four men looking to the paper on table
Foto von Sebastian Herrmann
Herr Dr. Stadelmann, es gibt viele fragwürdige Ansichten darüber, wie gutes Management aussehen sollte. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Mythen der Managementliteratur?
Oh, da gibt es viele. Zum Beispiel den Mythos Motivation, der besagt, dass ich als Mitarbeiter einen Anspruch, quasi ein Grundrecht, darauf habe, von meinem Chef motiviert zu werden. Ich möchte das umdrehen und sagen, dass man von einem Mitarbeiter verlangen kann, motiviert zu sein. Manche Human-Relation-Ansätze wiederum verbreiten den Mythos, dass ich einen Mitarbeiter erst glücklich machen muss, damit er etwas leisten kann. Auch diese Ansicht teile ich nicht. Wir empfehlen, dass man Mitarbeiter in den Bereichen einsetzt, in denen sie stark sind. Dort können sie überdurchschnittliches leisten, das wird sie zufrieden machen. Dann kommt das zum Tragen, was viel wirksamer ist als Fremdmotivation - nämlich die Selbstmotivation. Auch Charisma gehört zu diesen Management-Mythen.

Inwiefern ist Charisma ein Mythos?
Der Mythos ist der, dass Führungskräfte Charisma haben müssen. Dabei benötigen Führungskräfte nicht unbedingt Charisma, sie müssen aber in jedem Fall ihr „Handwerkszeug“ beherrschen. Die wenigsten guten Führungskräfte sind charismatisch. Unter 10.000 Führungskräften gibt es vielleicht zehn, die Charisma - eine besondere Ausstrahlung - besitzen. Wir haben schlicht zu wenig Charismatiker, um mit ihnen alle unsere Führungsprobleme in Wirtschaft und Gesellschaft lösen zu können. Die meisten Führungskräfte sind gewöhnliche Menschen - viele davon können aber Ungewöhnliches leisten, wenn sie ihre Profession gut beherrschen.

Dann ist da noch die aktuelle Leadership-Debatte. Hier wird der Mythos aufgebaut, dass Management und Leadership Gegensätze sind. Manager sind angeblich die Verwalter, die nur ihre linke Hirnhälfte nutzen können. Die Leader werden dagegen glorifiziert, sie haben angeblich Visionen, können begeistern und nutzen beide Hirnhälften. Das ist natürlich Unsinn. Management und Leadership lassen sich nicht trennen, sie sind zu einem großen Teil identisch, weil Leadership sehr stark auf gutem Management basiert.

Was macht denn gutes Management aus?
Management muss wirksam sein. Ein Manager ist dafür verantwortlich, dass er und andere Resultate erbringen. Das müssen übrigens keine finanziellen Resultate sein, denn nicht alle Arbeitsergebnisse lassen sich messen. Gute Manager sollten zudem wissen, dass sie einen Beitrag für das Ganze leisten müssen - und dass dieser Beitrag im Zweifel weniger wichtig ist als das Ganze. Dafür müssen sie die vorhandenen Stärken der Mitarbeiter nutzen und sie dort einsetzen, wo sie gut sind. So erzielen sie gute Ergebnisse und haben keine Motivationsprobleme. Wirksames Management konzentriert sich zudem auf wenig Wesentliches. Viele Manager glauben zwar, dass sie nur gut sind, wenn sie vieles gleichzeitig tun. Doch das ist ein verhängnisvoller Trugschluss. Gute Manager denken positiv - auch in schwierigen Zeiten - und sie entwickeln und pflegen das Vertrauensverhältnis zwischen ihren Mitarbeitern und sich.

Wie können Führungskräfte dieses Vertrauensverhältnis auf- und ausbauen?

Indem sie authentisch sind und keine Rollen spielen. Sie müssen glaubwürdig sein und mit anderen Menschen respektvoll umgehen. Gegenseitiges Vertrauen ist sehr wichtig, denn es kompensiert die vielen Führungsfehler, die einem Manager täglich unterlaufen, ohne es zu wollen und teilweise auch ohne es zu wissen.

Welche Kompetenzen sollten Manager unbedingt mitbringen?
Sie brauchen eine überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit. Wer das nicht leisten will oder kann, sollte es - im Interesse der Organisation, deren Kunden und deren Mitarbeitenden - sein lassen. Dieser Beruf verlangt ein hohes Maß an Disziplin und Verantwortungsbewusstein. Man muss auf einiges verzichten. Hinzu kommen elementare handwerkliche Kenntnisse und Fähigkeiten. Je höher eine Führungsposition ist, umso mehr müssen Kenntnisse in Unternehmensführung, über die „Verantwortung für das Ganze“ vorhanden sein.

