Weiterbildung bedeutet Spezialisierung – und diese wiederum bringt Sicherheit. Auf diese einfache Formel kommt Norbert Schalm, wenn er die Investitionen in das Wissen der Mitarbeiter begründen soll. Doch es ist nicht ganz einfach, Menschen von den Vorzügen permanenter Weiterbildung zu überzeugen, weiß der Geschäftsführer eines 33-köpfigen Handwerksbetriebs. „Entscheidend ist, Anreize zu schaffen, um alle für Bildung zu motivieren. Schließlich hat nicht nur jeder Einzelne etwas von der Qualifikation. Am meisten profitiert die Firma selbst.“

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Foto von Lauren Mancke

Denn die fachliche Qualifikation der Mitarbeiter steigt durch Weiterbildung kontinuierlich. Das Ergebnis: „Dank einer hohen Spezialisierung unserer Mitarbeiter sind wir heute relativ unempfindlich gegenüber dem konjunkturellen Auf und Ab“, so Norbert Schalm. Keinen einzigen Arbeitsplatz musste sein Betrieb in den letzten fünf Jahren abbauen. Kurzarbeit ist trotz der wirtschaftlich angespannten Situation der Branche ein Fremdwort bei den Mönchengladbachern.

Jeder muss einen Beitrag leisten

 

Widerstand regte sich unter den Mitarbeitern anfangs schon, und das nicht zuletzt deshalb, weil es eine klare Abmachung über Kosten und Zeit gibt. „Die Kosten trägt die Firma zu 100 Prozent, auch Reise- oder Übernachtungsgelder“, erklärt Norbert Schalm. „Dafür erwarten wir, dass der Mitarbeiter seine eigene Zeit einbringt, also Freizeit investiert.“ So finden die meisten Weiterbildungskurse schon am Freitagnachmittag statt und dauern nicht selten bis in den späten Abend.

Dadurch, dass sowohl Arbeitgeber als auch die Angestellten etwas für ihre Qualifikation investieren müssen, wird allen die Bedeutung von Weiterbildung klar. Das Geschenk von Wissen, so der Hintergedanke von Norbert und seinem Bruder und Firmenmitinhaber Armin Schalm, sollte immer etwas kosten, und zwar das Kostbarste eines jeden Menschen, seine Zeit. Nur so, da sind sich die Brüder sicher, werde dieses Geschenk auch gebührend gewürdigt.

Die Durchdringung des Betriebs mit neuem Wissen verläuft häufig nach dem Schneeballsystem. Ein Beispiel: Ein Kunde hat eine Firma gesucht, die Kunststoffe schweißen kann. Ein Mitarbeiter der Gebrüder Schalm interessierte sich für das Thema, besuchte sofort einen externen Lehrgang und qualifizierte anschließend seine Kollegen in Inhouse-Schulungen. „Heute können alle unsere Leute Kunststoffe schweißen“, sagt der Geschäftsführer stolz.

Schlauer als der Chef sein

 

„Viele unserer Leute wissen in so manchem Bereich besser Bescheid als wir“, so Schalm. „Das gibt den Leuten eine innere Bestätigung und erhöht ihr Themenspecial Juni 2005 „Mitarbeiterbindung/Retention Management“ Selbstwertgefühl. Sie wissen, dass sie gefragte Fachleute sind. Deshalb arbeiten sie besser und übernehmen gern mehr Eigenverantwortung.“

Auch die Mitarbeiterbindung wächst in einem Maße, dass Schalm mittlerweile von unternehmerischem Denken seiner Angestellten spricht. „Wir haben inzwischen Kunden“, so der Betriebsinhaber, „die fragen heute nicht nur nach unserer Firma, sondern nach einem konkreten Mitarbeiter, den sie für ihren Auftrag haben wollen.“ Ständige Weiterbildung ist da ein Muss. Dafür geben die Unternehmer knapp ein Prozent des Jahresumsatzes aus, rund 30.000 Euro. Dies liegt weit über dem Durchschnitt der Weiterbildungsinvestitionen im Handwerk, der bei 0,2 Prozent des Umsatzes anzusiedeln ist.

Dabei bleibt Norbert Schalm in jeder Lage Kostenrechner. Er ist sich sicher: „Die besten Zinsen bringt eine Investition ins Wissen.“ Diese Aussage hängt direkt mit der Unternehmensphilosophie zusammen. „Es ist wichtig, in Abständen auch über andere Themen zu reflektieren, andere Menschen und Meinungen kennen zu lernen und letztlich den eigenen Betrieb einmal von außen betrachten zu können“, so Norbert Schalm. „Auf diese Art bekommt man viele neue Ideen.“ Sechs interne und zwei externe Schulungen, zu frei wählbaren Themen, sind das Mindestmaß an Fortbildung, das jedem Mitarbeiter pro Jahr angetragen wird.

