Herr Sliwka, derzeit geht es mit der Wirtschaft wieder aufwärts. Was heißt das für die Personalarbeit?

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Foto von Raphael Koh

Es gibt deutliche Verschiebungen bei den Aufgaben. In den letzten beiden Jahren haben die Unternehmen deutlich weniger eingestellt aber das ändert sich gerade. Jetzt machen sich sie sich wieder verstärkt Gedanken darüber, wo sie in Zukunft Fachkräfte gewinnen und wie sie diese halten können. Talent- und Diversity-Management rückt stärker auf die Agenda.

Inwiefern haben Unternehmen ihre Talentmanagement-Strategie aufgrund der wirtschaftlichen Turbulenzen geändert?

Wir haben dazu im vergangenen Jahr eine Befragung durchgeführt. Das Bemerkenswerte war, dass trotz der Krise die meisten Unternehmen Talentmanagement einen hohen und wachsenden Stellenwert beimessen. Das hängt damit zusammen, dass vielen Unternehmen schon vor der Krise klar war, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit zukünftig einen Fachkräftemangel geben wird. Deshalb haben viele bewusst versucht, auch in der Krise Talente zu halten.

Gibt es bei der Umsetzung neue Aspekte, die im Vergleich zu früheren Jahren dazu gekommen sind?

Mir scheint, dass es im Moment in den meisten Unternehmen eher darum geht, bekannte Talentmanagement-Instrumente weiter auszurollen und zu professionalisieren. Instrumente, wie etwa Management Panels oder Talent Pools weiten sie nach meinem Eindruck auf mehr Mitarbeitergruppen aus – beispielsweise auch auf Tarifbeschäftigte. Außerdem arbeiten viele Unternehmen immer noch an der Einführung integrierter IT-Lösungen für ihr Talent- und Konsequenzenmanagement.

Welche Indikatoren eignen sich, um Talente zu identifizieren?

Das ist eine große Herausforderung. Es gibt keine einfachen Kennzahlen und Instrumente, die für alle passen, denn Talent ist mehrdimensional. Wichtig ist es, möglichst viel Information über die Arbeit der Mitarbeiter zu sammeln, um abzuschätzen, wie geeignet sie für schwierige zukünftige Aufgaben sind – sei es in Fachlaufbahnen oder in Führungslaufbahnen. Unternehmen können viel über Talente lernen, wenn sie ihnen herausfordernde Aufgaben stellen und das Ergebnis beurteilen, auch wenn diese Einschätzung fast immer subjektiv ist. Deshalb sollte die Talenteinschätzung möglichst eine Gruppe von Führungskräften aus dem Umfeld der Mitarbeiter machen und nicht der direkte Vorgesetzte alleine.

Angesicht des Anteils von Frauen in Führungspositionen und dem steigenden Anteil von weiblichen Hochschulabsolventen, könnte der Eindruck entstehen, dass Unternehmen nicht sehr erfolgreich darin sind, Talente zu entdecken.

Ja, und das stimmt teilweise auch. Aber neben möglicher Benachteiligung und der Tatsache, dass vor 10 oder 20 Jahren noch deutlich weniger Frauen einen Hochschulabschluss hatten, wird tendenziell zu wenig darüber diskutiert, welchen Einfluss Teilzeitkarrieren von Frauen haben. In einer Studie haben wir kürzlich gemeinsam mit einem Unternehmen die Karrieren von Frauen untersucht. Die Mitarbeiter eines Bereiches, die im Jahr 2000 vergleichbare Nachwuchsführungspositionen inne hatten, stehen nach zehn Jahren je nach Geschlecht anders da: Männer haben im Mittel signifikant höhere Positionen und Gehälter erreicht als Frauen. Aber wenn wir das aufspalten und die Männer nur mit den Frauen vergleichen, die in Vollzeit geblieben sind über die zehn Jahre, gab es keinerlei Unterschiede. Das heißt, die Karrierenachteile konnten wir allein darüber erklären, dass viele Frauen in Teilzeit arbeiten und dann seltener befördert werden.

Viele Unternehmen wollen keine Führungskräfte in Teilzeit einstellen, weil sie das für weniger effektiv halten. Inwiefern bestätigen Studien dieses Vorurteil?

Mir ist keine wirklich saubere Untersuchung dazu bekannt. Das ist eine spannende Forschungsfrage und wir untersuchen derzeit gerade, ob sich diesbezüglich Performancenachteile feststellen lassen. Jedenfalls ist die Beförderungswahrscheinlichkeit typischerweise signifikant geringer als in Vollzeit. Ob dies angemessen ist oder nicht, halte ich für eine sehr schwierige Frage. Es gibt sicherlich Jobs, bei denen Führung in Teilzeit kein Problem ist, und andere, bei denen die dauerhafte Präsenz eine ganz große Rolle spielt.

Hat sich die Forschung auch schon damit beschäftigt, warum Frauen so stark auf Teilzeit setzen?

Ein ganz wichtiger Grund ist die mangelnde Kinderbetreuung. Zum einen hat der Staat wahrscheinlich zu wenig getan, aber auch die Märkte für private Kinderbetreuung haben sich zu spät entwickelt. Außerdem könnten die Unternehmen sicherlich aktiver werden, um jungen Eltern, Männern wie Frauen, dabei zu helfen, einen Betreuungsplatz für ihre Kinder zu finden. Zudem handelt es sich dabei um ein substanzielles, kulturelles Problem. Wir haben in der genannten Studie zum Beispiel Daten aus Deutschland und den USA verglichen. In den USA gibt es deutlich weniger Teilzeit und es scheint einfacher machbar zu sein, dass Frauen Vollzeit arbeiten und trotzdem Kinder haben.