In welchen Bereichen sehen Sie den größten Lernbedarf für Führungskräfte?
Fredmund Malik, der Leiter unseres Unternehmens, des Malik Management Zentrums St. Gallen, sagt immer: „Wenn Piloten so ausgebildet würden wie Manager, würde niemand mehr fliegen.“ Denn gerade bei den elementaren Fähigkeiten besteht der größte Nachholbedarf. Wenn Wirtschaftsabsolven-ten die Universität verlassen, haben sie selbst noch nie richtig in einem Unternehmen gearbeitet. In keinem betriebswirtschaftlichen Studium wird ihnen beigebracht, wie sie eine wirksame Sitzung vorbereiten, die Leistungen von Mitarbeitern beurteilen und effektiv kommunizieren. Wir könnten die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen und damit unserer Volkswirtschaften noch beträchtlich steigern, wenn Führungskräfte auf allen Stufen lernen würden, nicht nur effi zient, sondern auch effektiv zu sein.

Gibt es Manager, die Sie als vorbildlich bezeichnen würden?
Es gibt viele vorbildliche Führungskräfte, die man aber deswegen nicht kennt, weil sie in kleinen oder mittleren Unternehmen arbeiten, weil sie nicht in den Illustrierten porträtiert werden, sie nicht in den Talkshows sitzen, sondern eben leise, aber konsequent ihre Aufgabe erfüllen und Ergebnisse erzielen.

Woran erkennt ein Außenstehender eine schlechte Mitarbeiterführung?
Man erkennt sie daran, dass ein Manager dem „Input“ mehr Aufmerksamkeit widmet als dem „Output“ und sich mehr auf die Schwächen als auf die Stärken der Mitarbeiter konzentriert. Demotivierte Mitarbeiter sind ein weiteres Symptom schlechter Führung, ebenso wie fehlendes Vertrauen zwischen Chef und Mitarbeitern.

Wie schaffen es Unternehmen, die richtigen Mitarbeitern an den richtigen Platz zu setzen?
Es braucht zwei Dinge, die in gut geführten Unternehmen ohne großen Aufwand zu leisten sind, auf die Peter F. Drucker aufmerksam machte: Erstens eine Liste mit den für das Unternehmen für die nächste Zeit wichtigen und entscheidenden Aufgaben (Produktinnovationen, Umstrukturierungen und so weiter) und zweitens eine Liste mit den fähigsten Menschen in der Unternehmung und deren Stärken. Eine gründliche, strategische Lagebeurteilung führt zur ersten Liste. Ein gutes, stärkenorientiertes Beurteilungswesen und gute Führung zur zweiten. Eine der wichtigsten Aufgabe des Topmanagements ist es, dafür zu sorgen, dass diese beiden Listen regelmäßig auf die Agenda kommen und dann die Entscheidungen, wer welche Aufgabe erhält, entsprechend getroffen, beziehungsweise überprüft werden.

Was ist der beste Weg, die Kompetenzen der Beschäftigten zu fördern?
Führungskräfte erzielen die besten Ergebnisse, wenn sie ihre Mitarbeiter fordern, indem sie ihnen große Aufgaben - nicht viele Aufgaben - übertragen. Fordern heißt, dass man etwas von ihnen verlangt. Viele Führungskräfte machen gerade hier einen großen Fehler, weil sie glauben, zu fordern würde demotivieren. Aber gute Mitarbeiter sind dann demotiviert, wenn sie unterfordert sind.

Wie können Führungskräfte Stärken und Kompetenzen ihrer Mitarbeiter erkennen?
Um herauszufinden, was ein Mensch besser kann als andere, benötigt eine Führungskraft im Wesentlichen eines - Zeit. Als Führungskraft muss ich mich mit meinen Mitarbeitern beschäftigen, sie beobachten, sie vielleicht testen, um herauszufinden, was ihnen leichter von der Hand geht als anderen. Häufig wissen es die Mitarbeiter nämlich nicht einmal selbst. Es braucht weiter Erfahrung, um Stärken zu erkennen und zu beurteilen.

Viele Führungkräfte machen den großen Fehler, sich auf die Schwächen, die ihre Mitarbeitenden (oder ihre Organisation als Ganzes) haben, zu konzentrieren. Das ist verständlich, denn es ist leicht, festzustellen, was jemand nicht kann. Aber nur weil es leicht ist, ist es nicht richtig. Management muss dafür sorgen, dass die vorhandenen Stärken von Menschen (und wiederum auch Organisationen als Ganzes) genutzt werden.


Interview: Bettina Geuenich

Quelle: personal manager 1/2005