Freunde oder wünschen sich auch in der Hochblüte der Karriere eine Auszeit für Weiterbildung.

Unternehmen setzen auf flexiblere und kurzfristigere Bindung. Sie etablieren atmende Organisationen, die Mitarbeiter in Zeiten der Hochkonjunktur ebenso rasch aufnehmen, wie sie sie bei Flaute wieder abbauen – und zwar nicht selten unabhängig von der Leis-tung des Einzelnen. Hinzu kommt, dass Unternehmen Arbeitsleistungen auf unterschiedliche Weise einkaufen. Wer zu den Mitarbeitern einer Organisation gehört, ist gar nicht mehr so trennscharf zu definieren: Längst mischen sich unter Festangestellte auch externe Berater, Mitarbeiter von Partnerunternehmen oder auch vorübergehend engagierte Projektmitarbeiter. 25 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten in atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Und längst umfasst diese Gruppe nicht mehr nur prekäre oder niedrig qualifizierte Dienstverhältnisse, sondern in zunehmendem Maße auch hoch qualifizierte Tätigkeiten.

work:design – Die Zukunft der Arbeit gestalten. Von Franz Kühmayer, Janine Seitz und Harry Gatterer. Zukunftsinstitut 2012.

Quelle: personal manager Zeitschrift für Human Resources Ausgabe 6 November / Dezember 2012