Ausgebremst – durch eine E-Mail-Signatur

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Foto von Alex Knight

Die Fakten: Ein Angestellter einer Arbeitsvermittlungsagentur in den USA verschickt aus Versehen aus einem Sammel-Account heraus eine E-Mail unter dem Namen einer Kollegin. Die Reaktion, die er erfährt, schockt ihn. Beide Kollegen, dieser Mann und die Kollegin wagen daraufhin ein Experiment: Zwei Wochen lang betreuen sie Kunden unter der E-Mail-Signatur des anderen.

Das verblüffende Ergebnis

Sie: kann endlich so schnell, produktiv und ungestört arbeiten, wie sie es möchte.
Er: erhält unhöfliche bis herablassende E-Mail-Antworten der Kunden. Auch die Frage, ob er Single sei. Alle seine Handlungen und Reaktionen werden hinterfragt und angezweifelt. Kunden, mit denen er zuvor reibungslos gearbeitet hatte, reagieren nun zögerlich und misstrauisch – der Grund: Alle Kunden vermuten, dass sie es mit einer Frau zu tun haben.

Für die Frau war es ein paradiesischer Zustand. Hatte früher ihr Chef ihre Vorschläge angezweifelt und sie immer wieder kritisiert, weil sie angeblich langsamer arbeite – kam sie nun prima zurecht – und schaffte ein großes Pensum.

Für den Mann war es eine extrem ernüchternde Erfahrung und laut seinem Twitter-Protokoll „die Hölle“.

Sein Fazit: Falls seine Kollegin überhaupt jemals „langsamer“ gewesen sei, dann nur, weil sie einen viel härteren und langwierigeren Job hat, gegen all die Zweifel, die ihr entgegenschlagen zu argumentieren und Kunden zu überzeugen. Außerdem fand er die herablassende Haltung der Gesprächspartner unerträglich.

Die Frau wunderte sich gar nicht. Höchstens, dass andere so konsterniert waren. Für sie war solch eine Behandlung Alltag.

Der Chef, mit den Ergebnissen des Experiments konfrontiert, zeigte sich zwar ordnungsgemäß entrüstet – führte jedoch an, dass doch niemand genau wissen könne, warum die Kunden so reagierten – und ob es an der Qualität der Arbeit oder der Leistung generell liege, oder so…

Das Fazit insgesamt: Alles beim Alten.

Quellen:

http://www.xing-news.com/reader/news/articles/745133?link_position=digest&newsletter_id=22621&toolbar=true&xng_share_origin=email

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.gleichberechtigung-am-arbeitsplatz-experiment-mann-und-frau-tauschen-e-mail-signatur.16cb1db6-d21a-4408-bf31-e939615959ae.html

https://twitter.com/SchneidRemarks/status/839917707080368132?ref_src=twsrc%5Etfw&ref_url=http%3A%2F%2Fwww.stuttgarter-zeitung.de%2Finhalt.gleichberechtigung-am-arbeitsplatz-experiment-mann-und-frau-tauschen-e-mail-signatur.16cb1db6-d21a-4408-bf31-e939615959ae.html

http://www.diechefin.net/erlangen-liegt-bei-gleichberechtigung-vorn/

http://www.zeit.de/karriere/bewerbung/2012-04/ergebnisse-anonyme-bewerbungen/komplettansicht

http://www.xing-news.com/reader/news/articles/738546?link_position=digest&newsletter_id=22496&toolbar=true&xng_share_origin=email

Der “zweite Blick” muss über den Verstand angeordnet werden

Doch leider kommt es selten dazu. Vor allem deswegen werden anonymisierte Bewerbungssysteme diskutiert. Den sogenannten “zweite Blick” oder der “Blick hinter die (eigenen wie fremden) Kulissen müssen wir mit den Verstand aktivieren.

Was den ganz individuellen “Nutzen” beweisen könnte, die Vorurteile für Menschen haben: Diese Bilder funktionieren, auch wenn es gar kein echtes Gegenüber gibt. Das Bild, das Menschen sich voneinander machen, sagt somit fast mehr über das Selbstbild – sowie die Wünsche, Ängste der Wertenden aus als über die Personen, denen die Wertung gilt.

Beurteilungssysteme durch vorurteilsbehaftete selektive Wahrnehmung

Wie stark sich der “Perceptive Bias”, die vorgefasste selektive Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen, im Berufsleben auswirken kann, wird immer wieder untersucht. Doch völlig unfreiwillig – nichtsdestoweniger wirkungsvoll und verblüffend – brachte eine einfache Verwechslung diese Erkenntnis wieder einmal zutage. Weltweit veröffentlicht – über Twitter et. al. – brachte sie die Ungleichbehandlung zwischen Mann und Frau, die häufig thematisiert wird, manchmal belächelt und oft schon genervt im Keim erstickt wird, wieder ins Gespräch:

Auf die Frage, wen sie zum Bewerbungsgespräch einladen würden, bevorzugten sie die männlichen Bewerber. Obwohl sich das besonders auch in den technischen und von Männern dominierten Berufen niederschlug, zeigten sich ähnliche Effekte überraschenderweise auch bei Berufen, die traditionell mit „Weiblichkeit“ in Verbindung gebracht wurden, also Ausbildungen im erzieherischen und pflegerischen Bereich. Einen umgekehrten Effekt – eine Benachteiligung von Männern in Frauenberufen – gab es nicht.

Perceptive oder Information Bias und Thin Slicing – Wie unser Gehirn uns Streiche spielt

Auch wenn wir Stereotype verstandesgemäss ablehnen – innerhalb von Sekunden haben wir unser Urteil gefällt. Durch “Thin slicing” geben wir dem automatischen Arbeitsimpuls des Gehirns nach und ordnen unser Gegenüber in Schubladen: Sympathie, Vertrauenswürdigkeit, Intelligenz, Eloquenz, sozialer Status, Erfolg, Dominanz – all das wird in Millisekunden abgefragt, unbewusst.

Doch reicht es nicht, sich darauf nun auszuruhen. Denn die Kategorien entspringen zwar häufig dem Unbewussten – doch die meisten Muster und Merkmale wurden schon extrem früh erlernt – und entsprechend gespeichert. Die anschließende und fast ebenso schnelle Bewertung entspringt unserer Lebenserfahrung – die auch fehlgeleitet sein kann.

Eines ist sicher: Eine Reihe dieser Einschätzung würden einer echten Prüfung an der Realität oder einem zweiten Blick nicht standhalten. Denn schon unser erlernter “selektiver Blick” lässt uns automatisch ausschliesslich jene Dinge sehen, die wir als bedrohlich, unangenehm, seltsam, verwerflich etc. ansehen – und nicht alle anderen Merkmale, die entsprechend be (ver) urteilte Personen natürlich auch aufweisen.