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Delors sei derjenige, der selbst aus dieser Reihe der Herausragenden noch herausrage, so Genscher. Und dies nicht nur wegen seiner besonderen Rolle im deutschen Einigungsprozess sowie beim Beitritt der DDR zur BRD und damit auch zur europäischen Gemeinschaft, sondern vor allem wegen seiner Verdienste um die Fortentwicklung des Bildungswesens als Vorsitzender der UNESCO-Bildungskommission. „Der Visionär und Realist, der Analytiker und Praktiker Jacques Delors war die Persönlichkeit, der man die Aufgabe anvertrauen konnte, Perspektiven für die Erziehung und Bildung im 21. Jahrhundert zu entwerfen“, meinte Hans-Dietrich Genscher bei der Preisverleihung.

Diese Aufgabe habe er mit Bravour gelöst: Mit dem Bericht „Lernfähigkeit: Unser verborgener Reichtum“, dem sogenannten „Delors-Bericht“ von 1996, habe der Preisträger das Fundament für die Entwicklung von Bildung und Erziehung in Europa sowie auf internationaler Ebene gelegt und dabei immer wieder die Bedeutung des lebenslangen Lernens hervorgehoben.

Das war den Initiatoren des „Leonardo – European Corporate Learning Award“, dem HRM Research Institute und dem Europäischen Wirtschaftssenat, Anlass genug, den neugeschaffenen Bildungspreis erstmalig an Jaques Delors zu verleihen. Auf der Zukunft Personal nahm Prof. Dr. Peter Pawlowsky, einer der elf europäischen Leonardo-Botschafter, stellvertretend für den aus gesundheitlichen Gründen verhinderten 85-jährigen Jacques Delors den Preis entgegen.

Lücke zwischen Ausbildung und Seniorenalter schließen

„Corporate Learning braucht Aufmerksamkeit”, forderte Alexander Petsch, Geschäftsführer des HRM Research Institutes und des Messeveranstalters spring Messe Management, in seiner Rede zur Preisverleihung. „Wenn es um das lebenslange Lernen geht, beschränkt sich die öffentliche Diskussion und das politische Engagement auf die Bereiche Kindergarten, Schule, universitäre Bildung und bestenfalls Lernen für Senioren. Dazwischen fehlen 38 Jahre Arbeit.“ Die europäische Wirtschaft müsse diese Zeit nach der Ausbildung bis zur Rente beim betrieblichen Lernen ins Visier nehmen, um nicht vom Fachkräftemangel überrollt zu werden. Der Leonardo wolle sie dabei unterstützen.

Mit Forschungen wie etwa dem European Lifelong Learning Index (ELLI) erlebten die Ideen von Jacques Delors ein Revival, so Petsch. Delors’ ganzheitlicher Ansatz zum lebenslangen Lernen stehe auf vier Pfeilern: Lernen Wissen zu erwerben, Lernen zu handeln, Lernen zusammenzuleben sowie Lernen das Leben zu gestalten („learning to know, learning to do, learning to live together and learning to be“). Diese seien heute aktueller denn je.

„Regierungen sollten sich fragen, wie sie ihre Wissensagenda gestalten wollen, um mentale Schwächen in Unternehmen oder im Finanzsystem zu verhindern“, sagte Prof. Leif Edvinson von der Universität Lund in Schweden und einer der Leonardo-Botschafter auf der Pressekonferenz zur Preisverleihung. Die Gefahr, dass sich das intellektuelle Kapital schlecht entwickle, sei hoch – gerade in Deutschland. Laut einer Studie, die Edvinson demnächst veröffentlichen wird, liegt Deutschland in punkto intellektuellem Kapital im internationalen Vergleich nur auf Platz 50.

„Wir müssen offen sein für Ideen von außen und mit Menschen aus verschiedenen Kulturen kooperieren“, konstatierte Prof. Markku Markkula von der Aalto Universität in Finnland, der ebenfalls im Leonardo-Beirat sitzt. Markkula, der von 1995 bis 2003 Mitglied des finnischen Parlaments war, brachte die Ideen Delors’ damals in den Umbau des finnischen Bildungssystems ein. Dabei entwickelte er über Delors hinaus eine fünfte Dimension des ganzheitlichen Lernens: Lernen zu wählen. „Wenn wir über unsere Werte nachdenken, ergeben sich viele verschiedene Möglichkeiten, wie wir handeln können“, erklärte er den Ansatz.

Am 6. Dezember überreicht Leonardo-Botschafter Prof. Dr. Peter Pawlowsky den „Leonardo – European Corporate Learning Award“ bei einer kleinen Feierstunde in Paris an Jacques Delors.

Weitere Informationen und die Liste der Leonardo-Botschafter sind unter www.zukunft-personal.de/leonardo erhältlich.