Problempunkt

photo of three person sitting and talking
Foto von Helena Lopes

Die 1962 geborene Arbeitnehmerin ist seit 1996 bei der Beklagten, die einen Supermarkt betreibt, als Verkäuferin tätig. Die Verkäuferinnen werden sowohl zum Auffüllen der Regale im Markt als auch zum Kassieren eingesetzt. Laut Arbeitsanweisung Nr. 518 haben die Kassierkräfte darauf zu achten, dass der Kunde die zu bezahlende Ware (außer Großgebinde) vollständig auf das Kassierband legt. Tut er dies nicht von selber, ist er höflich dazu aufzufordern. Kommt er der Aufforderung nicht nach, haben die Kassierkräfte die im Einkaufswagen verbliebenen Artikel auf Art und Menge zu prüfen und vollständig zu registrieren. Dazu muss die Kassierkraft in den Wagen schauen. Eine Belehrung hierüber hatte die Arbeitnehmerin zwischen 1997 und 2001 viermal schriftlich bestätigt. Auch der Betriebsrat hatte die Beschäftigten hierauf hingewiesen.

Bei der Mitarbeiterin wurden sechs Testkäufe zwischen April 2006 und März 2007 durchgeführt. Weil sie am 19.7.2006, 22.9.2006 und 18.11.2006 Waren im Wert von ca. 5 bis 15 Euro übersehen hatte, mahnte sie die Beklagte dreimal ab, wobei sie die Abmahnung vom 18.11.2006 ausdrücklich als letzte bezeichnete. Als die Verkäuferin am 30.3.2007 bei einem Testkauf eine 0,7 l Flasche Schnaps für 5,19 Euro übersah, kündigte ihr die Arbeitgeberin am 10.4.2007 nach Anhörung des Betriebsrats ordentlich. Die Kündigungsschutzklage hatte vor dem Arbeitsgericht Erfolg, nicht aber beim LAG.

Entscheidung

Nach Ansicht des LAG war die verhaltensbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Die Klägerin hatte ihre Arbeitspflichten objektiv verletzt, indem sie der Arbeitsanweisung Nr. 518 nicht nachkam und die Flasche Schnaps übersah. Hierbei handelt es sich nicht um eine Schlecht- oder Minderleistung bei der Kassiertätigkeit, sondern eine Fehlleistung. Die Grundregel, den Kunden alles aufs Band legen zu lassen bzw. dies zu kontrollieren, soll den Arbeitgeber vor Diebstahlsverlusten bewahren und ist zu vergleichen mit Schutz-/Sicherungspflichten.

Diese Fehlleistung war schuldhaft verursacht. Die unpräzise Berufung der Klägerin auf ein „Krankfühlen“ oder eine bevorstehende Pause erkannte das LAG nicht an. Das Arbeitsverhältnis war konkret beschädigt, da ein Warenverlust von 5,19 Euro eingetreten wäre.

Zumutbare anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bestanden nicht. Bei Beschäftigung in einer anderen Filiale würde sich an der Zuverlässigkeit beim Kassieren nichts ändern. Eine andere Tätigkeit gab es nicht, denn alle Verkäufer mussten Einräumen und Kassieren. Obwohl die Klägerin fast elf Jahre dem Betrieb angehörte, überwog das Beendigungsinteresse der Beklagten. Trotz Hinweisen durch Arbeitgeberin und Betriebsrat sowie drei Abmahnungen hat sich die Klägerin nicht beeindrucken lassen und gebessert. Sicherungspflichten sind jedoch für den Arbeitgeber wichtig und die Klägerin wusste nach der letzten Abmahnung, dass beim nächsten Verstoß die Kündigung droht.

Konsequenzen

Die Entscheidung macht die unterschiedlichen Kategorien von Leistungsmängeln im Arbeitsverhältnis deutlich (vgl. Stück, AuA 12/07, S. 720 ff.):

  • Nichtleistung: Der Arbeitnehmer arbeitet z.T. gar nicht, kommt z.B. zu spät, macht unberechtigt Pausen oder „blau“.
  • Minderleistung: Der Mitarbeiter arbeitet, die Qualität des Arbeitsergebnisses stimmt auch, aber die Menge liegt unter dem Durchschnitt vergleichbarer Kollegen, z.B. die Verkäuferin ist zu langsam und vor ihrer Kasse sind deshalb ständig lange Schlangen.
  • Schlechtleistung: Der Beschäftigte arbeitet, die Menge der Arbeitsleistung stimmt auch, aber die Qualität liegt unter dem Durchschnitt vergleichbarer Kollegen, tippt z.B. überdurchschnittlich viele falsche Beträge ein und es kommt zu Abweichungen.
  • Fehlleistung: Der Arbeitnehmer verletzt bekannte Grundregeln, insbesondere Schutzund Sicherungspflichten, die so typisch sind, dass dies nicht einmal besonders hervorzuheben ist, z.B. die Verkäuferin kontrolliert nicht, ob alles auf dem Band liegt (KR/Griebeling, § 1 KSchG Rdnr. 448).

Bei den Fällen der Minderleistung und Schlechtleistung kommt es für eine Kündigung darauf an, dass der Mitarbeiter die Durchschnittsleistung (Quantität, Fehlerquote) vergleichbarer Kollegen erheblich unter-/überschreitet. Davon ist erst bei einer langfristigen Unterschreitung von mehr als einem Drittel auszugehen (BAG, Urt. v. 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, vgl. AuA 2/04, S. 44 f.). Bei der Fehlleistung ist die Vergleichsquote dagegen irrelevant.

Praxistipp

Bei Leistungsmängeln gibt es verschiedene Kategorien, die rechtlich unterschiedlich zu bewerten sind. Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer regelmäßig vor einer Kündigung wirksam und erfolglos abmahnen muss. Er sollte den Beschäftigten außerdem über die wesentlichen Vertragspflichten besonders unterrichten, ggf. nachschulen und dies möglichst auch dokumentieren.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi – 11/08