Ärzte und Pfleger im Operationssaal kennen das – ebenso wie Veranstaltungstechniker, Installateure oder Kfz-Mechaniker: Bei vielen Arbeiten ist das Ende nicht vorhersehbar und auch nicht durch die Beschäftigten zu steuern. Flexibilität ist gefragt – gerade im Dienstleistungsbereich. Denn die Aufträge können mehr oder weniger umfangreich sein. Teilweise sagen Kunden Termine ab oder kommen zu spät. Das heißt: Die Aufgaben sind selten exakt zum geplanten Arbeitsende erledigt. Wenn es sinnvolle Tätigkeiten gibt, mit denen die Mitarbeiter Zeitfenster zum Arbeitsende hin gut nutzen können – fein. Andernfalls entstehen Lücken. Je größer die Schwankungsbreiten der Bearbeitungsdauer sind und je weniger verschiebbare Anteile in der Arbeit enthalten sind, desto schwerer ist es, das vereinbarte Arbeitsende exakt einzuhalten.

woman and man sitting in front of monitor
Foto von NESA by Makers

Momentan bietet das Arbeitsrecht in den meisten Bereichen nur die Möglichkeiten …

Leer- und Überstunden in Kauf zu nehmen oder

ein späteres Ende zu vereinbaren (als Puffer oder Reserve) und dann, wenn dies nicht benötigt wird, mit Zeitausgleich oder Verschieben der Normalarbeitszeit zu arbeiten (Abbildung 1). Das mag immer wieder passen. Wenn es häufig vorkommt oder mit Druck (z. B. Zuweisung sehr unbeliebter Arbeiten) verbunden ist, werden die Mitarbeiter dies allerdings schnell als unfair empfinden.

Anwendungsbereiche

Das Modell ließe sich in unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen anwenden – besonders dann, wenn ein Unternehmen sehr genau und verantwortungsvoll plant und seine Arbeitsplanung auf professionelle Tools aufsetzt. Nehmen wir das Beispiel des Operationsbetriebs in einem Spital: Aufgrund umfassender Analysen ist bekannt, wie lange eine OP durchschnittlich dauert. So lässt sich je nach vorzunehmendem Eingriff recht zuverlässig planen, wie viele Operationen an einem „normalen“ Arbeitstag eingeplant werden können und welche Soll-Arbeitszeit sich daraus für die Beschäftigen ableiten lässt. Nur folgt im Einzelfall die Realität selten der Statistik.

Selbst wenn bekannt ist, welche Schwankungen in der Dauer eines Eingriffes anfallen, ist ein Spital nicht davor gefeit, dass sich positive oder negative Abweichungen an einem Tag kumuliert auswirken. Wenn ein Krankenhaus sechs Operationen geplant hat und eine davon 30 Minuten länger dauert als geplant, zwei im Rahmen bleiben, aber drei schon 30 Minuten vor Plan beendet sind, dann ist der Operationsbetrieb eine Stunde früher zu Ende. Genau dafür könnte eine solche Regelung sowohl für Arbeitgeber als auch die Beschäftigten Sinn machen.

Möglichkeiten und Grenzen

Mitarbeiter würden nach diesem Ansatz häufiger früher nach Hause gehen und deutlich seltener länger als geplant bei der Arbeit bleiben. Sie würden somit weniger Zeit mit mehr oder weniger sinnvollen Füllarbeiten vergeuden. Den früheren Feierabend dürften sie überwiegend als Entlastung erleben. Klarerweise gibt es Situationen, in denen ein solches Modell nicht passt. Wenn Beschäftigte aufgrund der Verkehrsbedingungen mit dem früheren Ende nichts Sinnvolles anfangen können, wenn die Soll-Arbeitszeit nicht mehr vernünftig erreichbar ist oder auch, wenn die Zeitschwankungen sehr stark sind. Die Akzeptanz des Modells hängt auch von den Prozentsätzen und den Spielregeln bezüglich der Ankündigungsfristen ab. Der soziale Nutzwert kurzfristig freigegebener Zeit ist geringer als der von geplanter freier Zeit. Schließlich haben sich die Mitarbeiter diese Zeit für die Arbeit reserviert. Andererseits kann eine wenig produktive, als sinnlos erlebte Anwesenheitspflicht auch belasten. Daher dürfte die Akzeptanz stark davon abhängen, wie häufig, in welchem Umfang und wie nachvollziehbar das frühere Gehen praktiziert wird. Aus unserer Sicht kann diese Option eine spannende Möglichkeit sein, um einerseits Kosten zu senken und andererseits die Belastungen zu verringern sowie die Zufriedenheit der Beschäftigten zu fördern.