Ein bemerkenswertes Ergebnis dabei war: Wenn wir Männer und Frauen auf einer bestimmten Karriereebene vergleichen, dann haben die Männer oft im Schnitt um die zwei Kinder, die Frauen auf der gleichen Ebene weniger als eins im Durchschnitt. Das heißt, Frauen müssen sich noch häufig zwischen Kindern und Karriere entscheiden. Dieser Unterschied ist in anderen Ländern deutlich geringer. Da muss sich einiges ändern, damit Frauen relativ schnell nach der Geburt des Kindes wieder anfangen können zu arbeiten. Das scheint ein Schlüssel zum Karriereerfolg zu sein.

Inwiefern können denn Mentoring-Programme und weitere Instrumente zur Frauenförderung helfen?

Ich selbst habe, bevor wir diese Studie gemacht haben, nicht daran geglaubt, dass dies besonders hilfreich ist. Wir haben aber dann fast 3000 Führungskräfte befragt. Auf die Frage, welche Instrumente besonders wirksam sind, um Frauen in Führungspositionen zu bringen, wurde Mentoring neben dem Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten ganz vorne genannt.

Mit dem Fachkräftemangel möchten Unternehmen nicht nur neue Talentepools für sich gewinnen, sondern auch die High Potentials an sich binden. Inwiefern spielt dabei die betriebliche Weiterbildung wieder eine größere Rolle als Incentive für die Mitarbeiter?

Wenn ein Unternehmen in die Weiterbildung eines Mitarbeiters investiert, ist das tendenziell immer ein gutes Signal dafür, dass er gebraucht wird. Doch Personalentwicklung on-the-job ist meines Erachtens noch wichtiger. Durch Projektarbeit können Personalverantwortliche versuchen, die Arbeit so zu gestalten, dass sich Mitarbeitern im Job herausfordernde Aufgaben stellen. Diese on-the-job-Angebote sind nicht immer so einfach zu leisten wie eine externe Schulung, haben aber vermutlich eine größere Signal- und Bindungswirkung.

Auch Bonussysteme sollen Mitarbeiter binden und zu mehr Leistung animieren. Geht diese Rechnung auf?

Bezogen auf die Anreizwirkung von Bonussystemen gibt es eine langandauernde, kontroverse Diskussion. Der Kernstand der empirischen Forschung ist: Bonussysteme funktionieren nicht so einfach, wie das die klassische ökonomische Theorie gesagt hat. Das Wichtige ist aber, sie funktionieren und es gibt einige Evidenz, dass gut gestaltete Bonussysteme die Leistung steigern.

Welche Faktoren tragen dazu bei, dass Bonussysteme wirken?

Da gibt es viele Faktoren. Der Mitarbeiter sollte beispielsweise die Ziele, an denen er gemessen wird, auch selbst beeinflussen können. Aber es gibt auch einige Anzeichen dafür, dass Messgrößen für die Performance und Leistung eines Teams Anreize erzeugen. Auch wenn der Mitarbeiter selbst dabei nur einen kleinen Einfluss hat, scheint das wirksamer zu sein als vielfach angenommen. Denn das kann Identifikation mit dem Team auslösen und Anreize dafür schaffen, den Kollegen zu helfen und aufmerksam dafür zu sein, was der Unternehmenseinheit insgesamt nutzt. Mitarbeiter auf Basis eines Gruppenerfolgs zu belohnen, ist also auch durchaus wirksam.

Eine Studie, die Sie gemeinsam mit Towers Watson durchgeführt haben, ergab, dass es im Bankensektor im Jahr 2009 in punkto Bonuszahlungen zu beträchtlichen Einbußen kam. Haben Personalverantwortliche damit auf die vielfache Kritik an Bonussystemen reagiert?

Ich würde das nicht unbedingt darauf beziehen. Vielfach sind die Bonussysteme einfach kennzahlenbasiert. Dass die Kennzahlen eingebrochen sind, erklärt schon zu einem großen Teil, warum die Bonuszahlungen zurückgegangen sind. Die Eigenkapitalrenditen sind geschrumpft, die Banken haben Verluste gemacht und ein guter Bonusplan reagiert darauf.

Inwiefern sind Änderungen von Bonussystemen dann überhaupt nötig?

Es ist sicher wichtig, mehr Nachhaltigkeit in die Systeme hineinzubringen und manche Banken sind ja schon dabei. Bonussysteme haben offensichtlich zum Teil zu sehr belohnt, wenn die Verantwortlichen viel Risiko gegangen sind und auf kurzfristige Gewinne gesetzt haben. Die Forderung, jetzt mehr Fixgehälter statt Boni auszuzahlen, halte ich jedoch für falsch. Die Fixgehälter der Banker sind in der Krise nicht gesunken, die Bonuszahlungen jedoch oft stark eingebrochen. Mit reinen Fixgehältern können Sie schlechte Performance nicht sanktionieren.

Sie legen in Forschung und Lehre viel Wert auf analytisches Denken. Inwiefern werten Personaler wissenschaftliche Studien tatsächlich aus?

Vielleicht ist das ja meine interessengeleitete Position, aber ich glaube, dass Personaler dies oft zu wenig tun. Sie erheben zwar immer mehr Kennzahlen, aber oft wird noch zu wenig damit gemacht. Nicht jeder muss ein Zahlenexperte sein, aber alle Personaler sollten versuchen, ein analytisches Verständnis von Zusammenhängen im Unternehmen aufzubauen und auch die finanzielle Bedeutung der Personalarbeit nachzuweisen. Dann können sie gegenüber dem Linienmanagement überzeugender für gute Personalinstrumente kämpfen.

Interview: Stefanie Hornung