Fortbildungsabstinenz ist ein weit verbreitetes Phänomen

 

Weiterbildung in kleinen Betrieben ist aber eher die Ausnahme in der deutschen Wirtschaft, wie das Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) in einer aktuellen Studie festgestellt hat. „Insbesondere im direkten Vergleich mit den skandinavischen Ländern haben wir nur eine gering entwickelte Weiterbildungskultur in unseren Unternehmen“, so das Fazit von Dr. Uwe Grünewald, Mitautor der Studie. Viele Firmenchefs stellen nach seiner Erkenntnis bereits ihre gesamte Personalrekrutierung gezielt darauf ab, dass die Mitarbeiter keine oder nur eine sehr geringe berufliche Fortbildung benötigen. So bietet nicht einmal jeder zweite Kleinbetrieb mit bis zu 20 Beschäftigten seinen Mitarbeitern eine Möglichkeit zur betrieblichen Weiterbildung an. An der Qualität der gewählten Kurse jedoch gibt es keinen Zweifel, so der Bonner Bildungsexperte. „Wenn die kleinen Firmen Weiterbildung machen, dann tun sie dies genauso gut wie die großen.”

Die Ursachen für die Weiterbildungsabstinenz sind vielschichtig. In den meisten Fällen werden Kostengründe genannt, so Grünwald. Nicht selten verbirgt sich hinter der Ablehnung von Kursen jedoch die Furcht, dass Mitarbeiter ihre zusätzlich errungene Qualifikation am Arbeitsmarkt benutzen, sich einen anderen Arbeitgeber zu suchen. Mit wachsender Qualifikation steige jedoch die Selbstständigkeit und Kreativität und damit auch die individuelle Arbeitsmotivation, meint Gründwald. In aller Regel gehe damit eine größere Unternehmensbindung einher. Das Gegenteil der geäußerten Befürchtungen ist also nach seiner Erfahrung der Fall.

Weiterbildung beginnt beim Azubi

 

Der Betrieb der Brüder Schalm geht in die richtige Richtung und sogar noch weiter. Neben der verordneten Weiterbildung gibt es dort einen Arbeitskreis „Jugend im Unternehmen“. Mit dieser Gruppe bieten die Meister und Monteure den sieben Auszubildenden regelmäßig interne Weiterbildungsveranstaltungen zu Themen, die Themenspecial Juni 2005 „Mitarbeiterbindung/Retention Management“ die Jugendlichen selbst wählen können. Der Vorteil für die Unternehmer: Die Maßnahme ist kostenlos und zusätzlich zur Vertiefung der Lehrinhalte in der Berufsschule setzt bereits hier die spätere Spezialisierung ein. Für Norbert Schalm kann dies gar nicht früh genug passieren. „Die Azubis suchen sich die Themen heraus, die sie interessieren“, so Norbert Schalm. „Sie können gar nicht genug bekommen und nutzen jede Qualifikationsmöglichkeit.“ Dies ist gewiss auch ein Verdienst der etablierten Lernkultur.

Demnächst wollen die Brüder noch einen Schritt weiter gehen. Sie planen den Ankauf eines Firmenfahrzeugs, das ausschließlich den Azubis zur Verfügung stehen soll und mit dem sie künftig als Junior-Team auf den Baustellen der Schalm-Kunden vorfahren. Nach der detaillierten Einweisung durch einen Monteur arbeiten die Auszubildenden hier vollkommen eigenständig und können sich bei Problemen per Handy an ihren Monteur wenden, der ständig für sie erreichbar ist. Die Chefs erhoffen sich eine noch höhere Arbeitsmotivation und übertragen dem Nachwuchs frühzeitig Verantwortung.

Das Engagement der Brüder Schalm um ihre Mitarbeiter hat bereits Früchte getragen: Aus der Hand von Harald Schartau, Minister für Arbeit und Wirtschaft in NRW, erhielt die Firma den ersten Preis als weiterbildungsfreundlichster Handwerksbetrieb des Landes. Außerdem erhielten die Brüder Schalm Ende 2002 eine Auszeichnung für innovative Strategien in der Arbeits- und Sozialpolitik auf der Messe „Haus und Wohnen“. Mit den Preisgeldern ist die Firma zum Nürnberger Schindlerhof gereist. In dem preisgekrönten Seminarhotel lernten die Mönchengladbacher etwas über Philosophie der Weiterbildung, Kundenbeziehungen, Servicefaktoren und vor allem Teambuilding. „Wir wollen einfach nur fit sein für die Zukunft“, sagt Norbert Schalm. „Und berufliche Weiterbildung ist der Schlüssel dafür.“

Reinhard Myritz ist freier Journalist und arbeitet für verschiedene Wirtschaftszeitschriften, unter anderem zu Fragen der Unternehmensführung, der beruflichen Aus- und Weiterbildung, der Personalführung sowie Arbeitsmarktthemen.