Rechtliche Umsetzungsmöglichkeiten

Rechtlich ist dieses Vorgehen nur dann mit dem Arbeitszeitgesetz (AZG) verbindbar, wenn die Veränderungen einvernehmlich sind. Eine Betriebsvereinbarung scheint hier nicht ausreichend, wenn eine Person der Änderung vereinbarter Arbeitszeiten nicht zustimmt. Es ist auch zu prüfen, ob das Modell allgemein individuell vereinbart werden kann oder nur jeweils für bestimmte Situationen.

 

Sollte allerdings der Kollektivvertrag für bestimmte Tätigkeiten und Situationen eine Erlaubnis geben (§19c AZG könnte dazu ein Ansatz sein), wäre das eine gute Grundlage, das Modell zu etablieren. Sofern aber ein guter Konsens aller Beteiligten vorliegt, der sich erfahrungsgemäß durch einen fairen Verhandlungsprozess erreichen lässt, dann bietet das vorliegende Instrument für faire Flexibilität – zumindest für viele Beteiligte – einen Vorteil.

 

Diskutieren Sie mit!

 

Sie haben jetzt auch die Möglichkeit, das vorgestellte Instrument zu kommentieren (siehe unten), Anregungen oder Kritik zu äußern sowie alternative Vorschläge zu beschreiben. Wir freuen uns auf Ihr Feedback!


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Quelle: personal manager – Zeitschrift für Human Resources | Ausgabe 2  März/ April 2017.

Eine Alternative:
Zeitgutschrift fürs Gehen

Was wäre, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dem Unternehmen das Recht einräumen, Freizeit anzuordnen, aber – auf Grund der Kurzfristigkeit – als Gegenleistung einen Teil davon als Zeitgutschrift bekämen?

Wir haben an dem in Abbildung 2 dargestellten Beispiel Rechensimulationen mit 25-prozentiger Zeitgutschrift verwendet. Das heißt: Für jede Stunde, die ein Mitarbeiter früher geht, erhält er eine Zeitgutschrift von 15 Minuten. Die Mitarbeiter müssen von jeder Stunde, die sie früher gehen sollen, zu einem anderen Zeitpunkt nur 45 Minuten „einarbeiten“.

Das Unternehmen belohnt die Bereitschaft zur kurzfristigen Flexibilität also mit 15 Minuten zusätzlicher Freizeit. Das Ergebnis (wiederum dargestellt am Beispiel aus Abbildung 2): Da das Längerbleiben im Fall der Nichtnutzung deutlich günstiger wird, kann ein späteres geplantes Ende vereinbart werden. Ein zum Beispiel 15 Minuten späteres geplantes Ende brächte weniger oft die Notwendigkeit für ungeplantes (und daher überraschendes) längeres Bleiben – und zwar nur in jedem fünften Fall. Durch das Verschieben des Tagesendes fallen einfach weniger oft Überschreitungen der Tagesarbeitszeit an.

Die Mitarbeiter hätten real pro Tag circa zehn Minuten mehr Freizeit und die Kosten für das Unternehmen würden auf rund zehn Arbeitsstunden sinken. Anders dargestellt: Durch den Überstundenzuschlag von 50 Prozent würden dem individuellen Zeitkonto bei einer geleisteten Überstunde 1,5 Stunden gutgeschrieben. Wenn nun für jede kurzfristig angeordnete Stunde Zeitausgleich nur 45 Minuten vom Zeitkonto abgebucht werden, dann können sich über eine solche Regelung für eine gearbeitete zwei zusätzliche freie Stunden ergeben.

