Soweit die Fakten. Dem gegenüber steht die ernüchternde Realität, dass eine unzureichende Vereinbarkeit von Beruf und Familie für 90 Prozent der Frauen der Grund für eine Erwerbsunterbrechung ist, die länger andauert als ursprünglich geplant. Bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz finden sie sich nicht selten auf einer hierarchisch minderwertigen Position wieder. Gerade die nachrückende junge Generation versteht unter einer Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht etwa, ihre Kinder möglichst zehn Stunden am Tag fremd betreuen zu lassen, sondern wünscht sich eine Balance aus herausfordernden beruflichen Aufgaben und familiären Belangen. Dies nicht zuletzt in dem Bewusstsein, angesichts einer verlängerten Lebensarbeitszeit mit den eigenen Ressourcen bewusst umgehen zu müssen.

pink dining table with four chairs inside room
Foto von Nastuh Abootalebi

Unternehmen tun also gut daran, sich als familienfreundliche Arbeitgeber zu positionieren – doch bleibt es in der Praxis allzu oft bei Lippenbekenntnissen. Ob tatsächlich Taten folgen, hängt entscheidend von den Führungskräften ab. Als Schnittstelle zu den Mitarbeitern liegt das Gelingen oder Scheitern von Konzepten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Alltag in ihren Händen. Denn was nutzt das nach modernsten Anforderungen gestaltete Home Office, wenn der Vorgesetzte seinen Telearbeitern mit Argwohn ob der geleisteten Arbeitsstunden begegnet? Wie hilfreich sind flexible Arbeitszeiten, wenn dem Mitarbeiter beim frühzeitigen Verlassen des Arbeitsplatzes der bohrende Blick des Chefs im Nacken sitzt?

Bei Führungskräften gilt es mit der Sensibilisierung bereits zu einem Zeitpunkt zu beginnen, an dem sich die Vorstellungen über das Wie der künftigen Mitarbeiterführung manifestieren. Wenn eine Hochschule angehende Führungskräfte tatsächlich fit machen möchte für die Realitäten der Arbeitswelt, muss ihnen im Studium unmissverständlich zu verstehen gegeben werden, dass sich über kurz oder lang jedes Unternehmen mit den Auswirkungen der demografischen Entwicklung, einer zunehmenden Bedeutung von Wissen und Wissensträgern sowie einem zweigeteilten Arbeitsmarkt mit einem Überangebot an niedrig qualifizierten und einem Unterangebot an hoch qualifizierten Kräften auseinander setzen muss.

Ebenso unmissverständlich muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, welches Potenzial bei gut qualifizierten Frauen aufgrund einer überwiegenden Beschäftigung in Teilzeit oder eingeschränkten Karriereperspektiven nach der Familiengründung brach liegt. Schließlich geht es darum zu verinnerlichen, dass Beschäftigungsfähigkeit und Motivation auch über eine verlängerte Lebensarbeitszeit hinweg erhalten werden.

Zur Erhöhung der Praxisnähe sind den Studierenden im Rahmen des Curriculums selbstverständlich konkrete Möglichkeiten zur Umsetzung der Familienorientierung im betrieblichen Alltag an die Hand zu geben sowie etwaige Hemmnisse aufzuzeigen. Um all diese Themen glaubwürdig zu vermitteln, ist ebenso die Hochschule selbst gefordert, Familienfreundlichkeit zu demonstrieren. Dazu gehört ein entsprechendes Angebot an Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Mitarbeiter wie Studierende ebenso wie die Stärkung der Vorbildfunktion von Professoren und Lehrbeauftragten. Diese müssen dazu ermutigt werden, auch familiäre Belange, etwa bei der Planung von Seminaren, zu thematisieren und durch eigene Weiterentwicklungsmaßnahmen die Bedeutung des lebenslangen Lernens für den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit am eigenen Beispiel zu verdeutlichen. Für Wirtschaftsexperten, sei es beim IAB oder am Institut der Deutschen Wirtschaft, ist es schon lange keine Frage mehr: Wer nicht auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie setzt, dem wird schon bald im Wettlauf um den Nachwuchs der längere Atem fehlen.

Quelle: PERSONAL – 4/2008