Gehören Sie auch zu den “Gequälten”, die sich regelmäßig Arbeitszeugnisse durchlesen (müssen), wohl wissend, dass der Wahrheitsgehalt solcher Dokumente in den letzten Jahren mehr und mehr zum Opfer arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen geworden ist.

Ich habe vor einiger Zeit ein besonders extremes Beispiel erlebt. Im Rahmen eines Outplacement Mandates lernte ich einen Manager kennen, dem aufgrund eindeutigen Fehlverhaltens im interpersonellen Bereich gekündigt worden war. Nach langem Hin und Her – die Beweislage war wohl nicht ganz so einfach und klar – einigte man sich auf einen Vergleich.

Zusätzlich zum Outplacement-Package und einer Abfindung gab es dann auch das “wohlwollende” Arbeitszeugnis mit auf den Weg, welches natürlich mit keinem Wort die eigentliche Ursache der Beendigung der Zusammenarbeit beschrieb. Im Gegenteil, die Führungskraft wurde in höchsten Tönen gelobt.

Inwieweit sich die das Zeugnis ausstellenden Führungskräfte hier in juristisches “Risiko-Gewässer” wagen, bleibt einer separaten rechtlichen Prüfung überlassen…

Nun lernen Sie aber als Personalentscheider diese Person kennen.

Führen wir uns doch einmal die mit der Einstellung dieser Person verbundenen Risiken vor Augen:

■Welche Auswirkungen kann ein erneutes Fehlverhalten auf das Team des Managers haben? Kündigen vielleicht deshalb leistungsfähige Mitarbeiter?
■Welche juristischen Risiken bestehen? Handeln Sie persönlich möglicherweise fahrlässig?
■Sind erneute Rekrutierungskosten (Headhunter, Anzeigen, etc.) aufzuwenden, wenn eine Trennung erforderlich wird?
■Welche Reputationsschäden sind möglicherweise zu erwarten?
■Und – Welche persönlichen (Karriere-)Risiken als HR Manager oder Fachvorgesetzter gehen Sie selbst ein, wenn Sie den “Falschen” einstellen?

Zeugnisse, professionell aufbereitete Unterlagen, ja selbst die 1a-aufbereitete Online-Präsenz eines Kandidaten sind heutzutage nur noch schwer “lesbar” und interpretierbar.

Die folgenden und durchaus alltäglichen Rahmenbedingungen erschweren eine sorgfältige Bewerberanalyse:

■Zeitdruck
■zahlreiche Bewerbungen
■Erwartungsdruck der Fachabteilungen
■begrenzte Budgets im HR-Bereich
■zu wenig eigenes Personal

Erstaunlicherweise gehen viele Unternehmen bei der Entwicklung des vorhandenen Personals heute bereits sehr viel professioneller mit der Evaluierung von Nachwuchskräften und dem Management um. In aufwendigen 360Grad Bewertungsrunden oder anderen mehrstufigen Verfahren wird genau das Maß an Entscheidungssicherheit angestrebt und erreicht, welches auch sinnvoll und notwendig ist.

Nur bei der Rekrutierung externer Mitarbeiter verlässt man sich allzu häufig auf die Intuition und nur auf die vom Kandidaten bereitgestellten Informationen. Selbst wenn Referenzen geprüft werden sollten – und das ist aus meiner Erfahrung der Ausnahmefall - handelt es sich in aller Regel nur um die (Gefälligkeits-)Referenzgeber, die der Bewerber selber benannt hat.

Um ein verantwortungsvolles Risikomanagement im HR-Bereich zu gewährleisten, reichen diese Schritte der Evaluierung nicht aus. Nur ein wirklich detaillierter Bewerber-Check liefert die Informationsdichte und –qualität, die für fundierte Entscheidungen notwendig ist.

Und ein eklatantes Fehlverhalten bleibt so in keinem Fall unentdeckt.

Detlev Weise, 28. Januar 2010

Der Autor ist Personal- und Unternehmensberater.

Links: b4recruiting.com + detlevweise.com + jobklinik.de

Video: [video]http://www.youtube.com/v/Abn9OUZQeBg&hl=de_DE&fs=1&[/video]

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