Für die Planung wäre ein spezielles Zeitkonto sinnvoll, das diese kurzfristigen Schwankungen darstellt. Auf dieses könnte der Arbeitgeber Mehrzeiten mit einem Aufschlag und Zeitausgleich mit einem Abschlag buchen. Wenn nach längerer Zeit zu viele Stunden im Plus übrig bleiben (es fällt zu viel Zusatzzeit an), wäre ein Zeitausgleich in ganzen Tagen möglich. Ist das Konto jedoch im Minus (es fällt zu viel Zeit aus), dürfte ein etwas späteres Planende (soweit vom realen Arbeitsanfall sinnvoll) meist verträglicher sein als zusätzliche Arbeitstage.

Wie wirken die Regelungen?

Arbeitgeber interessieren sich für die tatsächlichen Kosten, die natürlich von der Situation abhängen. Folgendes Rechenbeispiel soll die Mechanismen verdeutlichen. Angenommen, das Arbeitsende verteilt sich an 46 Arbeitstagen wie in Abbildung 2 dargestellt. So kommt es dreimal vor, dass 60 Minuten vor dem geplanten Arbeitsende nichts mehr zu tun war. Einmal dauerte die Arbeit 120 Minuten länger, ein weiteres Mal 90 Minuten länger.

Wenn die Mitarbeiter ihre Arbeiten 60 Minuten vor dem offiziellen Arbeitsende abgeschlossen haben, so ergeben sich für den Arbeitgeber Kosten von einer Stunde zu bezahlender, aber nicht produktiver Arbeitszeit. Die drei Fälle, in denen die Arbeit 60 Minuten vor Ende erledigt war, führen zu drei Leerstunden.

Aus der Mehrarbeit von 120 Minuten ergeben sich zwei Überstunden mit jeweils 50 Prozent Zuschlag. Bei 90 Minuten Mehrarbeiten wird ein Überstundenzuschlag von 0,75 Arbeitsstunden fällig. Für die Beschäftigten geht es um den Abgleich von Arbeit und Privatzeit. Dabei ist nicht nur das tatsächliche Arbeitsende von Bedeutung, sondern auch das geplante, auf das sie sich eingestellt haben und an dem sie ihre Freizeitgestaltung ausrichten. Abbildung 3 auf Seite 60 zeigt die Konsequenzen, die sich ergeben, wenn der Arbeitgeber das geplante Ende der Arbeitszeit a) unverändert lässt, b) um 15 Minuten vorverlegt oder c) um 15 Minuten nach hinten schiebt.

(Etwas) kostengünstiger wäre ein verstärktes Arbeiten mit Überstunden, indem das Planende 15 Minuten vor die bisherige Zeit gesetzt würde. Alle Zeiten, die länger dauern, würden dann mit Überstunden abgedeckt. Wenn diese durch Zeitausgleich abgegolten werden, würden durch die in der Grafik dargestellten Fälle Kosten von circa 17,8 Arbeitsstunden (abseits der „normalen“ Arbeitsleistung) entstehen. Für die Beschäftigten wäre es allerdings eine stärker belastende Variante, da sie in 54 Prozent der Fälle länger bleiben müssten als (neu) geplant. 

Planbarer für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wäre ein Beibehalten des Planendes. Das brächte Kosten (über produktive Stunden hinaus) von 18,4 Arbeitsstunden und eine Einhaltung des Arbeitsendes in zwei Drittel der Fällen. Würde das Unternehmen die Zeiten noch ausweiten (zum Beispiel um 15 Minuten, um Überstunden zu „sparen“) würde es noch teurer (23,3 Arbeitsstunden), und nur mehr in jedem fünften Fall müssten Beschäftigte überraschend länger bleiben. Das wäre angenehmer für die Arbeitnehmer, aber für das Unternehmen teurer. Wie könnte ein Ansatz für ein besser ausgewogenes Verhältnis zwischen den Arbeitskosten und dem Wunsch der Beschäftigten nach mehr persönlicher Planbarkeit aussehen?